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22.06.2021
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Das scheint hier alles zu zerplatzen, wie Seifenblasen, wie Regen an einer Fensterscheibe, das scheint hier alles zu zerfetzen, wie Mikrowellenpopcorn, das an der Mikrowelleninnenwand abprallt, aber doch gerne raus hüpfen will. Das scheint alles zu zerreißen, zu zerspringen und zu zerklingen wie fallende Vasen. Das scheint sich aufzulösen, wie Zucker im Kaffee, wie Salz im Wasser. Wie soll ich das festhalten, wie einfangen, wie soll ich das zurückholen? Und von woher soll ich dich überhaupt zurückholen? Wie kann man Angeln festhalten, an denen zentnerschwere Fische ihren letzten Lebenskampf tänzelnd bestreiten? Wie kann man Sterne einfangen, die als Sternschnuppen in der Ferne vom Himmel stürzen?h Wie soll ich dich vom Runterstürzen bewahren? Kann ich das? Wie kann man zurückholen, was weg ist?

Seit zwei Semestern studiere ich und seit einem halben Jahr sprichst du nicht mehr mit mir.

Woran das liegen soll, keine Ahnung. Ich weiß es nicht, ich kann es mir nicht denken, mir nicht ausmalen – da ist nur dieses großes alles Übertreffende „Wir“, das ich mir ausgemalt habe.

Möglicherweise liegt es an meiner Studienfachwahl Medizin und meinem damit einhergehend schlimmer werdendem Problem, was eigentlich schon immer da war, mich und meine Symptome zu untersuchen und zu behandeln. So ist das mit uns Medizinern.

Vielleicht aber auch weil ich ständig von „uns Medizinern“ spreche. Oder weil ich mir für viel Geld ein buntes Stethoskop, und bunt schließt in meiner Betrachtungsweise die Farbe „Gold“ mit ein, das meinen Hals schmücken soll, gekauft habe. Das alte hatte ausgedient, schwarz hat mir irgendwie noch nie gestanden.

Vielleicht aber sprichst du auch nicht mehr mit mir, weil du das erste Mal im Stadt-Land-Fluss spielen kapitulieren musstest. Ja, kapitulieren! Dramatisch verloren hast du. Weil ich immer passende Berufe hatte und du nicht. Ganz die akademischen eben. Selbst Q und X konnte ich. Querflötist und Xylograph. Wenn auch nicht aussprechen, aber es stand zumindest da. Wobei ich mehr Spaß hatte an Berufen wie „Tropenmediziner“, Urologe, Proktologe, Thoraxchirurg, Herzchirurg, Kinderchirurg. Oder die Mischung: Kinderherzchirurg. An jedes Wort musste ich nur den Chirurgen oder den logen anhängen und schon hatte ich den Beruf. Immer war ich bestens gewappnet. Nur nicht auf deinen Ausraster und den Moment, als du so wütend geworden bist, dass du plötzlich einen Dartpfeil – eben noch der Bleistift – in der Hand hieltest. Als Zielscheibe wähltest du meine Pupille. Da waren wir gerade bei „A“ – „Augenarzt“ wollte ich sagen, musste unsere lustige Stadt-Land-Fluss-Sitzung aber unterbrechen, um selbigen zu konsultieren. Es war auch ein Trugschluss, dass ich der Meinung war, dich dieses Mal mit der Endung „-arzt“ überraschen zu können, auch wenn ich ein wenig stolz war, dass ich ohne den Chirurgen klarkam. Zumindest auf dem Papier. Wie das mit meinem Auge ausging… naja…

In den Zeiten, in denen ich acht Tage die Woche von morgens bis zum nächsten Morgen lernen musste, warst du für deine Nahrungsbeschaffung erstmalig selbstverantwortlich – es gab für dich Toastbrot, aus dem Toaster mit Nutella. Oft verkokelt, denn selbst der Toaster war dir fremd. Ich schlug mich mit Fächern wie Physik, Chemie und Biochemie rum. Als ich dir die physikalischen Hintergründe des Toasters, die chemische Zusammensetzung deines Bestecks erklärte und die fehlende Mikronährstoffsituation deines Toasts bemängelte, hast du damit begonnen die Nutella aus dem Glas zu löffeln.

Ich frage dich, was los ist. Sag, was ist, was ist es, das dich nicht sprechen lässt? Man will dich schütteln, wenn man dich da so sitzen sieht. Man überlegt, aus welcher Welt man dich aufwecken muss. Du warst mal so wach. Wie kriege ich dich wieder wach? Sprich, seit wütend. Aber sei irgendwas. Warum war dieses Verstummen und diese Ruhe so unaushaltbar? Was ist mit unserem Plan, den Visionen und unseren Träumen, sag, was ist damit. Du schaust mich an, drehst den Kopf, sagst kein Wort und bleibst stumm. Es schien wie etwas Großes, Dunkles, das sich von jetzt auf gleich auf dich gelegt hatte und dir die Sprache genommen hat. Das Wegschieben meiner Angst gelang mir auch durch übermäßiges Lernen nicht mehr. Die Angst, die ich jeden Tag in dir suchte, fand ich nicht.

Wir beide, wir waren doch dieses Team. Ich habe das so gemocht, wofür andere dich belächelt haben. Dafür, dass du bei IKEA einen Hotdog ohne Wurst bestellt hast und ihn mit einem Kilo Gewürzgurken und zwei Kilo Röstzwiebeln gefüllt hast. Zu finden warst du damit im Bällebad. Wir waren doch dieses Team. Wir duellierten uns monatelang darin, wer die beste Mütze stricken konnte, weil auch ich mir die Haare abschnitt, als wir gegen dieses dich zerfressende Etwas kämpften. Du hast mir das am Ufer der Spree erzählt. Wir waren da, wie so oft und wir wollten, wie so oft, dem Rhythmus dieser Stadt lauschen, aber dann hast du es mir erzählt, du sprachst von „zerfressen“ und bei jedem deiner Worte schwand der Rhythmus in dir drin immer weiter, du hast geweint, bitterlich, ich mit dir, du hast geschwiegen, ich mit dir. Zerfressen. Hallte es den ganzen Abend in mir nach. Zerfressen.

Zuhause nahm ich einen von diesen rumliegenden Post-it Zetteln und kritzelte „wir machen das zusammen“ darauf. Den Zettel hast du über jedes Krankenhausbett gehangen und jetzt stehe ich hier am Türrahmen und du sitzt da an deinem Schreibtisch, eingesunken auf deinem Stuhl, guckst mich jedes Mal an, wenn du mit deinem Drehstuhl eine Runde vollendet hast, der Stuhl dreht sich quietschend um die eigene Achse, in dir scheint sich nichts mehr zu drehen. Meine Augen wandern verloren durch dein Zimmer, du kommst mir so klein vor, wie du da sitzt, dein Zimmer so riesig. Von der hohen Altbaudeckel baumelt deine selbstgebaute Lampe hinunter, dein Bett hattest du, wie immer, akkurat gemacht. Als lägest du niemals dort drin. Es beruhigte mich, als mein Blick auf deinen leicht autistisch (ohne Vorurteile zu haben) angehauchten Schreibtisch fiel. Deine zehn Stifte lagen im Abstand von 2,2 Zentimetern parallel nebeneinander. Du warst der Meinung, in jedem Lebensjahr müsse man sie einen Millimeter weiter auseinanderschieben und sollte an einem Geburtstag plötzlich der erste Stift an der Seite vom Tisch kullern, so sei man nun alt genug und habe sein Leben „fertig gelebt“. Ich fand das immer seltsam und hatte vorsorglich im Keller einen überdimensional großen Tisch für dich stehen. Und da sah ich es auf einmal: deine Wände waren kahl. Nur die Pinnwand hing noch dort – ansonsten hattest du alles abgehängt.

Ich weiche deinen Blicken und gucke den Zettel an, der schon lange, vergilbt und halb verknittert, an deiner Pinnwand hängt. Du drehst dich ein Stück weiter, es dauert den Bruchteil einer Sekunde und plötzlich sind es nicht nur meine Augen, die auf diesem Zettel haften. Und weil ich das irgendwie alles wusste, weil ich dich so sehr kenne, ziehe ich aus meiner Tasche einen neuen Post-it Zettel, auch wenn ich noch eine fast verschwindend geringe Hoffnung hatte, dass ich das nie machen müsste. Auf diesen habe ich geschrieben: „auch dieses Mal zusammen.“

Du nimmst den Zettel. Ich habe Angst, dass du ihn jetzt zusammenknüllst und zerreißt. Das erste Mal bilde ich mir ein, den Hauch eines Gefühls bei dir zu erahnen. Irgendwie habe ich auch Angst vor dem Augenarzt, jetzt wo ich deinen Bleistift sehe und so nah neben dir sitze, dass ich dein Herz schlagen hören kann. Du aber, du klebst den Zettel neben den anderen an deine Pinnwand, dein Herz pocht jetzt langsamer, ruhiger und gleichmäßiger. Jetzt lässt mich nichts mehr zögern, ich zücke meine vorbereitete Stadt-Land-Fluss-Liste aus meiner Hosentasche. Die Zeit, in welcher wir nicht mehr spielten, nutzte ich, um sechsundzwanzig Berufe zulasten meiner eigentlich anstehenden Prüfungsvorbereitung auswendig zu lernen. Anästhesietechnischer Assistent. Bahninstandhaltungsarbeiter. Co-Pilot. Deichmann Mitarbeiter. Erdbeerverkäufer. Fischzüchter. Glöckner. Hundesitter. Inselführer. Jobcenterangesteller. Kameltreiber. Löwendompteur. Milchverkäufer. Nagelstudiobesitzer. Opernsänger. Personenschützer. Quantenphysiker. Rohrreiniger. Staubsaugervertreter. Tannenbaumverkäufer. Unterhosenmodel. Visagist. Weinkoster. Xsundheitsminister (falls du das nicht durchgehen lassen würdest, hätte ich noch Xbox-Hersteller auf Lager). YouTuber. Zeitungsjunge. Uff. Geschafft. Ohne Arzt. Ohne Chirurg.

Wir sitzen uns die ganze Nacht mit unseren Mützen gegenüber, zum Essen gibt es Röstzwiebeln und am allergewöhnungsbedürftigsten war, dass ich dieses Mal kapitulieren musste. Irgendwie hattest du bessere Berufe.

 

Hallo @Stella24,
willkommen bei uns Wortkriegern!
Ich finde deinen Einstand gar nicht mal schlecht, mir hat der Plot gefallen und auch diese besondere Form von Liebeserklärung, die deine Protagonistin ihrem Freund macht. Ich finde zwar nicht so viel Philosophisches an diesem Thema, aber vielleicht ist das auch ein wenig Geschmackssache, dass du diesen Tag gewählt hast.

Inhaltlich habe ich deinen Text aber noch so hie und da für verbesserungs- bzw. veränderungswürdig gehalten, ich gehe einfach mal chronologisch vor:

Dieses Team
Der Titel kommt mir etwas zu kühl rüber. "Dieses" ist so unbeteiligt, so distanziert. Vielleicht "wir sind ein Team" mit oder ohne Fragezeichen oder "Sind wir ein Team?" Vielleicht aber auch etwas, das auf das Spiel hinweist wie: 26 Berufe. Aus dem Titel kann man auf jeden Fall noch mehr machen, dass er ansprechender wirkt.
Das scheint hier alles zu zerplatzen, wie Seifenblasen, wie Regen an einer Fensterscheibe, das scheint hier alles zu zerfetzen, wie Mikrowellenpopcorn, das an der Mikrowelleninnenwand abprallt, aber doch gerne raus hüpfen will. Das scheint alles zu zerreißen, zu zerspringen und zu zerklingen wie fallende Vasen. Das scheint sich aufzulösen, wie Zucker im Kaffee, wie Salz im Wasser. Wie soll ich das festhalten, wie einfangen, wie soll ich das zurückholen? Und von woher soll ich dich überhaupt zurückholen? Wie kann man Angeln festhalten, an denen zentnerschwere Fische ihren letzten Lebenskampf tänzelnd bestreiten? Wie kann man Sterne einfangen, die als Sternschnuppen in der Ferne vom Himmel stürzen?h Wie soll ich dich vom Runterstürzen bewahren? Kann ich das? Wie kann man zurückholen, was weg ist?
Hm....hier dachte ich anfänglich: nee, die Autorin schreibt grad hier ein Tagebuch, das sind doch alles Tagebucheinträge, das ist doch keine Geschichte. Nach diesem dicken Absatz "Tagebuch" kommt dann die eigentliche Geschichte. Und was an diesem Absatz stört, ist die ständige inhaltliche Wiederholung. Ich weiß, das sind alles Formulierungen, an denen du lange gefeilt hast, die du allesamt klasse findest und die ja auch gar nicht schlecht sind. Nur, es gibt diesen weisen Spruch "kill your Darlings" und bei dieser ist es genau der Fall bei diesem Absatz. Suche dir einen prägnanten Lieblingssatz raus und setze ihn:
Seit zwei Semestern studiere ich und seit einem halben Jahr sprichst du nicht mehr mit mir.
Nach diesem Satz. Nicht vorher, denn deine Geschichte ist mit diesem Anfangssatz ein sehr guter Start gelungen, alles voran Geschriebene ist längst nicht so spannend und aussagekräftig wie dieser eine Satz. Daher würde ich auch allenfalls aus dem oberen Absatz einen einzigen Satz retten und keinen mehr.
Da waren wir gerade bei „A“ – „Augenarzt“
Hier bin ich mit der Logik, also dem Ablauf der Geschichte nicht ganz einverstanden. Wenn sie schon eine Weile Stadt, Land, Fluss spielen, dann erinnere ich mich zwar daran, dass einer aus der Gruppe von meist deutlich mehr als zwei Personen (man kann es natürlich auch nur zu zweit spielen) eine Buchstaben für den Beginn vorgab und man dann mit diesem Buchstaben begann, bei dir wirkt es aber so und denke auch dran, dass nicht alle dieses Spiel vielleicht gut kennen, als hätten deine Protas mit A angefangen. Was aber nicht geht, weil sie ja schon eine Weile spielen. Vielleicht hier noch irgendwo seicht einflechten, dass dann nach x Buchstaben A dran war.
Wie das mit meinem Auge ausging… naja…
Einerseits gar nicht mal übel, es offen zu lassen, aber andererseits interessiert es mich sehr, was denn nun mit dem Auge ist. Denn es sagt ja auch etwas über die Protagonistin aus, denn immerhin scheint sie ihrem Freund nicht deswegen die Freundschaft gekündigt zu haben. Vielleicht ist das Auge jetzt noch rot oder entzündet`?
selbstverantwortlich
Ich habe den Duden nicht gefressen, aber ich würde dies hier von seiner Bedeutung her auseinander schreiben.
Als ich dir die physikalischen Hintergründe des Toasters, die chemische Zusammensetzung deines Bestecks erklärte und die fehlende Mikronährstoffsituation deines Toasts bemängelte, hast du damit begonnen die Nutella aus dem Glas zu löffeln.
Super Satz. Du beschreibst ihn als wirklich nerdigen Typen und mir gefällt, wie du das machst. Hier stellst du seine störrische Seite heraus. Gut gemacht!
Man will dich schütteln, wenn man dich da so sitzen sieht. Man überlegt, aus welcher Welt man dich aufwecken muss.
Wieso driftest du hier ins "man" ab. Wäre es nicht viel aussagekräftiger, wenn du wieder sie reden lässt: ich will dich schütteln...ich überlege, wie ich dich aufwecken....

Sprich, seit wütend.
sei

Es schien wie etwas Großes, Dunkles, das sich von jetzt auf gleich auf dich gelegt hatte und dir die Sprache genommen hat.
Hier würde ich ein Wort einsparen, damit es etwas geschmeidiger klingt: Es schien etwas Großes, Dunkles, das sich von jetzt auf gleich auf dich gelegt und dir die Sprache genommen hatte.
Von der hohen Altbaudeckel
l weg

Gern gelesen, deine Geschichte!

Lieben Gruß

lakita

 

Liebe @lakita !

Ganz herzlichen Dank für deine Antwort und die super Kritik, mit der ich gut etwas anfangen kann! :-) Ich freue mich sehr darüber... denn das war - wie du bereits geschrieben hast - tatsächlich mein Einstand.


Vielen Dank für's Lesen!

Liebe Grüße

Stella

@lakita

PS: Altbaudeckel... auch interessantes Wort ;-)

 

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