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Der Spiegel

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30.08.2004
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Der Spiegel

Als Markus an diesem Tag nach dem Aufstehen vor dem Spiegel stand fehlte ihm ein Auge. Entsetzt wendete er das Gesicht ab, schaute zaghaft noch einmal in den Spiegel. Doch tatsächlich, sein rechtes Auge war verschwunden. Er traute sich nicht sein Gesicht zu ertasten, um das Geschehene zu überprüfen, tastete erst den Spiegel ab, doch der schien normal. "Das kann nur ein schlechter Traum sein," dachte er sich und bewegte langsam und ängstlich seine rechte Hand auf die Höhe seines Gesichtes. Als er die Stelle berührte, an der sich normalerweise sein rechtes Auge befinden sollte, begann es ihm klar zu werden, dass dies wohl doch kein Traum war. Die Stelle war zugewachsen, sein Auge weg. Sein ganzer Körper zitterte, bebte vor Nervosität, Angst, Panik. Er ging eine Zeit lang in seinem Zimmer auf und ab, ging auf das Klo, übergab sich, ging zurück in sein Zimmer und beschloss einen Arzt aufzusuchen.

Auf der Straße wendeten die Passanten ihre Blicke von ihm ab wenn er ihnen entgegenkam, in der U - Bahn glotzten ihn Kinder mit großen Augen an, manche zeigten mit dem Finger auf ihn und lachten. Schließlich kam er bei seinem Hausarzt an und schilderte ihm den Fall. Ungläubig musterte dieser Markus, untersuchte ihn, doch konnte er nichts feststellen. "Sie sind kerngesund. Etwas so sonderbares habe ich noch nie erlebt," lautete die Diagnose, "aber ich gebe Ihnen hier einige Adressen renommierter Spezialisten mit, aber ich sage es Ihnen gleich: es ist fraglich, dass einer von diesen Ihnen weiterhelfen könnte."

Markus rannte somit den Rest des Tages von Spezialist zu Spezialist, vom Augenarzt zum Psychiater, alles, was nur annähernd mit Medizin zu tun hatte. Doch wie es sein Hausarzt prophezeit hatte, keiner konnte ihm weiterhelfen. Vollkommen übermüdet kam er nach Hause, setzte sich auf die kleine braune Ledercouch. Er schaltete den Fernseher ein, merkte, wie beschränkt seine Sicht auf einmal war, sprang auf, schmiss den Fernseher auf den Boden und schrie. Er schrie und schrie, bis eine Träne aus seinem Auge quoll. "Ich werde mich wohl damit abfinden müssen. Keiner wird mir helfen können. Aber warum gerade ich?" Diese Frage kreiste lange in seinem Kopf, bis er endlich um vier Uhr Morgens einschlief.

Er lag wohl schon seit zwei Stunden wach in seinem Bett, traute sich nicht aufzustehen, als er sich endlich aufraffte und vor den Spiegel trat. Sein Auge fehlte ihm noch immer, zu allem Übel bemerkte er dass in dieser Nacht sein linkes Ohr verschwunden war. Und wieder war nichts mehr davon zu sehen, es war verrückt, wie zugewachsen, als hätte es nie existiert, keine Narbe, nichts zu sehen.

Er beschloss trotzdem sein Zimmer zu durchsuchen, schaute unter die Matratze, im Kleiderschrank, in jeder Schublade nach, doch er fand nichts.

Die Ärzte würden ihm wohl auch nicht helfen können. Es waren keine Überreste der fehlenden Organe zu sehen, sie waren also weder abgeschnitten worden noch abgefallen, wie es bei Leprakranken geschieht. Sicherlich war der Verlust seines Ohres für ihn ein Schock, allerdings verkraftete er es besser als mit seinem Auge, zu seiner eigenen Verwunderung. Er versuchte den Pflichten des Alltags nachzugehen, ging raus, Arbeiten, klar dass ihn überall fremde Blicke trafen, doch mit der Zeit lernte er diese zu ignorieren.

So hatte Markus am dritten Tag nach dem Verschwinden seines Auges Schwierigkeiten sich zu orientieren, denn ihm fehlte nun auch sein zweites Ohr, aber er bemühte sich dies einfach als den Lauf der Zeit zu sehen und in Zukunft auf alles gefasst zu sein. Als er allerdings auf Grund des Verlustes seines Gehörsinns an diesem Tag seine Arbeitsstelle verlor holte ihn die Gegenwart wieder ein. Wie ein Häufchen Elend sackte er abends auf sein Bett nieder, doch schwor er sich diesmal wach zu bleiben, denn er wollte sehen, was genau geschah, wer oder was seine Sinnesorgane raubte.

Leider schaffte es Markus nicht die ganze Nacht wach zu bleiben, so schloss er kurzzeitig, ziemlich genau für eine Viertelstunde, gegen 4 Uhr 35 in der früh, seine Augen. Als er sie wieder öffnen wollte, war klar was passiert war. Orientierungslos versuchte er sich aus seinem Bett zu bewegen. Hätte er Augen könnte er jetzt weinen, hätte er Ohren könnte er sich schreien und schluchzen hören. Hasserfüllt und kurz vor dem Nervenzusammenbruch griff er zum Telefon, das Nächstgelegene, und warf es intuitiv in Richtung Spiegel. Er traf ihn, traf sich, und wie der Spiegel zerbrach er und blieb, als Häufchen Scherben auf dem Teppich seiner Wohnung, für seine Mitmenschen für immer verschwunden.

 

hallo le individu
deine geschichte gefällt mir. sie erinnert mich unweigerlich an kafka, was ja nicht schlimm ist. der absurde verlust der sinnes organe offenbart dem leser, wie sehr alles davon abhängt. z. b. der job. aber auch soziale akzeptanz.
gut finde ich auch , dass du nicht mit dem verlust übertreibst.
das gedicht am ende allerdings finde ich überflüssig und störend.
gruß flip

 

Hallo, individu, bitte ersetze mal die Fragezeichen durch Anführungszeichen. Ist diesmal doch sehr auffällig.

 

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