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Inna, Ikarus und ich

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19.05.2015
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Inna, Ikarus und ich

Vor einiger Zeit tauchte in Bad Homburg vor der Höhe eine Frau auf, die jeden Nachmittag - immer zur selben Stunde - mit einem Hündchen durch den Park spazierte. Peter erzählte eines Abends während unserer wöchentlichen Männerrunde im ‚Chez George‘ von ihr. Er sagte, sie sei außergewöhnlich. Die anderen nickten lebhaft und ein Lächeln huschte über die Mienen der Freunde. Peter beschrieb sie mit ausladendenden Gesten. Sie habe eine strahlende, ganz eigentümliche Anmut und einen schwarz-weiß gefleckten Terrier, der wie ein König durch den Park stolziere und tobe. Alle witterten ein Geheimnis, weil sie länger blieb als die anderen Kurgäste.

Ich interessierte mich für sie und vergaß sie dennoch bald, beansprucht von meiner Arbeit. Es dauerte lange, bis ich sie selbst zu Gesicht bekam. An einem hellen Tag im Mai, ging ich zum Park, ließ Sonne auf meine Haut brennen und Wind durch die Gedanken blasen. Ich war schon eine Weile unterwegs, da kam ein Hund auf mich zugeschossen und rannte an mir vorbei auf die Parkwiese mit dem kurzgeschorenen Rasen. „Ikarus!“, hörte ich aus der Ferne eine Stimme rufen. Schritte knirschten über den Kies. Ich wandte den Blick vom Rasen mit dem vergnügt rennenden Hund ab und sah Augen, die sich in mich bohrten. Bis heute ist es dieser Blick, der sich in meiner Erinnerung festgesetzt hat, den ich jederzeit aufrufen kann, wenn ich die Augen schließe und an sie denke, fühlte sich wie ein züngelndes Feuer an, das mit den Atem raubte und jegliche Aufmerksamkeit erforderte. Der Terrier bellte ausgelassen, als er zu ihr gerannt kam, beobachtete mich und sprang an mir hoch. Es war ein hübscher Hund, mit spitz zulaufendem Maul, kurzem Fell, langen Beinen, zierlicher Gestalt und einem nervösen Blick, von dem man sich nicht vorstellen konnte, dass er still und apathisch neben seinem Frauchen her trottete. Später erfuhr ich von ihr, dass er aus einer reinrassigen Zucht stammte und einen adeligen Nachnamen führte.

Sie sprach mit einer hohen und hellen Stimme, die sich manchmal überschlug. Sie machte Pausen beim Sprechen, um nach den richtigen Wörtern zu suchen. Für mich klang sie wie die Netrebko, die in Baden-Baden eine Arie gesungen hatte und mein Ohr erzittern ließ, obwohl ich am Abend vor der Aufführung meinen besten Kunden verloren hatte, nachdem er mit dem von mir entwickelten Roulette-System eine hohe fünfstellige Summe verloren hatte.

„Entschuldigung, mein Hund stört Sie vielleicht“, sagte sie mit russischen Akzent.
„Nein, keineswegs. Ich mag Ihren Hund.“
„Danke. Ikarus ist manchmal anstrengend.“
„Der braucht eine Menge Auslauf, oder?“
„Ja, stimmt.“
„Sind Sie schon lange in der Stadt? Ich habe Sie bisher nie gesehen.“
„Nicht so lange.“

Sie war schlank, ohne mager zu wirken. Ihre Haare glänzten und hatten ein Schwarz, das im Licht der Sommersonne bläulich wirkte. Ihr Tatarenblick traf mich und sie strahlte eine Energie aus, als wolle sie sich ohne Sattel auf ein Pferd schwingen und über die Steppe reiten.

„Ich muss weiter“, sagte ich völlig grundlos.
„Ich bin jeden Tag hier“, sagte sie und es hörte sich wie eine Einladung an.
Sie nahm den Hund an die Leine und entschwand. Ich blieb noch eine Weile stehen und schaute ihr nach, unentschlossen, wohin ich gehen sollte.

Wenige Tage später war ich erneut im Park. Die russische Kirche war verschlossen, aber den buddhistischen Tempel schaute ich mir an diesem Tag genauer an. Mit all den Buddha-Figuren passte er nicht zu Europa. Die Unbekannte mit dem Hund sah ich zunächst nicht und ging weiter. Ich befand mich an den Blumenbeeten mit der überlebensgroßen Statue des deutschen Kaisers und setzte mich auf eins der Bänkchen. Tulpen und Rosen verströmten einen aufdringlichen Duft.

Ich holte das schmale Bändchen mit Tschechows Novellen aus der Jackentasche. Ohne dass ich es bemerkte, war das Hündchen wieder da und schnupperte zwischen meinen Beinen. Sie tauchte kurz danach auf. In einem enganliegenden blauroten Sommerkleid. Ich stand auf, um sie zu begrüßen:
„Aha, die Unbekannte mit dem Hündchen ist da“, sagte ich grinsend.
„Ich bin jeden Tag hier. Wegen Ikarus. Und Sie, was machen Sie?“
„Ich genieße die frische Luft. Gefällt es Ihnen in unserer Stadt?“, frage ich sie.
„Oh ja, sehr schön.“
„Darf ich nach Ihrem Namen fragen?“
„Ich heiße Inna Iwanovna.“
„Freut mich! Mein Name ist Viktor Sänger.“
Wir lächelten beide, ich streckte ihr die Hand entgegen und spürte ihre kühle, weiche Haut.
„Was lesen Sie da, Viktor Sänger?“
„Novellen von Tschechow. Bin gerade bei einer Geschichte über eine Irrenanstalt. Ist ein wenig traurig.“
„Ich liebe Tschechow.“
Sie rief den Hund, der uns alleine gelassen hatte, mit ihrer Sing-Sang-Stimme. Ikarus lugte unter einem Busch hervor, blieb aber, wo er war. Ein zweiter Ruf in schärferer Tonlage, mehr wie ein schriller Pfiff, und er kam angerannt.
„Darf ich Sie ein Stückchen begleiten?“
Sie nickte und schaute mich dabei nicht an.
„Warum sind Sie ausgerechnet nach Bad Homburg gekommen?“
„Ich war vor vielen Jahren mit meinem Großvater da. Erinnert mich an Opa, die Stadt.“
Dann zeigte sie zum Feldberg und den Wäldern davor.
„Diesen Blick mag ich, sieht aus wie eine Wand aus Wald.“
Ich schaute hin und sie hatte Recht. Warum hatte ich das nie bemerkt? Als könne man hinlaufen und darin verschwinden.
„Machen Sie eine Kur?“
„Nein, nicht richtig. Einfach ausruhen und nachdenken.“
„Aha, und worüber denken Sie nach?“
„Alles Mögliche.“
Die letzten Worte sagte sie leiser. Eine Sackgasse, ich wusste lange nichts zu sagen.
„Haben Sie Lust, mit mir ins Café zu gehen?“
„Ich trinke keinen Kaffee, aber wir können abends essen gehen.“
„Gute Idee. Wann?“

So kam ich zu meiner ersten Verabredung mit Inna. Sie wartete vor dem Restaurant auf mich, kam mir mit diesem Schmollmund wie Angelina Jolie in Tomb Raider entgegen. Ich musste mich konzentrieren, nicht allzu lange ihren Körper zu scannen und spürte den Sommerwind, der über Haut und Herz strich.

Das Restaurant bot gehobene italienische Küche. Die pomadigen Haare des Kellners sahen aus wie ein nasser Reifen, als er uns mit durchgedrücktem Rücken süßlich begrüßte. Wir bestellten Prosecco, lächelten uns an.
„Wir können uns mit den Vornamen nennen, oder? Du hast einen russischen Vornamen. Wir sagen Vitja sagen, nicht Viktor.“
„Vitja, okay, klingt gut.“
„Kannst du dir vorstellen, Vitja? Seit ich in der Stadt bin, esse ich alleine. Hast du die Geschichten von Tschechow weitergelesen?“
„Ja.“
„Da lernst du was über die Russen.“
„Ich stelle mir dann Tataren vor, die mit wildem Blick über die Steppe reiten“, sagte ich grinsend.
„Haha. Ein wilder Blick und du denkst an Tataren. Und warum Tataren? Es gibt nicht viele Tataren mehr. Warst du schon in der Steppe? Da siehst du bis zum Horizont.“
„So einen Blick gibt es bei uns nicht.“
„Dafür gibt es Wald. Schade, dass nicht Herbst ist. Wir könnten Pilze oder Beeren sammeln.“
„Oder Baumhäuser bauen und uns als Waldmenschen verkleiden“, sagte ich lachend.

Inna roch nach Lavendelfeldern und allen möglichen Blumen, nach den Frauen und Mädchen, die an mir vorbeigezogen waren, und die ich nie angesprochen habe. Wir aßen Nudeln mit Trüffeln. Ich fragte sie nicht nach ihrem Leben vermied die Routinefragen, das Abklappern der Fakten.
Anschließend brachte ich sie zum Hotel. Sie hakte sich bei mir ein und ich nahm kurzentschlossen ihre Hand und ließ sie nicht mehr los. Vor dem Hotel umarmten wir uns. Ich spürte die Hitze ihres Körpers, als sie sich an mich drückte, schrieb ihr meine Telefonnummer auf und verschwand in der Nacht.

Am nächsten Tag fuhren wir zum Feldberg. Sie wartete vor dem Hotel. Ich packte den Hund mitsamt Box in den Kofferraum und wir fuhren los. Es fühlte sich wie ein Familienausflug an. Oben auf dem Bergplateau atmeten wir würzige Luft. Die faulige Sommerschwüle lag hinter uns. Ikarus rannte über die Wiese. Wir liefen eine Weile hinter ihm und setzten uns dann auf einen Findling, von dem aus wir über die Wipfel der Wälder hinweg bis weit in die Ebene schauen konnten.
„Inna, erzählst du mir heute, warum du nach Bad Homburg gekommen bist?“
„Ach, ich musste eine Zeit lang weg aus Sankt Petersburg. Die Luft dort macht mich traurig.“
„Die Luft?“
„Nicht nur das. Ich habe jung geheiratet, zwei Kinder bekommen. Mein Mann betrügt mich mit einer jüngeren Frau. Er hat sogar ein Baby mit ihr, stell dir das vor. Ist eine lange Geschichte, sehr lang.“
Ich wollte nachfragen, die Details wissen, erstickte die Fragen jedoch, als ich ihre Augen sah, das erloschene Strahlen, den Blick, der starr in die Ferne gerichtet war, zum Himmel hin. Sie wirkte, als wäre Luft aus ihr entwichen, über die Wipfel hinweg zum Himmel. Nach einer Weile sackte sie in sich zusammen und schaute zum Boden.
„Scheiß Geschichte. Entschuldige den Ausdruck“, sagte ich.
„Ja. Ich weiß nicht, wie ausgeht es. Aber jetzt bin ich erstmal hier und atme die gute Luft.“
„Ich war auch verheiratet. Lange her. Wir hatten keine Kinder. Mittlerweile lebe ich wie ein Nomade.“
„Du siehst nicht aus wie ein Nomade. Die sind schmutziger.“
Sie lachte über ihren eigenen Witz.
„Was machst du im Leben?“
„Na ja. Ich war mal im Internetgeschäft, hab ein Unternehmen gegründet. Eine App, mit der man in Restaurants Plätze buchen und bezahlen kann. Nach zwei Jahren bin ich ausgestiegen. Mein Pech, denn danach ist es gut gelaufen. Mein Partner hat eine Menge Geld damit verdient.“
„Und jetzt?“
„Ich sammle Geld sammeln, um was Neues anzufangen, hab paar Ideen.“
„Interessant. Du siehst kreativ aus und musst bestimmt viel arbeiten.“
„Manchmal.“

Wir standen auf. Unsere Schritte passten sich aneinander an. Ich zeigte ihr Waldmeister und wir machten Fotos von Steinen, die mit Moos bedeckt waren. Ich versuchte über den Job zu reden, wollte mich ihrem Zauber entziehen, vielleicht hatte sie Geld übrig. Sie schwieg, schaute sich die Bäume an und sagte gelegentlich ‚Mm‘ oder ‚Aha‘.
Nach dem Spaziergang fuhren wir die Serpentinenstrecke nach Kronberg. Auf den Altstadtgassen stapfte Ikarus missmutig über das Kopfsteinpflaster, als liefe er auf High-Heels.
„Das ist eine Puppenstadt. Alles sauber. Ein unsichtbarer Besen kehrt bestimmt hinter jedem Fußtritt.“
„Hast du in die Gärten der Häuser geschaut?“
„Wie gemalt, ich weiß. Sagt man Idylle dazu, oder? Wie gemalt. Vielleicht wohnen gar keine echten Menschen hier, nur Roboter und Puppen, in die Gärten und Häuser gesetzt und dann vergessen.“
Wir kicherten und unsere Stimmen hallten über das Pflaster. Ikarus schaute verlegen zu uns empor.
„Komm, essen wir ein Eis!“
Wir kauften uns eine Eistüte und liefen weiter. Sie nahm Erdbeereis und schleckte das Eis mit weit herausgestreckter, rosa Zunge. Die Sonne brannte auf uns herab und ein Schweißtropfen floss ihr in den Mund.
„Jeder sagt, dass Sankt Petersburg eine besondere Stadt ist.“
„Wegen der Museen, der Paläste, der Brücken, der schönen Frauen und der weißen Nächte. Ich liebe die Stadt, obwohl es viel regnet, schneit, die Luft ungesund ist.“
Ich dachte an das Dorf, in dem ich aufgewachsen war, den Wald, der wenige Schritte von unserem Haus entfernt begann, den Vorhang in eine andere Welt, wenn unter dem Dach der Bäume, dem Moosboden spielte.
Als das Tageslicht sanft und unmerklich wie ein Dimmer, den man langsam dreht, versank, fuhren wir zurück. Der Nordstern leuchtete über der Stadt.
„Hast Du Wein und Tee zu Hause?“, fragte sie mich.
„Ja.“
„Ich bringe Ikarus auf das Zimmer und gebe ihm Futter, dann nehme ich ein Taxi und komme zu Dir.“

Inna roch nach Waldmeister und einem Hauch Zimt, als ich sie begrüßte. Ich zeigte ihr die Wohnung, hoffte, dass sie die benutzten Gläser und Teller übersähe, die ich wegzuräumen vergessen hatte. Ihr Blick glitt über die Schwarzweißfotos an der Wand, die Familienbilder, Hochzeitsfotos, lachende, glückliche Gesichter der Frauen, mit denen ich glücklich war. Paula mit dem Nofretete-Profil beim Lesen eines Buches, Dominique braungebrannt neben mir am Strand.

„Möchtest Du lieber Wein oder Tee?“
Sie schaute mich verwirrt an, als dächte sie an etwas anderes.
„Beides.“
Ich zündete Kerzen an. Sie war es, die mich zuerst küsste. Sie reckte sich mir entgegen, schmeckte nach Wein, nach Quitten und Gras. Wärme, Hitze zwischen uns. Sie ließ mich ihr Verlangen spüren, presste sich an mich. Ich sog ihren Duft ein und leckte ihn mit meiner Zunge auf. Flüstern und Seufzen. Während ich hastig mit den Händen über ihr Gesicht strich, kniete sie vor mir, entknotete langsam die Schnürsenkel, streifte meine Schuhe ab, schälte mich aus der Kleidung, sorgfältig, konzentriert, Stück für Stück, bis ich nackt vor ihr stand. Innas Hände glitten über meine Haut. Nirgendwo allzu lange. Bauch, Rücken, Beine, den empor ragenden Beweis meiner Lust. Während all dem blieben ihre Augen in meinen gefangen. Ich erwachte aus einer Art Verzückung, knöpfte ihre Bluse auf, ließ mir Zeit mit ihrer Haut, spürte wie heiß sie sich anfühlte, als wir uns aneinander pressten. Sie flüsterte mir Worte auf Russisch ins Ohr, die ich nicht verstand, und öffnete ihre zur Decke gestreckten Beine auf dem Bett. Spitze Schreie, Keuchen. Ich liebte ihr versunkenes Bei-sich-selbst-bei-mir-sein.

Am frühen Morgen erinnerte sie sich an Ikarus, stand auf und schloss leise die Tür. Unser Geruch lag in der Luft, unsere Wärme durchströmte das Zimmer. Ich träumte von einem Bootsauflug, bis sie zurückkam. Das Hündchen raste durch meine Wohnung, schnüffelte in den Ecken, legte sich schließlich auf das Bett und rollte sich ein.
„Weißt du, Viktor, ich fliege heute nach Pieter zurück.“
Sie hielt eine Flasche Champagner in der Hand. Ich wunderte mich nicht, der Moment hielt mich gefangen, gaukelte mir unerschütterliches Glück vor. Wir tranken gierig, als wäre es Wasser, während draußen die Stimmen des Tages erwachten.
„In fünf Stunden geht der Flug.“
Ich küsste sie und fragte: „Bist du glücklich?“
Ihre Augen zuckten und sie sagte: „Ja.“, mit einer Stimme. die aus ihrem Inneren kam. Die Kirchenglocke schlug, verkündete die verronnene Zeit. Inna schmiegte sich an mich, lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Wie blass ihre Haut war, die Adern schimmerten durch.
Irgendwann traf mich ihr Blick mit einem Ausdruck, den ich nicht entschlüsseln konnte, prüfend, nachdenklich, als wolle sie herausfinden, ob sie mir vertrauen könne.
„Ich muss Einiges erledigen und dann komme ich zurück und bleibe hier. Verstehst Du das, Vitja?“
„Ja.“
Mehr fiel mir nicht ein. Es fühlte sich an, als meinte sie es genauso, wie sie es gesagt hatte. Als unsere Zeit angelaufen war, brachte ich sie ins Hotel und wartete, bis sie gepackt hatte. Während der Fahrt zum Flughafen streichelte sie die Innenseite meines Schenkels. Ich dachte nach, kam mir vor wie in einem Film, dessen Ausgang ich nicht kannte. Wer seine Sehnsucht erfüllt, verliert sie.

In der Halle des Terminals herrschte Betriebsamkeit und Hektik. Wir gaben die Box mit Ikarus zusammen mit dem Gepäck ab. Ein seltsamer Anblick, ihn mitsamt dem Koffer auf dem Laufband zurückzulassen. Wir setzten uns in ein Café. Sie erzählte von ihrer Heimatstadt, von den Tagen und Nächten, in denen die Sonne nicht richtig unterging. Warum sie mir von dem Frosch erzählte, den sie getötet hatte, verstand ich nicht. Ihre Eltern hatten ihr verboten, ihn in die neue Wohnung mitzunehmen. Sie brach ihm das Genick und begrub ihn im Garten begraben. Kurz nachdem ihre Worte verklungen waren, lachte sie wieder, gutgelaunt und mitreißend.
Auf dem Weg zum Gate drehte sie sich um und warf mir einen langen Blick zu.

*****

Sie schrieb mir. Ich hörte ihre Stimme am Telefon. Anfangs täglich, dann nahmen die Abstände zu. Tage, Wochen vergingen und nie kam ich auf die Idee, sie zu fragen, wann sie zu mir käme. Ich wartete geduldig. Vielleicht war das ein Fehler. Ab und zu ging ich im Park spazieren und einmal glaubte ich in der Ferne Inna und Ikarus zu sehen. Der Fluss wurde zum Rinnsal und die Nachrichten versiegten.

Ich kehrte zu meinem alten Leben zurück, versuchte etwas auf die Beine zu stellen, pflegte mein Netzwerk und erstellte den Businessplan für eine innovative App, mit der Geschäftsleute ihre Reisen planen konnten. Eines Tages meldete sich ein Hedge-Fonds-Manager und bot mir eine respektable Summe für die Details der Idee an. Ich musste darüber nachdenken, ob ich mich für das schnelle Geld oder die Perspektiven entscheiden sollte. Ich beschloss, ein paar Tage Urlaub zu machen, und buchte einen Flug nach Sankt Petersburg. Ich kannte die Stadt nicht und vielleicht gelänge es mir, Inna zu finden. Ihre Adresse fand ich ohne Mühe im Internet. Einen genauen Plan hatte ich nicht. Irgendetwas werde ich in Sankt Petersburg finden, sagte ich mir.

*****

Als der Flieger auf dem Airport Pulkovo landete, war es so grau und regnerisch, wie es Inna beschrieben hatte. Die Stadt lag unter Dunst. Ich sah den Nebel sogar auf den Gesichtern der Männer, die den Sicherheitscheck durchführten, der Polizisten, die überall postiert waren, und selbst in den Mienen der jungen Frauen, die in der Abfertigungshalle arbeiteten und ausnahmslos entrückte Puppen-Model-Erscheinungen waren. Sie waren mürrisch und abweisend und dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie in unbeobachteten Momenten in hemmungsloses Lachen ausbrechen konnten. Im Taxi zum Hotel lief russische Popmusik. Die Straßen waren verstopft und ich hatte den Fahrer im Verdacht, mich absichtlich durch den größten Stau zu fahren. Er erklärte mir in gebrochenem Deutsch, dass der am Flughafen vereinbarte Preis nicht ausreiche.
„Zu viele Staus. Preis geht nicht. Musst mehr zahlen oder mit Fuß gehen.“ Ich bezahlte den doppelten Preis.
Mein Hotel hieß „Europa“ und unterschied sich von außen kaum von all den Mittelklassehotels irgendwo auf der Welt. Ein paar Fahnen draußen aufgehängt, eingefügt in eine Häuserreihe von Gebäuden aus dem späten 19. Jahrhundert. Es roch muffig und nach 80er-Jahre. Ein Standardzimmer, funktionell, Doppelbett, winziger Schreibtisch, Bar und eine Badewanne.

Ich beschloss, nach dem Weg zu der Adresse zu fragen, die ich von Inna hatte. Mein Hotel lag nicht weit von der Newa, an einer Biegung des Flusses, in der Nähe der weitläufigen Gebäude der Universität. Die Lage hatte mir gefallen und auch die Schwimmhalle mit den Kronleuchtern über dem Pool. Mein Plan bestand darin, die Stadt zu besichtigen, zu schwimmen und nach Inna zu suchen. Der Portier war glatzköpfig und sprach Londoner Englisch, jedes Wort glasklar dahingeschmettert, wie er es vermutlich von einem anglophilen Lehrer mit dicker Brille und kariertem Oxford-Tweed gelernt hat. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Als ich ihn nach dem Schwimmbad fragte, rief er einen jungen Mann in schlecht sitzender Hoteluniform mit Schulbubengesicht. Ich folgte ihm durch die Lobby und einen langen Flur. Da war es, das Schmuckstück des Hotels. Die Halle mit dem Becken und den Kronleuchtern, die ich auf den Bildern gesehen hatte, An den Wänden hingen mannshohe Spiegel. Im Wasser zogen ein paar Leute ihre Bahnen, Kinder planschten schreiend und lachend. Bevor mein Begleiter wieder verschwinden konnte, zeigte ich ihm den Zettel mit der Adresse.
„Das ist auf der anderen Seite der Newa. Am Kanal. Ich zeige es Ihnen auf der Karte. Eine halbe Stunde zu Fuß“, antwortete er mir. Ich bedankte mich und markierte mir den Weg auf der Karte.

Im Freien wehte mir Seewind entgegen. Ich schlug den Kragen meines Mantels hoch. Der Wind ging mir durch und durch. Ein vermummter Menschenstrom kam mir entgegen. Ich lief an den verzierten Hausfassaden glänzender Jahrhunderte vorbei. Der fahle Himmel tauchte die Stadt in ein eigenartiges Licht, das Häuser, Fluss und Betrachter veränderte. Morgen werde ich die Spur aufnehmen, sagte ich mir.

Zurück im Hotel beschloss ich, schwimmen zu gehen. Nur wenige Leute waren da. Zwei ältere Damen, die sich im Wasser treiben ließen und Badeanzüge mit Blümchen trugen. In der Halle war es still, ich hörte die Schwimmzüge, die Wellen, die meinen Kopf durcheinander wirbelten. Die Kronleuchter sahen wie Tropfen aus, die eine Wasserkaskade bildeten. An den Wänden illuminierten kerzenförmige Lampen den Saal. Am Beckenrand standen Plastikstühle und die Fliesen hatten ein unbestimmtes Beige, brüchige Stellen und Risse. Ich vergaß die Zeit, war allein und fühlte mich entspannt. Beim Abendessen schaute ich durch das Fenster zum düsteren Himmel und zu den Lichtpunkten auf den Straßen und den Häusern und spürte darin den Puls der Stadt. Ich schlief traumlos, obwohl ich dachte, ich müsse mir den ersten Traum in der fremden Stadt unbedingt merken.

Im Frühstückssaal herrschte Betriebsamkeit. Männer in dunklen Anzügen, Frauen in Kostümen, eilten zum Buffet. Touristen, Ehepaare, wenige, die allein am Tisch saßen. Stimmengewirr, russisch, englisch und deutsch. Ich mag den Klang der russischen Sprache, ist für mich wie eine Melodie, eine energische Aufforderung, ein Befehl, wenn es von tiefen Männerstimmen gesprochen wird. Bei Frauen klingt russisch wie ein Säuseln, ein Vogelzwitschern.

Nach dem Frühstück packte ich mich in meine wärmsten Kleider, um mir die Stadt anzusehen. Diese besondere Kälte, kannte ich nicht, fühlte sich in Sankt Petersburg anders an, als ich es gewohnt war. Sie drang mir durch die Kleidung, als könne sie nichts aufhalten. Es dauerte nicht lange, bis ich zu der stählernen Fußgängerbrücke kam, die ich suchte. Beim Überqueren schlug mir der faulige Abfallgeruch des Wassers entgegen, das wie eine unbewegliche graue Brühe aussah. Ich erreichte die Straße, in der Inna wohnte. Nach einigen hundert Metern war ich vor dem richtigen Haus. Eine klassizistische Fassade. Ich vermutete hohe Räume und stellte mir den nach Wachs riechenden Parkettboden vor, die Leuchter, den Kamin, den Stuck und die schmalen Fenster, die bis zum Boden reichten. Ich schaute hoch. Im Dachgeschoss glaubte ich Licht zu sehen. Was hatte ich erwartet? Der Mut, an der Tür zu klingeln, fehlte mir. Ich durchmaß die Straße bis zum Ende und kam wieder zurück zu dem Haus. Nichts bewegte sich. Ich dachte an die Tage mit ihr in Bad Homburg. Als ich auf dem Weg zurück zur Brücke war, hörte ich einen Hund bellen, wandte mich um und sah Ikarus. Ein älterer Mann, der gebeugt lief, als suche er nach etwas auf dem Pflaster, hielt ihn an der Leine. Seine Schritte waren unsicher und schlurfend, und er ließ sich von dem Hund ziehen. Mein Blick folgte den beiden eine Weile, dann setzte ich den Weg zur Brücke fort.

Ich beschloss, mir die Stadt anzuschauen. Vielleicht begegnete ich Inna zwischen den Passanten. Eine zahnlose Frau schlich am Rand des Gehwegs an mir vorbei. Als ich sie anschaute, hob sie den Kopf und öffnete ihren Mund zu einem scheuen Lächeln, dann drehte sie sich wieder weg und schaute starr nach vorne. Ich verbrachte den Tag in der Eremitage, versuchte, mir das Strahlen der Nachtbilder Rembrandts, zu erklären, die pastellfarbenen Flächen der Tizians und die winzigen Kleinigkeiten, die ich auf den Bildern der Renaissance-Meister entdeckte. Ich setzte mich auf die Kanapees vor den Bildern, um sie aufzusaugen.

Nach zwei Tagen, die ich mit Besichtigungen, Museen und Spaziergängen in der Stadt verbrachte, hatten sich Gewohnheiten eingeschlichen. Der tägliche Schwimmbadbesuch gehörte dazu. Die Rentner, die dort schwammen, grüßten mich mit einem gemurmelten ‚Priwet‘ und grinsten mich dabei an. Morgens und abends machte ich einen Spaziergang zum Haus Innas. Oft sah ich den alten Mann mit dem Hund. Einmal kam er mir entgegen, der Hund hob seinen Kopf, schaute an mir hoch, als würde er mich wiedererkennen, und lief an mir vorbei, Nach Inna suchte ich in den Gesichtern der Frauen, denen ich auf der Straße, in den Kirchen, den Backsteingebäuden, den Cafés und Restaurants, den Museen, in meinen Tagträumen und den Schatten der Nacht. Sie war überall und nirgends. Einmal entdeckte ich die Schwingung ihrer Augenbrauen auf dem Gesicht einer der Frauen, die an mir vorbeischwebte, ein anderes Mal glaubte ich, den Glanz ihrer Augen bei einer Frau zu erkennen, die in einem cremefarbenen Designerkostüm neben mir ein Gemälde betrachtete und aussah wie Penelope Cruz, oder ich fand die Art wie sie ging, dieses energische Ausschreiten, als wolle sie der Straße Ohrfeigen verpassen, bei einer Frau mit Pelzmütze, die auf einer Brücke vor mir davoneilte.

Die Zeit in Sankt Petersburg verging, ohne sie gesehen zu haben. Meine Augen waren müde und ich beschloss, einen Tag ohne Sightseeing zu verbringen. Schwimmen, Sauna, flanieren, irgendwo etwas essen. Im Schwimmbad tobten Kinder laut lachend und Wasser spritzend. Am Rand des Beckens saßen einige Frauen. Die dazugehörigen Mütter und Großmütter wahrscheinlich. Ich suchte mir einen Platz auf einem Liegestuhl, legte das Handtuch ab und blickte mich um. Da sah ich sie. Mein Herz pochte wie ein Motor, der plötzlich höher gedreht wurde. Sie war damit beschäftigt, einem Jungen etwas zu erklären. Unter ihrem Badeanzug erahnte ich die Hüftknochen, die ich geküsst hatte, ihre Seufzer. Anstatt zu schwimmen, setzte ich mich auf den Liegestuhl, beobachtete sie aus dem Augenwinkel und wartete. Es dauerte lange, bis sie für einen Augenblick in meine Richtung schaute. Mit einem Ausdruck, der ins Nichts gerichtet war, sich nirgendwo festmachte. Ich wusste nicht, ob sie mich bemerkt hatte, und war nicht in der Lage, mich zu bewegen. Als ich darüber nachdachte, aufzustehen und zu ihr zu gehen, ergriff sie die Hand des blonden Jungen und zog ihn hinter sich her zu den Umkleidekabinen. Ich sank auf die Liege zurück und starrte zu der Tür, hinter der sie verschwunden war. Sie war es. Inna. Ich hatte sie gefunden. Ich schwebte durch das Wasser und beruhigte mich. Morgen wäre ich wieder zur selben Zeit hier. Wie damals im Park.

*****

Zwei weitere Tage vergingen. Ich wartete vergeblich auf sie, reduzierte meine Spaziergänge, schaute mir Antiquitätenläden an und überlegte, eine der gefälschten Ikonen zu kaufen, die dort überteuert angeboten werden. Über die Brücke zu ihrem Haus wagte ich mich nicht. Als ich gar nicht mehr damit rechnete, sah ich sie beim Schwimmen zusammen mit dem Jungen aus den Umkleidekabinen kommen. Ich stieg aus dem Becken und spürte ihren Blick. Ich drehte mich nicht gleich um, konnte es aber nicht lange aushalten. Sie schaute mich in einer Mischung aus Verwunderung und Freude an, als bräche die Erinnerung erst nach einigem Zögern aus ihr hervor. Dennoch blieb sie stehen, flüsterte dem Jungen etwas zu und zeigte zu mir. Ich fing seinen neugierigen Blick auf. Er sprang ins Wasser, tauchte prustend wieder auf und winkte seiner Mutter zu. Sie blieb stehen und ich ging auf sie zu. Wir schauten uns an, sprachen im ersten Augenblick nichts.
„Du bist in Pieter?“
„Ja, ich habe Urlaub, weißt du.“
„Hast du meinen Sohn gesehen? Er heißt Boris.“
„Hübscher Junge.“
„Komm mit, Vitja, lass uns schwimmen.“
Wir glitten ins Wasser, der Junge kraulte uns entgegen und erzählte ihr etwas, das ich nicht verstand. Sie lachte und schaute zu mir.
„Ich habe ihm gesagt, dass du ein Freund aus Deutschland bist.“
Boris übergoss seine Mutter, ich bespritzte ihn und bald darauf rollte und schob ich den schmächtigen Körper durch das Wasser, bis er genug hatte, sich aus dem Becken stemmte und begann, vom Rand ins Wasser zu springen. Er johlte jedes Mal laut auf, wenn er auf die Oberfläche klatschte.
„Ich habe nicht viel Zeit jetzt. Bist Du später noch hier?“
„Ja, natürlich.“
„Ich bin in drei Stunden wieder da. Dann treffen wir uns, okay?“
„Ich warte an der Lobby.“

*****

Ich beschloss, nach unserer Begegnung abzureisen. Das wusste ich, als ich sah, wie sie ihren Sohn anschaute, wie glühend und zärtlich ihr Blick war, wie sehr sie bei sich selbst war. Widersinniges Glück durchströmte mich.

Der Wind hatte aufgefrischt, als ich ziellos durch die Stadt schlenderte. Es nieselte und am Himmel zeigten sich zwischen dem hellen Grau schwarze Einsprengsel wie ein Muster, eine Ablagerung, die sich auf Elfenbein bildete. Ohne auf den Weg zu achten, fand ich mich vor einer kleinen Kapelle mit einer Kuppel aus stumpfen, verblichenen Gold, eingeklemmt von Häuserfassaden. Von innen schimmerte es hell. Die Tür ächzte beim Öffnen. Kerzen, die auf einer verwirrend großen Zahl von Ständern aufgestellt waren, erleuchteten sie und die Wände, an denen hölzerne Ikonen mit goldenen Rahmen hingen. Frauen knieten oder standen mit geschlossenen Augen, murmelten ihre Gebete und ein Priester in weißem Ornat, der etwas vor sich hin murmelte, schwenkte ein Weihrauchfass, das einen süßlichen Harzgeruch verströmte. Rauch füllte mir Nase und Mund. Einige der Frauen standen mit geschlossenen Augen und murmelten ihre Gebete. Das vom Rauch durchsetzte Licht tauchte den Raum in einen Traum. Die Gesichter wirkten wie braune, goldene Schatten. Lange stand ich still in einer Ecke, fragte mich, ob ich beten solle und überlegte mir, wie die Worte des Vaterunsers lauteten. Die Verzückung der betenden Frauen tröstete mich, als hätten sie Zugriff auf meine Gedanken. Eine alte Frau löste sich aus der Gruppe der Betenden und kam zu mir. Sie war klein und schmal, mit lederner Haut und weißen, fliegenden Haaren. Ich wusste nicht, ob sie mich aus Hexen- oder Engelsaugen anschaute, während sie mir eine Kerze entgegenstreckte und etwas sagte. Sie drängte mich, die Kerze zu nehmen, zeigte auf eine Ikone, die ich verschwommen als die Umrisse der Mutter Gottes wahrnahm. Ich zündete die Kerze an, stellte sie auf einen Ständer, beobachtete, wie sie flackerte, und gab mich der Illusion hin, die Augen Marias wären lebendig und durchbohrten mich, als gäbe es keine einzige der Masken, die ich mir aufgesetzt habe. Die alte Frau war verschwunden und ich verließ die Kirche, ohne mich umzuschauen.

Auf meinem Zimmer packte ich den Koffer. Inna versank in einem Sessel, als ich zur Lobby kam. Ikarus neben ihr, ausgestreckt auf einem dicken Teppich. Ich setzte mich neben sie. Der Hund schnüffelte an mir. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen.
„Ich war heute in einer Kirche, Inna. Da brannten hunderte Kerzen.“
„Hast du eine Kerze aufgestellt?“
„Ja, eine alte Frau hat mir eine gegeben.“
„Du musst die Augen schließen und dir etwas wünschen, das geht dann in Erfüllung.“
„Ja?“
„Hast du?“
„Ja!“
Sie lachte laut auf, beugte sich zu mir und berührte vorsichtig meine Hand, strich darüber. Es fühlte sich wie eine Feder an.
„Für Ikarus ist es besser in Bad Homburg. Hier ist es zu kalt. In der Wohnung liegt er vor dem Kamin und schläft.“
„Und dir? Ist es dir warm genug?“
„Ich bin es gewohnt, ziehe mich warm an. Sag mir, Vitja: Gefällt dir unsere Stadt?“
„Ja, Licht und die Atmosphäre sind etwas Besonderes. Gefällt mir sehr. Ich fliege morgen zurück.“
„Schade. Ich hätte dir mehr gezeigt.“
„Nächstes Mal.“
„Ja.“
„Du bist wegen mir gekommen, oder?“
„Wollte deine Stadt sehen.“
„Mein Vater hat dich gesehen, Vitja. Ein fremder Mann spaziert jeden Tag in unserer Straße auf und ab, hat er erzählt.“
„Ich habe deine Adresse gefunden.“
„Ist gut für Papa mit Ikarus spazieren zu gehen. Schön, dass du mich gesucht hast, Vitja.“
„Du wolltest zurückkommen nach Bad Homburg.“
„Ist kompliziert. Wenn der Frühling kommt, kann ich besser denken. Ich kann jetzt nichts planen.“
Sie legte mir den Finger auf die Lippen und küsste mich. Zart, wie ein Vögelchen. Später stand sie auf und ging los. Ich folgte Innas Silhouette, neben ihr das Hündchen, bis sie außer Sicht war.

(nach einer Novelle von Anton Tschechow)

 

Liebe Isegrim,

du beschreibst schön, die Bilder, Landschaften, Atmosphäre(n) und Städte werden rangezoomt, man geht daneben mit, hört zu. Der Spannungsbogen (Begegnung - beinah ein Gegenbesuch - ungewisse Zukunft) gefällt mir auch gut. Aber ein paar Dinge machen es mir schwieriger, bei der Sache zu bleiben. Gleich zu Anfang die Vokabel 'Lady', aber frage mich nicht warum. Fast hätte ich nur deswegen nicht weitergelesen, wahrscheinlich ist das eine ganz individuelle Aversion gegen dieses Wort :-). Dann Szenen, deren Bedeutung für die Geschichte ich nicht erkenne (der Besuch in der Kirche z.B. - der Wunsch allein erscheint mir als Grund zu wenig für die Ausführlichkeit - die langen Szenen, in denen er allein die Stadt durchstreift, sich im Hotel die Zeit vertreibt ...) Und ein paar deiner Schilderungen, die in mir Bilder produzieren, mit denen ich leider gar nichts anfangen kann:

Der Kellner mit den Haaren, die wie ein nasser Reifen aussahen
und
Das vom Rauch durchsetzte Licht tauchte den Raum in einen Traum.
zum Beispiel.
Aber insgesamt hat mir deine Geschichte gut gefallen!

Viele Grüße,

Eva

 

Hi zigga noch mal

Ja, er ist schüchtern, das habe ich natürlich auch schon beim Lesen deiner Geschichte verstanden, ich finde ihn auch nicht unsympathisch oder banal, aber hätte dein Prot einfach ein bisschen mehr Biss, würde er ganz andere Handlungsstränge aufreißen, die für mich als Leser deine Geschichte noch interessanter gemacht hätten -
ja, stimmt schon, das wäre möglich gewesen, da hätte was krasseres passieren können, das wäre aber ein andere Geschichte gewesen, zu dem Typ, den ich beschreibe, hätte das nicht gepasst, der ist schon ganz zufrieden über das bisschen Mut, das er aufgebracht hat. Zudem wollte ich sie und ihn vor außen beschreiben, durch die Stadt, den Park, die Kirchenglocken und all das eben.

als wenn sich die Beziehung einfach so "auseinanderlebt", und er hat ja eh nichts dagegen bzw. dafür getan.
na ja, auseinanderleben ist das auch nicht gerade, schließlich gibt es ein nächstes Frühjahr und ich bin mir sicher, sie wird zu ihm kommen, wenn es an der Zeit ist.

liebe Grüße
Isegrims :shy:


Liebe maria.meerhaba

also wenn ich deine Kommentare lese, kriege ich immer so ein Grinsen ins Gesicht, egal wie ob du gerade kritisierst oder lobst, du schreibst so unmittelbar aus deinem Inneren heraus, als lägen deine Gefühle auf der Zunge und wanderten in die Finger, die in hoher Frequenz auf die Tastatur hacken. Wollte ich dir mal sagen :thumbsup::D

Inna, Ikarus und ich
Drei Mal I. Alde, der Titel ist sooo geil!
jea: habe ich mir in letzter Zeit angewöhnt nach einem Titel zu suchen, der nicht so hingerotzt ist, was mit dem Inhalt zu tun hat und neugierig macht

Muss sie so gebrochen Deutsch reden? Kannst du das nicht etwas lockern, dass der Satzbau richtig ist, aber der Verb einige Buchstaben zu viel drinnen hat? Also auf die Art: Haben sie mein Hund vielleicht gestört.
ja, Mann, hab es gecheckt und geändert, hat ja jeder gesagt.

Es wäre mir lieber, wenn du hervorhebst, wer es ausspricht. Hier dachte ich zuerst, sie würde ihn nach dem Kaffee fragen.
der Leser muss auch was machen :lol:

Hier habe ich ein Problem, bei dem zwei unterschiedliche Bilder zusammenkrachen. Zuerst sehe ich sie beide am Ende des Waldwegs und im nächsten Satz wartet Inna schon in einem Restaurant. Das ist verwirrend und bringt den Schwung der Geschichte durcheinander, weil ich zurückspulen muss, erneut den Satz lesen und begreifen, dass der Prot schlagartig vom Wald zu einem Restaurant gewechselt ist.
nö, da kriegst du was durcheinander. erst gehen sie essen, dann am nächsten Tag in den Wald. das steht auch so im Text.

„Ich stelle mir Tataren vor, die mit wildem Blick über die Steppe reiten“, sagte ich grinsend.
Okay, jetzt verstehe ich das mit dem Tatarenblick. Brauchst es mir nicht mehr zu erklären
:Pfeif:

Mein Vater trug einen weißen Anzug und küsste Maman.
Maman?
vielleicht bisschen manieriert, wenn ich den französischen Ausdruck benutze, mal sehen, ob ich das #ndere.

[QUOTEden empor ragenden Schwanz.
Ich hasse dieses Wort. So unschön.][/QUOTE] ich weiß nichts besseres, das nicht elend klingt.

Mag sein, dass du uns das russische Hotel näher zeigen möchtest, aber ich finde das uninteressant. Das hättest du gründlich kürzen können, denn eine gewisse Ahnung von seinem Gemütszustand habe ich ja schon und da braucht es nicht, das noch mehr zu intensivieren. Finde ich mal.
ehrlich, ich habe schpn aus 35 Seiten 25 gemacht und wollte das Innere von außen aus schildern, da muss ich nachdenken und frage mich, ob dadurch nicht der Charakter der Geschichte sich total verändern würde.

Beim Überqueren schlug mir der faulige Abfallgeruch des Wassers entgegen, das wie ein unbewegliche graue Brühe aussah.
Welches Wasser? Wo? Ist da ein kleiner Bach? Oder nur so ein kleiner Tümpel? Oder hat sich in einem Loch im Asphalt Wasser gesammelt?
das Meer ist nicht weit. Sankt Petersburg liegt an der Newa und ist den Sümpfen abgetrotzt

Ihr gibst du Farbe, ein Gesicht, eine Seele, aber ihn scheinst du völlig zu vernachlässigen und fütterst mich nur mit winzigen Happen, die mich nicht befriedigen. Ich hätte lieber ein klares Bild von ihm gehabt, von seiner Gefühlswelt, aber du hältst mich da auf Distanz.
ich wollte das nicht, in ihn reinkriechen, ihn innerelich verzweifeln lassen, seine Gefühle ganz direkt wiedergeben. Klar, das ist kein richtiger Kerl, keiner, der mutig und super männlich ist, kalt würde ich ihn aber auch nicht nennen, eher durchschnittlich.

Außerdem finde ich, dass da echt viel ist, das man ruhig streichen kann. Ich weiß, streichen ist so eine grauenhafte Folter für Autoren, aber diese Beschreibungen der Stadt, das ständige abschweifen in die Beschreibungen, da kann macht echt kürzen.
glaube wie gesagt nicht, dass ich noch viel daran kürze, mich hat die Geschichte weitergebracht, auf jeden Fall.

Du hast schon eine sehr saubere Art zu schreiben, das gefällt mir,
das Lob nehme ich greife ich mir :D

vielen Dank für deine Zeit und deine hilfreichen Anmerkungen :thumbsup:
Isegrims

geht bald weiter

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Isegrims,

ich schließe mich, vom Lesegefühl her, Kubus an. Als ich die Geschichte fertig hatte, dachte ich: Ach schön. Vielleicht bin ich gerade in so einer Winterkuschellaune, das friedliche und menschliche der Weihnachtszeit vorwegnehmend, keine Ahnung, aber mir hat die Geschichte wirklich gut gefallen. Und dem Kritikpunkt des passiven Protagonisten, ich weiß nicht, mich hat der nicht gestört. Aber die Kritik habe ich zu vielen meiner Geschichten auch bekommen, jedoch gibt es die Leute, die werden eben vom Leben gemacht und es gibt die Leute, die machen das Leben. Immer nur von Protagonisten aus der zweiten Gruppe zu lesen, weil es literarisch mehr hergibt, ich finde es okay, dass auch die andere Gruppe Beachtung findet. Sicher eine Geschmacksfrage, aber der Text bietet so viel mehr, so viel Atmosphäre, so viele schöne Details, so viel Langsamkeit, ich mag das gerade sehr gern. Diese Langsamkeit ist übrigens toll, es nimmt einen richtig aus der beschleunigten Zeit. Für mich war es auch ein bisschen, als wäre ich auf Kur :).

Einen Kritikpunkt jedoch habe ich und der betrifft die Sprache. Klar orientierst Du Dich an den großen Russen, dass spürt man in jedem Satz, aber! - die großen Russen "blähen" ihre Sätze nicht auf, in dem sie null-und-nichtig-Informationen einschieben. Und das hast Du wirklich ganz oft und es hat mich auch irgendwann angefangen zu nerven.
Ich suche mal ein paar Beispiele raus, im Ganzen sind es aber viel zu viele, um hier eine vollständige Liste abzugeben. So viel von meiner Seite zum vorhandenen Kürzungspotential ;).

Sie habe eine strahlende, ganz eigentümliche Ausstrahlung und einen schwarz-weiß gefleckten Terrier, der wie ein König durch den Park stolziere und tobe.

Doppelwort

„Ikarus!“, hörte ich aus der Ferne eine Stimme rufen

eilige Schritte, die auf dem Kies knirschen - das ist sprachlich nicht schön, das klingt furchtbar
und eilige, auf dem Kies knirschende, Schritte

Sie sprach mit einer hohen und hellen Stimme, die sich manchmal überschlug und Pausen machte,

Die Stimme machte Pausen? Schon klar was Du meinst, aber hey ...

Für mich klang sie wie die Netrebko, die in Baden-Baden eine Arie gesungen hatte und mein Ohr erzittern ließ, obwohl ich am Abend vor der Aufführung meinen besten Kunden verloren hatte, nachdem er mit dem von mir entwickelten Roulette-System eine hohe fünfstellige Summe verloren hatte.

Das wären jetzt zwei Beispiele von unnütz Informationen, die eben nur Blähwerk sind.

„Entschuldigung, mein Hund Sie vielleicht stört“, sagte sie mit russischen Akzent.

Und wo ich sie gerade reden höre, weiß nicht ob Du schon etwas abgeschwächt hast, aber für mich passte ihr Deutsch ganz hervorragend.

Wenige Tage später war ich erneut im Park. Die russische Kirche war verschlossen, aber den buddhistischen Tempel, den ein thailändischer Prinz, der glückliche Tage hier verbracht hatte und ihn im Park errichten ließ, schaute ich mir an diesem Tag genauer an. Mit all den Buddha-Figuren passte er nicht zu Europa. Die Lady mit dem Hund sah ich zunächst nicht und ging weiter. Ich befand mich an den Blumenbeeten mit der überlebensgroßen Statue des deutschen Kaisers, der optimistisch zum Himmel schaute, und setzte mich auf eins der Bänkchen. Die Tulpen und Rosen verströmten ihren aufdringlichen Duft.

Auch so Unnützinfos. Und dabei belasse ich es an Beispielen jetzt auch.

Und mich stört die Lady auch. Er ist kein Typ, der eine Frau als Lady bezeichnet.

Meine Großeltern und Eltern bei ihrer Hochzeit. Mein Vater trug einen weißen Anzug und küsste Maman. Frauen, mit denen ich glücklich war. Paula mit ihrem Nofretete-Profil beim Lesen eines Buches.

Maman - Dir ist schon klar, dass man es eher für einen Tipfehler hält, weil er bisher nicht unbedingt so viel mit französischen Einsprenkseln geredet hat.


Ich sah den Nebel sogar auf den Gesichtern der Männer, die den Sicherheitscheck durchführten,

Bis dahin fand ich das Bild total schön und dann machst Du es tot, weil da noch unbedingt drei Rattenschwänze dran müssen ;)

Die Halle mit dem Becken und den Kronleuchtern, die ich auf den Bildern gesehen hatte, An/an den Wänden hingen mannshohe Spiegel. Im Wasser zogen ein paar Leute ihre Bahnen, Kinder planschten schreiend und lachend.

Zurück im Hotel beschloss ich, schwimmen zu gehen. Nur wenige Leute waren da. Zwei ältere Damen, die sich im Wasser treiben ließen und Badeanzüge mit Blümchen trugen. In der Halle war es still, ich hörte die Schwimmzüge, die Wellen, die meinen Kopf durcheinander wirbelten. Die Kronleuchter sahen, wenn ich zu ihnen hochschaute, wie Tropfen aus, die eine Wasserkaskade bildeten. An den Wänden illuminierten kerzenförmige Lampen den Saal. Am Beckenrand standen Plastikstühle und die Fliesen hatten ein unbestimmtes Beige, brüchige Stellen und Risse. Die geblümten Badeanzüge waren verschwunden. Ich vergaß die Zeit, war allein und fühlte mich entspannt.

Hier kam richtig Neid in mir auf. Ich wollte an seiner Stelle sein. Dahin muss man den Leser erst mal bringen. Hut ab. Und was die Blümchenbadeanzüge betrifft, Du weißt schon.

Beim Überqueren schlug mir der faulige Abfallgeruch des Wassers entgegen, das wie ein/eine unbewegliche graue Brühe aussah. Ich erreichte die Straße, in der Inna wohnte.

Ich zündete die Kerze an, stellte sie auf einen Ständer, beobachtete, wie sie flackerte, und gab mich der Illusion hin, die Augen Marias wären lebendig und erkennten mich, als gäbe es keine einzige der Masken, die ich mir aufgesetzt habe.

Gibt es das Wort tatsächlich? Es ist furchtbar.

Sehr schön! Hab Dank für die entspannte Lesezeit mit einer Liebesgeschichte ohne wirkliche Liebe, wo eher die Chance auf eine bestünde, doch die kommt nicht, zu groß die Entfernung, zu groß die Angst auf beiden Seiten, das bisherige Leben dafür zu verlassen. Mal gucken was passiert und manchmal passiert eben gar nix, außer eine schöne Erinnerung an ein paar schöne Stunden. Und manchmal ist auch gut, dass es dabei bleibt.

Beste Grüße, Fliege

 

Fliege schrieb:
Ich zündete die Kerze an, stellte sie auf einen Ständer, beobachtete, wie sie flackerte, und gab mich der Illusion hin, die Augen Marias wären lebendig und erkennten mich, als gäbe es keine einzige der Masken, die ich mir aufgesetzt habe.
Gibt es das Wort tatsächlich? Es ist furchtbar.
.
Ja, Fliege: „Sie erkennten“ ist der korrekte Konjunktiv II im Präteritum.
Ich persönlich würde hier aber auch der Variante mit „würde“ den Vorzug geben:
… und gab mich der Illusion hin, die Augen Marias wären lebendig und würden mich erkennen, …

(Aber vielleicht ist Isegrims schon derart von Friedel indoktriniert, dass sie diese Variante gar nicht mehr in Betracht zieht. :D)

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich hab's gemacht: dabei ist Lady ein nostalgisch-schönes Wort, kein Vergleich zum Sammelbegriff Frau :Pfeif:
Friedrichard
Lieber Friedel

der/die Schüchterne (manche bringen sie mit Ängsten in Verbindung, i. d. R. anerzogenen, auf jeden Fall "erfahren") ob nun ängstlich, furchtsam oder nicht, er/sie ist auf jeden Fall kein Draufgänger und wirkt eher bedächtig. Denkt also mehr, als etwa der Sponti, dass man unterstellen kann, dass er/sie die Worte behutsamer wählt als andere, also auch mit Worten umgehen kann. Wäre es da verwunderlich, wenn Viktor - der Sieger - sich ein Fell aus Selbstironie überzöge und die Welt durch Ironie verzückte? Er muss ja nicht gleich den bissigen Hund abgeben und Ikarus beißen ...
hat was, der Gedanke, ein selbstironischer Viktor, aber dann müsste der merh Witz haben, ein Player sein, ist der aber nicht.

Lieber ernst.offshore

ja, immerhin war das erkennte richtig, aber du hast vom Klang her einfach recht, ich habe das geändert, vielen Dank :thumbsup:

Liebe Fliege
was für ein schöner Kommentar, ich antworte dir darauf bald ausführlich, bin noch US-Wahl geflasht


viele Grüße und passt auf euch auf bei dem ekligen Wetter
Isegrims

 

Hi Fliege

mehr habe ich nicht erhofft mit diesem Text, wenn er so bei dir angekommen ist:

Als ich die Geschichte fertig hatte, dachte ich: Ach schön. Vielleicht bin ich gerade in so einer Winterkuschellaune, das friedliche und menschliche der Weihnachtszeit vorwegnehmend, keine Ahnung, aber mir hat die Geschichte wirklich gut gefallen.
Für mich war es auch ein bisschen, als wäre ich auf Kur .
Sehr schön! Hab Dank für die entspannte Lesezeit mit einer Liebesgeschichte ohne wirkliche Liebe,

Sicher, mehr Fallhöhe, mehr Drama, wäre möglich, aber so wie sie ist, transportiert sie eine Stimmung, etwas Nachvollziehbares und für mich stimmt sie, gerade weil sie mehr flüstert als schreit.

Entsprechend deiner stilistischen, sprachlichen Anmerkungen habe ich ein paar Änderungen vorgenommen, etwas gekürzt, aber nicht alles, weil ich glaube, dass die Geschichte etwas Pralles braucht, um Wirkung erzielen zu können.

Vielen lieben Dank
und einen schönen Start ins Wochenende
Isegroms

 

Liebe Eva Luise Groh

ach je, deinen Kommentar habe ich noch gar nicht gewürdigt. :shy:
Ich danke für deine Eindrücke und die Zeit und die freundlichen Worte :thumbsup:

Aber ein paar Dinge machen es mir schwieriger, bei der Sache zu bleiben. Gleich zu Anfang die Vokabel 'Lady', aber frage mich nicht warum. Fast hätte ich nur deswegen nicht weitergelesen, wahrscheinlich ist das eine ganz individuelle Aversion gegen dieses Wort :-).
schade um die Lady, ich wollte Inna damit noch deutlicher zu einer besonderen Frau machen, scheint aber so, dass das Wort negativ besetzt ist, insofern (siehe oben) habe ich es geändert.

Dann Szenen, deren Bedeutung für die Geschichte ich nicht erkenne (der Besuch in der Kirche z.B. - der Wunsch allein erscheint mir als Grund zu wenig für die Ausführlichkeit - die langen Szenen, in denen er allein die Stadt durchstreift, sich im Hotel die Zeit vertreibt ...)
Stimmung erzeugen, das Luftige zeigen, seine Gedanken greifbar machen, Metaebenen, das war mein Ziel :Pfeif:

du beschreibst schön, die Bilder, Landschaften, Atmosphäre(n) und Städte werden rangezoomt, man geht daneben mit, hört zu. Der Spannungsbogen (Begegnung - beinah ein Gegenbesuch - ungewisse Zukunft) gefällt mir auch gut.
:Pfeif:

viele Grüße und noch einen super Restsonntag
Isegrims

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Isegrims,

so, weil ich ja hier beim Ausbuddeln der romantischen Geschichten bin, komme ich nun zu deiner Geschichte! Du warst die zweite, die Kirchenschatten kommentiert hat. Also höchste Zeit, dass ich mal was von dir lese und meinen Senf dazu abgebe ... :)

Die deutschen Locations (Bad Homburg, Kronberg) sind mir sehr vertraut, ist ja ganz in meiner Nähe. Lese ich natürlich gerne. Viel lieber lese ich noch, wie du mir St. Petersburg beschreibst. Da war ich noch nie. Das ist dir hervorragend gelungen, ich kann es mir gut vorstellen.

Du erzählst souverän, keine Frage.

Nun gibt es bestimmt viele Varianten von Romantik. Also ich persönlich hatte beim Lesen nicht die geringsten romantischen Gefühle. Nichts. Nada.
Sicher hat das mehrere Gründe. Ich denke, du zelebrierst schon bewusst eine etwas sprödere Form der Romantik. Da steckt viel Lebenserfahrung drin. Und bloß kein Zuckerguß.

Da ist Innas grauenhaftes Deutsch. Ja, schon klar, sie ist Russin. Aber weniger hätte es wahrlich auch getan. Vielleicht liegt das Problem auch ein Stück weit bei mir. Ich finde diese immer leicht weinerlich klingende Satzmelodie und die Syntax von Slawinnen, die Deutsch sprechen, gräuslich, aber gut.

Sie bricht einem Frosch das Genick. Öhm. Victor weiß nicht, warum sie ihm das erzählt. Anne weiß auch nicht, warum Isegrims mir das erzählt. Ausgerechnet dieses romantische Märchentierchen muss dran glauben. Aber sie hat ja noch Ikarus. Ob sie ihm auch irgendwann das Genick brechen wird? :sealed:
Also je länger ich jetzt drüber nachdenke ... Hat das schon jemand im Thread kommentiert? Das kann doch fast kein Zufall sein. Hast du das mit Absicht gemacht??

Jetzt oute ich mich als Zimperlieschen oder was weiß ich: Wenn ich das Wort Schwanz lese, törnt mich das ab. Da ist es mit der Romantik vorbei.

Zum Formalkram: Es sind immer noch erstaunlich viele Flusen drin, Rechtschreibung, Kommas.

Eine Formulierung ist mir aufgefallen:
„Ich bin jeden Tag hier“, sagte sie und es hörte sich wie eine Einladung aus.
Entweder: es hörte sich wie eine Einladung an.
Oder vielleicht: es nahm sich wie eine Einladung aus?

Und dann schau mal, da ist ein ganzer Textblock doppelt drin! Er beginnt mit "Zwei weitere Tage vergingen."

So, jetzt habe ich unglaublich viel rumgenölt. Sorry! Ich hab es trotzdem gerne gelesen. Auch keinen Moment mit dem Gedanken gespielt, die Lektüre abzubrechen. Wollte schon wissen, wie es weitergeht. Du hast mich gut bei der Stange gehalten. :read:

LG, Anne

 

Hallo Anne49,

du wanderst durch die Texte und bist dabei auf eine Geschichte von mir gestoßen, die eine Novelle von Anton Tschechow adaptiert. Freut mich. :Pfeif: Vielen Dank für die Eindrücke und den Kommentar.
Der Text war mein Versuch den Tag "Romantik" zu interpretieren. (Übrigens schreibe ich gerade eine Kindergeschichte und Horror bzw. Science Fiction werden irgendwann folgen)

Sicher hat das mehrere Gründe. Ich denke, du zelebrierst schon bewusst eine etwas sprödere Form der Romantik. Da steckt viel Lebenserfahrung drin. Und bloß kein Zuckerguß.
na ja, Zuckerguss, da bin ich echt skeptisch. Aber dass er ihr hinterherfährt, dieses zarte Band zwischen den beiden, das finde ich durchaus romantisch-zuckrig.

Ich finde diese immer leicht weinerlich klingende Satzmelodie und die Syntax von Slawinnen, die Deutsch sprechen, gräuslich, aber gut.
haben andere auch angemerkt, sollte aber authentisch sein und dass du den Klang weinerlich empfindest, liegt tatsächlich an dir und evtl. Vorbehalte/Erfahrungen. Russinnen gelten ja auch als arrogant.

Ausgerechnet dieses romantische Märchentierchen muss dran glauben. Aber sie hat ja noch Ikarus. Ob sie ihm auch irgendwann das Genick brechen wird?
so wie sie ihre Liebe zu Victor zerbricht, sich selbst damit weh tut. Kein Happy-End, bittere Wirklichkeit.

Zum Formalkram: Es sind immer noch erstaunlich viele Flusen drin, Rechtschreibung, Kommas.
ich gehe den Text noch mal durch, die von dir angemerkten Stellen habe ich ausgebessert, dankeschön.

Die deutschen Locations (Bad Homburg, Kronberg) sind mir sehr vertraut, ist ja ganz in meiner Nähe. Lese ich natürlich gerne. Viel lieber lese ich noch, wie du mir St. Petersburg beschreibst. Da war ich noch nie. Das ist dir hervorragend gelungen, ich kann es mir gut vorstellen.
ist übrigens ein Teilaspekt, der mir wichtig war: Orts-, bzw. Reisebeschreibung. Freut mich, dass dir das gefallen hat.

viele Grüße und einen guten Start in die Woche
Isegrims

 

Hallo Isegrims,

vielen Dank für deine Antwort!

und bist dabei auf eine Geschichte von mir gestoßen, die eine Novelle von Anton Tschechow adaptiert

Gleich meine brennendste Frage zuerst: Ich hab den Thread zwar, so gut es ging, quergelesen, aber wie heißt deine Vorlage von Tschechow? Hab's nicht gefunden ich Trottel. Bzw. wie lang ist die im Vergleich zu deinem Text und wie ähnlich vom Plot her?
Ich frag das deshalb, weil ich so ein wenig mit dem Gedanken spiele, einen Roman (19. Jh.) zu einer (längeren) Kurzgeschichte zu verwursten. Also ins 21. Jahrhundert zu verlegen, aber im Grunde die gleiche Story. Problem ist nur, dass meine Vorlage eben ein Roman ist und ich keine Ahnung habe, ob mir das gelingt, das zu einer kürzeren Erzählung zu verdichten bzw. da die Essenz herauszuziehen. Daher meine Frage.

Der Text war mein Versuch den Tag "Romantik" zu interpretieren. (Übrigens schreibe ich gerade eine Kindergeschichte und Horror bzw. Science Fiction werden irgendwann folgen)

Uih, da bist du ja vielseitig! Es gibt ein paar fantastische Kinder- und Jugendbücher. Also, das könnte ich mir ja noch irgendwann vorstellen, zu versuchen. Ist bestimmt alles andere als "kinderleicht" zu schreiben!
Horror und Science Fiction überlasse ich lieber anderen ...

na ja, Zuckerguss, da bin ich echt skeptisch. Aber dass er ihr hinterherfährt, dieses zarte Band zwischen den beiden, das finde ich durchaus romantisch-zuckrig.

Heißt das etwa, du magst keinen Zuckerguss?! :lol:

haben andere auch angemerkt, sollte aber authentisch sein und dass du den Klang weinerlich empfindest, liegt tatsächlich an dir und evtl. Vorbehalte/Erfahrungen. Russinnen gelten ja auch als arrogant.

Vorgefertigte Meinungen gegen Menschen bestimmter Nationalität liegen mir fern. So war das nicht gemeint. Ich find nur diesen Tonfall schwer zu ertragen, bin mir aber schon ganz klar bewusst, dass das emotional ist. :Pfeif:

Dir wünsche ich auch eine schöne Woche!
(Bei mir ist es die letzte vor dem Urlaub, daher leider sehr viel Arbeit)

LG, Anne

 
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Hallo, Isegrims,

vielen Dank für deine Story, die ich sehr gerne gelesen habe.

Erst mal zur Sprache deiner Inna. Ich vermute stark, dass kein Russe so sprechen wird, wie deine Inna das macht. Das fiel mir gleich im ersten Dialog: "Ikarus manchmal anstrengend ist". Im Russischen fällt das Sein-Verb im Präsenz weg. Wenn ich mich auf Russisch vorstellen würde, so würde es so klingen: Ich - Herr Schuster. Ich - müde! Ich - hungrig! Deswegen Russismen richtig ins Deutsche übersetzen: "Ikarus manchmal anstrengend".

Die meisten Sätze von Inna sind durchtränkt von falschem Deutsch, und nicht von Russismen. Die Russen sagen zum Beispiel nicht, wie in "ganz" Europa (indogermanische Sprachfamilie): "Ich habe einen Bruder" oder "Ich habe einen Hund", sondern "Bei mir ist ein Bruder" oder "Bei mir ist ein Hund". Wenn Du glaubst, mit Verstellung des Verbes und dem Einsatz vom falschen Artikel, dein Ziel erreicht zu haben, dann ist es nicht ganz korrekt. Die "Russen" mit schlechten Deutschkenntnissen (wie ich Inna in den ersten Dialogen erlebe) sagen nicht z.B. "Ich nicht Hund haben", sondern "bei mir ist nicht Hund" etc...

Die "Russen" kennen keine Artikel, deswegen nutzen Sie meisten auch im Deutschen keine. Also, alle Artikel komplett streichen, anstatt sie im falschen FAll einzusetzen. Man kennt im Russischen auch keine HIlfsverben, wie "haben" oder "sein" zur Bildung von der Vergangenheitsformen. Man spricht so: "Ich gesagt dir, dass du sollst es machen".

Also, Deutsch von Inna ist sehr amüsant, aber aus meiner Sicht nicht "Russisch" genug. Auf jeden Fall erkenne ich da keinen russischen Hintergrund. Innas Deutsch ist nicht durchgehend gleichmässig. Am Anfang hat sie gewisse Sprachfehler, -Schwierigkeiten, später spricht sie fast wie Goethe. Wolltest Du etwas damit sagen, dass Viktors Einfluß, Liebe diese qualitativen sprachlichen Veränderungen bei ihr herbeigeführt hat? Oder hat sie in der Zwischenzeit an einem Sprachkurs erfolgreich teilnehmen können. Also, bitte durchgehen gleich schlechtes Deutsch mit obligatorischen Russismen benutzen, oder durchgehend gutes Deutsch, mit einer Anmerkung, dass die Dame einen leichten slawischen Akzent besaß (die Du es bereits im Text sehr gut untergebracht hast).

Und nun zur Sache!

Erstmal der Sujet-Aufbau. Du hast es komplett übernommen aus der Erzählung "Dame mit dem Hündchen". Das ist der Pretext zu deiner Stoty. Gut. In diesem Fall müsste man den Urspungstext analysieren oder?

"Dame mit dem Hündchen" ist ein Paradebeispiel der tschechowschen Symbolsprache. Wenn Du diese Story von Anton ganz genau gelesen hast, dann ist Dir mit großer Wahrscheinlichkeit aufgefallen, dass es keine Liebesstory ist. Keine Spur von Romantik und Liebe! Mehr eine Banalität und primitive Triebe des Erzählers Gurin! Oder vielleicht doch! Der zentrale Protagonist Gurin schwärmt von der neuen Unbekannten, von der neuen Liebe. Er erzählt uns, den Lesern, dass er seine Frau Warwara nicht mehr liebt und sogar Angst vor ihr hat und dass diese unschuldige Dame mit dem Hündchen, die vom Alter her seine Tochter hätte sein können, diese ewige Liebe in ihm geweckt hätte, die er nie in seinem LEben gespürt hatte. Und schon glaubt der Leser, dass es eine Liebesgeschichte ist. Herr Tschechov versteckt aber überall im Text merkwürdige Details, die aber genau das GEgenteil bezeugen. Dass diese neue Liebe genau so schnell vergehen wird, wie sie angefangen hat. Der Titel der Erzählung trägt u.a. dazu bei. Die neue Liebe hat keinen Namen. Ihre einzige Eingenschaft ist der überzüchtete hässliche Mops, das Hündchen. Mehr hat sie nicht aufzuweisen. Nur die grauen Augen, wie die Zäune und der Staub auf den HOtelsdecken, aus der sie kommt. Die Zäune, auf denen die dummen Worte geschrieben stehen, wie die Decken in den HOtels, verstaubt und nach Mottenkugeln stinkend.

Jetzt zu deiner Story. Du postest sie bei Romantik. Also, ich darf annehmen, dass es eine romantische Story ist. Das ist sie aber definitiv nicht. Das einzige, was ich deiner Erzählung abgewinnen kann, ist eindeutige Faszination der beiden Protagonisten vor der Natur- und Urbanlandschaften.

Inna schwärmt für helle Nächte, im Russischen einfach Deflorationswochen genannt, wo tausende Jungfer ihre Unschuld unter den unzähligen Gebischen unter dem freien Himmel verlieren. Die Wochen, die dem sex-tourismus in Russland immer wieder den neuen Aufschwung verpassen. Ansonsten machen diese hellen Wochen einen höchst depressiv, und ich kenne keinen fleißigen Leningrader, der sich für helle Nächte begeistern lässt, es sei denn, er ist als sex-tourist unterwegs.

Also, ich finde, deine Inna hat dem Erzähler und dem Leser nicht viel zu bieten, außer einer gescheiterten Ehe, einem Sohn und dieser hellen Nächte. Sie bleibt ein Inkognito für mich. Vielleicht deswegen, weil Viktor sich nicht richtig für sie interessiert. Ja, sein Schwanz interessiert sich für ihre Äußerlichkeit, mehr habe ich sonst nichts herauslesen können.

Und nun zum Titel: What the fake, wer ist dieser Ikarus? Wird dieser Hund "abstürzen"? Wird er zu seinem eigenen Verhängnis? Warum nicht Belka oder Scharik - die typischen russischen Hundenamen? Die Damen mit dem Hündchen hat eindeutig einen Schaden! Oder sie hat eine gewisse Vorliebe zu Oberflächlichkeit, die dem zentralen Protogonisten noch nicht auffallen wollte. Also, deine Geschichte beweist uns erneut, dass die LIebe immer blind war und es immer bleiben wird.

Viele Grüße
Herr Schuster


PS Sorry für mein etwas zusammenhangloses KOmmentar! Es ist etwas spät geworden! Ich hätte es sehr gerne gehabt, dass ich mich über deinen Text mehr äußern könnte, aber ich packe es zeitlich einfach nicht mehr...

 

Hallo Isegrims,

schön, dass Anne hier rumbuddelt, denn so komme ich auch in den Genuss, alte Wortkrieger-Geschichten zu lesen.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich mich durch diese hier ein wenig durchquälen musste.

Ich denke, das ist in erster Linie eine Geschmacksfrage, denn geschrieben ist es gut, die Details, die Du erwähnst, die Stimmung in St. Petersburg, die Art, wie Du die Menschen - besonders den Portier - beschreibst, lassen starke Bilder vor meinem inneren Auge entstehen. Nur die Handlung zieht sich für mich in die Länge und kommt mMn nicht so richtig in Gang.

Am Anfang baust Du Spannung auf, indem Du alle ein Geheimnis wittern lässt, aber ich habe nicht so recht herausgefunden, welches das ist. Auch die Anziehungskraft zwischen Victor und Inna wird mir nicht so recht klar. Sie begegnen sich im Park, reden über dies und das, aber was die Begegnung so besonders macht, habe ich nicht nachvollziehen können. Ich habe schon ein konkretes Bild von Inna, dem schönen Kontrast zwischen ihren durchdringenden Augen und ihrer hellen Stimme, aber im Dialog geschieht nichts, was sie für mich besonders macht.

Obwohl Du mit Deiner Art zu schreiben alle Sinne ansprichst, fehlt mir hier das gewisse Etwas, der Reiz, der die beiden zueinanderführt und Victor nicht mehr loslässt.

Bei dem Satz:"Die Luft dort macht mich traurig" bekomme ich eine Ahnung, was für ein Mensch Inna ist, hier schimmert ihre Individualität durch, davon hätte ich mir mehr gewünscht.

Auf mich wirkt das Verhältnis zunächst so, als ginge es nur um Sex, auf dem Weg zum Flughafen streichelt Inna die Innenseite von Victors Schenkeln, er überlegt, ob die Anziehungskraft ausreicht und ich frage mich: Wofür?

Wahrscheinlich liegt es an der nüchternen Erzählweise, ich habe zwar einen guten Eindruck davon, wie Inna riecht und schmeckt, aber Victor wirkt in allem so leidenschaftslos. Das, denke ich, ist der Erzählstil, der mir hier in die Quere kommt, einige stehen auf diese Nüchternheit, andere weniger.

Den getöteten Frosch habe ich als Symbol verstanden, dass Inna ihre Märchenphantasien an den Nagel gehängt hat. Egal, wie oft man Frösche küsst, sie verwandeln sich nicht in Prinzen, also bricht man ihnen am Besten das Genick, dann kommt man gar nicht erst in Versuchung.

Schön fand ich die Stelle, an der Victor darüber sinniert, sich den Traum der ersten Nacht merken zu wollen, das zeigt mir ein bisschen was über ihn.

Die Stelle, an der sie sich im Schwimmbad begegnen, ist mir etwas zu lang herausgezögert und ich verstehe auch nicht, was Inna im Schwimmbad des Hotels macht. Auch hier passiert viel Nebensächliches, er geht schwimmen, beschreibt die Menschen, geht durch die Stadt, riecht, sieht, hört, fühlt, aber irgendwie ist er nicht wirklich greifbar für mich.

Als er sie dann sieht, wird auch nicht so richtig klar, was nun Sache ist. Sie sagt:"Du bist da. Hast du meinen Sohn gesehen?", und dass sie schon längst wusste, dass er da ist. Soll sie vielleicht ein wenig sadistisch sein? (Deshalb die Sache mit dem Frosch), genießt es, ihn in der Hand zu haben? Oder ist ihr Herz gebrochen, weil ihr Mann sie betrügt, sogar ein Kind mit einer anderen hat? Ist sie deshalb so nüchtern? Das bleibt etwas schwammig für mich.

Dann sein Verhalten. Er beschließt abzureisen, nachdem er gesehen hat, wie sie ihren Sohn anschaut. Löst ihr Verhalten ihm - Victor - gegenüber nichts in ihm aus? Er muss doch wahnsinnig enttäuscht sein über ihre nüchterne Begrüßung, nachdem er sich monatelang in seine Gefühle für sie hereingesteigert hat.

In der Kapelle ist es ähnlich. Du beschreibst die Stimmung sehr eindrucksvoll, ich bin voll dabei, nur bei Victor bin ich nicht. Aber ich bin, wie gesagt, wohl einfach der falsche Adressat für diese Art von Texten.
Trotzdem wollte ich Dir einfach mal meinen Leseeindruck vermitteln.

Viele Grüße,

Chai

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anne49,

lieben Dank für deinen zweiten Besuch. Den Text habe ich bei der Gelegenheit komplett überarbeitet. Oh je, wie viele Unebenheiten ich beseitigen musste, hat sich aber gelohnt. Den Plotplan habe ich aus nostalgischen Gründen nicht verändert, schließlich wollte ich damals genau das: einen Tschechow-Text neu gestalten. Die Dialoge habe ich geglättet, Inna spricht jetzt korrektes Umgangs-Deutsch und den Akzent muss man sich denken, das haben auch vor einem Jahr viele kritisiert und eine Änderung gefordert, ihr hattet recht und ich danke euch, ist erledigt. :D (obwohl mir die Idee mit dem gebrochenen Deutsch immer noch gefällt):Pfeif:

Gleich meine brennendste Frage zuerst: Ich hab den Thread zwar, so gut es ging, quergelesen, aber wie heißt deine Vorlage von Tschechow? Hab's nicht gefunden ich Trottel. Bzw. wie lang ist die im Vergleich zu deinem Text und wie ähnlich vom Plot her?
der Herr Schuster hat den Titel samt Inhaltsangabe dankenswerterweise geliefert. Mein Text ist etwa halb so lang.

Ich frag das deshalb, weil ich so ein wenig mit dem Gedanken spiele, einen Roman (19. Jh.) zu einer (längeren) Kurzgeschichte zu verwursten. Also ins 21. Jahrhundert zu verlegen, aber im Grunde die gleiche Story. Problem ist nur, dass meine Vorlage eben ein Roman ist und ich keine Ahnung habe, ob mir das gelingt, das zu einer kürzeren Erzählung zu verdichten bzw. da die Essenz herauszuziehen.
würde ich mir überlegen, eine starre Vorlage nimmt dir einiges an kreativen Möglichkeiten, den Text einzuschmelzen klingt nach Inhaltsangabe. Versuch's doch mit eignen Ideen.

Es gibt ein paar fantastische Kinder- und Jugendbücher. Also, das könnte ich mir ja noch irgendwann vorstellen, zu versuchen. Ist bestimmt alles andere als "kinderleicht" zu schreiben!
ich bin nicht gerade weit. Zwei Mädchen wollen ein Pantherbaby retten. Sie haben geträumt, dass es seine Mama verloren hat. Der Tag ist so wunderbar rosa, also ziehen sie los und erleben unterwegs Abenteuer.

Heißt das etwa, du magst keinen Zuckerguss?!
doch sehr, und Schokolade auch, aber in dieser Geschichte habe ich keinen untergebracht, vielleicht auch wegen der Orientierung am Original.

(Bei mir ist es die letzte vor dem Urlaub, daher leider sehr viel Arbeit)
Hipi, der Sommer kommt und dein und mein Urläubchen.

liebe Grüße
Isegrims

 

Hallo Isegrims,

ja, so finde ich es viel besser! :thumbsup:

Herzlichen Dank an Herr Schuster, der meine Fragen gestern abend umgehend beanwortet hat. Das hat mich sehr gefreut! :)

Ja, und mit der Adaptation eines älteren Werkes, dass das die Kreativität nimmt, da sagst du was. Außer dem Grundmotiv wird wahrscheinlich doch nix übrig bleiben. Die Lebenssituation der Frauen hat sich inzwischen sehr verändert. Viele Elemente meiner Vorlage lassen sich nicht ins 21. Jahrhundert übertragen.

LG, Anne

 

Lieber Herr Schuster,

du erweist dich als ein profunder Kenner der russischen Literatur und Sprache. Ich danke dir sehr für deinen Kommentar und die Klarstellung. Deine Anmerkungen haben den Ausschlag gegeben, die Dialoge nun doch zu glätten, die falsche Sprachverwendung Innas gar nicht erst zu zeigen. Obwohl ich die Idee nach wie vor grundsätzlich richtig finde. Muss man auch im Zusammenhang mit dem Grundton des Textes betrachten, der immerhin das Thema einer Erzählung aus einer anderen Zeit übernimmt. Daher macht es Sinn, die Dialoge zu korrigieren.

vielen Dank für deine Story, die ich sehr gerne gelesen habe.
:Pfeif:

Im Russischen fällt das Sein-Verb im Präsenz weg. Wenn ich mich auf Russisch vorstellen würde, so würde es so klingen: Ich - Herr Schuster. Ich - müde! Ich - hungrig! Deswegen Russismen richtig ins Deutsche übersetzen: "Ikarus manchmal anstrengend".
merk ich mir für den nächsten Versuch.

Die "Russen" kennen keine Artikel, deswegen nutzen Sie meisten auch im Deutschen keine. Also, alle Artikel komplett streichen, anstatt sie im falschen FAll einzusetzen. Man kennt im Russischen auch keine HIlfsverben, wie "haben" oder "sein" zur Bildung von der Vergangenheitsformen. Man spricht so: "Ich gesagt dir, dass du sollst es machen".
ich muss Gespräche aufnehmen, so genau habe ich das nicht durchdacht.

Wolltest Du etwas damit sagen, dass Viktors Einfluß, Liebe diese qualitativen sprachlichen Veränderungen bei ihr herbeigeführt hat?
nein, oh nein, den Eindruck wollte ich nicht vermitteln.

Wenn Du diese Story von Anton ganz genau gelesen hast, dann ist Dir mit großer Wahrscheinlichkeit aufgefallen, dass es keine Liebesstory ist. Keine Spur von Romantik und Liebe! Mehr eine Banalität und primitive Triebe des Erzählers Gurin! Oder vielleicht doch! Der zentrale Protagonist Gurin schwärmt von der neuen Unbekannten, von der neuen Liebe.
so verhält sich Viktor in meiner Geschichte auch. Im Unterscheid zu Tschechow versuche ich, diese zweckgebundene Kälte der beiden, die das an sich romantische Geschehen kontrastiert, eher zu zeigen.

Jetzt zu deiner Story. Du postest sie bei Romantik. Also, ich darf annehmen, dass es eine romantische Story ist. Das ist sie aber definitiv nicht. Das einzige, was ich deiner Erzählung abgewinnen kann, ist eindeutige Faszination der beiden Protagonisten vor der Natur- und Urbanlandschaften.
das sehe ich nicht so. Sie betrachten einander als romantische Möglichkeit, eine potentielle Liebe, die sie aber letztlich verwerfen.

Inna schwärmt für helle Nächte, im Russischen einfach Deflorationswochen genannt, wo tausende Jungfer ihre Unschuld unter den unzähligen Gebischen unter dem freien Himmel verlieren.
Ich habe ein paar Passagen verändert, um den Eindruck zu zerstreuen. Pieter hat übrigens unabhängig von den weißen Nächten eine besondere Aura, die Härte des Landschaft, des Wetters steht im Gegensatz zu den südlich-sonnig anmutenden Bauten.

Und nun zum Titel: What the fake, wer ist dieser Ikarus? Wird dieser Hund "abstürzen"? Wird er zu seinem eigenen Verhängnis? Warum nicht Belka oder Scharik - die typischen russischen Hundenamen?
einerseits habe ich ihn wegen des Klangs Ikarus genannt, der Titel enthält dann drei I. Andererseits: Ikarus kommt der Sonne zu nahe und fällt deshalb. Und die Liebe der beiden Figuren scheitert an der Sonne, dem hellen Licht der Realität, dem Mangel an Liebe in ihnen selbst.

Also, deine Geschichte beweist uns erneut, dass die LIebe immer blind war und es immer bleiben wird.
ja, sehr richtig :Pfeif:

Vielen Dank, toller Kommentar, :thumbsup:
eine sonnige Woche für dich
Isegrims

 

Hallo, Isegrims,

ich bereue es zu tiefst, dass ich es mit dem russischen Deutsch angesprochen hatte. Ich finde, es wär tatsächlich besser, diese unsichtbare "sprachliche" Grenze/Entfernung zwischen den beiden Protagonisten aufzuzeichnen, die dem Leser der Geschichte das Leben zu schaffen gemacht hätte. Ich finde, dass der Leser über jedes einzelne Wort, Satz aus Innas Munde stolpern muss, um sich zu fragen, ob die Beziehung mit einem nicht-Muttersprachler in dieser Hinsicht möglich wäre.

Dieses Thema ist äußerst wichtig angesichts all der multikultipaare in unsere GEsellschaft...

Viele Grüße
Herr Schuster

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Chai,

dankeschön für deine Anmerkungen und die Zeit. Das meiste kann ich ganz gut nachvollziehen. Der Text war ein Experiment, das auch darin bestand eine bekannte Geschichte unter anderen Bedingungen erneut zu erzählen. Die Distanz liegt auch in der Anlage des Plots. Dennoch weiß ich, dass mehr Nähe zu den Figuren möglich wäre und vielleicht auch Sinn gemacht hätte. Als ich die Geschichte schrieb, habe ich mich anders entschieden (und vielleicht auch noch nicht über die richtigen Mittel dafür verfügt).

Ich denke, das ist in erster Linie eine Geschmacksfrage, denn geschrieben ist es gut, die Details, die Du erwähnst, die Stimmung in St. Petersburg, die Art, wie Du die Menschen - besonders den Portier - beschreibst, lassen starke Bilder vor meinem inneren Auge entstehen. Nur die Handlung zieht sich für mich in die Länge und kommt mMn nicht so richtig in Gang.
dankeschön, ich bin froh, dass mir die Einzelheiten gelungen sind. Die Länge ergibt sich auch aus der unmodernen Erzählweise. Ich habe diesen Einwand auch bei meiner letzten Geschichte gehört, die eine historische Begebenheit wiedergibt.

Wahrscheinlich liegt es an der nüchternen Erzählweise, ich habe zwar einen guten Eindruck davon, wie Inna riecht und schmeckt, aber Victor wirkt in allem so leidenschaftslos.
ich glaube, dass beide recht leidenschaftslos sind, unterm Strich, so nehme ich sie aber wahr, das will ich zeigen. Sie haben die Illusion von Leidenschaft, aber nichts davon ist echt.

Egal, wie oft man Frösche küsst, sie verwandeln sich nicht in Prinzen, also bricht man ihnen am Besten das Genick, dann kommt man gar nicht erst in Versuchung.
ja :Pfeif:

Die Stelle, an der sie sich im Schwimmbad begegnen, ist mir etwas zu lang herausgezögert und ich verstehe auch nicht, was Inna im Schwimmbad des Hotels macht. Auch hier passiert viel Nebensächliches, er geht schwimmen, beschreibt die Menschen, geht durch die Stadt, riecht, sieht, hört, fühlt, aber irgendwie ist er nicht wirklich greifbar für mich.
er ist auf der Suche, eine Art Selbstfindung ohne Ergebnis. allerdings denke ich auch, dass die Passage recht lang ist. (übrigens habe ich von der ersten Version mindestens ein Drittel gleich nach dem Schreiben gestrichen.

Er muss doch wahnsinnig enttäuscht sein über ihre nüchterne Begrüßung, nachdem er sich monatelang in seine Gefühle für sie hereingesteigert hat.
ich glaube, dass er nicht enttäuscht ist und hofft, dass sie im Frühjahr zu ihm kommt.

In der Kapelle ist es ähnlich. Du beschreibst die Stimmung sehr eindrucksvoll, ich bin voll dabei, nur bei Victor bin ich nicht.
die Stelle, darüber muss ich nachdenken, ich glaube da hast du recht, das könnte man anders gestalten, vielleicht arbeite ich dran.

Dankeschön Chai, hat mich sehr gefreut.
viele Grüße
Isegrims

Hallo Anne49

ich danke für das Feedback:shy:

ja, so finde ich es viel besser!

Ja, und mit der Adaptation eines älteren Werkes, dass das die Kreativität nimmt, da sagst du was. Außer dem Grundmotiv wird wahrscheinlich doch nix übrig bleiben. Die Lebenssituation der Frauen hat sich inzwischen sehr verändert. Viele Elemente meiner Vorlage lassen sich nicht ins 21. Jahrhundert übertragen.
einfach machen und dich nicht beirren lassen, dann siehst du, wo es hinführt und lernst auf jeden Fall eine Menge :thumbsup:

Lieben Gruß
Isegrims

Hallo Herr Schuster,

ich danke dir für deine Rückmeldung, wertvoll für mich, weil ich aus der Diskussion eine Menge lerne.

ich bereue es zu tiefst, dass ich es mit dem russischen Deutsch angesprochen hatte. Ich finde, es wär tatsächlich besser, diese unsichtbare "sprachliche" Grenze/Entfernung zwischen den beiden Protagonisten aufzuzeichnen, die dem Leser der Geschichte das Leben zu schaffen gemacht hätte.
darin bestand die erste Idee. Bei den Lesern und denen, die kommentiert haben, ist das anders angekommen. Viele haben sich an der verhunzten Sprachmelodie gestört, das romantische Timbre wurde getrübt und dergleichen. Deswegen habe ich letztlich geändert. Du warst das Zünglein an der Waage. Dennoch möchte ich das wieder probieren, in einem anderen, von der Anlage her moderneren Text. Dazu werde ich Gespräche aufzeichnen und deine grammatischen Hinweise nutzen.

Ich finde, dass der Leser über jedes einzelne Wort, Satz aus Innas Munde stolpern muss, um sich zu fragen, ob die Beziehung mit einem nicht-Muttersprachler in dieser Hinsicht möglich wäre.

Dieses Thema ist äußerst wichtig angesichts all der multikultipaare in unsere GEsellschaft...

das Thema einer solchen Geschichte gibst du hier vor. Wobei es eben auch kulturelle Unterschiede gibt, die man zeigen müsste.

Hat mir sehr viel gebracht, dein Kommentar, lieben Dank, Herr Schuster
viele Grüße aus einem schwarzen, dunklen, deutschen Gewittertag
Isegrims

 

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