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Von stillen Beobachtern und großen Helden

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06.04.2013
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Von stillen Beobachtern und großen Helden

Der schrille, die Nacht Dublins durchdringender Klang des schwarzen Weckers (Ein Geschenk von Pa zu seiner Konfirmation mit 14) weckte Jack um 5 Uhr morgens in der Frühe. Das Klingeln erinnerte ihn daran, dass er einen weiteren Tag in einer der „Richards und Sohn“ Fabriken, dem renommiertesten Waffenunternehmen Irlands (englischen Ursprungs!) und treuestem Versorger der Briten in ihrem edlen und mutigen Kampf gegen die Deutschen auf dem Kontinent, irgendwie überleben musste. Er schaltete den Wecker aus, hoffend, dass Martha, Paul, oder Ma nicht wachgeworden waren und stieg vorsichtig über seine Geschwister, die auf ihren verdreckten und zerschlissenen Matratzen auf dem Boden lagen und tief und fest schliefen, hin zu dem Stuhl, auf dem er seine Arbeitskleidung am vorherigen Tag hingelegt hatte, seine dunkelgraue Schiebermütze legte er steht´s auf sein Hemd. Pa legte immer seine Mütze auf die Lehne, sodass es aussah, als würde der Stuhl eine Mütze tragen, er nahm dann auch noch den Stuhl, bewegte ihn ein wenig und sagte in verstellter, tiefer Stimme: „Heute Abend will ich keine Holzwürmer in meiner Suppe haben, Liebling.“ Wie oft lachte er sich damals darüber kaputt und sein Vater lachte mit ihm und hob ihn dann hoch und kuschelte mit ihm. Er drückte sein Gesicht an seine Wange und spürte dann seine Bartstoppeln. „Bekomme ich auch mal sowas, wenn ich groß bin?“, fragte er ihn dann stets und sein Vater antwortete: „Na klar, jeder Mann muss sich rasieren, ich sag dir Jack, die Mädchen werden dich dann alle küssen wollen“! „Ihh, aber dann hab ich doch Lippenstift auf der Backe“, sagte er, das Gesicht verziehend und sich wundernd, warum sein Vater laut auflachen musste.


An diese Dinge dachte Jack, während er aus einem der drei für den Tag vorgesehenen Wassereimer mit der Hand rausschöpfte und sich das Gesicht wusch, bevor er sich das dünne Hemd überzog, sich seine Mütze aufsetzte, seine Tasche nahm und leise die Tür hinter sich zuzog, er schulterte seine Tasche, während er die Treppe des verfallenen Hauses runterging bis zur Haustür, vorbei an den Türen der Wohnungen der Familien, denen es nicht besser ging als ihm selber. Die morgendliche kalte Luft umarmte ihn als zynische Begrüßung, als er begann, die Straße zur Fabrik hoch zu laufen, vorbei an den engen Reihenhäusern, dicht zusammengedrängt wie die Sardinen mit teils beleuchteten Fenstern, die wie Augen in der Finsternis wirkten, und vorbei an den „Nachrichten zum Mitnehmen“. Es konnte nie geklärt werden, wer hinter dem Nachrichten zum Mitnehmen-Prinzip steckte, doch es war extrem praktisch. Es bestand aus einem durch zwei Pfosten gestützten Holzbalken, an dem eine mittelgroße Schiefertafel befestigt worden war. Eine kleine Lampe, die auf der Spitze befestigt war, machte das Geschriebene sichtbar. Irgendjemand schrieb für die vorbeigehenden Arbeiter, die es sich nicht leisten konnten, regelmäßig eine Zeitung zu kaufen, auf diese Tafel die wichtigsten Neuigkeiten des Tages und wischte sie später wieder weg, um am nächsten Tag Platz für das nächste Ereignis zu haben. Obgleich es toll war, dass jemand so etwas machte, etwas Interessantes fand sich dort nur selten zu lesen. Jack warf einen kurzen Blick auf die Tafel, wieder nichts. „Nach dem Beschießen des britischen Sussex Schiffes im März dieses Jahres entscheidet sich die deutsche Marine gegen einen intensiver geführten U-Boot Krieg. Spionen zufolge tritt deutscher Marinechef Tirpitz deswegen zurück.“ Super, wenn interessiert das? fragte sich Jack in stummer Wut, die Tafel begutachtend. Wo steht, dass gestern sicher wieder Tausende von Männern irgendwo in Frankreich oder sonst wo ins Gras gebissen haben, so wie mein Vater vor 2 Jahren? Wo steht, dass überall im Königreich für den Krieg gerüstet wird auf dem Rücken von Leuten wie mir, Paul, Martha und Ma´? Wo steht, dass Irland ausgepresst wird wie eine Zitrone, um einen Krieg zu führen, den sie nie wollten, nur, damit Great Britain nicht seinen Stolz verliert? Wo, wo wird sowas geschrieben? Nein, stattdessen sieht man nur die Siegesmeldungen über geglückte Vorstöße „Im Namen der Gerechtigkeit“. Das ich nicht lache! Wir werden im eigenen Land unterdrückt, wie Dreck behandelt und ausgebeutet, so viel zum Thema Gerechtigkeit oder Nächstenliebe! Jack´s Lippe bebte vor Wut, in letzter Sekunde riss er sich zusammen und marschierte weiter seinen Arbeitsweg entlang, obwohl er am liebsten ein Loch in das Brett geschlagen hätte. Die Richards und Sohn Fabrik mit ihren hohen Backsteinmauern und in den Himmel ragenden Schornsteinen wirkte wie ein Gefängnis.

Richards Jr. War mit Abstand die fetteste Person, die auf Irlands Wiesen rumwackelte. Vor allem in so einem entbehrungsreichen Krieg, aber solche Probleme hatte er ja nicht, sein grenzdebiler Vater, der bald in den Ruhestand gehen sollte, sorgte ja dafür, dass es ihm an nichts fehlte. Er trug stets einen schwarzen, wenn auch nicht zu hohen Zylinderhut, welche vor 70 Jahren sicher einmal modern war. Seine dicken, roten Backen und ein braunes Muttermal wurden durch zwei Koteletten festgehalten, seine braunen Augen wirkten stets, als seien sie geschlossen, da er immer das Gesicht zusammenzog, wenn er einen Menschen unterer Klasse ansah (Zum Beispiel Jack und das oft genug!) Er war 21 und wog mindestens 120 Kilogramm, Jack hörte oft genug, wie sich die Älteren Fabrikjungs nach der Arbeit fragten, wie der Typ es schaffe, sich die Klöten zu waschen bei all dem Fett. Die Vorstellung darüber ließ Jack oft seinen Hunger vergessen. Relativ wach aufgrund des Ärgers, den er wegen der Nachrichten verspürte, setzte er sich an seinen gewohnten Arbeitsplatz und fing an, die für ihn immer hingelegten Metallteile zusammenzuschweißen, eine hell rötliche Markierung zeigte ihm, wo die Teile zusammengeschweißt werden mussten, die später einmal zu einer Pistole werden sollten. Dies würde er nun 12 Stunden lang machen, mit einer zehnminütigen Pause und für so wenig Geld, dass er die Summe fast schon als Grund ansah, dem fetten Richards einen Zahn auszuschlagen wegen so ´ner Unverschämtheit. Doch er brauchte das Geld, jeden Penny, damit er und seine Familie nicht endgültig zugrunde gingen. Zum Glück wäre morgen Sonntag und übermorgen Ostern, zwei Tage lang keine Arbeit und ein bisschen frohe Stimmung in der Stadt.


Jack schweißte mit dem Draht Stücke für Stücke zusammen, ohne groß nachzudenken, es war zur Routine geworden. Er hatte keine Handschuhe an, lediglich eine dünne Schutzbrille bot ihm irgendeine Prophylaxe vor möglichen Blessuren. Jack strengte sich extrem an, gegen den doch so starken Feind Schlaf anzukämpfen und lenkte sich ab, indem er wieder an Pa dachte. Er erinnerte sich an den letzten Tag, wo er ihn sah: Sie standen am Hafen, überall waren Frauen, die sich die Augen ausweinten, Kinder, die ein letztes Mal in den Armen ihres Vaters gehalten wurden, Soldaten, die sich mit Zigaretten ihre Angst vor dem Ungewissen wegrauchten und er, Jack, der neben Ma´ stand und hörte, wie sein Vater seiner Mutter beim Umarmen etwas ins Ohr flüsterte, er versuchte näherzugehen, um zu verstehen, was sie sagten, als er mit einem Ruck in die Realität zurückgeholt wurde. Er verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden, das Schweißteil jedoch verrutsche durch die Bewegung und streifte seinen nackten Arm. Jack spürte die Hitze und ein so starkes Brennen an der Stelle, dass er aufschrie, er konnte kaum Luft holen vor Schmerzen. Im Augenwinkel sah er, wie sich ihm eine Gestalt näherte, die fein geputzten Schuhe von Richards Jr. blickten ihn schadenfroh an. Der Fuß holte aus und trat ihn mit voller Wucht ins Gesicht, sodass er fast bewusstlos geworden wäre. Er schmeckte einen eisernen Geschmack im Mund, der Schlag lenkte ihn nur wenig von der schlimmeren Verletzung ab. Er krümmte sich und stöhnte. „Wir bezahlen dich nicht für´s dumm rumliegen, geschweige denn für Unsinn machen, Walsh! Na, hast du wieder zu lange im Pub gesessen, Ire, und bist deswegen eingepennt? Krank machen mich so faule Trunkenbolde wie du! Los, geh zum Fabrikdoc, in zehn Minuten bist du wieder da, oder du kannst dir ´ne neue Stelle suchen!“ Mit letzter Kraft schaffte Jack es aufzustehen, ein paar Fabrikjungs kamen ihm zu Hilfe und brachten ihn zum Fabrikarzt Mr. Gallagher, der band ihm eine Wärmeflasche gefüllt mit kaltem Wasser um und schickte ihn zurück auf seinen Arbeitsplatz. Jack hätte fast auf ihn gebrochen, am besten wäre es gewesen, wenn er es auf Richards Anzug getan hätte.


Das wenigen Geld, was Jack übrig blieb von seinem Hungerlohn, investierte er in ein, zwei Drinks bei Terry´s, dem Pub, in dem der soziale Stand einer Person bedeutungslos wurde. Hier saßen alle beieinander, tranken denselben selbstgebrannten Fusel und erzählten denselben Mist im Rausch. Außerdem arbeitete in der Kneipe die einzige Person, die Jack irgendwie als Freund bezeichnen konnte. „Das übliche, Jacky?“, fragte Joe mit seinem versucht hämischen Grinsen und der Zahnlücke an der rechten Seite. „Jup, gab Stress auf der Arbeit, kannste mir einen mehr ausgeben? Brauch was Starkes.“ „Ne Man, wenn mein Alter das erfährt, schlägt er mir noch ´nen Zahn aus, auch wenn ich´s gerne machen würde, was hast´n da alles gemacht?“, fragte er, Jack´s Gesicht und seinen Arm betrachtend. „Lange Geschichte, nicht so wichtig, machst du irgendwas an…“ Jack hörte auf zu reden, weil er hörte, wie hinter ihm eine Gruppe laut durcheinander sprach und sich stritt. Die wenigen Wortfetzen, die er raushören konnte, waren richtiger Zeitpunkt, genug Waffen und, was ihn neugierig machte, Revolution. „ Sag mal Joe, wer sind ´n die Leute da?“ „Ach, so ein paar kluge Köpfe. Kommen manchmal hier her, um was zu trinken und über ihre großartigen Ideen zu diskutieren. Mir doch egal, was die machen, solange die Kasse klingelt“, sagte Joe, ohne vom Glas wegzuschauen, dass er mit einem Lappen bearbeitete. Jack sah zu der Gruppe rüber, es waren relativ gut gepflegte Herren, sogar mit Krawatte und Jackett, die zahlreichen leeren Bier-und Schnapsgläser auf ihren Tisch bildeten einen großen Widerspruch zu ihrem intellektuellen Auftreten und ihrer Art, wie sie sich ausdrückten. Jack hörte ihnen heimlich zu. „Zum letzten Mal, Matt, wir können nicht einfach selbst das Zepter in die Hand nehmen, wir tun es so, wie die Chefs es uns sagen, basta. Und außerdem…“ Der Mann, der diesen gewissen Matt getadelt hatte, bemerkte, dass er von Jack beobachtet wurde und sah ihn an. Jack wurde rot und drehte sich schnell wieder zur Bar um. „Hey, Junge, dich scheint´s zu interessieren, was wir reden, komm doch rüber zu uns alten Käuzen, brauchen mal frischen Wind!“ Der Mann grinste ihn an. Jack zögerte, doch schließlich verließ er seinen Stammplatz und setzte sich zu den Herrn in die kleine Ecke.


Über ihnen war eine Union Jack an der Wand befestigt und die Männer blickten oftmals argwöhnisch und misstrauisch auf die Flagge, wie, als wenn sie sie beißen könnte. „Gentlemen, äh, ich will sie nicht belästigen, ich bin ein einfacher Junge, aber sie sprachen von einer Revolution und da war ich...“ „Gütiger Himmel, Gentlemen, haste das gehört, Jay?“, lachte einer der Männer auf „Sind hier doch nicht im Buckingham Palace!“, ergänzte der Herr, der Jack eingeladen hatte, den Witz und der offenbar „Jay“ hieß. Er wurde ernst und alle Männer mit ihm. „Ja, mein Junge, da hast du dich nicht verhört. Wir planen einen Aufstand, der, wenn alles gut läuft, in zwei Tagen, an Ostern, beginnt. Wir alle hier haben noch relativ Glück gehabt, wir wurden zwar nicht mit dem goldenen, aber zumindest mit dem bronzenen Löffel im Mund geboren.“ Jay hob seinen Mund zu einem Lächeln. „Eigentlich sollten du und deine Leute diesen Aufstand führen, weil ihr die wahren Opfer dieses verbrecherischen Regimes seid, dass Irland schon seit Hunderten von Jahren unterdrückt und ausbeutet. Wir fordern eine Unabhängigkeit vom englischen Königreich, ein eigener irischer Staat, ein schnellstmögliches Ende dieses wahnsinnigen Krieges, in den wir reingezogen wurden und Unterstützung und Hilfslieferungen von unserem Nachbar, es kann nicht sein, dass wir zu Beginn des 20. Jahrhunderets noch mitansehen müssen, wie Menschen auf offener Straße verhungern oder...“ Jay atmete tief ein und aus und fuhr leise fort. „…ihren Körper oder den ihrer Kinder für Geld verkaufen.“ Eine betretene Stille herrschte am Tisch, Jack jedoch war vollkommen gelöst und aufgeregt über diese Worte. Es gab Leute, die wie er dachten, Leute, die nicht auf ihn herabsahen sondern ihn als vollwertig betrachteten. „Hat eure Partei oder Organisation irgendeinen Namen?“ „Wir nennen uns irische republikanische Bruderschaft, kurz IRB. Wir haben Kontakte zu deutschen Waffenherstellern, sie unterstützen uns, denn unser Feind ist auch ihr Feind. Wir sind bis an die Zähne bewaffnet und am Tag der Auferstehung Jesu werden wir diesen Leuten da oben zeigen, dass wir uns nicht alles gefallen lassen. Kommst du mit?“ Jack zögerte, sagte aber dann zu, mit einer Bedingung: „Ich will nicht kämpfen oder in Gefahr gebracht werden, meine Familie braucht mich.“ „Dein Vater ist sicher stolz auf dich mein Junge“, sagte einer der Männer lächelnd. Als er jedoch sah, dass Jack auf den Tisch starrte und seufzte, blickte er beschämt zu Boden. „´Tschuldigung, war nicht so gemeint, wirklich nicht. Mein Beileid. Schrecklich, diese Kriegszeit, schrecklich.“ „Was er damit sagen will“, warf Jay ein, „ist, dass wir für deinen Schutz sorgen werden und dich zu nichts zwingen. Dein Handeln ist sehr erwachsen, außerdem bist du noch zu jung, es ist nicht so schlimm, wenn uns was geschieht, aber bei dir ist das was Anderes, wir sind schon…“ Die Tür des Terry´s ging auf und es wäre besser für Jack gewesen, wenn der Teufel höchstpersönlich reingekommen wäre als dieser Mann.

Richards Jr. sah sich prüfend in dem Pub um, als ob er erahnen oder riechen wollte, ob dieser Ort Seiner würdig war. Er erkannte wohl, dass dies der Fall war und setzte sich an die Bar, während er von den Männern am Tisch mit scharfen Blicken durchlöchert wurde. Jays Miene verfinsterte sich und er lehnte sich über den Tisch in Richards Richtung. „Sie einer an“, sagte er laut und mit messerscharfen Sarkasmus. „Der feine und redliche Mr. Richards Jr. der Sonstsovielte hat sich wohl entschieden, den besoffenen Iren hier durch seine Anwesenheit ein frühzeitiges Ostergeschenk zu überreichen. Und dazu hat er auch noch seine ganzen Freunde mitgebracht, die er hat!“ Richards drehte sich zu ihm um und sah ihn angewidert an. „Halt´s Maul, Ire, was ich heute trinke, kannst du dir nicht mal in einem Jahr leisten. Also halt die Klappe, sonst zeig ich dich an wegen Beleidigung höhergestellter Personen.“ „Gerne, dann zeig ich dich an wegen Beleidigung und ein paar Leute aus der schmutzigen Firma deines Daddys haben sicher auch was den Bullen zu erzählen hinsichtlich Körperverletzung bei der Arbeit. Und was das für ein Skandal wäre, wenn irgendjemand damit auch noch zur Presse gehen würde.“ „Du hast doch gar keine Ahnung, was du da vor dich hin faselst, Suffkopf!“ schnauzte Richards zurück. Er stand langsam vor seinem Stuhl auf und ging zu ihrem Tisch. „Meinst wohl, hier den Intellektuellen raushalten zu müssen. Klar, deine Freunde sind wahrscheinlich alle noch dümmer als du, dann kannst du mit deinem Halbwissen schön angeben. Wieso überrascht es mich nicht, dich bei Leuten wie denen hier zu sehen, Walsh?“ fügte er hinzu und betrachte Jack bösartig grinsend, während Jack tiefer in seinen Sitz rutschte. „Pass mal auf, du Hefekloß in Menschengestalt, wenn du meine Freunde noch ein weiteres Mal beleidigst, kannst du später all deine ausgeschlagenen Goldzähne vom Fußboden aufsammeln“, sagte plötzlich einer der Männer. Jay sah ihn an. „Matt, beruhig dich, der Typ ist es nicht wert…“, sagte er leise, doch Matt ignorierte ihn. „Und jetzt verpiss dich auf deinen Stuhl und trink dein Zeug, solange das Teil nicht unter dir einkracht.“ Richards lachte laut auf und erwiderte seine bösartigen Blicke mit ruhiger Kühnheit, ihm schien eine gute Bemerkung über Matt einzufallen, denn seine dunklen Augenbrauen zuckten kurz in die Höhe. „Wie amüsant, so etwas von einem Cullen zu hören“, sagte Richards, ihn kühl und zu gleich bösartig ansehend, „wie geht´s deinen Eltern? Haste Daddy im Keller eingesperrt, damit er nicht mehr an den Schnaps kommt? Und schenkst du deiner Mummy ´nen schönen Schal, damit sie, wenn sie am Bahnhof steht und auf Männer wartet, sich keine Erkältung holt?“ Er lachte laut und ging grinsend und kopfschüttelnd an seinen Platz zurück. Es herrschte dröhnende Stille am Tisch. Matt sah ins Nirgendwo, als er Jack, der neben ihm saß, fragte: „Junge, lässt du mich mal bitte durch?“ Jack wagte es nicht, ihm diesen Wunsch zu verweigern und stieg schnell auf. „Danke dir.“ Matt bewegte sich seelenruhig zur Bar, wo Richards seinen Drink mit langsamen Zügen genoss. „Hey!“ Richards drehte sich verwundert um. „Sag´s nochmal, ich hatte dich nicht verstanden. Was soll ich meiner Mutter kaufen?“ Matt richtete sich vor ihm auf, Jack traute seinen Augen nicht, träumte er? Richards sah sich hilfesuchend nach Joe um, doch der blickte fasziniert auf die interessante Darbietung, die ihm geboten wurde. „Los, ich will´s hören! Was soll ich ihr schenken?“ fragte Matt wütend. Richards schwieg und versuchte, Matts Blicken auszuweichen, doch Matt packte ihn an seinen Backen, richtete dessen Kopf auf und schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. „Verdammt, Matt, hör auf“ schrie Jay, ohne in das Geschehen einzugreifen und stützte die Hände in den Kopf. Jack hatte sich die Hand vor den Mund geworfen. Matt packte den am Boden liegenden Richards und schlug immer wieder auf ihn ein. „Du ekelhaftes fettes Schwein, frisst dich auf Kosten Anderer voll, behandelst Leute wie Dreck, wenn du ´ne Diät machst, gibt´s keinen Hunger mehr im Land!“ Jay war schließlich doch aufgesprungen und hielt ihn zurück, bevor Matt ihm einen letzten Tritt verpasste. Alle Blicke waren auf Richards gerichtet, der es schaffte, aufzustehen und so schnell wie möglich zur Tür zu humpeln. Als er weg war, wusste niemand, was man sagen sollte, nur Matt wusste anscheinend was zu tun war, denn er ging geradewegs zu der Union Jack Flagge, packte sie und riss sie entzwei. Anschließend warf er die Fetzen auf den Boden und trat zur Sicherheit nochmal nach. Er blickte in die entsetzte Runde. „Meine Herren, die Revolution hat begonnen!“


Es schien, als hätte sich die Luft über Nacht mit Zucker gefüllt, denn schon lange nicht mehr hatte Jack so viele glückliche Gesichter auf der Straße gesehen, alle Probleme, alles Elend war für nur einen Tag vergessen, die Auferstehung Jesu wurde von allen in vollen Zügen gefeiert, die Leute hatten sich herausgeputzt und stolzierten wie die Pfauen durch Dublin. Jack hätte nur zu gerne mitgefeiert, sich von der herrlichen Stimmung mitreißen und von seinem elenden Dasein fortreiben lassen. Dies war aber nicht möglich, wenn die ganze Zeit Jay an seinem Arm eingehakt war und er, wenn sie aneinander stießen, die harte Waffe in dessen Mantel spürte. „Oh Gott, geht´s dir gut, Jungchen? Du siehst aus, als hättest du dir was eingefangen!“ sagte eine Frau mittleren Alters plötzlich, auf Jack zugehend und über sein Haar streichelnd, sie trug ein helles weißes Kleid und hatte ihre langen blonden Haare zu einem Zopf zusammen gebunden. Geschmückt war sie mit einem Blumenkranz um den Kopf. „Alles in Ordnung, Ma´am!“ antwortete Jay für ihn. „Der arme Kerl ist nur nicht an so eine Menschenmasse gewöhnt. Frohe Ostern noch.“ Er hob höflich den Hut und die Frau blickte verlegen lächelnd zu Boden und ging weiter. „Hey Jack, wenn du´s nicht mehr aushältst, bring ich dich nach Hause, wirklich!“ „Nein, ich komm schon klar, ich will dabei sein, es betrifft ja mich am meisten, wie du gesagt hast, oder?“ Jay nickte abwesend, während er sie durchs Getümmel führte. „Also nochmal, was habt ihr genau vor?“ „ Pearse wird eine große Verkündigung abhalten vor dem Postamt und das neue, freie Irland verkünden, er, Connolly und Clarke wollen, dass unsere Armee das Gebäude einnimmt, um die Botschaft von der Revolution in die ganze Welt übermitteln zu können. Der Kampf, den wir heute führen werden, ist ein Kampf wie David gegen Goliath, doch wir sind optimistisch Ich sage dir, mein Junge, dieser Tag geht in die Geschichte ein!“ Jay´s Augen glitzerten vor Begeisterung und Elan und so toll das, was er ihm erzählte, auch klang, die Angst wurde nicht weniger dadurch. Er sah sich weiter die Leute an, die im Getümmel rumliefen. Die Männer hatten sich Krawatten umgebunden, die kleinen Jungs und Mädchen waren wie Puppen herausgeputzt wurden, wobei die Mädchen die schwere Last trugen: Mit ihren langen Kleidern stolperten sie durch die Gegend, wurden durch die Mutter wieder hochgerappelt und gescholten, dass das Kleid nicht dreckig werden durfte, wenn sie sich in der Kirche blicken lassen wollten. In den Auslagen der Geschäfte fanden sich riesige Schokoladeneier, die größer als Martha oder Paul waren und mit dem sie eine Woche lang satt werden konnten. Doch all der fröhliche Trubel, all die kleinen Sorgen der kleinen Leute ließ Jack eine Sache nicht vergessen: „Jay, was ist mit den Zivilisten? Werden die irgendwie in Gefahr gebracht?“ Jay seufzte tief ein und aus. „Wir haben keineswegs vor, dass Unschuldige irgendwelchen Gefahren ausgesetzt werden. Es hängt eher davon ab, wie die Regierung gegen uns vorgehen wird, verstehst du? Wenn es nach uns gehe, würde niemanden ein Haar gekrümmt werden heute, aber uns bleibt nichts anderes übrig, wir haben Großbritannien genug Zeit gelassen und oft genug gezeigt, was unsere Forderungen sind. Wir sind gezwungen, auf drastischerer Mittel zurückzugreifen. Ich würde gerne garantieren, dass heute niemand sterben wird, aber ich kann nicht. Gott möge uns alle beschützen.“ „Amen“, sagte Jack, ohne es als Witz zu meinen und hielt das Foto von Pa in seiner Hosentasche fest.


Sie bogen durch ein kleines Seitengässchen in die Sackville Street ein. Hier war der Trubel nicht so groß, dies wäre aber Jack lieber gewesen, denn plötzlich tauchte von links ein Trupp bewaffneter Männer auf, sie sahen nicht wie Soldaten aus, es waren normal gekleidete Menschen, einige trugen Hüte, andere nicht. Aus allen Schichten kamen diese Leute her, manche waren Männer von Jack´s Schlag, andere kamen anscheinend aus dem Milieu Jay´s. Mit strenger Miene blickten sie die Passanten an, die sie entsetzt anstarrten. Frauen drückten ihre Kinder an sich, die nicht begriffen, was gerade passierte und wer die Männer waren. Das war also die Armee, von der Jay, Matt und die Anderen gesprochen hatten? Das waren ganz gewöhnliche Schlucker, sicher mit Familie, denen man Waffen in die Hände gedrückt hatte, damit sie ihre Wut über die Briten auslassen konnten, das waren Leute, die keinerlei militärische Ausbildung hatten und wahrscheinlich keine Ahnung, auf was sie sich da einließen! Doch irgendeine Form von Angst konnte Jack keineswegs erkennen, die Männer hatten Gesichter, die keinerlei Emotion zeigten und geradewegs weiterliefen, die Sackville Street entlang, geradewegs zur Postzentrale der Stadt. Jack zupfte Jay am Ärmel: „Jay, das ist purer Selbstmord! Sieh dir die Kerle doch mal an, ein toter Soldat der Briten sind 20 Tote eurer Männer!“ Jay versuchte ihn streng anzustarren, atmete aber tief aus und seufzte. „Junge, wir hatten leider nicht das Glück, die besten Waffen, die stärksten Leute oder die größte Armee der Welt zu haben, aber wir haben etwas viel stärkeres: Unsere Idee. Und keine Waffe der Welt ist so gefährlich wie das Wort. Du wirst es jetzt noch sicher nicht verstehen, aber wir sind die Stärkeren und egal, was heute passiert: Wir werden siegen. Eine Niederlage kann das Feuer nicht mehr ausbremsen, was sich über Dublin, nein, über ganz Irland ausgebreitet hat. Heute verändert sich etwas auf dieser Insel, mein Sohn.“ Jack blickte in das Gesicht des Mannes, der diese Worte sprach. Jay´s Haare waren am Ansatz schon grau, in seinem Gesicht fanden sich die ersten Falten und seine braunen Augen zeigten, dass auch er Angst hatte. Angst vor dem Ungewissen, Angst davor, was jetzt passieren würde. Und mit dieser Angst war er nicht alleine.


Das Postamt wirkte wie ein griechischer Tempel, mit seinen großen Säulen, die das Portal schmückten. Doch das interessierte Jack in dieser Situation nur wenig. Jay holte einen abgenutzt wirkenden Revolver hervor, den Jack vorhin oft genug spürte, wie er an sein Bein schlug und entsicherte ihn mit einem Klacken. „Ihr habt doch nicht mehr alle Tassen im Schrank“, schrie eine Passantin den bewaffneten Männern entgegen, die sich vor dem Gebäude aufgestellt hatten und auf weitere Befehle warten. „ Wollt ihr die französische Revolution nachspielen, oder was? Ist das eure neue Bastille?“ „Ma´m, seien sie still und gehen sie weiter, hier wird´s gleich brenzlig!“ rief einer der „Soldaten“ der Frau entgegen, die sich betroffen an die Brust fasste und schnell weiterging. Vor den Säulen des Gebäudes stand ein gewisse Pearse, von dem Jay so viel erzählt hatte. Es war ein kleiner, in Anzug und Krawatte gekleideter Mann mit kurzen Haaren, der mit viel Elan von einem neuen Irland sprach, den verstorbenen Generationen und den irischen Männern und Frauen. Nur ein paar Passanten beobachteten staunend das Schauspiel, was ihnen geboten wurde, manche machten Witze über die Körpergröße des großen Redners, andere wiederrum gingen kopfschüttelnd weiter und murmelten etwas von Flausen im Kopf, großer Humbug und verspäteter Aprilscherz. Jack sah sich um und erblickte etwas, was er schon längst geahnt hatte: Eine lange Reihe Polizeiwägen mit dem britischen Wappen stand am Straßenende. Zahlreiche Polizisten, in brauner Uniform und geschulterten Gewehren, waren ausgestiegen und marschierten geordnet auf die Revolutionäre zu. Jack´s Herz setzte aus, er kippte fast um beim Anblick der gefährlichen Besucher, die immer näher kamen. Ganz voran Dublins Polizeichef Moran, mit seinem preußisch wirkenden Bart und dem britischen Flaggenemblem am Arm. Auch er war bewaffnet und anscheinend nicht zimperlich, diese Ausrüstung einzusetzen, da er sie fest umklammert vor sich trug. Jay fasste Jack am Arm. „Jack, hier trennen sich unsere Wege, ich will nicht, dass dir etwas passiert, deswegen: Geh jetzt nach Hause. Das, was hier jetzt passiert, sollte kein Mensch sehen, geschweige denn jemand in deinem Alter.“ Jack sah ihn betroffen an, doch Jay´s ernstes Gesicht duldete keine Wiederrede. „Pass auf dich auf, Jay.“ „Kümmere dich nicht um mich, Sohn, sondern um dich und deine Familie! Gott beschütze dich!“


Jack lief eilig an den Geschäften entlang, doch auch wenn er sich jetzt vor der sich anbahnenden Gefahr entfernen konnte, er wollte das sehen! Er wollte miterleben, was hier jetzt geschah! Deswegen ging er heimlich in eine Bäckerei, um von dort aus das Geschehen zu beobachten, hoffen, dass Jay es nicht gesehen hatte. Die Angestellten, die am Schaufenster standen mit Blick auf das Postamt, beachteten ihn kaum und Jack stellte sich neben sie. Die Tür stand offen, so konnten sie die Leute sprechen hören. Die Soldaten und die Aufständischen standen nun wenige Meter voneinander und als die Soldaten mit Moran synchron die Waffen erhoben, tat es die andere Seite ihnen gleich. Moran blickte den bunten, bewaffneten Haufen angewidert an. „Waffen fallen lassen, sofort!“, brüllte Moran die Gruppe an. Sein Unterkiefer bebte nach diesem Kraftakt. „Ziehen sie und ihre Männer sich zurück und übergeben sie uns das Gebäude, dann benutzen wir die Waffen nicht, Moran!“, rief einer der Männer. „Ich sagte Waffen fallen lassen, oder wir schießen!“, brüllte Moran zurück. Es herrschte Stille, beide Seiten beschossen sich gegenseitig mit feindseligen Blicken. Jack merkte nach einer Minute, dass er nicht geatmet hatte, den Bäckergesellen ging es wohl so ähnlich, sie wirkten totbleich. Dann, plötzlich geschah etwas Sonderbares: Ein fein wirkender älterer Herr mit einem sehr zerbeulten Hut ging in den Leerraum, der zwischen der Polizei und den Revoluzzern war und hob beruhigend die Hände in beide Richtungen. „Gentlemen, wir können uns sicher eine Menge unnötiges Blutvergießen sparen, wenn wir jetzt alle die Waffen niederlegen. Ich bin dafür, dass sie ihre Unstimmigkeiten an einem Tisch und nicht mit einer Waffe klären. Sie sollten…“ Ein Schuss durchbrach die Stille, der Herr war getroffen worden und stürzte zu Boden, es war unklar, von wem er beschossen worden war, denn beide Seiten wichen erschrocken zurück. Jack und die Anderen im Laden fielen hin und hoben schützend ihre Hände, er konnte im Augenwinkel erkennen, dass es die Passanten, die das Schauspiel beobachtet hatten, auch von den Füßen gerissen hatte, bevor manche sich aufrappelten und beinahe im Knien wegstürzten, ihre Liebsten mit sich herziehend. Beide Seiten eröffneten nach dem Schock mit ungebändigter Wut das Feuer. Unzählige Schussgeräusche peitschten durch die Luft, Jack sah nicht auf, sondern lag auf dem Boden, zu groß war die Gefahr, von einem Schuss getroffen zu werden. Wie um diese Gefahr zu bestätigen, zerbrach eine Kugel mit lautem Splittern das Schaufenster und schlug mit einem Knall an der Wand ein, sämtliche Personen im Raum schrien sich dabei erschrocken die Seele aus dem Leib. „Heilige Maria von der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Frauen…“, hörte Jack den Bäckerlehrling flüstern. Was für einen felsenfesten Glauben der Kerl in so einem Moment hatte!


Wie lange hatte er gelegen und gehofft, dass sein Schutzengel ihn vor den tödlichen Schüssen bewahren würde? Eine Stunde? Zwei? Das, was er vor ungefähr einer halben Stunde gehört hatte, ließ ihn vermuten, dass die Aufständischen Erfolg gehabt hatten. „Wir gehen jetzt rein, Bill, deine Männer bewachen den Eingang, sobald ihr irgendeinen Verdacht habt, kommt zu uns rein und benachrichtigt uns!“ Vorsichtig, wie als wenn er zum ersten Mal seine Beine benutzen würde, stand Jack, mit den Händen am Kopf, auf und sah sich vorsichtig im Laden um. Die Glasscherben lagen überall, sogar auf seiner Kleidung waren leichte Splitter, wie er bemerkte. Über den ganzen Boden waren sie verstreut, die Angestellten kauerten in einer Ecke und sahen vorsichtig zu Jack hoch. „Keine Angst, ich glaube, es hat aufgehört“ sagte er möglichst gefasst, um sie und sich selbst zu beruhigen. „Warum tun diese Leute das, was hat man ihnen getan?“, fragte eine Verkäuferin mit bebender Stimme. Sie hatte gut Reden, ihrem Umfang nach zu urteilen ging es ihr wohl nicht schlecht. Doch er hatte keinen Elan, sich darüber zu ärgern, denn ihm fiel ein Mantel auf, der über dem zerstörten Schaufenster ins Geschäft hineinragte. Moment, es war auch noch eine Mütze und… Jack schrie laut auf. Es war ein Körper! Er rannte zu dem Mann und hob ihn in die Bäckerei hinein, ein großer Fehler, es war ein widerwärtiger Anblick: Der Unterkiefer war nicht mehr vorhanden, eine dunkelrote Stelle war lediglich dort, eine blutige Wunde klaffte den Bauch der Person auf. Er war tot, auf jeden Fall. Jack übergab sich auf den Boden und die Angestellten schrien, als auch sie mit dem Anblick der Leiche konfrontiert wurden. Jack torkelte langsam hinaus und hielt sich an einer zerschossenen Laterne fest. Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. In fast jedem Haus waren Schusslöcher, die Überreste zerstörter Wägen und Karren lagen überall rum, es waren wenige Leute da, Freiwillige hoben gemeinsam Leichen hoch und legten sie in einer Reihe auf mit Blut befleckten weißen Tüchern, die auf den Gehwegen und auf dem Vorplatz lagen. Jack konnte dabei einfach nicht mitmachen, er musste sich erst einmal sammeln. Was war mit Jay und was mit seiner Familie? War ihnen etwas passiert? Er musste nachhause, aber wie, in dieser Apokalypse? Beinahe hätte er wieder gebrochen. Den Eingang vom Postamt, das auch einiges abbekommen hatte, wie man an einigen schwarzen Flecken an der Fassade erkennen konnte, wurde von anscheinend Fabrikarbeitern mit Gewehren bewacht, sie trugen Schiebermützen wie Jack. Doch plötzlich geschah etwas Sonderbares. Die Union Jack, die am Fahnenmast befestigt war und sich im Wind kräuselte, wurde anscheinend von Jemanden gelöst, denn sie sank langsam, aber sicher, bevor sie hinter den Mauern des Gebäudes verschwand. Danach geschah für kurze Zeit nichts, bis sich plötzlich eine neue Flagge ihren Weg nach oben bahnte, zielstrebig, bis sie die Spitze erreicht hatte. Jack erblickte die Fahne des neuen Irlands. In dunkelgrünen, weißen und orangenen Farben schwebte sie stolz und würdevoll über den verdutzten und verängstigten Passanten, die das Geschehen beobachteten. Jack starrte lange zu der Flagge rauf. Er wusste nicht viel über das Leben, über Politik oder irgendetwas in der Art, aber in diesem Moment, diesen einen Moment, fühlte er wirklich, dass er ein Ire war. Erstmals in seinem Leben fühlte er sich frei. Wirklich frei.


Jack war seit 5 Tagen nicht mehr in der Stadt gewesen. Während der Krieg in der Stadt wütete, hatten sie sich in ihrem Haus verbarrikadiert, mit wenig Essen und Trinken abgewartet und gehofft, dass ihnen nichts geschah. Jack erhielt, als er am Montag Zuhause ankam, eine feste Ohrfeige von seiner Mutter, die den ganzen Tag in Sorge gewesen war, was passiert war, bevor sie und Jack mit ihr anfing zu weinen und die Kinder mit ihnen. Jetzt standen alle neben ihm und beobachteten den Zug durch die Straßen, die Aufständischen, die von den Passanten nun verhöhnt und verspottet wurde, für ihre kläglich gescheiterte Revolution. Manche Beobachter wiederrum gehörten zum härteren Kaliber und beschimpften die traurigen Gestalten, die von britischen Soldaten begleitet wurden, aufs Übelste. „Man sollte euch alle aufhängen wie eure Anführer, ekelhaftes Pack!“ Jack ballte die Hand zur Faust, ließ sie aber wieder locker, als er Paul´s Hand in seiner spürte. Er drückte den kleinen Bruder an sich. Da erblickte er etwas, was ihn aufheulen ließen, sodass seine Familie ihn erschrocken ansah. „Ihr verdammten Schweine!“, schrie er. Zwei Gefangene trugen einen Sarg, der geöffnet worden war. Man hatte Jay eine neue Mütze gegeben für seine Reise in die Ewigkeit, friedlich lag er da, fern von all dem Leid, fern von aller Sorge. Das Feuer, von dem er ihm erzählt hatte, war erloschen.

 

Hallo ihr Schrifsteller und Schriftstellerinnen!

Diese etwas längere "Kurz"geschichte beschäftigt sich mit dem irischen Osteraufstand 1916, dem ich, 100 Jahre nach diesem Ereignis, durch diese Geschichte gedenken will. Die Geschichte war eine große Herausforderung für mich, vor allem eine Menge Recherchearbeit, umso mehr freue ich mich auf Kritik, vielleicht auch Gute, aber hierbei bin ich offen für alles ;)

Ich würde euch bitten, der Story eine Chance zu geben und sie ganz durchzulesen! :)

LG Niklas

 

Hallo Niklas!

Es ist nett, dass du die Leser bittest, deine Geschichte ganz durchzulesen, aber eigentlich sollte doch deine Geschichte selbst die Leser überzeugen, sie lesen zu wollen, findest du nicht?

Dazu gebe ich dir ein paar Tipps.

Deine Geschichte ist lang, das ist okay.
Du postest deine Geschichte in mehreren großen Textblöcken. Das macht das Lesen schon unnötig schwierig. Baue unbedingt Zeilenumbrüche ein. Im Dialog immer, wenn der Sprecher wechselt und auch sonst an Stellen, wo es eben sinnvoll ist. Das lockert den Text schon mal optisch auf und der Leser verliert weniger leicht den Faden.

Zum Textanfang: Der erste Satz sollte immer das Interesse des Lesers wecken, am besten Spannung aufbauen; der zweite und alle folgenden sollten nicht schwächer werden.

Probleme deines ersten Satzes:
"Der schrille, die Nacht Dublins durchdringender Klang des schwarzen, wohlgeformten Weckers (Ein Geschenk von Pa zu seiner Konfirmation mit 14) weckte Jack um 5 Uhr morgens in der Frühe, um ihn zu erinnern, dass er einen weiteren Tag in einer der „Richards und Sohn“ Fabriken, dem renommiertesten Waffenunternehmen Irlands (englischen Ursprungs!) und treuestem Versorger der Briten in ihrem edlen und mutigen Kampf gegen das deutsche Kaiserpack auf dem Kontinent, irgendwie überleben musste."
=> Er ist definitiv zu lang. Er ist zu verschachtelt, nicht nur durch die Kommas, auch noch durch die Klammern.
=> Weder die Klammern noch die nicht ausgeschriebenen Zahlen sind optisch schön.
=> Frage: Wie sieht ein "wohlgeformter" Wecker aus? Ich kann mich darunter nichts vorstellen.
=> Der Satz beeinhaltet viel zu viele Informationen auf einmal.
=> Außerdem ist eine ziemlich harsche Wertung drin (Kaiserpack, treuer Versorger, edle und mutige Briten). Der Leser bildet sich lieber selbst eine Meinung, lässt sich ungerne sagen, was er gut oder schlecht zu finden hat. Zu diesem Punkt solltest du dir mal ansehen, was mit "show, don't tell" gemeint ist.

Okay, das sollte fürs Erste reichen. Mein Kommentar zieht deinen Text erstmal wieder auf der KG-Liste nach oben. Vielleicht bekommst du dann weitere Kommentare. Leider haben viele Wortkrieger im Moment (wegen des Themas des Monats/Challenge) Scheuklappen auf.

Fazit, mein Tipp: Gestalte deinen Text lesefreundlicher, besonders durch kürzere Sätze und eine bessere Optik.

Grüße,
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

Grüß dich, Chris!

Vielen Dank für diese Kritik, ich werde die Geschichte ein wenig lesefreundlicher gestalten, es ist nunmal so: Ich verauche immer möglichst viele Ideen auf kleinsten Raum zusammenzuquetschen, die Ergebnise davon sind, sagen wir mal, interessant ;)


LG Niklas


PS: Diese Geschichte ist keine Verherrlichung von Terrororganisationen wie z.B der IRA. Das tue ich hierbei ganz und gar nicht.

 

Hallo Max2000
Also eine Geschichte, die vom irischen Unabhängigkeitskrieg handelt und die soziale Frage gleich mitbehandelt. Irland war natürlich über Jahrhunderte hinweg in einem Sog aus Hunger und Not gefangen, viele sind vor allem deshalb ausgewandert, nach Amerika, sonstwohin. Während des Ersten Weltkrieges litten viele Menschen Hunger. Auch auf dem Festland, auch in Deutschland. Du nennst in dem Text einerseits die wirtschaftliche Not der Menschen, andererseits den Hass gegen die Unterdrücker als Motiv für den Aufstand. Das mag stimmen, wobei ich glaube, dass es hauptsächlich die permanente Demütigung durch das Vereinigte Königreich war, eine Art Rassismus, mit den Iren als Opfer.

Für die Geschichte hätte ich es günstiger gefunden, wenn du, anstatt das unklare Verhältnis von Jack und Jay darzustellen (das ich mir nicht so recht vorstellen kann, weil sie sich ja erst einen Abend kennen), den Terror der Engländer gezeigt hättest. Die sind auf Verdacht in irische Privathäuser eingedrungen und haben wahllos gefolterte, vergewaltigt und getötet.

Deine Sätze sind zu lang. Kann sein, dass dir das Spaß macht, ist aber nicht gerade zeitgemäß und anstrengend zu lesen, außerdem verliert sich der Rhythmus.

Habe ich aber mit Interesse gelesen. Danke für den Text.

Paar Textstellen:

Die morgendliche kalte Luft umarmte ihn als zynische Begrüßung,
gefällt mir, weil es derzeit ja auch so ist :D

damit Great Britain nicht seinen Stolz verliert?
England oder Vereinigtes Königreich fände ich besser oder spielst du darauf an, dass Irland eine Kolonie ist?

in den Himmel ragenden Schornsteinen wirkte wie ein Gefängnis und Jack war ein Gefangener von diesem.
ließe sich streichen

, da er immer das Gesicht zusammenzog, wenn er einen Menschen unterer Klasse ansah
wie sieht das aus?

, wie der Typ es schaffe, sich die Klöten zu waschen bei all dem Fett. Die Vorstellung darüber ließ Jack oft seinen Hunger vergessen.
igitt

stand und hörte, wie sein Vater seiner Mutter beim Drücken etwas ins Ohr flüsterte,
meinst du umarmen?

Das wenigen Geld, was Jack übrig blieb von seinem Hungerlohn, investierte er in ein, zwei Drinks bei Terry´s, dem Pub, in dem der soziale Stand einer Person bedeutungslos wurde.
sind die reichen Engländer nicht in gentleman clubs gegangen?

. „Pass mal auf, du Hefekloß
:D

Es schien, als hätte sich die Luft über Nacht mit Zucker gefüllt, denn schon lange nicht mehr hatte
komisches Bild

Und keine Waffe der Welt ist so gefährlich wie das Wort.
deswegen heißen wir auch Wortkrieger!

stand dieser gewisse Pearse, von dem Jay so viel erzählt hatte
ein gewisser... dieser klingt hier nicht gut

Vorsichtig, wie als wenn er zum ersten Mal seine Beine benutzen würde, stand Jack, mit den Händen am Kopf, auf und sah sich vorsichtig im Laden um.
der Satz ist zu kompliziertm brauchst du gar nicht: als ob ... genügt

. In dunkelgrünen, weißen und orangenen Farben schwebte sie stolz und würdevoll über den verdutzten und verängstigten Passanten, die das Geschehen beobachteten.
mm, sehr pathetisch.

Hoffe, du kannst was mit anfangen:Pfeif:

viele Grüße
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Grüß dich Isegrims,

erstmal ein herzliches Dankeschön dafür, dass du dich mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hattest. Ja, die Sätze sind sehr komplex, für den Außenstehenden kann das zur Qual werden. Ich hatte versucht, so ähnlich wie mein "Vorbild" Klaus Kordon ( Romane wie 1848 und 1918, die vergessene Revolution) zu schreiben. Und im kurz halten war ich nie gut, aber man lernt ja mit Geschichte für Geschichte!

Interessant, hatte bisher nichts über solche Willküraktionen seitens der englischen Besatzer gehört, aber hätte ich aufnehmen können, mmmh, lief doof. Wichtig, auch wenn es klgscheißerisch klingt: Die Geschichte spielt während desOsteraufstands (Easter rising) , nicht im Unabhängigkeitskrieg, aber natürlich hängen diese Konflikte miteinander zusammen. Das Verhältnis von Jay und Jack hätte wirklich ein wenig besser ausgearbeitet werden können, da gebe ich dir Recht.

Ich nehme mir die Kritik zu Herzen, kann es kaum erwarten, die nächste zu schreiben, bin schon ganz hibbelig :D Diesmal aber mit verständlicheren Sätzen ;)


LG und nochmals danke

Niklas

 

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