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Der König hat Geburtstag

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03.07.2004
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Der König hat Geburtstag

Vor dem Schloss feierte sein Volk ein ausgelassenes Fest, während die adeligen Damen und Herren in einer langen Reihe am König vorbeizogen und ihre Glück- und Segenswünsche für ein weiteres friedliches und erfolgreiches Jahr bekundeten. Der König saß stumm auf seinem Thron. Er nickte jedem zu, hob auch manchmal seine linke Hand zum Gruß, lächelte aber nicht, sondern schaute ernst durch den Saal.
„Seine Majestät ist immer noch in Trauer“, tuschelte eine Hofdame auf dem Weg zur festlichen Geburtstagstafel. Und ihre Begleiterinnen nickten wissend. „Das ist alles so niederdrückend. Vor zwanzig Monaten ist die Königin verstorben. Aber am Hof kommt seitdem keine rechte Freude mehr auf.“
Alle Gäste hatten den Thronsaal verlassen. Der König blieb auf seinem Thron sitzen und wartete. Eine sanfte Hand strich über seinen Scheitel und ein warmer Mund küsste ihn auf die Stirn. „Mein Liebster“, raunte eine Stimme und dann war der König wieder allein. „Wirst du immer nur zu meinem Geburtstag vorbeischauen? Alle Jahre, die ich noch leben werde?“, fragte er verzweifelt.
Die hohe Tür zum Thronsaal öffnete sich zögernd, und der königliche Rat betrat den Raum. Die drei Herren schritten würdevoll zum Thron, verneigten sich tief und baten: „Euer Hof wartet auf den Beginn des Geburtstagsmahles. Dürfen Wir Euch bitten?“
„Eure Pflicht“, ergänzte der Graf, sein ältester Berater, der mit ihm aufgewachsen war.
Der König schaute seine drei engsten Getreuen lange an und meinte dann: „Bevor ich komme, beantwortet Ihr mir bitte eine Frage.“
„Selbstverständlich, Eure Majestät.“ Alle drei Herren verneigten sich ehrfurchtsvoll.
„Wohin gehen die Menschen, wenn sie sterben?“
Die drei verständigten sich wortlos und der jüngste von ihnen begann mit seiner Antwort: „Jeder Mensch wird geboren. Vor seiner Geburt gibt es ihn nicht. Ebenso stirbt jeder Mensch und nach seinem Tod gibt es ihn nicht mehr. Der Mensch existiert nur in der kurzen Spanne zwischen Geburt und Tod, die wir Leben nennen. Neben dem Skelett bleiben vielleicht einige Erinnerungen an ihn. Mehr nicht.“
„Also gibt es auch keine Geister von Verstorbenen?“
„Nein, selbstverständlich nicht. Das sind Ammenmärchen, mit denen vielleicht Kinder erschreckt werden können. Aber jeder vernünftige Mensch weiß, dass Tote nicht zurückkommen können, weil es den Menschen nach dem Tod nicht mehr gibt.“
Der Baron wurde langsam unruhig und wippte auf seinen Zehenspitzen. Sobald der König ihn zum Sprechen aufforderte, platzte er heraus: „Das sehe ich ganz anders. Der Mensch besteht nicht nur aus einem Körper, sondern er hat auch eine Seele.“
„Das ist Unsinn“, fuhr der jüngste Berater dazwischen und der König schaute ihn strafend an. Er verneigte sich tief. „Ich bitte um Entschuldigung“, murmelte er.
Der König nickte dem Baron zu und dieser fuhr fort: „Der Körper eines Menschen wird geboren. Er wächst heran, wird alt, stirbt und zerfällt. Aber die Seele des Menschen ist unsterblich. Wird ein Mensch geboren, nimmt eine Seele in ihm Wohnung, und wenn er stirbt, verlässt sie den Leib wieder.“
„Und wandert in einen neuen Körper“, spöttelte der jüngste Berater, aber der Baron ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
„Wir wissen es nicht. Vieleicht wandert sie in einen neuen Körper, aber nur wenige Menschen behaupten, sich an ein früheres Leben zu erinnern. Auch scheinen besonders veranlagte Menschen mit den Seelen Verstorbener sprechen zu können. Aber dass Seelen als Gespenster herumspuken, halte ich für unwahrscheinlich, doch wenn ein Mensch gewaltsam sein Leben verliert, kann es sein, dass seine Seele zwischen den Welten gefangen ist.“
„In welche Welt geht denn die Seele?“, fragte nun der König.
Die Menschen haben diesen Orten verschiedene Namen gegeben. Die Griechen etwa haben viele Sagen über den Hades und das Elysium. Jedenfalls existierten nach ihrer Meinung dort nur noch Schatten, im Elysium oft ohne Erinnerung und in ewiger Glückseligkeit.“
Der König sann eine Zeitlang nach, zuckte dann mit den Achseln und wandte sich an seinen ältesten Berater: „Und, was meint Ihr, Herr Graf?“
„Ich knüpfe an meinen verehrten Kollegen an. Die Menschen erleiden Krankheiten, Kummer und Schmerzen und viele wünschen sich deshalb ein Leben in ewiger Glückseligkeit. Aber kann dieser Wunsch erfüllt werden? Ich sage, der Mensch ist von Gott geschaffen, mit Leib, Seele und Geist. Dieser irdische Mensch ist unvollkommen, aber nach seinem Tode wird alles Irdische von ihm abfallen und dann bleibt ein himmlischer Mensch. Der wird bei Gott sein und dort wird ewige Freude sein. Das ist jetzt sehr knapp gefasst und ich müsste meine Auffassung noch viel weiter erläutern.“
„Ihr sagt, der Mensch ist nach seinem Tod bei Gott. Könnte er sich von dort mit den Menschen auf der Erde in Verbindung setzen?“
„Ich meine, die Frage sollte eher lauten: Möchte er das? Ich stelle mir vor, der Mensch erkennt und begreift nach dem Tod vieles, was er bis dahin nur geahnt und vielleicht auch gehofft hat. Einem Menschen im Himmel wird das irdische Leben aller Wesen in allen ihren Verbindungen und Zusammenhängen deutlich. Er sieht jetzt, dass die Menschen auf der Erde nicht einfach Einzelwesen sind, sondern mit allem Leben auf der Erde wie in einem weltumspannenden Netz verbunden sind. Mir scheint, die Menschen im Himmel können erkennen, dass ein Besuch bei ihren Liebsten auf der Erde wenig helfen würde. Aber ich kenne auch Berichte über Begegnungen mit Verstorbenen im Traum oder in stillen Momenten. Es gibt auch einige Menschen auf der Erde, die geübt sind, von sich aus dem Himmel nahe zu kommen. Aber dieser Weg ist gefahrvoll. Alles Irdische und Unvollkommene verbrennt, wenn es den Himmeln zu nahe kommt. Kein Mensch kann sich dem Ewigen nahen, wie es schon in der Bibel steht. Dennoch besteht zwischen den beiden Welten keine undurchdringliche Mauer. Denken Sie nur an die himmlischen Boten, die auf Erden unterwegs sind, den Menschen beistehen, sie trösten und ihnen Botschaften ihres Schöpfers überbringen. Leider haben wir es seit langen Zeiten verlernt, Engel wahrzunehmen und ihre Aufträge ernst zu nehmen.“
„Also sind Begegnungen mit Engeln etwas Gutes?“
„Sicher, auf jeden Fall.“
„Nun, dann werden wir die Trauer ablegen und miteinander feiern.“ Der König erhob sich von seinem Thron und schritt lächelnd aus dem Saal.

 
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Hallo jobär,

interessantes Gespräch zwischen den Ratebern und ihrem Chef an dessen Jubeltag, der aber durch den Tod eines geliebten Menschen zum Bedenktag gerät.

Da wird quasi das Raum-Zeit-Problem problematisiert, dem das Leib-Seele Problem ähnelt in der Frage, ob es "die" Zeit auch ohne Raum gebe, wobei der Glaube (korrekt, wie der Volksmund so sagt, nicht wissen, aber mit Gottvertrauen gesegnet) Lösungen anbietet.

So mein erster Eindruck, und wenn ich schon mal vorbei schau, dann auch richtig

Vor dem Schloss feierte sein Volk ein ausgelassenes Fest, ...
Hm, das Possessivpronomen ist nicht falsch, führt aber bis in Urzeiten zurück - wie etwa zu den Merowingern, die edelste (= adelige) Familie eines Bauernvolkes. Immer, wenn ein neuer König kam (immer die Söhne des vorherigen, womit die Teilung des Reiches bis runter zum Blumentopf eigentlich vorherbestimmt war, gäbe es da nicht ungezählte Gemetzel innerhalb der eigenen Sippe, deren literarischer Ausdruck in den Siegfried-Sagen - nebst dem Märchen um den Drachenfels - verewigt wurden - in die auch schon mal die Teilreiche mit der jeweiligen bäuerlichen Bevölkerung einbezogen wurden).

Der neue König setzte sich nun nicht zur Vorstellungsrunde in seinem Eigentum, dem (Teil)Reich aufs Pferd, sondern auf den Ochsenkarren, weil Merowech, Stammvater, der lockeren Sippschaft, von einem Meeresungeheuer gezeugt wurde, das im Stier - der stand dann für die Manneskraft - sein Symbol fand. Sollte Merowechs Mutter so locker gewesen sein, wie ihr Göttergatte?)

Und aus der Erzählung erkenne ich: Der König kann kein fränkischer kuning sein!

Der Artikel, so meine ich, sollte dem Volke genügen ...

„Euer Hof wartet auf den Beginn des Geburtstagsmahles. Dürfen wir euch bitten?“
Besser Höflichkeitsform der Personalpronomen Wir und Euch, schließlich ist die Form der Ansprache an den (Adels)Höfen entstanden.

Hier bissken Flüchtigkeit

„Selbstverständlich, [E]ure Majestät.“ A[l]le drei Herren verneigten sich ehrfurchtsvoll.
und hier zwo Kommas
Wird ein Mensch geboren, nimmt eine Seele in ihm Wohnung[,] und wenn er stirbt[,] verlässt sie den Leib wieder.“
Und zu guter Letzt
... und wandte sich an seine[n] ältesten Berater:

Gern gelesen vom

Friedel,
der zu glauben meint, was Dich bewegt ...

 

Friedrichard

Lieber Friedel,

vielen Dank für deine Mühe, meinen Text ausserhalb der Challenge auch noch zu lesen und zu kommentieren. Die Fehler habe ich - bis auf einen - ausgemerzt. Aber mit dem Geschichtenanfang habe ich lange herumgegrübelt und so gefällt er mir besser - warum auch immer.

Die Geschichte war schon in Arbeit, als das neue Bild der Wissenschaften über Zeit und Ewigkeit erschien, aber die Frage der Dimensionen (und warum soll es nur vier geben?) ist ja immer gegenwärtig.

Liebe Grüße

Jobär

 
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Lieber Jobär!

Ein ruhig erzähltes Gespräch, in dem über die beiden 'Themen überhaupt', Liebe und Tod, und vor allem über den Tod, nachgedacht wird. Ein wirkliches Märchen ist es ja nicht, es fehlen die typische Form und der übliche Ablauf, aber dein Setting erlaubt, zumindest empfinde ich das so, die Konzentration auf den Inhalt des Gesagten. Tja, wie es wohl wirklich ist? Was verbindet uns spürbar mit den Vorangegangenen? Wohin verschlägt es uns selbst eines Tages? Da müssen wir wohl geduldig warten bis zum (vielleicht) letzten Abenteuer, dem Sterben. Bis dahin bleiben Ahnungen, Befürchtungen, Hoffnungen.Ich selbst vermute, es gibt noch was. Allerdings (obwohl religiös) habe ich Hemmungen, dieses Was näher bestimmen zu wollen und auch den Eindruck, es nicht zu können. Das haben Andere, die es womöglich ebenso wenig gekonnt haben, schon getan und auf diese Weise Dogmen erfunden. Vielleicht interessiert dich dazu folgender Link? https://www.welt.de/vermischtes/art...rende-Nahtoderfahrung-eines-Hirnexperten.html
Zu deinem Text direkt:

Jeder Mensch wird geboren. Vor seiner Geburt gibt es ihn nicht.
Du meinst vielleicht 'vor seiner Zeugung'? Denn sicher sind wir irgendwann bei unserer Anreise im Bauch der Mutter schon existent, wenn vielleicht auch noch nicht gleich zu Beginn.
Das Ende kommt mir zu plötzlich und glatt (auch wenn das wieder zu einem Märchen passt :-), denn die Näheempfindung zu seiner Frau mit einer Engelsbegegnung gleichzusetzen und dann schlagartig getröstet zu sein - ich weiß nicht.
Habe deine Geschichte aber gern gelesen,
einen schönen Sonntag,

Eva

 

Hallo Eva,

vielen Dank für deine Kritik. Das Ende ist recht abrupt, da stimme ich dir zu. Ich wollte aber diese Frage - versorbene Ehefrau = Engel? - nicht weiter verfolgen.
Der Mensch existiert ab seiner Geburt: Das ist ein komplexes Thema. Es gibt schon im Alten Testament die Auffasung, dass der konrete Mensch schon im Mutterleib existiert. Es gibt aber ebenso die Meinung, dass der Mensch erst mit der Geburt ein Mensch ist (und deshalb z.B. Abtreibung erlaubt ist). Ich bin hier einfach vo dem Zeitrahmen, in dem die Geschichte spielt, ausgegangen, und dass die Frage der vorgeburtlichen Existenz damals keine Rolle spielte.

Liebe Grüße

Jobär

 

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