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Acht Cola, acht Bier!

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06.01.2021
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Acht Cola, acht Bier!

Blunt saß gemütlich im Schneidersitz auf dem Boden, umringt von Mülltonnen und großen Papiercontainern, die in einer Nische zwischen der Turnhalle und dem Schulgebäude standen. Er schien sich pudelwohl zu fühlen, obwohl die Hitze den Abfällen einen bestialischen Gestank entlockte. Der Lärm der großen Pause kam nur gedämpft durch den Schutzwall aus Plastik, Restmüll und Papier. Nervös stand Jenny an dem Loch im Maschendrahtzaun, der die Müllecke vom restlichen Schulgelände trennte.
"Na Locke, was is'? Komm rein, sonst sehen sie dich noch."
Sie wollte sich vor Blunt keine Blöße geben, aber wohl war ihr nicht dabei. Sie fuhr sich durch ihre kurzen Locken, die sie seit Kurzem voller Stolz knallgrün gefärbt hatte. Der Gestank schreckte sie ab und was wäre, wenn sie erwischt würden? Was würde ihre Mutter und ihre Klassenleiterin sagen? Aber hier war sie, die neue in der Clique, mit Blunt, den sie für so etwas wie den inoffiziellen Anführer hielt. Ihre Unsicherheit schien man ihr anzusehen, zum Glück konnte er ihre Gedanken nicht lesen.
"Ach komm schon, der Gestank is' halb so wild, man gewöhnt sich dran."
Mit einem Ruck schlüpfte sie durch das Loch und fühlte sich, als hätte sie den Sprung von einem Zehnmeterbrett gewagt.
"Willkommen!"
Er grinste, breitete die Arme aus und zeigte seine hagere, von einem ausgewaschenen Bandshirt bedeckte Brust.
"Mi casa es su casa."
Er hielt ihr ein fast leeres Päckchen Zigarettentabak und eine zerknüllte Packung Papers hin.
"Willst du auch?"
Gerade noch froh, den Sprung gewagt zu haben, tauchte vor ihr ein neuer Abgrund auf - aber diesmal musste sie nicht lange überlegen.
"Nee du meine Mum riecht so was. Die ist sowieso ein totaler Bluthund."
Kurz sah es so aus, als würde er sie auslachen wollen, aber er musterte sie nur für einen Moment.
"Hast recht. Lieber unter dem Radar bleiben, erspart einem 'ne Menge Ärger. Meine Eltern geben einfach 'nen Fick auf alles, was ich mache."
Bedächtig drehte er sich eine Zigarette, dann kramte er in den Hosentaschen seiner verwaschenen Jeans, schnaubte und durchsuchte die Taschen seiner Lederjacke, die neben ihm lag. Die Nieten und Ketten klimperten, Jenny sah sich vorsichtig um.
"Ey, wenn das einer hört!"
"Ha! Habs!"
Er hielt triumphierend ein billiges Einwegfeuerzeug in die Höhe.
"Nur die Ruhe, Locke. Die Lehrer sind damit beschäftigt, die Schafherde zu hüten, denen fällt gar nicht auf, dass ein paar schwarze fehlen."
Er strich sich die Haare seines strähnigen Irokesenschnitts hinter ein Ohr und zündete seine krumme Zigarette an.
"Du Blunt, wo sind eigentlich die anderen?"
"Die schwänzen, weil sie auf so ne Demo in der Innenstadt gehen."
"Echt? Worum geht's? Und wieso bist du nicht dabei?"
"Ach um diesen einen Nazi-Stadtrat, der neulich etwas nicht so Kluges online gestellt hat. Aber die Planung und die Leute, die hingehen, sind totaler Mist."
Rauch quoll langsam aus seiner Nase.
"Sind einige Typen dabei, die nur Steine schmeißen wollen, das gibt nur Ärger und irgendwann sacken die Bullen einfach jeden ein, den sie zu fassen kriegen. Da halt ich mich lieber raus."
"Du meinst den Typen, der über das Flüchtlingsheim gepostet hat? Ist der nicht auch in der AFD? Eigentlich müsste man da schon hin, nur um zu zeigen, dass man nicht seiner Meinung ist."
"Ja, vielleicht. Aber warum sollte ich mein schönes, weißes Führungszeugnis riskieren, nur weil er ein Idiot ist? Es gibt intelligentere Wege, seine Meinung zu sagen. Außerdem muss man sich als Opposition nicht immer selber ein Bein stellen."
Sie zog die Stirn kraus, die Aussage irritierte sie, Blunt war doch der verwegene Rebellenanführer, ein Draufgänger, wie war es möglich, dass er so dachte? Diesmal schien er ihren Gesichtsausdruck richtig zu deuten.
"Überleg doch mal, wenn ich jetzt wegen so einem Kleinscheiß verknackt werde, kann ich eventuell in Zukunft gewisse Dinge nicht mehr tun oder sagen, ohne mich selbst lächerlich zu machen. Es schwächt meine Position und das wiederum würde genau diesen Typen in die Hände spielen. Also halt ich mich bei so was lieber raus."
"Was haben die anderen gesagt?"
"Sie haben es nicht verstanden ..."
Er seufzte und starrte kurz vor sich hin, als würde er auf dem durchgerubbelten Leder seiner Stiefel mehr erkennen als nur, dass er bald neue brauchen würde.
"Aber hey! Das hätte ich fast vergessen, ich hab was für dich. Du hast mich doch neulich gefragt, ob ich dir 'n bisschen Musik empfehlen kann."
Er reichte ihr einen USB-Stick.
"Blunts finest. Ich hab dir auch 'n bisschen was von meiner Lieblingsband da zugepackt, das The Dead Frog Project hat bei mir 'ne Weile gebraucht, bis es gezündet hat, aber als ich's dann hatte, war es einfach nur geil. Hör einfach mal rein."
Er warf einen flüchtigen Blick auf sein uraltes Klapphandy.
"Oh Fuck, der Freigang ist schon vorbei, wir müssen los."
Er drückte seine Zigarette sorgfältig auf dem Boden aus, schnippte die Kippe durch den Maschendraht und sprang auf.
"Machs gut Locke! Wir sehen uns!"
Sie schlüpften durch das Loch und rannten in Richtung des Schulgebäudes. Blunt sprintete zum Seiteneingang der Oberstufe und Jenny nahm die Diagonale über den Schulhof zum Haupteingang, zu den Räumen der Mittelstufe.

Mittwochs war einfach der beste Tag, um nach Hause zu kommen, sturmfrei bis in den späten Abend, dank der Doppelschicht, die ihre Mutter einlegte. Voller Genugtuung knallte sie die Wohnungstür in den klapprigen Rahmen und kicherte leise in sich hinein, als ein Stockwerk tiefer die Hausbesitzerin laut ins Treppenhaus keifte. Sie pfefferte ihre Schuhe und den Schulrucksack in eine Ecke der Garderobe und sprang auf fast durchgewetzten Socken über kalte Fliesen in die Küche. Nach dem dürftig ausgeleuchteten Flur prallte sie in der Küche gegen eine Wand aus strahlendem Licht. Jede Oberfläche glitzerte und reflektierte das Sonnenlicht, das durch zwei frisch geputzte Fenster hineinschien. Alles war säuberlich geordnet und organisiert, beinahe wie in einem Möbelkatalog. Sie sah sich kurz um, neben der Spüle stand ein sorgfältig angerichteter Teller mit einem Käsebrot und einigen Karottenschnitzen. Auf der Folie, die sich über ihrem kargen Mittagessen spannte, klebte ein kleiner Zettel: "Hallo Maus, ich gehe heute noch einkaufen. Bitte bring dein Zimmer wenigstens ein bisschen in Ordnung. Küsschen Mama."
Gerade hatte sie sich vorgenommen, den Nachmittag in Ruhe auf ihrem Bett zu verbringen und Blunts Musik zu hören und dann das! Genervt knüllte sie Folie und Papier zusammen, öffnete den Müllschrank unter der Spüle, warf und verfehlte den Mülleimer. Das Knäuel verschwand im Dunkel der Küchenkonstruktion. Wütend schlang sie das belegte Brot und die Karotten hinunter, dabei krümelte sie etwas mehr und ignorierte es auch mehr als sonst. Fast hätte sie den Teller in die Spüle geschmissen, bremste sich aber im letzten Moment und stellte ihn nur unsanft in das blanke Stahlbecken.

Auf dem Weg in ihr Zimmer griff sie ihren Rucksack, dann öffnete sie ihre Tür mit einem Tritt. Das Tor zu ihrem Reich schwang auf, sie schlüpfte hindurch, dann prallte die Tür gegen etwas Weiches und schloss sich wieder. Vor ihr erhob sich eine Hügellandschaft aus Heften, Büchern und Krimskrams, die aus einer Klamottenebene ragte. Das Zentralmassiv dieses Panoramas war ihr großes Metallbett, das sich wie eine Festung aus dem Chaos erhob. Eigentlich hatte das alles etwas von einem sich ewig ändernden Kunstwerk, irgendwie war ihr Zimmer ein Teil von ihr. Sie mochte, wie sich alles natürlich ergab, aber was wusste ihre Mutter schon? Eine kleine Pause hatte sie sich auf alle Fälle verdient, dann würde sie wie immer alles unter ihr Bett schieben, bis es nach und nach wieder hervorquoll.
Mit einem weiten Schritt über einen kleinen Canyon aus Schulbüchern und einer eleganten Drehung lies sie sich auf ihr ungemachtes Bett sinken. Sie nahm ihren Rucksack auf den Schoß und wühlte in seinem krümeligen Unterholz, schließlich fand sie Blunts USB-Stick zwischen den zerknitterten Blättern ihres Collegeblocks. Der Rucksack rutschte unbeachtet auf den Boden, als sie sich quer über das Bett zu ihrem Schreibtisch lümmelte. Mit den Füßen in das Kopfende gehakt tauchte sie zu ihrem alten Computer ab. Nach mehrfacher Betätigung des klebrigen Powerbuttons erwachte die Elektronik röchelnd zum Leben. Wartend sah sie auf den Bildschirm, weiße Schrift ratterte über schwarzen Grund. Als der Computer endlich hochgefahren war, kamen ihr ernsthafte Zweifel an ihrer akrobatischen Lage. Ihre Beine begannen zu krampfen, sie steckte den USB-Stick in den einzigen noch funktionieren Anschluss und startete die Wiedergabe, dann zog sie sich mit letzter Kraft auf ihre Matratze zurück.

Aus den überforderten Lautsprechern schwoll eine Klangwand hervor, verzerrte E-Gitarren wurden von einer wirren Taktstruktur voran gepeitscht. Der Gesang setzte ein, wütend geschrien und nur halb verständlich. Hier und da meinte sie ein „fuck the cops“ heraus zuhören. Wer brauchte schon einen Text, wenn die Musik allein ein Statement war?
Sie träumte von Szenen, die sie nur aus Fotografien kannte. Die Musik nahm ihre Hand und führte sie zu brennenden Straßenbarrikaden und fliegenden Steinen. Maskierte Gesichter mit bunten Haaren kämpften entschlossen gegen eine homogene Masse aus Uniformen, Helmen und Schilden. Sie fühlte die raue Oberfläche eines Pflastersteins, sie holte aus und mit einem schrillen Pfeifen endete das Lied.
Gespannt wartete sie auf den nächsten Riff, doch statt den gewohnten Instrumenten setzte ein Synthesizer ein. Erst nur ein Brummen, dann ein langsames Auf und Ab, zu dem sich nach einer Weile kleine Akzente gesellten. Hier ein Rascheln, da ein leiser Gong, Regengeräusche und das Rauschen des Windes. Die Straßenschlacht in ihrem Kopf war vorbei, die umkämpften Häuserschluchten bröckelten. Ruinenalleen reichten bis zu einem von Staubwolken verwaschenen Horizont. Sie verlor sich und wusste nicht, ob ihr das gefiel, die Klangcollage lullte sie ein und wiegte sie in Trace. Am Rande ihres Bewusstseins stellte sich die Frage, ob das jetzt so weitergehen würde, da setzte eine Stimme ein, die dunkel und feierlich intonierte:

"Feuer fauchend speit,
vernichtet alles weit und breit.
Vereint die apokalyptischen vier.
Die Krone der Schöpfung ist das Tier.

Geblendet von eigener Herrlichkeit,
Vergewaltigung der Dreifaltigkeit.
Egozentrik im gütigen Gewand,
sozial verträglicher Weltenbrand.

Wahrnehmung gegen Realität.
Die Existenz schwindet in Egalität.
Die Leere wird niemand vermissen.
Das Universum schläft auf einem ruhigen Kissen."

Die Musik hatte sie so gepackt, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie sie in ihrem Bett zurückgesunken war, erst die letzten, leiser werdenden Geräuschen holten sie aus ihren Gedanken. Noch immer träge und schläfrig sah Jenny auf den Bildschirm, Interpret: "The Dead Frog Project", Song: "Ihr und wir". Das hatte Blunt also gemeint mit "einfach nur geil", was der so alles gut fand. Aber ehe sie entscheiden konnte, ob sie das Lied mochte, ließ der Computer das nächste Lied erklingen.

Ein kräftiges, fröhliches Intro blökte los, Blechblasinstrumente und Bassgitarre, begleitet von einem hibbeligen Schlagzeug. Das konnte unmöglich die gleiche Band sein. Sie linste wieder auf die Mattscheibe, Interpret: "The Dead Frog Project", Song: "Acht Cola, Acht Bier!".
Die psychedelische Postapokalypse wich Strand und Palmen. Gute Laune vibrierte in jedem, leicht schrägen Ton. Alles war einfach, alles war lustig. Ihr Fuß wippte im Takt noch ehe sie es merkte. Mit jeder Note wurde ihr Grinsen, dass schon der Titel ausgelöst hatte, breiter, dann setzte der Sänger ein. Seine Stimme hatte sich verändert, aus dem düsteren Weltuntergangspropheten war ein Typ im Hawaiihemd geworden, der bierselig in sein Mikrofon grölte:

"Seine fette Schwarte presst er in eine Uniform.
Er weiß: Ein guter Mann, der geht konform.
Er hält sich für einen von den Guten
und dafür lässt er andre bluten.

Mit dem Schlagstock zeigt er Kompetenz
und kompensiert seine Impotenz.
Er ist das Gesetz und hat immer recht,
wenn ich ihn sehe, wird mir schlecht.

Sein Wortschatz ist eher rudimentär,
und der Satzbau fällt ihm schwer.
Aber als Mann der Exekutive
findet er für Frauen immer Adjektive."

Sie wollte tanzen. Nichts an ihr konnte mehr dem Rhythmus widerstehen. Ihre Finger trommelten auf der Bettkante und beide Füße hämmerten auf imaginären Fußmaschinen. Aber ehe sie aufspringen konnte, war die Party vorbei.
Ein gedämpftes Saxofon klagte dem schwindenden Tageslicht sein Leid und aus einiger Entfernung brandeten seichte Klavierakkorde an den verlassenen Partystrand. Die untergehende Sonne schien durch große geöffnete Fenster, im Halbdunkel bewegten sich luftige Vorhänge. Aus der Partystimmung wurde Ekel. Das hörte sich genau so an, wie die Musik, die ihre Mutter hörte, bevor sie zu ihrem Freund fuhr. Das fröhliche Grölen wurde zu einem rauchigen Raunen:

"Im Dienst ist er ein ganzer Mann,
Daheim zieht er sich das kleine Schwarze an.
Dann ruft er sich den Eugen her,
voll auf Heroin gibt es keine Gegenwehr.

Der ist wirklich beschissen dran,
für nen Fuffi lässt er jeden ran.
Anal, Oral, das ist ihm egal,
seine Kundschaft ist international.

Eugen hat ihm heute etwas mitgebracht,
das sofort seine Lust entfacht.
Nach zwei Blauen und einem Löwenbräu
steigt die Erregung und fällt die Scheu.

Den Körper voll mit Schuppenflechten,
so bückt er sich für den Gerechten.
Kurz und knapp zeigt er Autorität,
dann ist es Zeit, dass Eugen geht."

Jenny fühlte sich, als hätte ihr jemand Eiswürfel in den Kragen gesteckt. Die Bilder in ihrem Kopf gefielen ihr ganz und gar nicht. Je mehr sie versuchte, sie wegzuschieben, desto präsenter wurden sie. Ein dreckiges Zimmer, schmuddelige Bettwäsche, die vergilbten Vorhänge zugezogen, ein fetter Typ in einem schwarzen Minikleid, dessen Saum mit schmierigen Flecken verziert war. Sie sah einen sehnigen, dürren Junkie, der sich wie eine Marionette bewegte und roch fast das widerliche Miasma aus Rauch und Schweiß. Aber das "The Dead Frog Project" war immer noch nicht fertig. Teilnahmslos und gelangweilt klimperte das Klavier dahin. Der Sänger war nun ein Sprecher, der aus einem Sachbuch rezitierte:

"Aber nach einigen erfüllten Tagen
erfasste ihn ein leichtes Unbehagen.
Vergangen war der Spaß am Wasserlassen,
es tat schon weh, ihn anzufassen.

Es kleckerte der Polizistenstift.
Jede Hose sofort komplett versifft.
Es gibt Tage, da geht die Wahrheit Streife
und das Ego bückt sich nach der Seife.

Man muss sich fragen, was ist eigentlich passiert?
Ist er wirklich so? Oder hat ihn etwas pervertiert?
Steht hinter der ganzen Polizeigewalt
ein Arschloch oder ein Ritter von der traurigen Gestalt.“

Was für eine Scheiße war das denn? Das Gefühl des Ekels hatte sich gegen sie gewendet, Bullen waren einfach nur Systembücklinge! Kleine, autoritätsgeile Arschkriecher ... In ihrem Kopf tobte nun wieder eine Straßenschlacht, eine alte Wahrheit brandete gegen eine neue. Schimpfend wehrten sich die alten Gedanken, tobend brausten Phrasen, Sprüche und Beleidigungen wie Geschosse durch ihre Synapsen. Aber die neue Wahrheit neutralisierte jedes Projektil mit einer Leichtigkeit, die ihre Wut immer heißer glühen ließ. Sie sprang von ihrem Bett zu ihrem Computer und rupfte den USB-Stick aus dem Anschluss. Als sie sich schwungvoll umdrehte, stolperte sie über einen der vielen Krimskramshügel, rang um Gleichgewicht und machte einen Ausfallschritt. Ihre dünnen Socken waren machtlos gegen den stechenden Schmerz, den die Haarklammer hervorrief, auf die sie trat. Mit einem zornigen Schrei trat sie gegen einen weiteren Stapel und traf mit dem anderen Fuß genau auf die Ecke ihres Lateinbuches. Geschlagen auf allen Ebenen humpelte sie zurück zu ihrem Bett und rieb sich die Fußsohle des einen und den Spann des anderen Fußes. Die Erkenntnis war bitter, all die Reime, die sich gemerkt hatte, all die Slogans, die sie skandiert hatte, waren wertlos. "Die Bullen üben fleißig, für ein neues dreiunddreißig!" war genau so pauschalisierend, engstirnig und leer wie "Ausländer raus!". Ihr Blick schweifte über den Boden, aus dem chaotischen Gesamtkunstwerk war eine Müllhalde geworden. In den stolzen Hügeln ihrer Individualität sah sie nun die Dünen ihrer Faulheit. Es fehlte nur noch ein fetter Bulle im kleinen Schwarzen.

Sie hörte, wie sich die Wohnungstür öffnete und den typischen Seufzer ihrer Mutter, denn sie jeden Mittwoch nach ihrer Doppelschicht ausstieß.
"Hallo Maus! Hast du schon Abend gegessen? Ich war noch ... ."
Schritte näherten sich ihrer Tür und es klopfte vorsichtig.
"Maus?"
Die Tür öffnete sich einen Spalt und das erschöpfte Gesicht ihrer Mutter sah vorsichtig hinein. Dann wurde der Spalt weiter und die Erschöpfung wich ihr aus dem Gesicht. Blankes, der Entgeisterung nahes Erstaunen glätteten ihre Sorgenfalten.
"Oh Maus! Das ist aber wirklich ordentlich! Keine Haufen unter dem Bett! Hast du etwa auch gesaugt? ... Deine Regale ... staubgewischt? Was ist passiert?"
"Lass mich in Ruhe!"

 

Perfekt! Endlich mal wieder einen Nachmittag ohne diese konformistische Sklaventreiberin.

Hahaha, ist alles etwas dick aufgetragen in dem Text. Das liest sich fast wie so eine Story aus einer Jugendorganisation der DKP, SDAJ oder "Linksruck."

Wahrnehmung gegen Realität.
Die Existenz schwindet in Egalität.
Die Leere wird niemand vermissen.
Das Universum schläft auf einem ruhigen Kissen.
Hier dachte ich an Crowley oder LaVey, nur die Starken dürfen überleben, ein seltsamer Kontrast irgendwie.

„Seine fette Schwarte presst er in eine Uniform.
Er weiß ein guter Mann, der geht konform.
Er hält sich für einen von den Guten
und dafür lässt er andre bluten.
Ist halt so der Kardinalsfehler jeglicher Literatur, alles in Schwarz und Weiß zu malen. Das ist, wie ich finde, so das Niveau von altem Deutschpunk. Das Lächerlich-machen, die gleiche dumpfe Aggression auf seinen politischen "Feind" anwenden, wie dieser angeblich gegen "Marginalisierte" anwendet. Ein Zirkelschluss.

Sie fühlte sich leer, als hätte sie mit etwas unrecht gehabt, gleichzeitig nagte es an ihr, sie wollte recht behalten. Auf einmal wandte sich ihre Wut auf das System, auf jeden, der nicht ihrer Meinung war, gegen sie selbst. Sie sprang auf, rupfte den USB-Stick aus seinem Anschluss und begann widerwillig, aber mit zornigem Elan ihr Zimmer aufzuräumen.
Müsste sich aber nicht viel eher das Zimmer niederbrennen? Oder ist das so eine Übersprungshandlung, und sie tut das genaue Gegenteil?

„Weißt 'e erst, wenn aus jedem Dogma 'n Witz geworden ist, bist 'e wirklich 'n Punk. … Auch 'nen Zug?“
Verstehe ich auch nicht so ganz. Wenn aus jedem Dogma ein Witz geworden ist, meint, dass es dann keine Dogmen mehr gibt, und du dadurch frei wirst, oder wie?

Ja, ich verstehe deinen Text nicht so richtig. Da geht es irgendwie um Musik, aber doch mehr um die Texte, und um ein Verstehen bzw Nicht-Verstehen? Oder entlarvt sie plötzlich unbewusst die Dämlichkeit solcher lauen Propaganda-Lyrics? Ich bin mir da nicht ganz sicher. Mir fehlt viel. Deine Figuren hier, vor allem Blunt, bleiben blutleer. Die Beschreibung der Musik, die ist sehr dünn, das ist alles Muckersprech, dafür hätte sie dich beim Rolling Stone ausgepeitscht! :D Nein, mal im Ernst, Musik zu beschreiben ist sehr schwer, und sägende Gitarren etc hat man eben schon sehr, sehr, sehr oft gelesen. Also, was ich mich eben vor allem frage, ist, was wird mir hier erzählt? Typ leiht Mädel ein Mixtape, die hört das, bleibt unentschlossen, und dann? Vielleicht kannst du ja mal aufklären, wo deine Intentionen lagen.

Gruss, Jimmy

 

Hi @jimmysalaryman

Danke fürs lesen, kommentieren und die Anregungen!

Hahaha, ist alles etwas dick aufgetragen in dem Text. Das liest sich fast wie so eine Story aus einer Jugendorganisation der DKP, SDAJ oder "Linksruck."

Ja klar! Auch ein wenig Absicht. Mein Gedanke war: Auf was stößt jemand, der gerade in so eine Szene rein rutscht (und das dementsprechende Alter hat). Auf genau solche Sachen. Solche Phrasen fressen sich ja superschnell und gern fest.

Hier dachte ich an Crowley oder LaVey, nur die Starken dürfen überleben, ein seltsamer Kontrast irgendwie.

Kann man, muss man aber nicht. Seltsam ist ein schönes Wort, passt. :D

Ist halt so der Kardinalsfehler jeglicher Literatur, alles in Schwarz und Weiß zu malen. Das ist, wie ich finde, so das Niveau von altem Deutschpunk. Das Lächerlich-machen, die gleiche dumpfe Aggression auf seinen politischen "Feind" anwenden, wie dieser angeblich gegen "Marginalisierte" anwendet. Ein Zirkelschluss.

Genau deswegen ist das der Anfang:

Seine fette Schwarte presst er in eine Uniform.
Er weiß ein guter Mann, der geht konform.
Er hält sich für einen von den Guten
und dafür lässt er andre bluten.

Und das das Ende:

Man muss sich fragen, was ist eigentlich passiert?
Ist er wirklich so? Oder hat ihn etwas pervertiert?
Steht hinter der ganzen Polizeigewalt
ein Arschloch oder ein Ritter von der traurigen Gestalt.“

Weil eben nichts schwarz-weiß ist. Warum ist er so? Ist er einfach ein Arschloch oder hat ihn etwas dazu gemacht? Hat ihn sein Papa gehauen? Wurde er in der Schule gemobbt? Hat ihn vielleicht sogar die Polizei zu dem gemacht, was er jetzt ist? Ist er vielleicht in Wirklichkeit eine arme und keine Bullensau?

Die Beschreibung der Musik, die ist sehr dünn ...

Ja, ich versteh, was du meinst. Ich wollte allerdings die Gedanken der Leser nur in die richtige Richtung lenken. Es ging mir primär um die Texte. Wenn du Ideen hast, wie man die Musik von Bands wie Pisschrist, Wolfspack, Guided Cradle oder Guk Do besser beschreibt, immer her damit.

Ich bin nur Konsument, mir fallen da schon Metaphern ein ... Radiostörung zum Beispiel ... aber die hab ich von Leuten, die diese Art von Musik nicht mögen. :D


Oder entlarvt sie plötzlich unbewusst die Dämlichkeit solcher lauen Propaganda-Lyrics

Da ist sie, meine Intention. Ich werd mich die Tage noch mal drüber setzten und feilen.

Grüße
TheDeadFrog

 

Hallo @Rob F
Vielen tausend Dank fürs Lesen und deine Zeit.

So wie bisher ist es für mich leider ein Text, an den ich kurz nach dem Lesen nicht mehr denke.

Ja! Der Text ist wirklich nicht mein bestes Werk. Der Kopf kreiste um die Reimerei und hat die Prosa vergessen.

Ich habe keine Ahnung, ob das eine Form der Faulheit ist, zu denken, dass die Lyrik die Prosa trägt. Falls das so sein sollte, entschuldige ich mich, dann ist dieser Text wirklich eine Frechheit. Auch dein Vorredner hat schon einiges genannt, das ich mir sehr zu Herzen genommen habe. Um ehrlich zu sein, schäme ich mich etwas für das, was ich da abgeliefert habe.

Gibt es hier einen Baustellenmodus? Ich will den Text nicht verschwinden lassen, aber ehe ich nicht mit dem Bulldozer drüber gefahren bin, will ich ihn auch eigentlich niemanden mehr lesen lassen.

Ich hoffe, ich habe eure Zeit nicht zu sehr verschwendet!

Vielen Dank fürs Korrigieren. Ich werde mich die Tage noch einmal gründlich daran setzten und dann auch die entsprechenden Änderungen vornehmen.

Grüße
The Dead Frog

 

Hallo @moma,

Vielen Dank, dass du den Text trotz der Warnung gelesen hast. Ich weiß dein Feedback sehr zu schätzen. Ich hatte mich sehr lange in der Korrektur und Verbesserung dieses Textes verbissen, sozusagen bis der kleine Terrier einen Kieferkrampf hatte und dann gar nix mehr voranging. Zum Schluss wollte ich ihn schon gar nicht mehr sehen.

Ich will kein Gras über die Sache wachsen lassen, aber wirklich dran ackern geht auch noch nicht. Ich hoffe, das ist nachvollziehbar. Bitte wertet das nicht als Desinteresse!

Eine Anmerkung zu der Lyrik. Das, was du da schreibst, würde ich mir selbst nicht als wirkliche Absicht unterstellen. Das erste Gedicht wurde nicht für diesen Text geschrieben, passte aber für mich gut. Beim zweiten Text habe ich mich von deutschen Punk-Bands wie "Canal Terror", "Pisse" und "Hass" inspirieren lassen. Daher wahrscheinlich der etwas rumplige Rhythmus.
Nach der sehr guten Anregung von "Jimmisalaryman" bezüglich der Beschreibung von Musik habe ich, glaube ich, etwas Gutes gefunden, um das mäßige Reimen in einen guten "akustischen" Kontext zu setzten.

Deine Interpretation des Gedichtes ist gut, so in die Richtung geht das auch. Meine hauptsächliche Intention war das typische Schwarz/Weiß - Denken im Punkrock aufzubrechen, aber es in Lyrics zu verstecken, die von einer Punkband sein könnten.

Ich glaube, ich will sehr viel von dem Text, bin aber noch nicht zu der Ansicht (oder Einsicht) gekommen, dass es zu viel sein könnte.

Liebe Grüße
The Dead Frog

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielen lieben dank euch dreien, dass ihr euch die Zeit für meine Geschichte genommen habt! Eure Anregungen haben mir sehr weiter geholfen!

@Rob F: Deine Ideen war genau richtig! Ich musste nur erst mal rausfinden, wie ich es anstellen will. Ich hoffe, es ist mir besser gelungen als beim ersten Anlauf.

@jimmysalaryman: Der Nasenstüber mit der Beschreibung von Musik hat gesessen, auch hier hoffe ich, dass dir meine jetzige Lösung besser gefällt.

@moma: Danke, dass du mir Mut gemacht hast! Das war irgendwie genau im richtigen Moment.


Nochmals an alle, auch die, die es evtl. nur gelesen und nicht kommentiert haben: Entschuldigt das lange Warten. Manchmal ist Kreativität einfach eine wankelmütige Schlange.
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