Was ist neu

Der Beobachter

Mitglied
Beitritt
13.01.2017
Beiträge
25

Der Beobachter

Man behauptete immer, ich sei ein guter Beobachter. Und da ist was dran, schätze ich. Ich habe tatsächlich eine gewisse Freude daran, die Dinge mit Abstand zu betrachten. Ihren Zusammenhang zu sehen. Und ich bin gut darin, Zusammenhänge zu sehen. Aber ich habe nie verstehen können, weshalb Marie sich mit diesem Typen abgeben konnte. Nicht dass es mich wunderte, dass eine solch attraktive Frau sich mit einem Mann abgab, der ihr in jeder denkbaren Hinsicht nicht gewachsen war (natürlich wirken kleinere Männer neben ihren Frauen stets etwas sonderbar, aber das war nicht das, was mich an Jakob Mehringer störte). Nein, die schiere Widersinnigkeit des Zusammenseins dieser beiden grundverschiedenen Menschen marterte mich geradezu: Maries graziles Wesen passte einfach nicht zu der Grobschlächtigkeit dieses Mannes – ihre zarte Stimme nicht zum wüsten Ton seiner Beschimpfungen, ihr anmutiger Gang nicht zum abendlichen Torkeln dieses Trunkenbolds. Und ihre blauen Flecke an den Unterarmen passten nicht zu den roten Flecken in seinem Gesicht und wenn sie ihn – was oft vorkam – mit ihren zarten Händen stützte, während er die vier Stufen zur Haustür ihres gemeinsamen, auf sarkastische Weise ockerfarbenen Heims hochstolperte, da wünschte ich mir oft, er stürze und bräche sich endlich das Genick.
Ich habe nie verstehen können, was sie an ihm fand. So oft ich von meinem Balkon aus an ihrem Leben teilnahm, indem ich die beiden bei einem Glas Rotwein durch die dicht stehenden Begonien beobachtete; ich hatte nie das Gefühl, dass es richtig sei, was ich da sah. Und jetzt verstehe ich es noch immer nicht: wie sie da drüben stehen kann; zwischen dem dunklen Holz des Türrahmens – und vom schadenfroh-ockerfarbenen Anstrich des Häuschens erdrückt zu werden droht. Schluchzend, die kleinen Hände vor ihrem Gesicht oder in ihren feuchten Haarsträhnen. Sogar jetzt, wo sie diesen Taugenichts in Handschellen abführen, scheint es ihr nicht klar geworden zu sein, dass es so das Beste ist. Für alle das Beste. Und das ist es. Es hätte mir ja schließlich auch egal sein können, und das war es auch lange Zeit, aber irgendwie verspürte ich nach dem Vorfall mit Berger den Wunsch, eine Besserung der Situation erleben zu dürfen. Den richtigen Zusammenhang sehen zu können. Und da war er nun. Auch wenn die heulende Marie es einem schwer machen konnte, sich gänzlich über den guten Ausgang der Sache zu freuen.

Vielleicht, dachte ich, als heute am frühen Abend das erste Blaulicht um die Ecke blitzte, vielleicht hätte den Mehringer doch besser das Schicksal des alten Bergers ereilen sollen. Um den tut es mir nun nicht gerade leid, aber ich fühle mich ein wenig im Zweifel darüber, ob dass, was sich vor zwei Tagen in unserer sonst so beschaulichen Straße zugetragen hat, nicht hätte anders verlaufen können. Ob Berger noch leben könnte. Und ob stattdessen nicht besser dieser elende Mehringer mit einem Beil in seinem dümmlichen Schädel hätte aufgefunden werden sollen. Als sich die beiden vorgestern noch begegneten und Mehringer in Maries Armen liegend zu seinem betagten Nachbarn rief, er wolle in umbringen, wenn er noch einmal versuche, sich in sein Leben einzumischen, da wurde die ganze Nachbarschaft Zeuge von Bergers heldenhaftem Versuch, das Leben unserer Marie zu bessern. Berger war ein anständiger alter Mann. Das muss man schon sagen. Liebenswert und zuvorkommend. Aber irgendwann musste auch er eingesehen haben, dass Mehringer unserer guten Marie nur schadet. Tatsache ist, dass er sich an besagtem Abend bei dem besoffenen Heimkehrer bemerkbar machte, mit einer spärlich Licht spendenden Taschenlampe zum Rand seines Grundstücks ging und den sturzbesoffenen Mehringer aufforderte, seine Ehefrau nicht so widerlich zu behandeln. Stattdessen solle er seinen verdammten Rausch ausschlafen, hat man ihn deutlich sagen hören. Ich weiß nicht, ob Berger, wäre er nur zwei Jahrzehnte jünger gewesen, nicht einfach über den Zaun gesprungen wäre und dem räudigen Hund das Genick gebrochen hätte. Ich hätte es an dieser Stelle vielleicht getan, denke ich. Aber ich beobachte nun einmal lieber und saß da und schaute zu – wie die ganze Nachbarschaft an jenem Abend. Jeder hier war Zeuge dieses Vorfalls, denn die beiden schrieen sich eine gute Viertelstunde an, bevor Mehringer schnaubend verkündete, dass er den armen Alten umbringen werde. Marie, die gute Marie, zog ihn dann ins Haus, wo es zwar nicht leiser wurde, aber dennoch für die meisten hier in der Straße genug Grund gegeben war, sich wieder um die eigenen vier Wände zu kümmern. Ich schaute dem alten Berger noch eine Weile nach. Ich sah, dass ihn die Szene mit Mehringer sehr viel Kraft gekostet haben muss, denn während im ockerfarbenen Haus Stühle polterten und Geschirr zu Bruch ging, drehte sich der Alte kein einziges Mal um.

Berger war ein mutiger Mann, denke ich. Und ich denke auch, er hätte gutheißen können, was ich tat, auch wenn er zunächst erschrocken in mein Gesicht blickte, als ich ihn auf seiner Veranda besuchte und vollständig darüber informierte, was jetzt passieren würde. Er schaute mir in die Augen und verstand sofort – ich denke, er wusste, dass ich Mehringers Eskapaden nicht länger dulden konnte, und mir schien es, als wäre er irgendwie ganz meiner Meinung gewesen. Marie zuliebe. Er wusste sicher genauso gut wie ich, dass Mehringer in Kürze tatsächlich hier bei ihm auftauchen würde. Davon war nun einmal nach dem Vorfall vor zwei Tagen auszugehen, denn der Trunkenbold war besoffen und streitsüchtig. Ganz sicher tauchte er hier beim alten Berger auf, wenn auch nur auf eine Pöbelei über den Gartenzaun, bevor er sich von Marie ins Haus heben ließ, wo er sie dann - so gut es in seinem Zustand eben ging – ordentlich zu verdreschen versuchte. Man konnte sich darauf verlassen, dass der Taugenichts um diese Uhrzeit herantorkelte, nachdem er wie üblich einige Häuser weiter an einer alten Holzpritsche gepisst hatte. Das war eine Art Ritual für ihn. Und so habe ich ihn dann auch genau dort angetroffen. Er konnte mich nicht sehen, da ich mich versteckt hielt, aber dennoch hatte ich einen guten Blick auf seine dämliche Visage, als er das Beil vor sich auf dem Boden liegen sah. Planmäßig nahm er es in die Hand und fuchtelte damit herum – ich erinnere mich, dass ich gerne zu ihm gegangen wäre und ihm das rostige Eisen, wie Minuten zuvor dem alten Berger in den Schädel gemeißelt hätte. Doch ich blieb ganz ruhig, zog meine Handschuhe aus und alarmierte die Polizei. Von da an ging alles ganz schnell.

 

Hey Reinhard, danke dir fürs Feedback. Ich freu mich, dass dir die Story gefallen hat und du ins Grübeln darüber geraten konntest, wer hier wen auf dem Gewissen hat...
Zu deiner Frage: Das "wie" vergleicht zwei Dativobjekte ("ihm" und "dem alten Berger") und soll einen Hinweis liefern, dass der Protagonist Berger umgebracht hat. In einer ersten Fassung gab es diese "Auflösung" nicht, sondern nur die Andeutungen dazu im Textverlauf. Aber ich finde, das schadet dem Ganzen nicht. Allerdings kann ich mir die Lorbeeren für den innovativen Einsatz syntaktischer Mittel nicht anstecken... ;) Die Formulierung mit dem "wie"-Vergleich ist zwar erarbeitet, aber nicht mit Fokus auf syntaktische Verschleierung, sondern eher auf den kalkulierenden Sprachrythmus des Protagonisten.
LG
Klaus

 

Hallo KlausHopper,

schöne Geschichte, die du da geschrieben hast. Erinnert vom Thema "Guter Mörder" ein wenig an die TV-Serie Dexter. Sprachlich fand ich es stark, das ließ sich gut lesen und meist kein Wort zu viel. Also alles in allem hat es mir gut gefallen.

ABER, wir sind natürlich hier, um die Texte zu verbessern, und deshalb nenne ich dir noch einige Stellen, die meiner Meinung nach besser sein könnten.

Ob Berger noch leben könnte. Und ob stattdessen nicht besser dieser elende Mehringer mit einem Beil in seinem dümmlichen Schädel hätte aufgefunden werden sollen.
Ich weiß nicht wieso, aber ab dem Satz wusste ich, dass er Mehringer den Tod Bergers in die Schuhe schieben würde. Ich kann sowas riechen. Evtl. kannst du den Twist besser verstecken, so dass er wirklich überraschend kommt.

Als sich die beiden vorgestern noch begegneten und Mehringer in Maries Armen liegend zu seinem betagten Nachbarn rief, er wolle in umbringen, wenn er noch einmal versuche, sich in sein Leben einzumischen, da wurde die ganze Nachbarschaft Zeuge von Bergers heldenhaftem Versuch, das Leben unserer Marie zu bessern.
[...]
Jeder hier war Zeuge dieses Vorfalls, denn die beiden schrieen sich eine gute Viertelstunde an, bevor Mehringer schnaubend verkündete, dass er den armen Alten umbringen werde.
Das finde ich eine unnötige Wiederholung im Text.
schrieen ==> schrien

Berger war ein mutiger Mann, denke ich. Und ich denke auch, er hätte gutheißen können, was ich tat, auch wenn er zunächst erschrocken in mein Gesicht blickte, als ich ihn auf seiner Veranda besuchte und vollständig darüber informierte, was jetzt passieren würde.
Aha, und dann hat Berger seinen Kopf gesenkt und sich geopfert, oder was? Also das ist unrealistisch. Da solltest du eher einen heimtückischen Mord von hinten draus machen.

Doch ich blieb ganz ruhig, zog meine Handschuhe aus und alarmierte die Polizei. Von da an ging alles ganz schnell.
Also entweder ist der Erzähler ein erfahrener Mörder (siehe den eingangs erwähnten Typ "Guter Serienmörder") oder er bleibt nicht cool. Das finde ich nicht realistisch. Man bringt nicht eben so einen alten Mann um und hängt es dann ganz cool jemand anderem an. Hier sollte der Protagonist meiner Meinung nach mehr Konflikt haben. Es sollte ihm schwer fallen, das alles zu tun.
Oder anders: hier wird eine extreme Situation beschrieben, die vollkommen glatt läuft.

 

Hallo Klaus,

willkommen bei den Wortkriegern! Dein Erstling hat mir sehr, sehr gut gefallen.

Zunächst finde ich ihn sprachlich souverän. Das fängt bei der Beinahe-Fehlerfreiheit an (Winzigkeiten siehe unten), die leider nicht selbstverständlich ist, und geht über die Wortwahl sowie teils lange, aber nie unübersichtliche Sätze bis zum treffsicheren Einsatz von Genitiv und Konjunktiv.

Dann erzeugst du stilsicher genau die Stimmung, die dein Text braucht. Ich war so etwa bis zur Mitte des Textes schon latent genervt von diesem leicht bräsigen Erzähler, der sich in seinen präzisen, aber (scheinbar) unwichtigen Beobachtungen ergeht, in der Zeit hin- und herspringt und einfach nicht recht auf den Punkt kommt. Und ich möchte wetten, dass du das genau so wolltest.

Denn bis zur Pointe hast du mich so schön eingelullt, dass ich die Auflösung einfach nicht habe kommen sehen, obwohl die Hinweise natürlich (genau im richtigen Maße) vorhanden waren. Ich war tatsächlich überzeugt, nur einen zwar aufdringlich-voyeuristischen, aber letztlich passiven Beobachter vor mir zu haben.

Chapeau!

Hier die besagten Winzigkeiten (und weitere Anmerkungen):

Und ihre blauen Flecke an den Unterarmen passten nicht zu den roten Flecken in seinem Gesicht
Im Grunde passen sie leider doch, weil beides mit dem cholerischen Charakter ihres Mannes zu tun hat. Aber ich weiß schon, was du meinst: dass sie optisch oder farblich nicht zusammenpassen. Vielleicht, wenn du genau das schreibst? Oder ein anderes Verb verwendest, z.B. "harmonierten nicht mit" (aber du willst sicherlich die verstärkende Wiederholung des "passen" nutzen). Ach, ich weiß nicht - vielleicht verrenne ich mich da unnötig.

Und jetzt verstehe ich es noch immer nicht: wie sie da drüben stehen kann; zwischen dem dunklen Holz des Türrahmens – und vom schadenfroh-ockerfarbenen Anstrich des Häuschens erdrückt zu werden droht.
Hier gefällt mir die Zeichensetzung nicht. Wenn "zwischen dem dunklen Holz des Türrahmens" ein Einschub sein soll, würde ich ihn auf beiden Seiten mit einem Gedankenstrich absetzen. (Wenn es kein Einschub ist, ist m.E. der Satzbau Murks.)

irgendwie verspürte ich nach dem Vorfall mit Berger den Wunsch, eine Besserung der Situation erleben zu dürfen
Hier legst du sehr clever eine falsche Fährte: Ich habe natürlich im weiteren Verlauf gedacht, dass mit dem "Vorfall" Bergers Tod gemeint sei; den müsste dann der Meininger verschuldet haben. Aber nein, der Vorfall war nur der vorangegangene Streit. Fies! ;)

ich fühle mich ein wenig im Zweifel darüber, ob dass, was sich vor zwei Tagen in unserer sonst so beschaulichen Straße zugetragen hat, nicht hätte anders verlaufen können
das

Als sich die beiden vorgestern noch begegneten und Mehringer in Maries Armen liegend zu seinem betagten Nachbarn rief, er wolle in umbringen
ihn

ich denke auch, er hätte gutheißen können, was ich tat, auch wenn er zunächst erschrocken in mein Gesicht blickte (...) und mir schien es, als wäre er irgendwie ganz meiner Meinung gewesen.
Sehr gut, wie der offenbar gestörte Erzähler sich seine Tat schönredet. :D

ich erinnere mich, dass ich gerne zu ihm gegangen wäre und ihm das rostige Eisen, wie Minuten zuvor dem alten Berger in den Schädel gemeißelt hätte
Der hervorgehobene Einschub sollte entweder an beiden Seiten oder gar nicht mit Kommas abgetrennt werden.

Ich fand diese Passage übrigens eindeutig bzgl. der Frage, wer den alten Berger umgebracht hat.

Wirklich eine sehr gelungene Geschichte und um Längen besser als die andere, die du eingestellt hast (und für deren Kommentierung ich gerade nicht die Muße habe). Vielleicht liegt dir Krimi besser als Humor, aber das lässt sich nach der kleinen Stichprobe natürlich nicht sicher beurteilen. :)

Bei der Gelegenheit eine kleine Anmerkung: Bitte stelle nicht zu viele Geschichten in kurzer Folge ein, sondern lass uns Zeit zum Lesen und Kommentieren. Ich sage das ausdrücklich, bevor es ein Problem gibt - das waren jetzt zwar zwei Texte auf einen Schlag, aber sie sind ja auch recht unterschiedlich, also ist alles im grünen Bereich. Nur für den Fall der Fälle und aus gewissen Erfahrungen heraus ...

Grüße vom Holg ...

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Hallo HSB,
danke dir für dein Feedback, insbesondere für deine hilfreichen Anmerkungen zur Verbesserung des Textes. An einer Stelle konnte ich nicht ganz folgen:

Aha, und dann hat Berger seinen Kopf gesenkt und sich geopfert, oder was? Also das ist unrealistisch. Da solltest du eher einen heimtückischen Mord von hinten draus machen.
Dass Berger sich opferte sollte keinesfalls vom Text impliziert werden - wie kommst du da drauf bzw. welche Formulierung hat dich auf diese Assoziation gebracht? Ich habe an der Stelle, die du hier ansprichst, vor, den Mord an Berger vollends der Fantasie des Lesers zu überlassen. Meinetwegen den "heimtückischen Mord von hinten", den du dir als zweites hast einfallen lassen. Wäre interessant rauszufinden, weshalb du zunächst an eine unrealistische Selbstaufopferung Bergers dachtest...
Jedenfalls wäre es m.E. hier zu früh, die Katze aus dem Sack zu lassen, d. h. die Kaltblütigkeit des Erzählers zu offenbaren. Das soll erst am Ende einleuchten.

Also entweder ist der Erzähler ein erfahrener Mörder (siehe den eingangs erwähnten Typ "Guter Serienmörder") oder er bleibt nicht cool. Das finde ich nicht realistisch. Man bringt nicht eben so einen alten Mann um und hängt es dann ganz cool jemand anderem an. Hier sollte der Protagonist meiner Meinung nach mehr Konflikt haben. Es sollte ihm schwer fallen, das alles zu tun.
Oder anders: hier wird eine extreme Situation beschrieben, die vollkommen glatt läuft.

Exakt das macht den Erzähler aus bzw. soll der Eindruck sein: Er schafft sich eine extreme Situation, die vollkommen glatt läuft. Sowas gibt's leider.
Ihn stört nur, dass seine Obsession, Marie, das nie erkennen kann...

LG
Klaus


Lieber Holg,
danke für deine Hilfestellung zum Text! Ich fand's toll, dass du den Satzbau mitanalysiert hast - tatsächlich bedürfen die von dir angesprochenen Punkte der Korrektur. Gerade das war die Arbeit bisher am Text: die Einschübe so zu bauen, dass sie einlullen, Informationen liefern und dem Sprachryhthmus des Protagonisten zuzuordnen bleiben. Da hast du mir nochmal sehr nützliche Hinweise für eine weitere Fassung gegeben, herzlichen Dank!
Und ich werde das Forum nicht mit Stories fluten, versprochen - weder Krimi noch Humoriges. ;) Wollte nur mal sehen wie hier kritisiert wird und einen geschliffenen einem runtergeschriebenen Text gegenüberstellen.
LG
Klaus

 

Hallo KlausHopper,

Dass Berger sich opferte sollte keinesfalls vom Text impliziert werden - wie kommst du da drauf bzw. welche Formulierung hat dich auf diese Assoziation gebracht? Ich habe an der Stelle, die du hier ansprichst, vor, den Mord an Berger vollends der Fantasie des Lesers zu überlassen.

Diese Stelle hier hat in meiner Fantasie eben das Bild eines willigen Opfers erzeugt:
Er schaute mir in die Augen und verstand sofort – ich denke, er wusste, dass ich Mehringers Eskapaden nicht länger dulden konnte, und mir schien es, als wäre er irgendwie ganz meiner Meinung gewesen.
Zumal da nicht angedeutet wird, dass Berger sich in irgendeiner Weise gewehrt hätte.

Übrigens, wenn du antwortest, wäre es schön wenn du ein "@"-Zeichen vor den Namen des Angesprochenen setzt, dann bekommen wir eine Benachrichtigung, dass jemand was für uns geschrieben hat.

 

HSB: Ich denke, wir haben es hier mit einem unzuverlässigen Erzähler zu tun. Er redet sich seine Tat schön und bildet sich Bergers Zustimmung ein, ungefähr so wie ein Vergewaltiger, der sagt: "Du willst es doch auch!" Das sollte man wohl nicht als "Fakt" nehmen.

Grüße vom Holg ...

 

HSB: Ich denke, wir haben es hier mit einem unzuverlässigen Erzähler zu tun. Er redet sich seine Tat schön und bildet sich Bergers Zustimmung ein, ungefähr so wie ein Vergewaltiger, der sagt: "Du willst es doch auch!" Das sollte man wohl nicht als "Fakt" nehmen.
Ich denke, wir müssen hier zwei Sachen unterscheiden:
1) Wie hat der Autor den Text gemeint? ==> Hier greift dann deine Erklärung

2) Wie kommt der Text beim Leser an? ==> Hier kommt meine Erklärung zu tragen. Ich meine, ich kann ja nichts dafür, dass ich den Text so interpretiert habe. Als Leser bin ja nicht ich in der Bringschuld, sondern der Autor. Ich fand es nur wichtig, KlausHopper meine Leseerfahrung mitzuteilen. Nun kann er sich überlegen, ob er derartige Missverständnisse bei Lesern wie mir in Kauf nehmen will, oder ob er solche Stellen wasserdicht macht. Beides ist natürlich möglich und ich will meine Lösung gar nicht aufdrängen, sondern nur durch Leseerfahrung unterstützen.

 

Ich meine, ich kann ja nichts dafür, dass ich den Text so interpretiert habe. Als Leser bin ja nicht ich in der Bringschuld, sondern der Autor.

Bitte fass es nicht als Angriff auf, aber ich denke schon, dass man vom Leser eine gewisse Mitarbeit erwarten kann. Es ist ja wie im Leben: Klar kann ich meinem Freund jedes Wort glauben, was er über seinen ach so bösen Chef erzählt, und schon mal gleich auf Krawall gebürstet sein, falls mir der Typ mal begegnet. Wenn ich aber weiß, dass mein Freund ein bisschen wehleidig ist und ohnehin zur Übertreibung neigt, sollte ich seine Worte mit dem berühmten Körnchen Salz nehmen.

Hier ist der Erzähler offensichtlich ein Psychopath und Mörder. Sollte man dem glauben, wenn er sagt, dass sein Opfer die Tat bestimmt gutheißen würde? Würde man das einem echten Mörder glauben? Ich denke, nein. Natürlich ist es völlig legitim, das trotzdem so zu lesen, sei es aus Gutgläubigkeit oder vielleicht aus einer gewissen Flüchtigkeit beim eiligen Lesen. Ich fände es nur schade, wenn man deshalb vom Autor erwarten würde, dass er jede Zweideutigkeit ausschließt.

Was will ich damit sagen? Bestimmt nicht, dass du irgendwie "falsch" liest - kein Angriff, wie gesagt. Und natürlich hast du Recht, dass Klaus letztlich selbst entscheiden muss, ob er auf Leser wie dich eingehen will oder nicht. Die Info, dass du (und auch MelMay) den Text so interpretierst, ist für ihn wichtig und hilfreich. Aber ich möchte an dieser Stelle doch eine kleine Lanze brechen für Stilmittel (denn ein solches ist ja dieser unzuverlässige Erzähler), die dem Leser auch mal etwas abverlangen, statt nur Leichtverdauliches zu präsentieren. Und sooo viel verlangt diese Geschichte ja nicht mal.

Und auch meine Ansicht möchte ich natürlich niemandem aufdrängen.

Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @MayMel,
danke dir für die hilfreichen Korrekturen. Zu "vollständig informieren": Ich suchte ein Adverb, um das sachliche und gleichzeitig tödliche Kalkül des Protagonisten anzudeuten.. wie eine Art Buchhalter, der Bilanz zieht. Hatte davor was in der Art "vollständig darüber aufklärte" und "detailliert darreichte" .. denke du hast Recht, nimmt sich alles nicht viel und kann auch raus. Hat dadurch wohl mehr Kühle.
Dieser Assoziation, Berger sei ein freiwilliges Opfer, muss ich echt mal nachgehen.. ;)
Hab Dank! LG, Klaus

Hallo HSB, The Incredible Holg,
danke, HSB, für den Wink mit dem Klammeraffen. Zum vermeintlichen Hinweis auf Bergers Opferbereitschaft, also, HSB zufolge, zu folgender Stelle.

Er schaute mir in die Augen und verstand sofort – ich denke, er wusste, dass ich Mehringers Eskapaden nicht länger dulden konnte, und mir schien es, als wäre er irgendwie ganz meiner Meinung gewesen.
Meine Intention dazu hat Holg entlarvt. Es ist unzuverlässiges Erzählen aus der Sicht eines durch Obsession und Überheblichkeit fehlgeleiteten Menschen. Und es ist auch so, dass ich an dieser Stelle bewusst eine Formulierung gewählt habe, die Berger als jemanden zeigt, der dem Protagonisten (bei was auch immer) zustimmt. Ich will hier noch nicht die Katze aus dem Sack lassen. Am Ende allerdings verlange ich von einem Leser dann natürlich entweder, dass er sofort alle nötigen Schlüsse zieht und dem Twist folgt, oder, dass er beim Gedanken "Moment mal, da stimmt doch was nicht, der Berger lässt sich opfern?" zurückgeht und erkennt "Shit. Ich bin dem Psychopathen aufgesessen. Der Hund." ... das wollte ich dem Leser frecherweise zumuten. ;)

Das wäre vielleicht eine Lösung, um den Twist nicht voreilig zu verraten, Berger genug Unwissenheit zuzuschreiben, um kein Opfer zu werden, und dem Protagonisten seine merkwürdig überhebliche Sprache zu lassen:

Er schaute mir in die Augen und verstand sofort. Er verstand, ohne dass ich ihm die Lösung für Maries Problem hätte zeigen müssen. Und so hielt ich's bei mir hinter meinem Rücken – ich denke, der alte Berger wusste auch so, dass ich Mehringers Eskapaden nicht länger dulden konnte, und mir schien es, als wäre er irgendwie ganz meiner Meinung gewesen.

LG und frohes Schaffen,
Klaus

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom