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Drachenfreundschaft
In dem wunderschönen Land Pegamonien, das sich über eine große Insel mitten im Ozean erstreckt, lebte einst der kleine Murxwurx. Jeden Tag besuchte er das Meer, und so wurde er gut Freund mit allen seinen Bewohnern.
Da gab es Wale, die weit herum kamen auf der Welt. Sie konnten spannende Geschichten erzählen von fremden Ländern und Lebewesen, die es hier auf der Insel nicht gab.
„Hallo Murxwurx“, rief ihm ein Wal zu. „Beinahe hätten wir uns nie wieder gesehen. Mit Müh’ und Not entkam ich den Jägern eines Walfangschiffs. Eine Harpune hat mich noch gestreift. Könntest du mir bitte ein wenig den Rücken kratzen? Die Narbe juckt so doll.“
„Oh, du tapferer Geselle“, antwortete Murxwurx. „Gerne tue ich dir den Gefallen. Sag, warum hast du das Boot nicht versenkt?“
„Bin nicht nahe genug herangekommen“, sagte der Wal, „und ich habe keine Harpunen wie die Jäger, keine Kanonen ...“
Ungeduldig mischte sich ein Delphin ein. „Also lasst euch erzählen, da habe ich unten in Feuerland Pinguine gesehen. Nein sieht das lustig aus, wenn sie am Strand herum watscheln; dabei sind sie so geschickte Schwimmer.“ Und dann musste der Delphin die Pinguine in allen Einzelheiten beschreiben, weil es sie auf Murxwurx’ Insel nicht gab. Die kleinen Tiere wie Krabben und Muscheln dagegen sprachen von amüsanten Begebenheiten aus der unmittelbaren Umgebung, die der kleine Murxwurx nicht beobachten konnte, weil sie im Wasser und sogar unter dem Sand des Strandes in Höhlen und Burgen stattfanden.
Da gab es die Krabbe Raxkraks, eine stets gut gelaunte Krebsdame, welche die Geselligkeit liebte. Regelmäßig besuchte sie die Tanzveranstaltungen der Sandflöhe, deren geschickte Sprünge sie über alle Maßen bewunderte.
„Habe ich schon erzählt“, sprudelte sie hervor, „was Spruksfux, ein sehr talentierter Nachwuchskünstler unter den Flöhen, neulich dargeboten hat? Aus dem Stand sprang er um das Hundertfache seiner Körpergröße steil in die Luft, bis zu einer Spinnwebe hinauf. Auf der balancierte er bis zur Spinne Winzspinz und zwackte sie in den Bauch.“
So vergingen die Tage des kleinen Murxwurx voller Kurzweil und Freude, aber ihm schien, als fehlte ihm etwas, um so richtig, so vollkommen glücklich zu sein.
Wie sehr Murxwurx mit allen Tieren gut Freund war und von diesen ebenso gemocht wurde, so sehr sehnte er sich mit großer Wehmut in seinem kleinen Jungenherzen nach einem richtigen Freund, mit dem er all seine Freuden ... und natürlich auch seinen Kummer teilen konnte. So einen Freund, der nur für ihn ganz allein da sein sollte ...
Alle seine Freunde waren hilfsbereit und freundlich. Aber sie hatten ihre Aufgaben, die sie erfüllen mussten, wie es überall auf der Welt üblich ist. Sie hatten ihre Familie, um die sie sich kümmern mussten wie auch um das Essen und die Kinder. Niemand war ausschließlich für Murxwurx da, so wie er es sich wünschte.
Je mehr sich Murxwurx nach einem solchen Gefährten sehnte, umso stärker wurde sein Glaube daran, dass er ihn eines Tages finden würde, ganz bestimmt! Schließlich kam dieser Tag wirklich. Der kleine Murxwurx ging in der Dämmerung noch einmal zu seinem Lieblingsplatz am Strand. Da lag ein großer Felsen unmittelbar am Rand eines kleinen Wäldchens. Kletterte er auf den Felsen, konnte er weit hinaus auf das Meer sehen. Die Sonne, welche hinter dem Wäldchen versank, um sich zur Ruhe zu begeben, malte wunderliche Schatten in den Sand. Murxwurx konnte sich nie satt sehen an den Gestalten, die aus den Schattenbildern hervorwuchsen. Sie schienen so unwirklich und waren doch da. Wie sonst wären sie für Murxwurx zu sehen gewesen? Wahr und wahrhaftig, sie waren da!
Es wehte ein sanfter Wind, der die Bäume miteinander flüstern ließ, und die Schatten der Bäume tanzten im Licht der scheidenden Sonne. Murxwurx bewegte sich vorsichtig auf die seltsamen Gebilde zu. Teils wollte er sie nicht erschrecken, teils war er ein wenig ängstlich, weil sie so ... ungewöhnlich und anders als sonst waren. Bald konnte er ein großes Pferd sehen, das einen Schafskopf hatte und Hörner, dann sah er einen Hund, aber der hatte einen Schweinerüssel. Jedes Mal, wenn er sich in Gedanken mit einem der wunderlichen Schatten vertraut gemacht hatte und näher heran ging, lösten sich seine Umrisse allmählich auf und das Bild verschwand. Immer auf’s Neue wurde Murxwurx darüber traurig. Vielleicht war er zu ungeduldig? Doch er gab seine Bemühungen nicht auf.
Plötzlich sah er einen riesigen Drachen lang hingestreckt am Ufer liegen. Auf seltsame Weise fühlte sich Murxwurx von ihm angezogen; so vertraut kam er ihm vor, als sei er schon viele Jahre, ein ganzes Jungenleben lang, mit ihm zusammen gewesen. Er ging auf den Drachen zu, der so ruhig da lag, als schliefe er. Und je näher Murxwurx kam, umso deutlicher konnte er ihn erkennen. Als ihn nur noch wenige Meter von dem Drachen trennten, hob dieser seine Augenlider, um ihn anzuschauen. Da wusste Murxwurx, dass der Drachen sich nicht auflösen würde. Schon stand er vor ihm und sagte:
„Guten Tag Drache. Ich heiße Murxwurx und wohne hier. Ich freue mich, dich bei mir begrüßen zu können. Sei herzlich willkommen!“.
„Hallo Murxwurx“, grüßte der Drachen zurück, „ich heiße Schattdrachs, weil ich aus dem Schatten gekommen bin. Und ich bin ein Zauberdrachen.“
„Oh!“, rief Murxwurx erfreut, „ein Zauberdrachen. Das gefällt mir gut. Wollen wir Freunde sein?“.
„Warum nicht?“, meinte Schattdrachs vergnügt. „Du scheinst ein aufgeweckter Junge zu sein. Bestimmt werden wir viel Spaß haben. Ich freue mich schon auf gemeinsame Abenteuer mit dir.“
So schlossen Schattdrachs, der Zauberdrachen, und Murxwurx, der kleine Junge, Bekanntschaft miteinander. Murxwurx malte dem Drachen sogleich seine Wünsche und Träume in den Sand und besiegelte damit ihren Bund. Und Schattdrachs schlug vor Freude und als Zeichen seines Einverständnisses drei Mal kräftig mit seinem mächtigen Schwanz auf den Sand, dass der nur so aufstiebte.
Nun wollte Murxwurx zu gerne wissen, wo der Drachen sich so lange versteckt hatte, denn er war ihm noch nie begegnet. Da sagte Schattdrachs:
„Schau dort hin, unter den Felsen. Da ist ein großes Loch zu sehen, das direkt zu meiner Höhle führt. Ich hatte keine Lust heraus zu kommen, weil die Menschen viele böse Sachen über mich erzählen. Ich habe die Menschen aber gerne und besonders mag ich Kinder. Heute Abend hat mich die Sehnsucht aus meiner Behausung getrieben. Irgendwie habe ich gespürt, dass ich erwartet werde. Ich wünsche mir nämlich schon lange einen Freund.“
So begann eine wundervolle Zeit im Leben des kleinen Murxwurx. Oft verbrachte er viele Tage auf dem Rücken seines treuen Freundes. Der Drachen trug ihn über alle Meere dieser Erde. Weil Murxwurx immer noch an die Erzählung des Wales denken musste, suchte er mit Schattdrachs die Walfänger und fand sie auch. Als sie nahe genug herangekommen waren, brüllte der Drachen:
„Hallo ihr Nichtsnutze, ihr Raubgesellen. Ich bin Schattdrachs und mit mir ist mein Freund Murxwurx. Wir wollen nicht, dass ihr die friedlichen Wale jagt und unsere Freunde tötet. Sofort stellt ihr eure Untaten ein, oder ich versenke euch mit Mann und Maus."
Da bekamen die Walfänger große Furcht und sie versprachen, ordentliche Seeleute zu werden und nur noch auf Handelsschiffen zu fahren. Das sprach sich schnell herum, und bald gab es keine Walfangschiffe mehr.
Gerne hätte Murxwurx dem Wal die frohe Botschaft überbracht, doch der Wal schwamm im tiefen Wasser und kam nicht an den Strand. Da wusste Schattdrachs Rat und zauberte eine große Luftblase. Damit tauchte er, Murxwurx auf dem Rücken, in das Meer hinab und so fanden sie den Wal. Der Wal bedankte sich bei den unzertrennlichen Freunden und zeigte ihnen dafür das bunte Leben im tiefen Ozean, die Seeanemonen und die Korallen, Tintenfische, die sich sogar Briefe schreiben konnten unter Wasser und vieles mehr.
Oft hatte Murxwurx überhaupt keine Lust schlafen zu gehen, wenn die Sonne schon gute Nacht gesagt hatte. Dann flog Schattdrachs mit ihm hoch hinauf zu den Wolken. Dort setzten sie sich hin und schwammen mit einer Wolke am Himmel der Sonne hinterher. Und es wurde nie Nacht, so lange sie der Sonne folgten. Winzig klein sahen die Tiere und die Pflanzen von dort oben aus. Die Bäume waren nicht größer als Grashalme, und die Elefanten glichen kleinen Ameisen.
War Murxwurx wieder zuhause in Pegamonien, dann erzählte er von seinen unglaublichen Erlebnissen, die Raxkraks, die Krabbe, gar nicht glauben mochte. Sie bat und bettelte so lange, bis sie auch einmal mit zu den Wolken hinauf fliegen durfte. Da glaubte sie die Geschichten, die sie von den Beiden gehört hatte, und erzählte das sofort am nächsten Tanzabend der Sandflöhe weiter. Natürlich hatte sie ihre Erlebnisse mit vielen fantastischen Einzelheiten ausgeschmückt. So hörten die Flöhe mit großem Erstaunen zu, und Spruksfux sah ihr sogar ganz verträumt in die Augen.
„Das muss ich gleich morgen Murxwurx erzählen“, dachte sie aufgeregt und glücklich. „Ich glaube, Spruksfux hat sich in mich verliebt. Ich kann zwar nicht so wundervolle Sprünge machen, dafür weiß ich von allerlei Abenteuern zu berichten.“
So vergingen die Tage und wuchsen zu Wochen zusammen. Aus den Wochen entstanden Monate, aus den Monaten aber wurden Jahre. Die Zeit machte, dass Murxwurx älter wurde und eines Tages kein kleiner Junge mehr war. Schließlich bemerkte auch Schattdrachs, dass etwas anders wurde zwischen ihnen.
Wieder ging ein sonniger Tag zur Neige und die untergehende Sonne malte Schattengebilde auf den Sand, der Wind ließ die Bäume miteinander flüstern und machte, dass sich die Schatten bewegten. Schattdrachs lag im Sand, und ihm gegenüber saß Murxwurx. Sie schwiegen lange und schauten sich an. Dann sagte Murxwurx:
„Ich glaube, es ist Zeit für mich, erwachsen zu werden. Ich spüre einen Ruf, der mich hinwegzieht von meinen Kindertagen und ihren Träumen. Wir müssen uns nun trennen, mein treuer Freund. Aber ich will dich immer in guter Erinnerung behalten. Und wenn es sich ergibt, dann werde ich wieder hierher kommen ... vielleicht.“
Schattdrachs versuchte nicht, seinen Freund zu überreden, weil er sehr gut wusste, dass sein Drachenzauber den noch mächtigeren Zauber der Zeit nicht besiegen kann. So war er bemüht, sich in sein Schicksal zu fügen und tapfer zu sein.
„Ich werde dich niemals vergessen, mein Freund Murxwurx“, sagte er. „Unsere Freundschaft hat mich sehr glücklich gemacht. Als dein Freund wünsche ich, dass dir deine Träume niemals ganz verloren gehen. Und nun, Glück auf den Weg ...“
Mit diesen Worten drehte sich Schattdrachs um, peitschte noch ein letztes Mal mit seinem mächtigen Schwanz den Sand auf, dass er bis zu den Wolken am Himmel flog, und verschwand in seiner Höhle unter dem Felsen.
Raxkraks und Spruksfux hatten geheiratet und zahlreichen Kindern, das waren Krabbenflöhe und Flohkrabben, das Leben geschenkt. Die Kinder von Raxkraks und Spruksfux hatten einen Lieblingsplatz, an dem sie spielten. Das war ein großer Felsen unmittelbar am Rand eines kleinen Wäldchens.
Eines Tages saß auf dem Felsen ein kleines Mädchen.
„Hallo“, rief Raksfux, ein kleiner Krabbenfloh, zu dem Mädchen auf dem Felsen. „Dich habe ich noch nie gesehen. Ich bin Raksfux, und wer bist du?“.
„Guten Tag, Raksfux“, rief die Kleine hinunter. „Ich heiße Murxiwurxi, und ich wohne hier ...“
Unter dem Felsen begann es zu rascheln. Es hörte sich gerade so an, als würde ein Drachen seine Höhle verlassen.