Was ist neu

Schneetreiben

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23.08.2001
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Schneetreiben

Als ich erwachte, sah ich bereits dieses ganz typische Licht von draußen hereinbrechen. Genau beschreiben kann ich es nicht, es ist irgendwie hell und gleichzeitig sanft und gedämpft, wie eine Decke, die liebevoll ausgebreitet wurde. Aber vielleicht empfinde ich das auch nur so, weil die Ursache des Lichtes dieser Beschreibung sehr nahe kommt.
Meine ersten Schritte vor die Tür wurden von einer weißen, weiten Fläche gedämpft, die zu dieser frühen Stunde noch rein und makellos war. Unter meinen Füßen knirschte es, doch schien dieser Laut nicht weit zu kommen, keinen Hall zu besitzen. Ich kam mir vor wie in einer Märchenwelt. Wäre Schneewittchen oder die Hexe von Hänsel und Gretel um die Ecke gebogen, ich hätte mich kein bisschen darüber gewundert.
Statt Schneewittchen kam meine Nachbarin aus ihrer Haustür, grüßte freundlich und sagte etwas Belangloses über den Winter und dass sie gut darauf verzichten könne, aber ihre Kinder würden sich immer so freuen, wenn sie endlich rodeln könnten. Ich nickte und erwiderte höflich irgendetwas, ohne wirklich bei der Sache zu sein. Wie konnte jemand den Winter nicht lieben? Unbegreiflich. Während ich zu meinem Gartentor ging, peinlich genau darauf bedacht, den Schnee nur auf das Nötigste beschränkt zu zerstören, kuschelte ich mich tiefer in den Kragen meines Mantels, vergrub die behandschuhten Finger tief in den Taschen und freute mich auf diesen Morgenspaziergang. Das flache, rechteckige Päckchen, welches ich in der linken Tasche trug, drückte sich gegen meine Fingerspitzen und brannte darauf, herausgezogen zu werden. Ich widerstand diesem Drang, es war noch nicht so weit.
Auf meiner üblichen Runde schien alles zugleich vertraut und doch völlig neu zu sein: ich kannte jedes Haus und jeden Strauch, doch hatte der Schnee ihnen eine puderzuckrige neue Existenz verliehen, welche mir immer wieder mit ihrer Schönheit den Atem raubte und mich in meinem gewohnt schnellen Schritt unwillkürlich innehalten ließ. Die Bäume wirkten wie aus Papier geschnitten, die Gräser waren von glitzernden Kristallen nachgebildet, der See war überzogen von schlierigen Mustern, welche der Wind darauf gemalt hatte, als er mit den Schneeflocken seinen Hochzeitstanz einlöste.
Ich ging weiter, nahm wie immer den Weg hinaus in die Felder, vorbei an den letzten Häusern, hin zur Weite der norddeutschen Tiefebene. Hier war ich zuhause, hier konnte ich leben und atmen und von einem Horizont zum anderen blicken. Nichts hinderte mein Auge, kein menschlicher Baumeister beschnitt mich in meiner Bewegungsfreiheit. Das letzte Haus auf der linken Seite lag etwas zurückgezogen zwischen dunklen Kiefern und Eiben, wegen seines Efeubewuchses und der Tatsache, dass es seit Jahren verlassen war, nannte ich es insgeheim "das Hexenhaus". Heute schien die Sonne ganz vorsichtig auf die obersten Fenster und zeigte mir so deren winterliche Schönheit im vollen Ausmaß: der Frost hatte Eisblumen darauf gezeichnet, welche nun im Licht erblühten, als wären sie lebendig. Ich blieb eine Weile so stehen und nahm dieses Bild in mich auf, drückte auf den Auslöser meiner inneren Kamera, um so das Bild für mein späteres Leben zu bewahren.
Die Wiesen hatten sich in endlose Weiten verwandelt, eine Mondlandschaft in weiß, auf der vereinzelt silbrige Bäume ihre kahlen Zweige in den Himmel reckten. Mein Atem stand als weiße Wolke vor meinem Mund, mein Herz schlug bis zum Hals und schenkte mir eine seltene Lebendigkeit.

Als ich wieder zurückkehrte, sah ich, dass meine Nachbarin bereits ihren Weg bis auf die Platten vom Schnee gereinigt hatte und nun dabei war, auch den Gartenzaun wieder in seinem natürlichen Rot erstrahlen zu lassen. Konnte sie nicht wenigstens warten, bis es dunkel wurde, bis es keiner sah? Der Zaun wirkte auf mich wie eine frische Wunde, welche durch den reinen Verband durchblutet. Ich musste wegschauen, so sehr schmerzte mich dieser Anblick. Wieder stießen meine Finger an dieses kleine Päckchen, doch erneut hielt ich sie zurück. Nein, noch nicht.
Zurück im Haus kochte ich mir einen heißen Kakao, setzte mich damit an den Kamin, in welchem es gemütlich prasselte und nahm ein Buch zur Hand. Während ich mich in die Handlung vertiefte, meinen Kakao trank und hin und wieder Holz nachlegte, um dem Kamin genügend Nahrung zukommen zu lassen, vergaß ich alles um mich her. Als ich einige Zeit später aufsah, dämmerte es bereits, und als wäre das sein Stichwort gewesen, begnn mein Magen, laut und vernehmlich zu knurren. Ich stand auf und ging in die Küche hinüber, auf der Suche nach Nahrung. Pudding, Brot und Sambal Olek, ein Ei, Wurst. Ich nahm zwei Scheiben Brot, etwas Sambal Olek und ging ins Wohnzimmer zurück. Während ich begann, das Brot in die scharfe Sauce zu dippen und es dann genüsslich aufzuessen, las ich weiter. Erst, als es dunkel geworden war, legte ich das Buch beiseite, stand auf und zog wieder meinen Mantel an.
Meine Nachbarin hatte inzwischen jeden Stein in ihrem Garten blitzblank geputzt, nur der Rasen durfte noch eine weiße Decke tragen, welche jedoch von Kinderfüßen überall zertrampelt und von schweren Rollspuren eines werdenden Schneemannes durchzogen war. Der Schneemann stand mit schiefem Kopf und ebensolchem Grinsen am Tor und sah mich fast mitleidig an, als ich vorüber ging. Ich winkte ihm fröhlich zu und stapfte von dannen.
Als ich schließlich dort angekommen war, wohin es mich schon seit Tagen gezogen hatte, klopfte mein Herz so laut, dass ich meinte, jeder im Umkreis von zehn Schritten hätte es hören müssen. Zum Glück war weit und breit keine Menschenseele zu erblicken. Ich sah mich nach links und rechts um, dann betrat ich schnell das fremde Grundstück, nahm das Päckchen aus meiner Tasche und öffnete es. Ich betrachtete eine Weile den Inhalt, welchen ich nun in der Hand hielt, ging dann nah an das Haus heran und suchte nach einer geeigneten Stelle. Als ich sie gefunden hatte, steckte ich alle 40 Wunderkerzen in Form eines Ausrufezeichens in den Schnee, entzündete sie so schnell ich konnte und entfernte mich dann eilig vom Haus.

Wieder zuhause, machte ich mir zur Feier des Jahresendes eine Feuerzangenbowle. Dank meiner Großmutter hatte ich sogar alle dazugehörigen Utensilien und konnte so den Zuckerhut ordnungsgemäß entzünden und langsam in die Bowle tropfen lassen. Nach und nach stieg mir der Alkohol zu Kopf, doch war ich klar genug, um Lesen zu können. Mein Buch wartete auf mich, es schien mich zu locken und zu rufen. Ich las, trank und fühlte mich rundum wohl. Endlich hatte ich die Botschaft abgeschickt, welche mir so lange auf der Seele lag, endlich würde ich wieder ruhig schlafen können.
Gegen acht, die Bowle war fast alle und ich ziemlich betrunken, schaltete ich den Fernseher ein und zappte mich durch die Kanäle. In der Tagesschau brachten sie einen Bericht über einen Brand. Ich wollte schon weiterschalten, als ich das Haus erkannte. Für einen Sekundenbruchteil war ich wieder nüchtern, bevor der Alkohol sein Recht forderte und ich bewusstlos zu Boden stürzte.

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04.01.2003

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi chaosqueen,

toll, dass es mit der Wörterbörse weitergeht!

Deine Geschichte gefällt mir allerdings nicht so gut. Zu Beginn beschreibst Du den Winter sehr schön, aber auch sehr konventionell. Viele der von Dir verwendeten Bilder kennt man aus allen möglichen anderen Weihnachts-Winter-Erzählungen.

Es gelingt Dir jedoch Spannung aufzubauen, ich habe immer weiter gelesen, weil ich wissen wollte, was in dem flachen Päckchen war und was Deine Protagonistin eigentlich vor hatte.

Mit einem spektakulären Ende habe ich gerechnet, zu Beginn war alles so idyllisch, da mußte einfach etwas geschehen. Das Ende habe ich dann allerdings nicht richtig verstanden: Sie wollte jemandem ein Zeichen geben... Wem und warum? Was bedeutet ein Ausrufezeichen aus Wunderkerzen? Schließlich erfährt sie aus der Tagesschau, dass ein Haus abgebrannt ist. Sie erkennt das Haus, wahrscheinlich hat sie mit ihrem Feuerwerk den Brand verursacht. Aber wieso fällt sie in Ohnmacht? Vor Schreck? Voller Schuldgefühle? All zu viel kann doch wohl nicht passiert sein, denn das Haus stand doch schon lange leer. Es sind wohl kaum Menschen zu Schaden gekommen. Oder handelte es sich um ein anderes Haus? Was habe ich nicht verstanden?

Einige Formulierungen und Fehler sind mir aufgefallen:

1. in den ersten beiden Absätzen störte mich die Wiederholung des Wortes "Decke" etwas...

Wirklich gut gefällt mir das Bild: "Der Zaun wirkte auf mich wie eine frische Wunde, welche durch den reinen Verband durchblutet." Die Zerstörung, die auf verschneiten Wiesen z.B. durch Schritte vorgenommen werden empfinde ich selbst häufig als schmerzhafte Wunden. Allerdings denke ich, dass bei diesem Satz einmal das Wort "durch" genügt....

2."die Gräser waren von glitzernden Kristallen nachgebildet" Für mein Gefühl sehen die Gräser so nur aus, wenn sie von Raureif überzogen sind, bei Dir jedoch ist alles von einer weißen Decke bedeckt - das scheint mir widersprüchlich zu sein.

3. "Wieder stießen meine Finger an dieses kleine Päckchen, doch wieder hielt ich sie zurück. Nein, noch nicht. Wieder im Haus kochte ich mir einen heißen Kakao,..." dreimal das Wort "wieder" stört beim Lesen. Und in den folgenden Sätzen kommt dies Wort noch wiederholt vor. Da wäre es vielleicht gut, das noch mal zu überarbeiten.

4. "nur der Rasen dufrte" durfte

5. "ging dann na an " nah

Deine Geschichte "Der Fremde" hat mir um so vieles besser gefallen, als diese hier, dass ich davon überzeugt bin: Du kannst viel mehr!

Du hast mir eine so freundliche Krtik zu meiner letzten Kindergeschichte geschrieben, dass es mir richtig leid tut, dass ich mit dieser story nicht so recht etwas anfangen konnte! Bitte nimm es mir nicht übel, aber ich denke doch, wir versuchen hier offen und ehrlich miteinander umzugehen.:)

Liebe Grüße
Barbara

 

Hej Du ungare Nudel! ;)

Ich nehme so konstruktive Kritiken prinzipiell nicht übel, ganz im Gegenteil! Die Fehler, die Du gefunden hast, werde ich gleich ausbessern, vor allem auch die Wortwiederholungen.

Zu Deinen Fragen: Sie kippt bewusstlos vom Stuhl, weil sie nach und nach eine komplette Feuerzangenbowle ausgetrunken hat. Als sie den Fernseher einschaltet, ist sie bereits sturzbetrunken, die Nachricht gibt ihr den Rest.

Das Haus, vor welches sie die Wunderkerzen stellt, ist nicht das "Hexenhaus", sondern ein anderes.

Das Ausrufezeichen ist eine Antwort, die sie auf eine Frage oder eine Situation gibt. Worum es genau geht, überlasse ich der Phantasie des Lesers.

Insgesamt wollte ich bewusst einiges dem Leser überlassen, so dass sich einige Fragen ergeben:
1. Warum stellt sie die Wunderkerzen auf?
2. Was will sie damit sagen?
3. Kann sie wirklich den Brand ausgelöst haben?
4. Ist das brennende Haus überhaupt das Haus, vor dem sie die Wunderkerzen abgestellt hat, oder vielleicht ein ganz anderes?
etc.

Mal sehen, ob ich doch noch mehr ändere, wenn ich den Text mit ein bisschen Abstand "genieße". :)

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

Hi Chaosqueen, es ist einfach nur wunderschön, deine Geschichten zu lesen.
Du packst immer so viel Wärme und Gefühl hinein, dass man sich nicht entziehen kann!
Du hast mit dieser Geschichte ein Bild gezaubert, das verschlingt.
Und wenn ich die Einzige bin, die das so empfindet, ist es mir auch egal!
Ich danke dir für diese wunderschöne Geschichte.
Barbara

 

Hej Barbara!

Danke, das freut mich, dass Dir die Geschichte gefällt. Trotzdem bin ich mir nicht so sicher, ob das, was ich versucht habe, gelungen ist. Bei Gelegenheit werde ich noch mal versuchen, sie zu bearbeiten.

Lieben Gruß

chaosqueen :queen:

 

Hallo chaosqueen,

ich finde, du verwendest hier sehr schöne Bilder und baust auch eine ziemliche Spannung auf, vor allem mit dem geheimnisvollen Päckchen.

Für meinen persönlichen Geschmack bleiben etwas zu viele Fragen offen, aber das wolltest Du ja.

Schöne Grüße
Roy

 

Für zwei Wochen aus der Wörterbörse in Seltsam verschoben. Bitte am 19.05. zurück.

 

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