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Das Bankett
Die Idee kam vom Pirol. Wir Vögel müssen zusammenhalten, über Sachen reden, die uns alle betreffen. Einmal im Jahr, mit etwas Kultur und Bankett.
Weil er auch die wichtigsten Regeln ersonnen hatte, damit an diesem großen Tag alles funktioniert, hat er sich naheliegenderweise zum Zeremonienmeister vorgeschlagen.
Obwohl ihm sein quittegelber Frack gut steht, hätte der Pfau mit seiner enormen Strahlkraft in dieser Position eine bessere Figur gemacht. Doch der ließ den Dingen ihren Lauf. Er erhielt auch ohne Gerangel um diesen attraktiven Posten genug Aufmerksamkeit.
Man hatte die Sitzordnung der vorigen Jahre beibehalten, Neuzugänge wie Goldammer und Blaufink wurden am Ende der Tafel plaziert, die damit immer länger wurde.
„Liebe Freunde“, ergriff der Pirol das Wort, „wieder ist ein Jahr verstrichen und wieder ist unsere Gemeinde gewachsen. Wir haben das große Glück, im Park des gnädigen Herrn van der Stappen leben zu dürfen. Während draußen in der Welt unsere Artgenossen mit immer mehr Schwierigkeiten zu kämpfen haben, sind wir und besonders unsere Jungen hier in Sicherheit.
Ich wünsche uns, dass es so bleibt und sich unser Schutzherr immer guter Gesundheit erfreuen möge. Lasst uns also diesen Tag genießen und froh sein! Sehr zum Wohle und guten Appetit allerseits!“
Die Tafel verschwand unter den kunstvoll drapierten Köstlichkeiten. Der Eichelhäher machte sich über die Nacktschnecken her, der Fasan über die grünen Raupen mit Gierschblüten.
Die Drossel verschlang die fetten Larven, der Erpel Froschlaich und ein Dutzend Kaulquappen, der Fasan Würmer und Samen. So kam jeder in den Genuss seiner Leibspeise und die Stimmung war allerbestens.
Für den Pfau stand ein gekochtes Ei bereit, in schnabelgerechte Stückchen zerteilt. Es war mit Kräutern umkränzt, obenauf Tatar von Pferdeschnecken. Obwohl jeder zufrieden war mit seiner Portion, schielten doch alle neidisch auf seinen Teller.
Der Pfau ließ sich nicht anmerken, dass ihm diese Blicke unangenehm waren, sondern wollte gerade genussvoll loslegen – da wurde es ungewöhnlich laut im Innenhof. Aus zwei Bussen quollen asiatische Touristen, die Fremdenführer flitzten hin und her und Herr van der Stappen kam sportlich die Freitreppe herunter zur Begrüßung.
Der Pfau ließ Ei und Tatar stehen und eilte in den Hof. Die Vogelgemeinschaft drängte ans Fenster.
„Ja, siehste“, schnarrte der Grünspecht, „unsereiner ist ja nicht schön genug. Unerträglich – diese Geltungssucht!“ „Ach“, meinte der Erpel, „wir sind alle auf unsere Weise schön. So aufgedonnert wie der wäre mir eher peinlich.“ So schwätzten alle missgünstig durcheinander, unterdessen stellte sich der Pfau in Positur und schlug ein Rad, das schöner war als alles, was man sonst gesehen hatte. Es glänzte und schimmerte, die brillanten Farben tanzten durcheinander, das hundertfache Klicken der Kameras klang wie Kastagnetten.
Herr van der Stappen stellte sich neben seinen Prunkvogel und strahlte übers ganze Gesicht.
Dann kommandierten die Guides ihre Schäflein in den Großen Festsaal, der Pfau ging zurück zum Bankett. Diesmal nahm er die hintere Treppe, um am Tafelende die neuen Mitglieder willkommen zu heißen.
Doch bevor er das tun konnte, noch hinter Tür und Vorhang, hörte er Abfälliges über sich. Was er doch eingebildet wäre! Sich derart zu spreizen, da müsse man sich ja beinahe fremdschämen. Der Zeisig meinte: „Und wie er sich Liebkind macht beim Alten van Stappen – tztz.“
Uh, da schwoll dem Pfau das Krönchen! Er verzichtete auf das Willkomm, ging fauchend die Tafel entlang zu seinem Platz. Gewitterstimmung. Kein Mucks, er musste auch nicht ans Glas schlagen, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Das ‚werte‘ unterdrückte er und begann: „Anwesende! Es ist an der Zeit, einiges klarzustellen.
Wer unscheinbar ist, hat es schwerer als einer, der etwas hermacht. Ein Bänkelsänger ist kein König. Singen können viele, doch ein König lässt singen. Und wenn ich ein Rad schlage, dass euch die Spucke wegbleibt, dann müsst ihr damit leben. Sollte ich jedoch diesen Vorteil nutzen, um Privilegien zu ergattern, dann könnt ihr über mich reden, wir ihr es jetzt tut. Es ist nur leider so, dass ihr nichts kapiert: Ihr alle seid am Schmausen, lasst es euch gut gehen, greift nach den besten Happen. Ich jedoch lasse mein schönes Essen stehen, wenn die Pflicht ruft!
Die Eitelkeit, die ihr mir unterstellt, ist Eigenschaft der Menschen, nicht meine. Die wollen mit mir angeben – ich brauche das nicht. Wenn ich unserem Patron gefällig bin, dann schmeichelt das ihm. Und er hat mehr Besucher, also mehr Geld. Er wird uns auch in strengsten Wintern Futter zukommen lassen, wir bereichern seine Welt und – wie hier zu sehen – leben gut dabei."