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Feierabend

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21.03.2004
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Feierabend

Es war spät geworden. Sie musste nur noch das Geschirr vom Konferenztisch abräumen, die Stühle ein wenig zurecht rücken und dann könnte sie sich nach einem langen Arbeitstag auf den Heimweg machen.

Die Tür öffnete sich langsam und Herr Lehmann lugte um die Ecke. „Habe ich meinen Palm hier irgendwo liegen gelassen?“ Er schaute sich suchend im Zimmer um. „Ach ja, vielleicht im Archiv, als ich das Ersatzkabel für den Beamer gesucht habe.“ Er schlüpfte ins Zimmer.

„Ich schaue gerne für Sie nach.“ Sie war ein so hilfsbereiter und wirklich netter Mensch. Schon war sie im Archiv verschwunden, das als kleiner fensterloser Nebenraum vom Konferenzzimmer abzweigte.
Herr Lehmann folgte ihr. Zu zweit wurden sie recht schnell fündig und entdeckten das Corpus Delicti, das achtlos in einem Regal liegen gelassen worden war. Als sie ihm seinen Lebensorganisator reichen wollte, wurde ein Schlüssel im Schloss herum gedreht. Das Licht verlosch.

Sie war so überrascht, dass sie zunächst kein Wort heraus brachte. Ihm erschien es nicht anders zu gehen. „Hallo, hier ist noch jemand drin.“ Herr Lehmann durchbrach als erster die Stille. Aber weder die Tür noch das Licht reagierten. Stattdessen konnten sie hören, wie die Tür zum Flur geräuschvoll zufiel. „Das kann doch jetzt nicht wahr sein, oder? Die haben uns doch wohl nicht eingeschlossen.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig.

„Es scheint so. Bleiben wir mal ganz ruhig und denken nach. Heute Abend wird niemand mehr den Konferenzraum benutzen, geschweige denn, etwas im Archiv suchen. Morgen um neun Uhr hat der Einkauf hier seine Mittwochs-Runde. Im schlimmsten Fall müssen wir es bis dahin aushalten.“ Herr Lehmann war immer schon sehr rational veranlagt gewesen. Er analysierte die Situation sehr treffend, das musste sie gestehen. Allerdings war sie selbst etwas anders gestrickt, und die Vorstellung bis zum nächsten Morgen in einer Vier-Quadratmeter-Dunkelkammer zu campieren, brachte sie schon nach wenigen Minuten um ihre Nerven und einen Teil ihres Verstandes. „ Das glaube ich jetzt einfach nicht. Die ganze Nacht hier drin in der Dunkelheit. Ich möchte nach Hause. Ich halte das nicht aus.“ Das Zittern in ihrer Stimme steigerte sich zu ausgeprägten Vibrationen und die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter.

Plötzlich spürte sie eine Hand, die ihre Wange suchte und sanft die Tränen abstreifte. „Keine Angst. Ich bin bei Dir.“ Er flüsterte ihr zärtlich die tröstenden Worte ins Ohr. Er war ihr so nah. Kein Schreibtisch, kein Händeschütteln war zwischen ihnen. Kein Beobachter, der neben ihnen stand. Sie waren ganz allein. Und seine Hand war so warm, so weich, so angenehm. Der Zauber des Augenblicks führte ihre Lippen zusammen. Auf einen vorsichtigen ersten kurzen Kuss folgte ein Crescendo, das in tiefster Leidenschaft mündete.

Sie hatten sich tatsächlich im Archiv geliebt. Eine für den unaufmerksamen Betrachter leicht bieder wirkende Chefsekretärin und ein sonst so verklemmter Leiter der Buchhaltung.

„Das war wunderbar.“ Herr Lehmann atmete tief durch, als er den Reißverschluss seines Maßanzugs wieder nach oben zog. „Bis morgen.“ Einige Schlüssel schlugen aneinander, als sie aus der Tasche gezogen wurden. Metall fand das Metall des Schlosses. Die Tür sprang auf und ein zarter roter Lichtstrahl der Abenddämmerung glitt in das Archiv.

Sie vergaß diese besonderen Stunden mit Herrn Lehmann niemals. Heute waren sie ihr wieder besonders präsent, als sie neben ihrer Freundin Nina zu später Stunde den Flur entlangschritt. Vor der Tür zum Besprechungsraum machten sie halt. Sie zwinkerte Nina noch ein letztes Mal vielsagend zu, bevor sie die Tür öffnete. Herr Krüger, der neue Assistent im Marketing, war gerade dabei, den Beamer für die Besprechung am nächsten Tag zu installieren. „Habe ich hier irgendwo, meine Postmappe liegen gelassen?“ Der Archiv-Schlüssel piekste sie durch den feinen Stoff ihres Kostüms leicht in die Hüfte.

 

Deine Schreibform, lara. unterliegt sicherlich Schwankungen - was allen Schreibern so geht. Und "Feierabend" würde ich unter die schwächeren deiner Werke einordnen. Natürlich wieder glatt und routiniert geschrieben, aber der Plot ist etwas altbacken, erinnert an angebliche Leserinnenberichte über ihr heißestes Sexerlebnis in den unzähligen Frauenzeitschriften von "Bella" bis "Maxi".
Ich würde zumindest den Anfang noch ausbauen, also z.B. Andeutungen machen, dass schon mal verstohlene Blicke zwischen Herrn Lehmann und der Prot getauscht wurden. So zusammenhanglos mit dem Akt konfrontiert, erscheint mir die Prot schon wie eine etwas angewelkte Bürostute, die nur dann zum Zug kommt, wenn sie sich mit einem Mann einschließen lässt. Aber das mag so geplant sein. Die eigentliche zärtliche Begegnung hakst du sehr knapp ab. Ob jeder Mann so nahtlos vom väterlichen Tränentröster zum Tiger mutiert? Aber da wird die Prot ihre Übung haben. ;-)

Schöne Grüße!
Chica

 

Chica,

den Anfang möchte ich auf keinen Fall ausbauen, denn es gab keine verstohlenen Blicke zwischen den beiden. Für die Prot war vorher rein gar nichts mit Herrn Lehmann. Er hat die Aktion geplant und mit einem Komplizen durchgeführt. Er hat das Zusammentreffen im Archiv eingefädelt, um sie in einer Extremsituation "flachzulegen". Deshalb auch seine Mutation danach, als er hatte, was er wollte. Der Akt an sich verdient in diesem Fall keine weitere Beschreibung, denn er war kurz und heftig.

Der Clou ist doch, dass ihr die Aktion so gefallen hat, dass sie gleiches danach mit Hilfe ihrer Freundin zelebriert.

Da ich Dich als sehr aufmerksame Leserin und Kritikerin kenne, mache ich mir doch etwas Sorgen, dass das Szenario nicht in dieser Form deutlich wird. Hast Du zu flink gelesen oder ich zu unscharf beschrieben?

Lieben Gruss
Lara

 

Es ist nie zu spät

Aha, eine „leicht bieder wirkende Chefsekretärin und ein sonst so verklemmter Leiter der Buchhaltung“ treiben es im Archiv, dank eines fiesen Tricks – ich habe mir schon immer gedacht, Frauen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden. Auch dass ihr das kleine Intermezzo so gut gefiel, dass sie daraufhin selbst auf die Pirsch geht, passt wunderbar in das Schema der heimlichen Sado-Maso-Frau – späte Selbsterkenntnis, aber immerhin.

Du, lara, scheinst ein Faible zu haben für Frauengestalten, die nicht das sind, was sie scheinen, die lieber was anderes wären oder gerne täuschen. Das sind auch mir die liebsten, denn so ist das wahre Leben, auf der Oberfläche bieder und unauffällig, manchmal auch verklemmt, aber darunter brodelt es nur so, gerade jetzt im Frühling – bald sind wir im Mai, dem Wonnemonat, ei, ei -, steigen die Säfte wieder hoch, man muss sich sputen, wenn man noch zum Zuge kommen will, aber Gott sei dank gibt es immer wieder jemand, dem es ähnlich geht, die Natur gönnt jedem Tierchen sein Plaisirchen, ich bin sicher, Herrn Krüger wird es gefallen, von der Chefsekretärin persönlich flachgelegt zu werden, er ist wahrscheinlich noch jung, da kann er noch was lernen.

Gefallen hat mir die Beschreibung des Innenlebens der Frau, der Moment ihres Schwachwerdens – Kein Beobachter, der neben ihnen stand. Sie waren ganz allein. – hast du uns sehr schön nahe gebracht, nur dass sie als Chefsekretärin das Geschirrabräumen nicht dem Putzpersonal überlässt, passt nicht so richtig - immerhin scheint sie in einer größeren Firma zu arbeiten, oder?

Im Übrigen hat Chica Recht, das ist der Stoff für eine Frauenzeitschrift - Motto, jetzt zeigen wir’s den Männern! -, allerdings für Cosmopolitan ist die Geschichte nicht deftig genug, vielleicht schickt du sie an Brigitte oder an eine andere Mainstreamzeitschrift, es gibt Millionen von Frauen, deren Traum es ist Chefsekretärin zu werden - wenn sie deine Geschichte lesen, werden es gleich noch ein paar mehr sein -, ich würde mich nicht wundern, wenn es in ein paar Monaten in den Zeitungen hieße, Sekretariatsassistentinnen hätten vermehrt freiwillig das Putzen der Konferenzräume übernommen - nach Feierabend, versteht sich.

Dion

 

Hallo Dion,

allein für Deinen Kommentar hat es sich gelohnt, diese Geschichte zu schreiben. Ich habe mich köstlich amüsiert und werde mir das mit der "Brigitte" überlegen.

Liebe Grüße

Lara

 

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