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Das Hier & Jetzt

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20.11.2016
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Das Hier & Jetzt

Als Luise am Sonntagmorgen nach einer unruhigen Nacht von dem Ticken ihrer Uhr geweckt wurde, traute sie ihren Augen nicht. Ihr Verlobter war weg. Ein Brief lag auf seiner Holzkommode, die sie damals in Holland zusammen gekauft hatten. Luise erinnerte sich gerne, wie sie zusammen etliche Einrichtungshäuser durchsucht hatten, um die perfekten Möbel für ihre erste gemeinsame Wohnung zu suchen. Dies war schon fast vier Jahre her. Vieles hatte sich geändert und Luise ahnte bereits, was auf sie zukam. Sie öffnete langsam den Brief. Ihr Herz raste und ihr Atem beschleunigte sich. Sie las den Brief und konnte es kaum fassen. Sätze wie „Man kann die Zeit nicht aufhalten“ oder „Es ist Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen und auf die rosige Zukunft zu schauen“ verwirrten sie. Luise fing an zu weinen. Er war der eine mit dem, sie sich ihre Zukunft ausgemalt hatte, mit ihm wollte sie alt werden und eines Tages sogar Kinder bekommen. Doch ihr wurde ziemlich schnell klar, dass sich an diesem Morgen alles geändert hatte. Nun war sie alleine. Diese Sekunden kamen ihr wie eine Ewigkeit vor und nachdem die ersten Tränen geflossen waren, rief sie ihre beste Freundin an. Mit Beatrice fühlte sich Luise geborgen. Sie kannte sie schon seit der Grundschule. Damals tröstete Beatrice die damals zehnjährige Luise auf dem Schulhof, als ihre Eltern sich scheiden ließen. Luise hatte schon immer extrem sensibel auf ihre Umwelt reagiert. Von verzweifelten Wutausbrüchen bis hin zu Selbstverletzung und Hasstiraden, Luise hatte schon alles durchlebt. Beatrice hingegen schien immer sehr ausgeglichen und selbstbewusst zu sein. Luise war ein wenig angespannt, als sie Beatrices Nummer wählte, denn sie sah ein, dass ihre Freundin es nicht schätzen könnte, um sechs Uhr Morgens von einer verheulten Stimme aus dem Schlaf gerissen zu werden. Sie überwand sich dennoch und weckte Beatrice. Die ausgebildete Psychologin erkannte sofort die schwierige Situation und reagierte verständnisvoll. Sie bat Luise, sie sofort zu besuchen. Luise war froh, machte sich fertig und schon nach einer knappen Stunde klopfte sie verzweifelt an Beatrices Tür.

Als Beatrice die Tür aufmachte, konnte Luise ihre Tränen nicht mehr unterdrücken, sie umarmte Beatrice, setzte sich auf ihre gemütliche weiße Couch und fing an zu erzählen. Sie berichtete über ihren Verlobten, seinen Abschiedsbrief und über ihre Zweifel:

„Ich verstehe es nicht. Ich kann nicht akzeptieren, dass diese Phase meines Lebens vergangen bleibt. Es ist unfair.“

Während Luise mit ihren Tränen kämpfte, versuchte Beatrice ihrer Freundin genau zu zuhören aber das ständige Ticken ihrer antiken Standuhr in ihrem Konsultationszimmer irritierte sie. Luise fuhr fort:

„Andere Menschen haben in diesem Moment die Zeit ihres Lebens. Nur mir ist dies nicht gegönnt. Ich hätte ihm einfach mehr Freiraum lassen sollen."

Beatrice versuchte zu trösten: „Menschen sind einer ständigen Wandlung und Entwicklung ausgesetzt, das bringt mit sich, dass sich Menschen manchmal auch auseinander leben können. Das kannst du nicht beeinflussen, Luise.”

Luise schien das überhaupt nicht weiterzuhelfen. Sie konnte ihren Kopf einfach nicht frei bekommen. Ihre Gedanken waren gefüllt mit positiven Erinnerungen, wie beispielsweise ihr Geburtstag vor zwei Jahren, den sie mit ihrem Verlobten in Paris verbracht hat. Damals haben sie beide Abends vor dem glänzenden Eiffelturm gesessen und haben stundenlang miteinander geredet. Sie erinnerte sich genau daran, wie die Sterne schimmerten, als ihr Verlobter leise zu ihr gesagt hat: „Ich wünschte, ich könnte die Zeit anhalten. Dieser Moment ist zu schön um wahr zu sein.“ Luise hatte nur einen Wunsch, sie wollte ihre Vergangenheit festhalten und sie nie wieder loslassen.

Während Beatrice auf die Standuhr starrte, kam ihr eine Frage im Sinn:
„Luise, was macht deiner Meinung nach Zeit aus?“

Luise holte tief Luft.

„Wie soll ich das beschreiben? Zeit ist „Gar nicht mal so leicht."

Luise brauchte eine kurze Denkpause.

„Ich glaube, dass Zeit einfach das Wahrnehmen von Veränderungen ist. Sie ist eigentlich nur in unserem Verstand und hilft uns täglich unsere Erlebnisse zu ordnen. Wie eine endlose Filmrolle.", stellte Luise klar.

Beatrice zeigte sich nachdenklich.
„Bist du dir sicher? Die Gegenwart ist wirklich. Nur sie ist real. Zukunft und Vergangenheit existieren in ihren ursprünglichen Formen nicht. Nur das Hier und Jetzt zählt. Alles Geschehende rollt aus endloser Zukunft in die unwiederbringliche Vergangenheit.“

Luise drückte ihre Fäuste zusammen.

„Wie meinst du das? Die Vergangenheit ist echt. Ich habe sie schließlich erlebt und habe Erinnerungen. Die Vergangenheit ist ein Teil der Zeit. Solange es die Zeit gibt, gibt es auch die Vergangenheit. Es ist keine Interpretation sondern ein Fakt. Das würde ja heißen, dass meine Vergangenheit mit meinem Verlobten nicht existiert!"

Beatrice überlegte einen kurzen Moment, während die Standuhr weiter tickte: „Das könnte man annehmen aber Erinnerungen sind nicht das Vergangene selbst, sondern das, was von ihnen jetzt noch in Form einer Erinnerung da ist. Erinnerungen sind eigentlich nur noch gegenwärtige Gedanken, mehr nicht. Wenn man dies berücksichtigt, kommt man auf die Theorie, dass Gegenwart und Zukunft nicht existieren, sondern reine Interpretation sind.“

Luise wusste genau auf was ihre beste Freundin hinaus wollte. An ihrem Ausdruck konnte Beatrice sofort erkennen, dass Luise wütend wurde. So wütend, dass ihre Hände anfingen zu zittern und sie nicht mehr still sitzen konnte.

„Ach das ist doch absoluter Quatsch! Er wird zurück kommen, er muss zurück kommen! Er hat das sicherlich nicht so gemeint und wird es sich anders überlegen. Ich werde es dir beweisen!"

Luise sprang sofort auf, nahm ihre braune Ledertasche und packte ihr Handy aus: „Keine Vergangenheit? Das ist doch Unsinn! Er wird zurück kommen und dafür werde ich persönlich sorgen. Du wirst schon sehen!"

Beatrice sah erschrocken auf Luise und wusste nicht, was sie unternehmen sollte. Luise wählte die Nummer ihres Verlobten. Es flossen ein paar Tränen und trotzdem hatte sie ein leichtes unglaubwürdiges Lachen im Gesicht. Sie drückte zitternd auf die Lautsprechertaste, damit Beatrice alles mithören konnte. Während sie wartete, breitete sich in ihr das Gefühl aus, nichts als eine endlose, von Rissen durchfurchte Eisfläche zu sein, und jedes Mal, wenn sie aus der Ferne das Rufsignal hörte, schien es ihr, als verästelten die Risse sich immer weiter, bis schließlich nichts von ihr übrig war als winzig kleine Eissplitter.

Eine Stimme ertönte: „Die von Ihnen gewählte Nummer ist leider nicht vergeben." Luise starrte mit aufgerissenen Augen auf das Mobiltelefon und vergewisserte sich, dass sie die richtige Nummer eingegeben hatte. Sie wusste genau, dass die Nummer korrekt war, aber sie versuchte es nochmal.

Ihre Fassade zerbrach, sie war nicht mehr in der Lage Beatrice irgendetwas vorzuspielen. Beatrice hatte Luise selten so zerbrochen und aggressiv gesehen. Ein erneutes Mal erklang die Stimme: „Die von Ihnen gewählte Nummer ist leider nicht vergeben."

Luise explodierte förmlich und warf ihr Mobiltelefon mit voller Wucht gegen die nervig tickende Standuhr. Beatrice konnte es nicht mehr mit ansehen und half ihr auf die Couch. Luise fühlte sich, als hätte sie sich die ganze Zeit an einem reißenden Seil festgehalten, das gerade zerrissen war. Nun lag sie innerlich am Boden und niemand konnte ihr helfen. „Es ist vorbei, Luise. Nur das Hier und Jetzt zählt, mehr nicht", flüsterte Beatrice.

 

Hallo Ben!

Willkommen bei den Wortkriegern.

Vor einer Woche schon hast du deine erste Geschichte hier gepostet und jetzt endlich bekommst du einen Kommentar. (Normalerweise geht das hier mit der Kommentierung schneller, aber im Moment läuft gerade eine Challenge und da haben viele der Wortkrieger Scheuklappen auf. Übrigens, wenn du hier nicht nur einen Text postest, sondern dich auch sonst ein wenig im Forum beteiligst, also Texte anderer liest und kommentierst, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass auch jemand dich und deinen Text bemerkt.)
Aber jetzt endlich zu deinem Erstlingswerk:

Erstmal rein zur Optik: Texte lassen sich leichter lesen, wenn der Autor keine Textblöcke postet. Setze doch ein paar Zeilenumbrüche mehr, im Dialog immer, wenn der Sprecher wechselt, und sonst da, wo es inhaltlich sinnvoll erscheint. Das lockert deinen Text schön auf.

Dann sieh dir mal den Gebrauch der Zeiten an. Deine Geschichte erzählst du in der Vergangenheit, also musst du, wenn du Rückblicke machst, in die Vorvergangenheit. Z.B. Hier: "Ihr Verlobter mied ihre Nähe und es gab oft Streit." Da er ja bereits gegangen ist, muss das Vorvergangenheit sein.

Der Spannnungsaufbau ist gut. Der Verlobte ist abgehauen. Der Leser möchte erfahren, wie Luise damit umgeht.

Zu Beatrice: Sie soll eine ausgebildete Psychologin sein, aber sie redet, als wäre sie aus einer Frauenzeitschrift entsprungen. Das ist nicht gut, weil es der Glaubwürdigkeit deiner Personen und damit der Geschichte schadet. Lass Beatrice doch einfach Freundin sein, ohne Berufsangabe.

Zu dem philosophischen Asdpekt sage ich nichts, weil mir das nicht liegt. Aber vielleicht werden ja jetzt auch noch andere was zu deinem Text sagen, nachdem ich ihn mit meinem Komm erstmal wieder an die Spitze der ersten KG-Seite gezogen habe.

Grüße,
Chris

 

Danke für deine Ratschäge. Habe versucht das ganze bestmöglich umzusetzen.

 

Stell dir vor, Ben, du kochst ein Abendessen.

Als Vorspeise servierst du feinstes Carpaccio mit richtig schön aromatischem Parmesan. In kaltgeschwenktem Olivenöl und Balsamico-Essig aus Modena. Begleitet wird dies von einem Glas gekühltem Grauburgunder Weißwein.

Danach gibt es Filet mignon, zart rosa in der Mitte und hellbraun an der Kruste. Mit in irischer Butter geschwenkten Kartoffelröschen und in Honig glasierten Pariser Karotten. Dazu ein Gläschen Mouton Cadet aus der Kellerei des Phillipe Baron de Rothschild.

Das Desert ist bodenständig rustikal. Heißer Sauerkirschstrudel in handgezogenem Blätterteig mit gerösteten Wallnüssen und einem halbtrockenen Sherry als Gegenpol zum süßen Aroma des Strudels.

So ... und nachdem du also den ganzen Tag in der Küche gestanden bist, dir Mühe und Arbeit mit dem Essen gemacht hast, feine Gläser, eine weiße Spitzendecke auf dem Tisch ausgebreitet hast und sogar noch ein paar Kerzen anzünden wolltest, kommt dein Gast, setzt sich wortlos an den Tisch, fängt an zu schlingen und sagt ganz beiläufig zu dir: "Schmeckt ganz ok."

Vielleicht fragst du dich, warum ich diesen ganzen Senf hier schreibe. Nun, dann sieh dir mal den Kommentar von Chris an und dann deine "Antwort". Noch Fragen? Und dabei war Chris Kommentar jetzt noch nicht mal vergleichsweise ein so exorbitantes Abendessen.

Denk mal drüber nach

 

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