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Und das rosa Nashorn dreht sich über seinem Kopf

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21.12.2016
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Und das rosa Nashorn dreht sich über seinem Kopf

Ein dunkel schimmernder Gang im kalten Kellerlabyrinth der verlassenen Papierfabrik Südost. Vollgekritzelte Mauern erheben sich zu beiden Seiten, die bunten Wortgespenster beleben den halbrunden Gang. Es ist feucht, trübe Wasserfäden zieren die Wände, wie tote Fliegen klatschen die fetten Tropfen auf den Boden. Zwei Industrielampen erleuchten den Weg, wild flackernd, tanzen sie im harten, monotonen Takt des Acid Technobeats, der wummernd in den Gedärmen des alten Gemäuers bebt. Eine Tür geht auf. Ich taumle in den nebelverhangen Raum, die Luft ist schwer Nikotin durchsetzt, Schweißgeruch kriecht in meine Nase. Der Bass ist nun überall, schlägt auf mich ein, krachend schwere Vorschlaghämmer auf meinem Trommelfell, immer wieder. Um mich herum johlende, schreiende Nachtgestalten, durch den Nebel sehe ich nur wild zuckende Konturen und tanzende Schatten, kaum greifbar, ständig in Bewegung. Kurz erinnert es mich an die Szene eines Kriegsfilms. Ich sehe tanzende Soldaten in einem Technoclub, dann rasen meine Gedanken weiter.

Abrupt kippt die Stimmung, hektische Panik überfällt mich, und ich remple in eine Gruppe ekstatischer Tänzer, doch niemand beachtet mich. Der Club, mein Name, der Grund, warum ich das hier immer wieder tu und überhaupt alles; für einen kurzen Moment hatte ich es vergessen, dann erinnerte ich mich wieder. Der pickelgesichtige Typ hatte ja gesagt, dass das Zeug ordentlich reinfährt, also keine Panik, kein Stress, alles normal. Ich bahne mir den Weg durch die zuckende Menge, an der Decke hängt irgendeine verrückte Kunstinstallation–Tische, Stühle, ein altes Fahrradgestell, alles umwickelt mit rot blinkenden Lichterketten. Ich habe Angst, dass etwas runterfallen und mich erschlagen könnte, sehe mich mit blutendem Schädel und verrückt grinsendem Gesicht, versuche das Bild zu verdrängen, aber es erscheint immer deutlicher in meinen Kopf.

Porzellanweißes Gesicht, kirschrotes Blut.
Porzellanweißes Gesicht, kirschrotes Blut.
Porzellanweißes Blut, kirschrotes Gesicht.

Ich laufe schneller und renne in etwas hinein, etwas festes, lebendiges–ein warmer, pulsierender Körper. Jemand dreht sich zu mir um, grelle Stroboblitze schießen durch den Raum, erhellen den Nebel, ich sehe apathische Grimassen aus der Dunkelheit aufblitzen und wieder verschwinden. Eine Hand legt sich auf meine Schulter, ein Mund spricht zu mir, doch ich kann nichts verstehen. Ein Mann mit lächerlich großer Hornbrille versucht zu mir durchzudringen, und spricht nun dicht an meinem Ohr, doch die Worte fallen durch ein unsichtbares Sieb und kommen nicht bei mir an. Ich sehe seine besorgte Miene im flackernden Licht, dann treiben wir auseinander, verlieren uns in der Menge. Kannte ich diesen Menschen? War er ein Freund, vielleicht sogar mein Bruder? Hatte ich überhaupt einen Bruder? Die Fragen schossen durch meinen Kopf, doch an eine Antwort konnte ich mich nicht erinnern, während ich langsam in den hinteren Teil der Halle schwanke.

Ich betrete einen kleinen Raum, durch das Schummerlicht sehe ich eine alte Couch, zusammengekrümmte, zuckende Gestalten bevölkern den Schatten. Ich höre Schmatzgeräusche und leises Stöhnen aus der Dunkelheit und weiß plötzlich, dass mich gleich riesige Insektenwesen mit glutroten Augen aus dem Hinterhalt anfallen werden. Ich reiße hektisch meinen Kopf herum, erwarte die Attacke, dreh mich zweimal um die eigene Achse und schlage wilde Schlinger in die Luft, aber nichts passiert. Statt des Stöhnens höre ich nun Gelächter, ich laufe weiter. Mir kommt der flüchtige Gedanke, dass das Zeug doch stärker ist, als ich es eingeschätzt hatte.
„Du dummer Idiot“, sage ich halblaut zu mir selbst, „schon wieder ist es passiert“.
Ich muss Nachhause, doch ich kann mich nicht erinnern, wie ich hier hergekommen bin, oder wo ich mich gerade befinde. Meine Gedanken rasen, überschlagen sich, verfolgen sich und entwischen mir, wenn ich versuche, mich zu konzentrieren.

Ich stolpere gegen eine Tür, mein Kopf beruhigt sich etwas, vielleicht ist sie die Lösung meines Problems, dessen mysteriösen Ursprung ich bereits wieder vergessen hab. Ich taste an der Tür entlang, die Musik ist nur noch ein gedämpftes Wummern, irgendwo hinter mir. Ich finde den kühlen Griff der Tür und öffne sie einen Spalt, mir wird schwindlig, ich falle, doch lande auf einem weichen Grund. Meine Augen sind geschlossen, ich schmecke einen körnig harten Brei auf meiner trockenen Zunge. Als ich die Augen aufreiße, bin ich umgeben von Bergen aus goldenem Sand, eine riesige Wüstenlandschaft, so weit, dass mich ein Gefühl tiefer, unbestimmter Verlorenheit ergreift. Wie bin ich hier gelandet?

Aus meinem Augenwinkel sehe ich ein Horde grün schimmernder Miniaturelefanten einen Sandhügel hinunterpurzeln. Der Wind pfeift heulend, kleine Sandteufel fegen an mir vorbei, dann sehe ich dich. Plötzlich bist du da, mein Herz rast, vielleicht nur eine Fata Morganga? Du stehst auf einem Hügel, hast ein buntes Sommerkleid an, und die weißen, abgetragenen Chucks. Ich will zu dir, sofort, doch meine Beine bewegen sich nicht, stecken fest, in einer dicken, braunen Suppe, die sich unbemerkt gebildet hat und in der ich nun feststecke. Die blanke Verzweiflung trifft mich, wie ein gut gesetzter Leberhagen zwei Minuten vor dem finalen Gong. Ich versuche mich freizuschaufeln, doch sinke immer tiefer in den schlammigen Morast. Ich sehe die karge Sandlandschaft um mich herum, ich sehe die Gruppe der traurigen Plastikelefanten, und ich sehe dich, wie die einsame Königin der kahlen Wüste thronst du auf dem sandigen Hügel, und starrst mich mit unbewegt strenger Miene an. Ich kenne diesen Blick, du bist sauer auf etwas, vielleicht auf mich, wie damals, „Ich bin echt enttäuscht von dir“; hattest du gesagt, als wir an der Raststelle saßen, irgendwo Nähe Turin, an der uns unsere Mitfahrgelegenheit rausgelassen hatte. Wir wollten campen in Italien und ich hatte unser Jubiläum vergessen, schon wieder, dabei wusste ich doch, wie sehr dir daran liegt. Salzige Tränen fielen auf die staubige Landstraße, ich konnte nichts sagen, nur leere Worte, wie so oft. Doch jetzt, in diesem Moment, weiß ich es, die Worte kommen, tanzen in meinem Kopf und ich möchte nichts lieber, als diesen nassen Matsch zu entfliehen, um dir all die schönen und traurigen Worte zu sagen, die ich mich nie getraut oder nie gedacht habe. Ich ziehe und zehre an meinen Beinen, grabe mit den Händen, doch der Sand ist kalt und hart.

Um mich wird alles schwarz, ich stehe wieder vor der Tür, kein Sand umgibt mich mehr. Die Königin und ihr Wüstenreich sind verschwunden, zurück in die tief verzweigten Gehirnwindungen, aus denen sie das Phenylethylamin gelockt hat. Ich brauche ein paar Sekunden, um mich zu sammeln. Ich würde mich schon als erfahrener User von halluzinogenen Drogen bezeichnen, aber diese Szene hat mich doch mitgenommen. Krasser Scheiß. Wo ist mein Tripsitter? Hatte ich einen? Oder war ich heute Nacht allein losgezogen? Und wo, verdammt, war mein Zuhause? Mein Bett? Mein Kopf raste, doch auf die Antworten kam ich nicht, wie in einem Flipperautomat hetzten Zahlen, Nummern und Straßen durch mein Gehirn und setzen sich zu beliebigen Kombinationen zusammen.

Tr4is3ng4sse A4?
W1ck3nb0rgstr4ße RR2?
Am W3ll3nt0r V9?
...3...W....Er4......!?!

Die Tür wird aufgerissen und ein grimmiges Fleischgesicht glotzt mich an, es sieht aus, wie ein wütender Gorillakopf, und um so mehr, ich darüber nachdachte, um so mehr, verwandelt es sich in eine wilde Affengrimasse.
„ Für dich ist heute Schluss, Freundchen, bist ja schon komplett durch!“
Eine Hand zieht mich aus dem Türrahmen und befördert mich in eine kalte, unwirkliche Eislandschaft. Ich stolpere auf den Bürgersteig, dreh mich um, doch der zornige Gorillamensch versperrt die Tür, und deutet mit einer ausladenden Handbewegung nach rechts. Ich folge seiner Hand und blicke in die menschenleere Straße, vielleicht ist das mein Heimweg, vielleicht kennt mich der Gorilla, ja, ist sogar mein Mitbewohner, dann haben wir doch bestimmt nur Obst und Gemüse im Kühlschrank. Der Gedanke bringt mich zum Lachen, ein rosa Schimpansenbaby sitzt in einem Kühlschrank und isst Salat mit Stäbchen, ich schlage mir mit der Hand vor die klatschnasse Stirn und gehe langsam die Straße entlang. Eine dünne Schneeschicht liegt auf dem Fußweg, obwohl ich nur eine dünne Strickjacke anhabe, fühle ich mich warm und euphorisch, ich schwebe über den gefrorenen Boden. Oder springe ich etwa? Egal. Über der leeren Straße hängt die lilaschimmernde Morgendämmerung, die dunklen Häuser ruhen friedlich in ihren streng strukturierten Reihen. Ich überlege welcher Tag heute ist, suche nach meinem Handy, doch finde es nicht und vergesse es wieder.

Ich komme an einer eindrucksvollen Kirche vorbei, die verschachtelte Architektur mit ihren vielen kleinen Türmen und den rotgekachelten Dächern überwältigt mich, und berührt etwas in mir, das ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Ein heftiges Verlangen, die Kirche zu betreten, durchflutet mich, eine große Euphorie strömt in meine Glieder, meine Augen werden feucht. Meine Bestimmung, mein Schicksal, ich war nie gläubig, bin nicht mal getauft, doch jetzt fühle ich es. Ein älterer Mann steht vor der Tür, verteilt Prospekte, ich schüttle ihm übermütig die Hand. Es ist mein verstorbener Großvater, ich kann es nicht glauben, umarme ihn heftig, Tränen fließen über mein Gesicht.
„Wie geht es dir? Ich hab dich so vermisst!“, schreie ich überschwänglich in sein Ohr, der Mann schiebt mich von sich weg, es ist nicht mein Opa.
Er zeigt auf die offene Tür, verwirrt von diesem plötzlichen Gestaltwandel und „Wo ist mein Opa?“, nuschelnd, betrete ich den feierlichen Kirchenraum.

Die hohen Decken, die bunten Fenster, Stille herrscht in dieser Halle, ein paar Menschen sitzen auf den dicht gereihten Bänken. Ich setzte mich in die hinterste Reihe und beobachte, wie sich das Licht in den Fenstermosaiken bricht, gläserne Menschen, Pferde, Bäume tanzen in ihren Bilder. Ich höre den Technobeat im Kopf und sehe feiernde Glasgestalten. Jemand spricht jetzt, mit fester Stimme durchbricht er den Rhythmus in meinem Ohr. Ich wende mich ab von der freudigen Fenstergesellschaft und sehe einen Mann mit schwarzer Robe, auf das kleine Podest am Ende der Halle steigen. Die Hände vor der Brust gefaltet, sprich er monotone Verse, denen ich kaum folgen kann, denn über seinen Kopf schwebt ein riesiges, rosa Nashorn, dass sich in gleichmäßiger Bahn um die eigene Achse dreht. Es ist ganz still, verzieht keine Miene. Ich sollte mal wieder meine Mutter anrufen, schießt es mir durch den Kopf. Immer bin ich so verplant, dann vergess ich das, dann macht sie sich Sorgen, „irgendwann wirste dich mal verlieren, in dieser großen Stadt“, hat sie mal gesagt, wahrscheinlich hat sie recht. Ich krame in den ausgeleierten Taschen meiner blauen Strickjacke nach meinem Handy, finde es nicht und schweife wieder zu dem Geschehen auf dem Podest. Fünf Frauen stehen jetzt da, sie tragen lange dunkle Kleider und singen ein Lied mit schöner, berauschender Melodie, es trägt mich auf eine laue Sommerwiese und ich summe leise mit.

Ich stehe jetzt auf dem kleinen Podest und blicke in die Runde, die starre, unbewegte Gesichter der frommen Kirchgänger fixieren mich.
„Verdammt, wie ist das denn passiert“, pocht es in meinem Schädel.
Nagende Unruhe steigt in mir auf, Schweißtropfen sammeln sich an meiner Schläfe, ich werde rot und stammle, „Tschuldigung, ich weiß nich …was passiert ist, … Zeug war wohl … na ja“.
Plötzlich bricht die Fassade der Ablehnung und Verachtung aus den starren Mienen, wilde Grimassen ziehen sie jetzt, schreien und johlen. Eine ältere Dame sitzt in der ersten Reihe und ihr Gesicht verformt sich zu einer wilden Fratze, sie lacht hysterisch und klatscht in die Hände. Der Gesang schwillt an, ein hoher, ziehender Ton. Der Mann mit der Robe steht neben mir und bläst in eine blaue Fanfarentrompete, sein weißer Bart ist lang und erinnert mich an den Weihnachtsmann. Ein sequenzartiges Flashback schiebt sich in meine Erinnerung: Weihnachten 2011, ich feier mit meiner Mutter auf dem Dorf, ich schenke ihr ein fränkisches Kochbuch und ein Kinogutschein, an den Weihnachtsmann glaube ich da schon lange nicht mehr. Du bist nicht da, warst bei deinen Eltern. Dabei wollte ich...

Die Kirchenglocken lauten, ich stehe wieder auf dem kleinen Podest. Vor mir stehen Freunde, Bekannte, Familienmitglieder. Ich trage einen Anzug, einen teuren, von Armani und frage mich, wie ich den wohl bezahlt habe. Ich schaue in bekannte Gesichter und entspanne mich, das Unbehagen und die Verwirrung der letzten Stunden legt sich. Heute ist mein Tag. Der Weihnachtsmannpriester legt seine Hand auf meine Schulter und schaut mich wohlwollend an. Schrille Orgelmusik setzt jetzt ein und alle Leute erheben sich. Du betrittst die Kirche in einem türkisen Spitzenkleid und den weißen Chucks, langsam und erhabenen schreitest du zum Altar voran. Ich betaste mein nasses Gesicht und möchte sterben vor Glück, mein freudiges Herz tanzt in meiner Brust. Alles ist vergessen, alles verziehen, die Koffer entpackt, das Auto noch ganz.

Jetzt stehst du vor mir und lächelst mich an, ich versuche mit meinem süßesten Lächeln zu erwidern, aber mein Mund ist zu trocken und ich ziehe eine wilde Grimasse. Du lachst laut auf, wie Pippi Langstumpf in der Fernsehserie, das hab ich dir bei unseren zweiten Date erzählt und werd es nie vergessen. Der Weihnachtsmann umarmt uns beide, dann läuft alles wie im Film. Mutti und Oma weinen ein bisschen, der Priester spricht feierlich schöne Worte, denen ich kaum folge und das rosa Nashorn ist verschwunden. Nur du und ich, alles was zählt, der perfekte Augenblick. Du sagst nun etwas, doch ich verstehe es nicht. Hab ich den wichtigen Ja-sage-Part etwas verpasst? Ich schaue zum Priester, der schaut mich fragend an.
„Ja“,sage ich. „Ja“, schreie ich, doch der Moment ist vorbei.

Ein durchdringender Schrei, dann mehrere. Die Erde bebt, Gemälde und Steinbrocken brechen aus den Wänden. Ich sehe Freunde und Verwandte panisch auseinander rennen, versuche dich an mich zu ziehen, aber kurz bevor unsere Hände sich treffen, fällt ein langer Holzbalken krachend zwischen uns und versperrt mir die Sicht. Ich taumle rückwärts, sehe den schreienden Priester, wie er versucht unter dem Altar in Deckung zu gehen. Das Dach wird weggerissen, die bunten Mosaikfenster zerspringen, Glasscherben und Mauerteile platzen auf dem Boden um mich herum. Ich sehe den riesigen Kopf einer neongelben Ameise, die sich durch das Dachgewölbe und die angrenzenden Mauerteile frisst, dann....

Ich schrecke auf, ein Speichelfaden hängt aus meinem Mundwinkel und tropft zu Boden. Blinzelnd versuche ich mich zu orientieren, mein Kopf fühlt sich leer und dumpf an. Langsam erkenne ich das Innere der Kirche, sehe das kleine Podest, die bunten Fenster. Niemand ist mehr hier, ich bin allein, um mich herum herrscht Stille. Meine Glieder schmerzen von der harten Holzbank.
„Wie lange ich wohl weg war?“, frage ich mich und suche nach meinem Handy, doch kann es nicht finden.
Für einen Moment schließe ich die Augen, mein Schädel pulsiert und schleichend kehren ein paar Erinnerungen an die vergangene Nacht zurück. Ich sehe den dunklen Club, sehe die eisige Straße, Erinnerungen an bunte Tiere und verrückte Gestalten, szenenhaft taucht das alles in meinem Gedächtnis auf, wie ein billiger Science Fiction Film, vor ein paar Stunden sah das alles noch total real und angsteinflößend aus. Verdammtes Teufelszeug, mich schüttelt es. Ich erhebe mich schwerfällig von der Kirchenbank und laufe langsam Richtung Ausgang.

Als ich die Kirchentür aufstoße, empfangen mich beißende Sonnenstrahlen und eine eisige Winterbrise. Halb blind und in meiner dünnen Strickjacke, erbärmlich frierend, mache ich mich auf den Heimweg, ich brauche Schlaf, dringend. Geschäftige Menschen eilen an mir vorbei, während ich zur nächsten S-Bahnstation laufe, ich spüre ihre Blicke, weiche ihnen aus, muss wohl ziemlich fertig aussehen, denke ich mir und befühle mein unrasiertes Kinn und mein schmerzendes Knie, mit dem ich letzte Nacht irgendwo angeschlagen sein muss. Während der kurzen Bahnfahrt schaue ich zu Boden, mein Körper fühlt sich taub an, ich bin allein. Postdepressive Phase, das wird mich wohl noch ein, zwei Tage begleiten. Schneebedeckte Dächer zischen am Fenster vorbei, ich wäre jetzt gern bei dir, im warmen Bett. Mit Kater-Tee und einem belanglosen Trash-Film, wie früher immer. Ich kann es nicht erwarten Nachhause zu kommen. Als ich die S-Bahn verlasse, beeile ich mich, die letzten hundert Meter zur Haustür renne ich fast. Vielleicht kann ich dich noch erwischen, bevor du zur Arbeit fährst. Wahrscheinlich wirst du böse sein, dass ich wieder Scheiße gebaut hab, Zeug genommen hab und weg war, über Nacht, obwohl ich versprochen hatte, etwas langsamer zu machen, aber jetzt ist das egal. Ich erinnere mich an ein paar Wortfetzen von letzter Nacht, aus der verrückten Wüstenhalluzination, damit kriege ich dich bestimmt und dann sitzen wir in der Küche, trinken Tee und lachen über die abgedrehten Sachen, die ich auf meinem Trip gesehen hab.

Hektisch fingere ich nach den Schlüsseln, finde sie in meiner Hosentasche, dann stürme ich die Treppe hoch. Die Wohnungstür klemmt, wie so oft, ich rüttle kräftig und stoße sie auf, Kälte empfängt mich, du hast nicht geheizt, ich hab nicht geheizt. Ich laufe durch den kargen Flur, sehe den Fleck, an dem vor zwei Wochen deine Koffer standen und laufe in die Küche. Verzweifelt suche ich in den Einbauschränken nach unserer bunten Teekanne, bis mir einfällt, dass du sie ja mitgenommen hast. Egal. Garys Hundenapf sieht verlassen aus. Meine Zimmertür zieren immer noch die drei faustgroßen Löcher, die ich da reingehauen hab. Es ist stickig, ich öffne ein Fenster. Langsam füllt sich mein leerer Kopf, die Ereignisse vor zwei Wochen, das Chaos der letzten Nacht, deine Tränen, meine Tränen. Ein lautes Dröhnen in meinen Ohren, ich kenne das. Mit einem Glas Wasser spüle ich die zwei Valium Tabletten runter, die Leere gewinnt wieder Oberhand, betäubt falle ich in die kalten Kissen meines Betts.

 

Sehr schön. Sehr einzigartiger Text. Der Text klingt im Kopf wie ein elektronisches Musikstück. Könnte ich mir auch als Hörspiel, gesprochenen Text vorstellen. Versetzt einen in einen Trancezustand. Und das ganz ohne Drogen. Und das ist schon was.

 

Hallo maxusmilus,

herzlich willkommen!

Ich habe den ersten Absatz gelesen und muss sagen, der gefällt mir nicht besonders.
Ich zeige dir nun, warum.

Ein dunkel schummriger Gang im kalten Kellerlabyrinth unter der verlassenen Papierfabrik Südost.
Dunkel oder schummrig, beides zugleich geht nicht.
„unter“ ist da überflüssig.

Vollgekritzelte Mauern erheben sich zu beiden Seiten, die bunten Wortgespenster ebnen den halbrunden Gang.
Ich verstehe nicht, was die Wandschmiererei da einebnet?

Es ist feucht, trübe Wasserfäden zieren die Wände, wie tote Fliegen klatschen die fetten Tropfen auf den Boden.
Das find ich gut. Ein schlüssiges Bild!

Zwei alte Industrielampen erleuchten den Weg, wild flackernd, tanzen sie im harten, monotonen Takt des Acid Technobeats, der wummernd in den Gedärmen des alten Gemäuers bebt.
Auch ein Bild, aber überstrapaziert. Flackern/tanzen/wummern/beben
Ein „alt“ kann durch einen anderen Begriff abgelöst oder gestrichen werden.

Ich taumle in den nebelverhangen Raum, die Luft ist schwer Nikotin getränkt,
„getränkt“ ist hier nicht der passende Ausdruck

Der Bass ist nun überall,
War er zuvor im Gang auch schon.

Um mich herum johlende, schreiende Nachtgestalten, durch den Nebel sehe ich nur wild zuckende Konturen und tanzende Schatten, kaum greifbar, ständig in Bewegung.
Auch ein gutes Bild, bis auf den Overkill: kaum greifbar, ständig in Bewegung.

Die schreienden Menschen, das neblige Chaos, das gleichmäßige, harte Hämmern des Beats, wie das Rattern einer Maschinenpistole–kurz erinnert es mich an die Szene eines Kriegsfilms, den ich irgendwann mal gesehen habe.
Alles vor dem Gedankenstrich ist eine Wiederholung dessen, was gerade im Satz davor gesagt wurde … kann daher raus.
Auch raus kann „den ich irgendwann mal gesehen habe.“ Ist ja klar, oder? Wenn er ihn nicht gesehen hätte …


Licht und Schatten halten sich die Waage. Ich meine, ausmisten heißt hier das Zauberwort.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo HKarske, maria.meerhaba, Asterix,

danke für eure Kritik und eure Anmerkungen. Ich werde mir das Gesagte zu Herzen nehmen und meinen Text nochmal etwas überarbeiten.

Liebe Grüße,
Maxus

 

Hallo Maxus,

deine Beschreibungen des Trips sind intensiv und erschreckend, die zurückliegende Trennung gibt dem Ganzen noch ein Stück Tiefe. Aber mir fehlt sowas wie eine 'Abrundung', meinetwegen ein Entwicklungsschritt, eine bleibende Erkenntnis. Er betäubt sich, halluziniert und fällt zum Ende (anders) betäubt ins Bett. In der Kirchenszene wird ja deutlich, dass er davon träumt, mit ihr zu leben. Zuvor bezeichnet er sich als drogenerfahren. Gibt es da einen Zusammenhang? Ging sie, weil es zu oft nicht bei sich war? Was hat er vor, um sein Leben wieder in eine Spur zu bringen, die er sich wünscht? Für mich zu viele offene Fragen, dennoch interessant zu lesen.

Grüße von Eva

 

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