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Fensterstarrer

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30.03.2004
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Fensterstarrer

„Piep – Piep – Piep,“ ertönt die nervende Elektronik.
„Mein Gott! Muss der ausgerechnet hier einsteigen?“, höre ich die schon etwas betagte Dame neben mir meckern.
„Der Bus hat ohnehin schon genug Verspätung,“ setzt ein weiterer Fahrgast den Text fort.
„Kann der nicht den nächsten Bus nehmen? Der hat doch bestimmt genug Zeit!“, murmelt ein Mann im Anzug. Für dieses Worte erntet der Anzugträger zwar einige böse Blicke von anderen Fahrgästen, aber keiner sagt etwas. Sie wenden sich ab und starren durch die Fenster.

Was suchen sie da?

Endlich fährt der Bus weiter.
Unverschämte Nörgler, denke ich, als wenn es durch das Meckern schneller gehen würde. Eigentlich müsste man diese Typen zurechtstutzen. Warum tue ich es dann nicht?
Auch mein Blick streift das Fenster. Draußen rast alles vorbei. Bäume, Häuser, Autos alles wird zu bewegten Schemen aus Farbe und Form. Zwischendurch immer wieder aufblitzende Reflexionen des Businneren. Dann mein Spiegelbild, ich sehe mir in die Augen.

Warum blicke ich hinaus?

Sind ihre Worte nicht Spiegelungen meiner Gedanken? Haben sie nicht Recht?

Beim Blick auf die Uhr wird mir klar, das ich wegen dieser Verzögerung, jetzt mit absoluter Sicherheit zu spät zur Schule kommen werde. Vorher hatte wenigstens noch der Hauch einer Chance bestanden es vielleicht gerade eben so zu schaffen. Doch jetzt werde ich auf jeden Fall den Zug verpassen, dann muss ich eine halbe Stunde auf den nächsten warten und das ausgerechnet heute, wo Klausuren angesetzt sind. Was das für Folgen nach sich zieht, daran will ich gar nicht denken. Alles nur wegen diesem...
Ich erschrecke vor mir selbst. Was – zum Henker – ist in mich gefahren?
„Aber es ist doch wahr!“, meldet sich mein Spiegelbild zu Wort.
Ist es das? – Aber es gehört sich nicht ...
„Was? Zu denken was einem in den Sinn kommt?“, wieder die Stimme meines Spiegelbildes,
oder doch mein bewusstes Ich?
Was stört mich? Dass er anders und doch genauso wie ich ist? Ich schaue rüber zu seinem Platz.

Er ist

in meinem Alter und trägt ein Hemd der Gruppe Linkin‘ park

wie ich.

Als sich unsere Blicke kreuzen, wende ich mich verlegen ab und mustere die anderen Fahrgäste. Alle haben sich von dem jungen Mann abgewandt und sehen scheinbar interessiert aus den Fenstern, wo nichts zu sehen ist. Nichts von draußen bleibt haften, alles zerfließt, wird zu Träumen. Unverständnis treibt uns an die Fenster. Doch ihre,
meine Flucht wird immer wieder von den eigenen Augen, die sich in Fenstermomenten spiegeln, gestoppt.

Was fürchten wir mehr: ihn oder unsere Spiegelbilder?

Das Pärchen zwei Reihen vor ihm tuschelt leise miteinander genauso wie die beiden Männer rechts von mir, dabei wandern ihre Blicke wie durch Zufall immer wieder zu ihm. Die aufgetakelte Frau in seiner Höhe rückt immer weiter zum Fenster hin und nimmt ihre Handtasche zu sich auf den Schoß. Was für ein Blödsinn! Als wenn er aufspringen und ihr die Handtasche klauen würde!
Er sitzt unbeteiligt an seinem Platz und betrachtet mit glänzenden Augen eine CD. Wie ein Theaterbesucher, der das gebotene Schauspiel schon kennt, dreht er sich immer wieder in den Bus hinein und betrachtet die Fahrgäste. Wenn er einem ihrer heimlichen Blicke begegnet und sie zusammenzuckend sich abwenden, zuckt er nur mit den Schultern.

Ist ihm das nicht unangenehm, dieses ständige Starren?

Zwischen ihren verhohlenen Blicken versuchen sie zu fliehen, die durchsichtige Wand aus Glas, welche Innen von Außen trennt, zu überwinden. Aber sie finden nur Spiegelbilder, das Glas ist zu massiv, als dass sie hindurch schlüpfen könnten.

Gibt es noch andere Möglichkeiten der Flucht?

Verdammte Idioten, wie kann man sich nur so dumm benehmen? Am liebsten würde ich ...
Doch meine Aufmerksamkeit wird von dem Schauspiel, welches sich in dem Fensterglas abspielt, abgelenkt.

Ich sehe

Angst, Scham, Ekel und Hass in Minen spielen und

erkenne mich.

Ertappe mich bei einem Fluchtversuch durchs Fenster, wie ich mir den Kopf an der Scheibe stoße.
Ich behandle den jungen Mann genau wie sie. Warum tue ich das? Aus Scham? Schließlich kann ich laufen und er nicht. Oder weil ich denke, dass ich ihn anstarre? Vielleicht aber auch weil ich vermeiden will, dass meine Blicke auf ihn wie Starren wirken? Ich will ihn bestimmt nicht provozieren, möchte nicht auffallen.
Alles faule Ausreden und Versuche mein schlechtes Benehmen vor mir selbst zu rechtfertigen.

Wie viel Freiheit bieten Fenster wirklich?

Das Glas ist zu dick um hindurch zu schlüpfen, hindurch zu fliesen, zu kalt um es zu berühren und doch ...

... „Klirr“,

birst eine Fensterscheibe

in meinem Kopf.

Langsam drehe ich mich, sehe dem jungen Mann ins Gesicht und suche seine Augen, folge seinem Blick und lande an meiner Brust wo in großen Buchstaben LINKIN‘ PARK steht.
Sehe dem jungen Mann im Rollstuhl in seine Augen, sieht er mir in die Augen. Lächle ich, lächelt er.
Als ich am Bahnhof aufstehe und auf dem Weg zur Tür an ihm vorbei gehe spricht er mich an:
„Hey, Mann! Warst du letzte Woche auch auf dem Konzert in Hamburg?“
„Ehh – ja klar ich –, da war doch jeder Fan, der was auf sich hält.“
„Ich war auch dar! War`n Hammer oder?“
„Wie?“
„Das Konzert war stark, nicht?“
„Ja, aber auf jeden Fall! OK, ich muss dann, mein Zug...“
„Man sieht sich.“
„Vielleicht ...“

 

Hallo Nice!

Ganz gute Geschichte!
Die eigenen Gedanken vor sich selbst rechtfertigen, sich selbst in anderen erkennen, das eigene Verahlten refektieren - hier ist viel drinnen.

Ich behandle den jungen Mann genau wie sie. Warum tue ich das? Aus Scham? Schließlich kann ich laufen und er nicht. Oder weil ich denke, dass ich ihn anstarre? Vielleicht aber auch weil ich vermeiden will, dass meine Blicke auf ihn wie Starren wirken? Ich will ihn bestimmt nicht provozieren, möchte nicht auffallen.
Das sind doch alles faule Ausreden und Versuche mein schlechtes Benehmen vor mir selbst zu rechtfertigen.
guter Absatz. Ich denke, dass viele Leser sich hier wiederfinden können - kaum einer ist im Umgangn mit Rollstuhlfahrern offen und natürlich.
Das Ende finde ich gut - er wird angesprochen, ganz natürlich, ein Gespräch könnte entstehen - aber er flieht. Seine Ausrede wird die Schule sein. Gut gemacht - auch wenn hier kein neuer Aspekt beleuchtet wird. :)

schöne Grüße
Anne

 

Hi Maus,
Danke für so viel Lob,
ich habe mir gedacht, versuch dich erstmal am müden Einerlei, bevor du´dich an was inovatives wargst.;)

 

Hallo Nice,

„Piep – Piep – Piep,“ ertönt die nervende Elektronik.
Ich würde statt Piep vielleicht einen anderen Lautton nehmen, einfach, weil Piep zu abgegriffen ist und eher an Vögel erinnert.
Was suchen die da?
Besser, sie statt die, da du in der Form auch davon schreibst, dass sie aus dem Fenster starren.
Ich bin empört über das Verhalten der Nörgler und will meinem Ärger gerade Luft machen, als auch mein Blick das Fenster streift.
Mit diesem Satz versäumst du ein bisschen die Chancen, die eine "Ich-Erzählung"ir bietet. Anstatt sich selbst von außen betrachtend festzustellen: "Ich bin empört" könntest du diese Empörung in Gedanken fassen, wie "Dadurch, dass sie meckern, geht es auch nicht schneller" Warum sage ich das nicht laut? Und schon bist du dem inneren Ziespalt deines Prot, der es eben auch eilig hat.
In deiner Version kommt dies als Zwiespalt nicht ganz glaubwürdig rüber, da es sich so chronologisch abspielt. Erst ist er empört, dann denkt er nach und kommt darauf, dass seine Gedanken widergespiegelt werden. Plausibler erschiene mir, dass er sich gleichzeitig über die Ignoranz der anderen, aber auch über die Verspätung ärgert. Welch Potential. :) Ich hoffe, du verstehst, worauf ich da hinaus will.
in meinem Alter und trägt ein Hemd der Gruppe Linkenpark
heißen die nicht Linkin´ Park?

Mir gefällt deine Geschichte im Grundsatz sehr gut, da sie die Unsicherheit wiedergibt, die uns oft bei der Anwesenheit Beeinträchtigter Menschen befällt. Wir denunzieren uns oft selbst des Starrens, dabei würde ein Lächeln, wenn sich die Augen treffen, bestimmt alles auflockern.
Wenn du dich allerdings etwas subjektiver einfach in die Gefühle stürzen würdest beim Schreiben, dann könntest du für mein Gefühl diese Geschichte noch weiter verbessern.

Einen lieben Gruß, sim

 

Ja sie heißen Linkin' Park*damend*

Den Holperer mit "was suchen die da?", sowie der Zwiespalt sind überdacht worden und geändert worden.

Piep bleibt drin ;)

Was den subjektiven Sturz in die Gefühle angeht:
Nun das wird noch ein schweres Stück Arbeit. :rolleyes:

So, dir auch vielen Dank für deine Kritik sim.
Man liest sich. :)

HAND Nice

 

Hi Nice,

so ein schweres Stück Arbeit wird das gar nicht. Mit der Änderung über den Zwiespalt der Gefühle hast du es ja schon mal getan. Genau das meinte ich mit dem Potential, welches eine Ich-Erzählung dir bietet. Wenn du diese Erzählperspektive mit solchen Gedanken spickst, wird es ja automatisch subjektiver. Die Kunst besteht darin, aus solchen Gedanken, ohne allzuviel "dachte ich" den Fortlauf der Handlung zu bewerkstelligen. Talentiert genug scheinst du mir dazu auf alle Fälle zu sein. :)

Nochmals einen lieben Gruß, sim

 

Hoho
Danke! Ich werde allmälich rot bei so schamantem Lob *hofdienermach*

Werde mir die Geschichte nochmal ansehen.
Nice

 

Hi, illu
oder !lln;)

Erstmal danke fürs Lesen und für deine Anregungen zum Verbessern des Textes; werde drüber nachdenken und nach dem WE wahrscheinlich eine Überarbeitete Fassung ins Forum stellen.
Das mit den Punkten werde ich mir merken :huldig: ;)

Das mit den Schulterzucken war in einem Sinne gedacht von: das ist bereits sein Alltag und es kümmert ihn nicht wirklich(ist halt 'ne Frohnatur)
bleibt also erstmal drinne

Die Finger; ja, die werde ich warscheinlich rausnehmen
Ok
les' dich nice

 

Hi Nice,

gut geschriebene Geschichte.

Nur, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass in der heutigen Zeit, wo man Rollstuhlfahrern auf Schritt und Tritt begegnet, ihnen noch so viel verstohlene "Aufmerksamkeit" gewidmet wird.
Das mit Fingern auf sie gezeigt wird, schon mal garnicht.
Hättest du von einem Epileptiker erzählt, der mit Zuckungen und Gesichtsverzerrungen, im Abteil gesessen hätte, könnte ich das Verhalten der Fahrgäste schon eher nachvollziehen.
Ich denke bei einer solchen Behinderung ist man betroffener und obwohl es einem Leid tut, ehr geneigt hinzuschauen.
Dann hätte der innere Dialog des Fensterstarrers auch mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit.
Das ist natürlich nur mein Empfinden.
Wie gesagt, deine Worte haben mir gefallen, nur der Grund dafür, war mir zu alltäglich.

glg, coleratio

 

Hi coleratio,

danke fürs Lesen und für die Kritik

"Nur, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass in der heutigen Zeit, wo man Rollstuhlfahrern auf Schritt und Tritt begegnet, ihnen noch so viel verstohlene "Aufmerksamkeit" gewidmet wird."

Fahr' mal mit dem Bus dann wirst du feststellen das Rollstuhlfahrer immer noch nicht alltäglich sind und wenn du selber einem begegnest, dann wirst du feststellen das du dich ihm gegenüber anders verhältst als gegenüber eines "Normalen". Ist nun mal so auch wenn's nur für Sekunden Bruchteile ist und nicht ganz so drastisch, wie bei mir geschildert.

"Das mit Fingern auf sie gezeigt wird, schon mal gar nicht."

Der Finger ist raus, wie angekündigt.;)

Also den Behinderten werde ich nicht austauschen, da ich persönlich denke, dass ein Rollstuhlfahrer leider noch nicht alltäglich ist, oder je alltäglich wird.

Das dir meine Worte gefallen, nehme ich dankbar zur Kenntnis.:)
also man liest sich
HAND nice

 

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