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Im Kühlhaus

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31.07.2001
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Im Kühlhaus

Die Worte waren: Sandbank, blau, Kühlhaus, betören, Klappmesser

Es war so verdammt kalt. Fleischmassen hingen an Haken und schaukelten leicht, wenn sie dagegen stieß. Das Licht einer einzigen Neonröhre spiegelte sich kalt an den Fliesen der Wände. Kaltes Licht, kaltes Fleisch und kalte Luft. Was am schlimmsten war, konnte Angelina für den Moment nicht sagen. Sie war noch dabei, die Situation zu verarbeiten.

Es konnte nicht mehr als fünf Minuten her sein, da die schwere Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war und sie den Riegel hatte einrasten hören. Ein gedämpftes Geräusch. Klar, war ihr erster verstörter Gedanke gewesen, zwanzig Zentimeter Stahl tun ihr Bestes, um diese kleine Welt möglichst sich selbst zu überlassen. Sie hatte aber schnell gelernt, dass in dem ganzen Kühlhaus zumindest die Schalldynamik eine ganz eigene, ihr gänzlich unbekannte war. Jedes Geräusch klang so, als wären ihre Ohren ganz tief drinnen mit kleinen Wattebäuschen verstopft. Das Quietschen der Ketten, an denen die Fleischhaken hingen, das leise Tappen ihrer nackten Sohlen auf dem kalten Betonfußboden, alles schien irgendwie ermattet, übermüdet. So, als wären die Schallwellen zu träge, um in angemessener Geschwindigkeit die Sinneszellen in ihrem Ohr zu erregen. Oder als würden sie zwischen dem Fleisch verloren gehen.
Während Angelina die Arme um ihre Schultern schlang, durchmaß sie ihr neues Reich. Zwanzig Schritte in der Länge, zwölf in der Breite. Vielleicht ein, zwei weniger, wenn man bedachte, dass sie ab und zu den aufgehängten Tierresten hatte ausweichen müssen.
Was Du hast, ist, was du draus machst dachte sie und lächelte. Ihr Vater hatte das früher oft zu ihr gesagt, wenn sie sich wieder mal beschwert hatte, dass ihr Zimmer zu klein, ihre Kleidung nicht teuer genug oder das Fernsehprogramm zu langweilig sei. Mach es nicht kleiner, als es für dich sein kann. Das stimmte sicherlich.
Eher bereitete ihre Kleidung Probleme. Tatsächlich waren Slip und T-Shirt ziemlich ungünstig, wenn sie ihre Lage betrachtete. Aber das war noch kein Grund, um in Panik zu geraten. Angelina empfand so etwas wie grimmigen Stolz, weil sie nicht durchgedreht hatte, als die Tür hinter ihr zuschlug. Das war wahrscheinlich genau das, was man
wer?
erwartet hatte, aber so schnell war sie nicht zu kriegen. Dass die ganze Situation wirklich gefährlich werden konnte, damit rechnete sie nicht, noch nicht. Eines der vielen kleinen Spiele, die das Leben für einen bereithielt.
Und dabei mitspielen, das kann ich. Wenn auch nicht die Regeln aufstellen, aber mitspielen werde ich. Und das konnte sie tatsächlich.
Hatte sie bis jetzt jedenfalls immer gekonnt.
Klar, die ganzen Fleischstücke, ekelerregend, die Kälte, die durch ihre Fußsohlen drang, sich unter den dünnen Stoff ihres Hemdes schlich und still ihren Körper umgarnte, so, dass sich ihre Haare und Brustwarzen aufrichteten - das alles war natürlich unerfreulich, aber es könnte viel schlimmer sein. Solange Leben, solange Hoffnung; auch das hatte ihr Vater mehr als einmal aus seinem unerschöpflichen Schatz an Weisheiten herausgekramt und jetzt ließ sich etwas damit anfangen.
Zwischen zwei Schweinehälften blieb sie stehen und dachte an den Mann, durch den sie in diesem Moment ihre Ruhe gewann.

Sie hatten an der Küste gelebt. Ihre Mutter war früh verstorben, ein hässlicher kleiner Unfall, nichts anderes als eines der Spielchen, die das Leben für sie alle bereithielt. Leider hatte ihre Familie an jenem Tag einen Einsatz gewagt, von dem sie noch nicht einmal gewusst hatte, dass er eventuell auch verloren gehen könnte.
Es war nicht mehr als ein gemeinsamer Ausflug ins Watt. Dort zu wandern war über die Jahre so etwas wie eine Tradition geworden und für Angelina läutete dieser Tag immer den Sommer ein.
Zwanzig Minuten mit dem Auto, ein kleiner Ferienort am Strand, die Weite des Meeresbodens vor ihnen. Angelina war damals neun Jahre, elf Monate und genau siebzehn Tage alt gewesen und seit über einem Monat mit nichts anderem beschäftigt, als die Tage zu zählen, bis sie die magische zweistellige Zahl erreichen würde. Für ihren zehnten Geburtstag hatten ihre Eltern ihr etwas ganz besonderes versprochen – nicht einfach irgendeine Feier, bei der eine Meute johlender Kinder dumme Spiele spielten, nein: Es sollte etwas ganz Großes werden und Angelina hatte das unbestimmte Gefühl gehabt, dass es etwas mit dem neueröffneten Vergnügungspark unten in Frankreich zu tun hatte. Allein dieses Wort versprühte schon einen ganz eigenen Zauber, jedes Mal, wenn sie es hörte. Frankreich. Es klang wie Urlaub, Sonne, wie Micky Maus, Minnie und Pluto und schnurrbärtige Männer mit kecken Malerhüten auf dem Kopf.
Natürlich war es nicht dazu gekommen.
Sie waren hinaus ins Watt gewandert, hatten Krebse und Muscheln gesucht, waren in den Prielen geschwommen (eigentlich nur sie und ihr Vater – ihre Mutter hatte eine Abneigung gegen freie Gewässer) und einen schönen Tag verlebt. Die Flut war für den späten Nachmittag angekündigt worden und ihr Vater hatte einen genauen Zeitplan erarbeitet, nach dem sie sich richten mussten. Leider war der aufkommende Nebel nicht eingeplant gewesen, hatte als Unbekannte die ganze Gleichung mehr oder weniger über den Haufen geworfen und Angelina erinnerte sich noch heute daran, wie die Gesichter ihrer Eltern von stressfrei auf sorgenvoll umschalteten.
Irgendwann hatte sie ihren Vater gefragt, ob er denn noch wisse, wo ihr Auto stand, ihr würde langsam kalt und sie wolle nach Hause. Ihr Vater hatte sie kurz angesehen und dann einen weiteren Schatz aus seiner Weisheitssammlung ausgegraben: „Angie, Schatz, noch ist nicht aller Tage Abend.“ Daraufhin war ihre Mutter ausgerastet, hatte hysterisch festgestellt, dass das Wasser verflucht schnell um ihre Füße flösse und aller Tage Abend nicht mehr weit entfernt sei. Das war auch das einzige Mal, dass Angelina sah, wie ihr Vater seiner Frau eine heftige Ohrfeige gab. Danach blieb ihre Mutter ruhig. Für kurze Zeit.
Dreißig Minuten erreichten sie eine Sandbank, die noch nicht ganz vom Wasser überspült war. Der Nebel war inzwischen so dick, dass man Anfang und Ende ihrer kleinen Insel nicht mehr erkennen konnte. Ihr Vater befand, dass sie hier bleiben sollten und dann begannen ihre Eltern, um Hilfe zu rufen. Vielleicht fünf Minuten riefen sie, dann fingen sie an zu schreien. Angelina hielt sich an den Beinen ihres Vaters fest, denn inzwischen konnte sie sich kaum noch halten. Das Wasser stieg und zerrte an ihr.
Vielleicht zehn Minuten später kreischten ihre Eltern nur noch.
Angelina hatte sich ganz still in in ihre eigene Welt zurückgezogen, in der Micky, Donald und all die anderen lustigen Figuren mit ihr den zehnten Geburtstag feierten. Irgendwie hatte auch sie begriffen, dass es dazu nicht mehr kommen würde.
Deswegen bekam sie auch nicht mit, dass sie recht bald völlig den Boden unter den Füßen verloren und ihre Eltern sich entscheiden mussten, in welcher Konstellation sie am längsten überleben würden. Ihr Vater war am stärksten, Mutter und Kind hingen irgendwann nur noch in seinen Armen und so wären sie alle drei ertrunken.
So hatte sie auch nicht mitbekommen, wie ihre Mutter eine Entscheidung fällte und sich mit einem letzten kräftigen Stoß abstieß. Bis heute hatte ihr Vater nie davon gesprochen, welche Worte in jenem Moment die letzten gewesen waren.
Sie bekam nicht mit, wie ihr Vater schluchzend, völlig von Sinnen durch die wabernde Nebelwand schwamm, bis er tatsächlich durch bloßen Zufall die Boje einer Fahrrinne erreichte, an die er sich mit seiner Tochter klammerte, bis sie gerettet wurden.
Sie bekam erst viel später wieder etwas von ihrer Umgebung mit, als sie sich schließlich aus der lustigen Disneywelt verabschieden musste und in einer schalen Dämmerung voller Tränen und Schmerz aufwachte.

Die Neonröhre bevorzugte nichts im Raum, nicht Gegenstand, nicht totes, nicht lebendes Gewebe.
Angelina stand still zwischen dem hängenden Fleisch und strich sich benommen über die Augen. Es war in gewisser Weise unglaublich, aber sie hatte sich tatsächlich gehen lassen, hatte die kalte Welt verlassen und war in die Vergangenheit getaucht, die sie bis dahin immer erfolgreich verdrängt hatte.
Verdrängt? fragte etwas in ihr, aber sie drückte es schnell unter die Wellen des aufgewühlten Wassers ihrer Innenwelt.
Ihre Füsse schmerzten, der kalte Boden wurde langsam zur Qual.
Sie sah sich um.
Zwischen den Fleischhälften schienen die Kacheln der Wände matt, die Ketten schimmerten. Sie ging vier vorsichtige Schritte und atmete erleichtert auf, als sie an der hinteren Wand einige Schürzen sah, die an Kleiderhaken aufgehängt waren. Diese versprachen sicher keine Wärme, aber vielleicht linderten sie die Kälte ein wenig. Sie spürte neue Zuversicht in sich aufsteigen und setzte ihren Weg fort.
Dann ging das Licht aus.
Eine kurze Zeitspanne war sie wie gelähmt; vor ihren Augen tanzten Lichtblitze, Reflexionen. Das eigentlich hellrosa Fleisch um sie herum kämpfte um Schwarz und Weiß, ohne dass sich einer der Töne durchsetzen konnte. Dunkle und helle Vierecke an den Wänden.
Nebelwand.
Gerade noch sah sie ihre eigenen Hände vor sich, nach Halt greifend. Dann war Dunkelheit überall.
Angelina strauchelte. Ein entsetzter Schrei. Sie stolperte gegen kaltes Gewebe. Wich zurück. An ihrem Rücken ein anderes Stück Fleisch. Ihre ausgestreckten Arme berührten es zu ihrer Rechten, zu ihrer Linken, hinter ihr, vor ihr. Überall. Ein wilder Tanz, Fleisch in Bewegung, lebendes und totes. Sie konnte es riechen, unzusammenhängende Erinnerungen an ihre Mutter, wie sie in der Küche am Herd stand, hackend und bratend. Sie konnte es hören, wie es die Luft durchschnitt. Es berührte sie, es schlug nach ihr, streifte ihre Haut, traf sie an der Brust, den Kopf. Überall diese grauenhafte Masse, und sie tanzend in ihrer Mitte.
Dann fiel sie.

Nebelwand.
Nebel überall. Nichts als eine weiße Masse, die alles Licht nahm. Was überblieb, war nur ein nasser, zitternder Körper, an den sie sich mit aller Macht klammerte. Ein Körper, der Leben verheißen sollte, auch wenn er selbst so kalt war.
Sie hörte eine schrille, hohe Stimme, die nah an ihrem Ohr schrie. Brüllte. Bettelte.
Ständig rutschten ihre Hände ab, während die Wellen auf sie einschlugen, darum kämpften, sie von diesem nassen Menschen fortzureißen.
Ein tiefes, dumpfes Dröhnen um sie herum. Mächtig, mit den Wellen in einem Rhythmus. Lauter, mit jedem Augenblick in diesem Chaos.
Wohin? Wohin wollte es, wohin soll ich nur, bei Gott, wohin?
Da waren keine Retter um sie, kein Scherz, keine Weisheit ihres Vaters. Da war nur das tiefe Verlangen, sich herabsinken zu lassen, nur der Drang, sich wieder jener bunten Welt zu überlassen, mit Hunden und Mäusen zu spielen, zu feiern und dieses Unglück anderen zu überlassen. Vielleicht diesen Armen, die sie daran hinderten, sich fallen zu lassen und sie nicht gehen lassen wollten; auch wenn sie sich noch eben daran geklammert hatte – die Zeiten hatten sich geändert, ganz elementar geändert, eine wirkliche Kehrtwendung erfahren.
Warum lässt du mich nicht los?
Nein, lass mich nicht los.
Und mit einem Schlag tauchte diese riesige, schwarze und dröhnende Wand in der weiß-dunklen Welt auf und kam auf sie zu. Irgendwo ein Name daran, in hellen, riesigen Lettern.
So nah. So nah. Festklammern an ihm.
Ein Schrei in der Luft. Und das gnädige Versinken.

Wieder zurück in der Wirklichkeit. Und doch spürte sie noch immer die Kälte zwischen ihren Armen.
Langsam öffnete sie ihre Augen. Das Licht war wieder angeschaltet worden.
Zwischen ihren Armen dieses dicke Stück Fleisch, das sie wie in inniger Umarmung hielt.
Nein, lass mich nicht los.
Mit einem Aufschrei schob sie sich davon fort und sprang auf. Voller Ekel wischte sie sich über die Arme. Das T-Shirt feucht, die Haut kalt. Über ihr, noch in leichter Bewegung, der leere Haken, von dem sie das Fleisch heruntergerissen hatte.
Hey, was ist los? Freu dich! Du bist wieder da. In deiner eigenen kleinen, kalten Welt voller Erinnerungen, die man extra für dich an großen Haken aufgehängt hat. Du kannst sie gar nicht...
„Hör auf!“, schrie sie und wusste im ersten Moment nicht, wen sie damit meinte. Dann sah sie zwischen ihren schwankenden Erinnerungen hindurch die Tür am anderen Ende des Raumes. Das kleine Fenster im oberen Drittel des dicken Stahls.
Der Klang ihre Füße, als sie, voller Wut, darauf zustürmte. Klatsch, klatsch.
„Mach das nicht noch einmal!“
Klatsch, klatsch! Sind das deine Füße? Was glaubst du, was deine Titten für ein Geräusch machen, wie sie da vor dir auf und ab wippen? Auch klatsch, klatsch? Oder leiser? Feiner? Wie wohl deine Stimme klingt? Schrill? Ängstlich? Wie wohl Deine...
Stumpf prallte sie gegen den Stahl. Wich nicht zurück. Ignorierte das taube Gefühl. Bekam es gar nicht mit. Ihre Fäuste trommelten gegen die Tür ihres Gefängnisses, in schneller Folge kamen die Schläge.
„Mach das noch einmal und du bist tot! Ich töte dich!“
Als ihre Kräfte erlahmten, ließ sie die Arme sinken und stand mit eingesunkenen Schultern vor der Tür. Wie hatte sie sich so gehen lassen können?
Ja, wie hast du bloß? War das nicht deine Stärke? Cool bleiben?
„Halts Maul“ flüsterte sie erschöpft. Ihre Hände pochten und in ihren Schultern spürte sie die erschöpften Muskeln. Es war tatsächlich lächerlich. Standhaft war sie die ganze Zeit gewesen. Und diese zwei, drei Momente hatten sie so außer Fassung geraten lassen. Schlimmer, hatten Momente an die Oberfläche gebracht, an die sie sich bis jetzt noch nicht einmal im Traum erinnert hatte. Die Momente an der Boje, als sie sich an ihren Vater geklammert hatte und sie beide wussten, dass ihre Mutter irgendwo in dem Nebel ertrunken war. Als das Schiff auftauchte, das sie gerettet hatte und sie mit einer Schuld hatte weiterleben lassen.
Schuld? Aha, das hatten wir heute ja noch gar nicht. Schuld woran? Gegenüber wem?
„Sei doch einfach ruhig“ Einmal mehr geflüstert. Keine Kraft mehr. Angelina lehnte sich gegen die Tür. Sie verharrte in dieser Position und suchte Ruhe.
Und fand keine Erinnerungen, sondern einen Moment, in dem tatsächlich nichts war. So entspannend.
Dann Erschrecken. Ein Schlag gegen die Tür. Ihr Zurückprallen, ein leiser Schrei, und dann drei stolpernde Schritte, wedelnde Arme, ohne Halt zu finden.
Angelina fiel rückwärts, drehte sich und kam schmerzhaft auf dem Beton auf. Sie stöhnte, krümmte sich auf dem Boden.
Und sie wollte um nichts in der Welt zur Tür blicken. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie hilflos ausgeliefert war. Um sie herum war es kalt, sie beinahe nackt, schutzlos ausgeliefert. Über ihr die leicht schwingenden Massen von Fleisch, wie stumme Richter, Mitglieder einer Jury, die über ein Urteil berieten, während sie noch nicht einmal die Anklage kannte.
Sie rollte sich zusammen, umschlang mit den Armen ihre Beine, die Augen geschlossen. Der Boden war hart, vom Aufprall schmerzten ihre Hüfte, die Ellbogen. Was wollte man von ihr?
Ja, was nur? War da nicht von Schuld die Rede? Hast du nicht an Schuld gedacht?
Nein, das habe ich nicht. Und jetzt halte endlich das verfluchte Maul. Du kannst mich.

Stille. In ihr. Um sie herum.

Irgendwann rührte sie sich wieder. Sie strich sich sanft über Arme und Beine, unbewusst, um ihre körperliche Unversehrtheit zu überprüfen. Auch war es eine tröstende Geste, die sie sich selbst schenkte. Die sie brauchte.
Ihre Haut war eiskalt. So sehr sie es sich wünschte, sie spürte die Berührung ihrer Finger kaum. Ihr Körper zitterte. Sie wusste, das ihre Lippen blau waren. Sie mussten blau sein. Wahrscheinlich schon dunkelblau.
Sie setzte sich auf und drehte den Kopf langsam zur Tür. Automatisch sah sie dabei durch die gespreizten Finger, ganz so, wie sie es getan hatte, wenn sie früher zusammen mit ihrem Vater billige Horrorfilme im Spätprogramm gesehen hatte, ohne dass ihre Mutter etwas davon wusste.
An dem Fenster klebte ein weißer Zettel.
Sie erkannte die perforierte Linie, die Löcher, um das Papier abzuheften. Die feinen Schriftzeichen auf dem weißen Hintergrund.
Wenn wir hier fertig sind, haben wir wohl eine ziemlich dicke Mappe, denkst du nicht auch? Viele Zettel mit kleinen Erinnerungen, mit kleinen Schuldgefühlen und vielleicht großen Geständnissen?
Sie ignorierte die innere Stimme und stemmte sich hoch. Dabei berührte ihre Hand einen Gegenstand, der neben ihr lag. Als sie erkannte, was es war, setzte sie sich wieder.
Auch dieses Ding wurde von der Neonleuchte weder mehr, noch minder beleuchtet, als alle anderen Sachen in dem Kühlhaus. Steril glänzte der metallener Körper in dem widerlichen Licht.
Ein Klappmesser.
Es war ein großes Messer, obwohl die Klinge noch zwischen den beiden silberfarbenen Handgriffen ruhte. In regelmäßigen Abständen waren kreisrunde Löcher eingelassen. Angelina sah es an. Ganz unbeteiligt lag es da auf dem Boden.
Ihre Hand zuckte leicht und, ohne es zu wollen, hatte sie das Messer in der Hand.
Es gab ihr sofort ein beruhigendes Gefühl. Mit geübten Fingern ließ sie die Klinge mehrmals herausspringen; das Metall tanzte geschmeidig um ihre Finger, weckte wieder etwas Gefühl in den Gliedern.
Das war eine Sache, von der ihre Mutter auch nie etwas gewusst hatte. In der Garage, die für ihren Vater der Bastelraum und für sie eine kleine Welt voller Wunder gewesen war, hatte er ihr geduldig beigebracht, wie man mit diesen Dingern umzugehen hat. Sie hatte staunend seinen ruhigen Fingern zugeschaut, seine grauen Augen beobachtet und gelernt. Es war eines dieser Vater-Tochter-Geheimnisse gewesen. Angelina hatte sich nie gefragt, warum er das getan hatte. Wahrscheinlich tat es ihm gut, von seiner Tochter bewundert zu werden. Das dachte sie in diesem Moment.
Aber du fragst dich nicht, warum dieses Messer jetzt gerade hier ist, nicht wahr? Wer hat es wohl hier hingelegt?
Jetzt nicht wichtig. Das Gefühl war gut und allein das zählte.
Das Messer tanzte zeitlos in ihrer Hand. Sie fühlte sich sicherer und sah wieder zu dem kleinen Fenster in der Tür. Was stand auf dem Zettel?
Ja, welche Nachricht schreibt jemand, der dich nachts aus deinem Bett geholt - über dich verfügt - und hier hergebracht hat? Einkaufsliste? Liebesbrief? Ich glaube nicht.
„Keiner fragt dich“ murmelte sie und erhob sich.
Langsam ging sie auf die Tür zu. Mit ihren Schritten hörte sie zugleich das Blut in ihren Schläfen pochen. Die Kälte war für den Moment vergessen. In ihrer linken Hand hielt sie das Messer.
Mit jedem Schritt verengte sich ihr Blickfeld, bis sie irgendwann durch einen Tunnel zu sehen schien, dessen Ende das weiße, perforierte Stück Papier war, das mit einem Stück Klebeband an der Scheibe befestigt war. Deutlich erkannte sie jeden Knick, wie Blitze geformt, verfolgte die hellgrauen Linien darauf, die gleichmäßige Vierecke bildeten. In geschwungenen Großbuchstaben standen Worte dort, die ihr zuerst völlig sinnlos vorkamen
schneid
Ohne Sinn
deine
Angelina konzentrierte sich und ihr Blick klärte sich; der Tunnel war verschwunden.

SCHNEID DEINE HAARE AB

Der Schock schmerzte beinahe körperlich. Die Worte schlugen ihr ins Gesicht, der Gedanke dahinter verletzte sie tief in ihrem Inneren. Sie prallte von der Tür zurück, das Messer fiel ihr aus der Hand und ihr wurde bewusst, dass diese Waffe nicht hier war, um ihr Sicherheit zu verschaffen. Sie sollte ihr schaden. Sie selbst sollte sich schaden.
„Ich“ fing Angelina an, aber ihr versagte die Stimme. Der Schutzwall aus Scherzen und Weisheiten ihres Vaters zerbrach. Da waren nur noch diese vier Worte, die ihren Kopf ausfüllten, dort wie eine Armee durchgedrehter Springteufel Chaos und Verwirrung stifteten.
Schneid deine Haare ab, komm schon, Baby, Angie, komm schon, das was du hast, ist, was du draus machst.
Vielleicht. Nur hatte sie nicht mehr das Gefühl, dass sie es war, die hier irgendetwas hatte. Da draußen war jemand, der hatte sie, und er war dabei, etwas mit ihr zu machen.
„Ich werde das nicht tun“ kam es leise aus ihr heraus. Sie sprach nicht bewusst, etwas in ihr hatte schnell diesen Riegel vorgeschoben, diese Ablehnung in ihren Kopf gepflanzt, damit sie nichts Falsches tat.
„Ich werde das nicht tun“ wiederholte sie und vernahm dieses Mal sogar ihre Worte - ohne deren Sinn richtig greifen zu können, aber sie hörten sich gut an. Es klang ganz entfernt nach dem, was sie verloren hatte, als sie den Sinn der Aufforderung verstanden hatte.
„Ich werde das nicht tun!“ rief sie und sah wieder zu der Tür. Es war ein seltsames Gefühl, aber das einzige, was ihren Feind verkörperte, war diese eiserne Tür und das kleine Fenster
sein Auge, sein Mund
darin.
Zyklop, Ungeheuer
Ja, das war er. Ein verdammtes Ungeheuer.
Die Hände auf ihre kalten Knie gestützt, beugte sie sich vor und schrie die Tür an. „Ich werde das nicht tun, du Ratte! Ich werde das verdammt nicht tun!“
Der Zettel verschwand. Sie sah die Hand nicht, es war eine fließende Bewegung. Eine neue Nachricht erschien. Beinahe sanft schmiegte sich das Blatt Papier an das Glas.

TU ES ODER DAS LICHT GEHT AUS

Nein.
Angelina sackte in sich zusammen. Ihre Muskeln versagten ganz einfach den Dienst und sie fiel auf die Knie.
Licht aus, Film ab! Eine neue Reise in die Vergangenheit. Was wohl diesmal kommt?
Nichts. Nichts würde kommen. Denn so weit würde sie nicht noch einmal gehen. Mit Grauen erinnerte sie sich an das kalte, feuchte Stück Fleisch, das sie in ihren Armen gehalten hatte. Erinnerte sich an die böse Zeit, die sie im Wasser zugebracht hatte. Und ganz weit hinten hörte sie ihren Vater betteln.
Bitte! Bitte, hier sind wir. Angie und ich. Meine kleine Messerkönigin und ihr armer alter Vater.
Sie fand keine Kraft, um die Stimme in ihrem Inneren abzustellen. Sie schloss die Augen. Ihre rechte Hand glitt suchend über den Boden und schloss sich um den Griff des Messers. Mit einer einzigen Bewegung ließ sie die Klinge zwischen den Griffen hervortanzen und führte sie zu ihrem Kopf.
Haare fielen. Und mit ihnen bittere Tränen. Angelina spürte die Schmerzen auf ihrer Kopfhaut nicht, ihre Hände arbeiteten automatisch und kurz sah man hinter dem Fenster zwei Augen aufblitzen.
Sie verschwanden, als Angelina die Hand sinken ließ. Und behände Finger schrieben einen neuen Zettel.

Um sie herum lag das Haar.
Angelina hatte die Augen wieder geöffnet, lange, nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig war. Auf ihren Beinen, den Schultern, auf den Brüsten fand sie lange, schwarze Strähnen. Das Messer war neben ihr.
Sie sah es an und sie hasste es. Aus tiefstem Herzen hasste sie dieses metallene Ding, das wie unbeteiligt auf dem Boden lag. In aller Stille saß sie da, nicht weit von der Tür entfernt und lebte ihren Hass. Das Fleisch hing stumm hinter ihr, das Neonlicht beleuchtete den Raum, gleichmütig, unbeteiligt.
Angelina wandte den Blick von dem Messer ab und sah ihre Hand an. Auch die hasste sie. Sie sah ihre Füße, Beine, Arme an und verspürte Hass. Warum hatte sie das getan? Nur aus Angst vor der Dunkelheit?
Aus Angst vor den Erinnerungen, Angie. Sie schaukeln, ganz dicht hinter dir in der Dunkelheit und davor hast du Angst.
Das stimmte. Sie hatte Angst vor Erinnerungen. Seit dem Tag, da ihre Mutter gestorben war, hatte sie Angst vor Erinnerungen, die immer auftauchten, wenn es dunkel war, wenn sie allein war. Seitdem war sie selten in der Nacht allein gewesen. Ihr wurde klar, dass sie den Tod ihrer Mutter, den Fall des Vaters ihre ganze Jugend über nicht verwunden hatte.
Und war da nicht irgendwann von Schuld die Rede, Baby? Glaubt da vielleicht irgendwer, dass dies hier nicht ganz unverdient ist?
Verdammt, nein! Was kann ich dafür, dass es ...
... verdient ist?
Halt’s Maul! Halt das...

Sie fühlte sich einfach hilflos. Brauchte eine starke, eine schützende Hand. Jemand, der sie in seinen Armen barg. Der ihr sagte, was in ihr los war.
Und sie erinnerte sich.

„Du fühlst dich gut, Angie.“
Keuchend, wie nasser Schweiß kamen die Worte über seine Lippen.
Sie sagte nichts, presste die Lippen zusammen und genoss gleichzeitig das Gefühl.
„Du fühlst dich wie?“
Sie kämpfte, versuchte, die Worte in ihrer Kehle zu ersticken. Die Stricke um ihre Handgelenke scheuerten, ihre Oberarme schmerzten, jedes Mal, wenn der Rhythmus sie nach unten zog. Und dann presste sie die Silben heraus.
„Gut. Ich fühle mich gut.“
Brix’ Körper erbebte und er stieß zu.
Sie stöhnte. Spürte seine langen Haare auf ihrem Gesicht, biss sich darin fest. Riss seinen Kopf nach unten. Und ein Spruch ihres Vaters kam ihr in den Sinn.
Das Leben, Angie, ist ein Geben und ein Nehmen. Sieh zu, dass du beides kannst.
Auch damit hatte er recht. Wie so oft, wenn er mit einem Grinsen in seiner Schatztruhe herumgekramt hatte, um seine Weisheiten hervorzuzaubern.
Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, nur Sekunden lang. Brix über ihr wand sich, kämpfte um sein Haar, errang die Vorherrschaft zurück, als ihre Köpfe unsanft aneinander stießen.
Angelina dachte an den letzten Schatz, den ihr Vater ihr geschenkt hatte.
„Angie, Schatz, noch ist nicht aller Tage Abend“ hatte er ihr an dem Tag im Watt offenbart.
Sie konnte sich noch genau daran erinnern. Das einzige Bild, das sie von diesem Tag überhaupt noch wachrufen konnte. Sein leicht verzerrtes Grinsen, das sie in dem Moment mehr abgeschreckt, als beruhigt hatte. Der Aufschrei ihrer Mutter. Dann das Geräusch, als seine Hand in ihrem Gesicht gelandet war.
Seit diesem Tag hatte ihr Vater all das verloren. Zuerst unbemerkt. Aber es war von den hohen Wellen einfach fortgespült worden. An diesem Tag. Wie ihre Mutter auf den Grund des Meeres gerissen.
Der Mann über ihr sog in schnellen Zügen die Luft in sich ein. Hielt sich an ihren wehrlosen Händen fest, genoss sichtlich das Gefühl, ihre Finger zu vereinigen, wann es ihm passte.
Auch ihr Körper spannte sich, ein leichtes Rauschen im Bauch breitete sich bis herunter zu ihren Schenkeln aus. Sie atmete ebenfalls schneller.
Und doch zog es ihre Gedanken zurück zu ihrem Vater. Die ersten Monate nach dem Unfall.
Die wenigen Male, wenn er darüber sprach, nannte er es stets einen Unfall. Angelina hatte für diesen Tag bis heute keinen Namen gefunden.
Die ersten Monate hatte er sich rührend um sie gekümmert. War im Krankenhaus an ihrer Seite gewesen, hatte sie nie alleine schlafen lassen und gegenseitig hatten sie sich nach ihren Alpträumen festgehalten. Es war eine Vater-Tochter-Zeit gewesen, die, in einem umfassenden Grau gefangen, immer danach strebte, so etwas wie Farbe zu sein.
Dann, nachdem der erste, alles überspülende Schmerz gegangen war, hatte er das Vater-Sein verloren. Sie hatte sich mehr und mehr wie in einem Gefängnis gefühlt, eingesperrt zwischen dem stillen Leiden dieses Mannes, den Augenblicken, da sie ihm Trost spenden wollte, da sie selber Trost brauchte und den immer mächtiger werdenden Tagen, in denen zwischen ihnen eine kälte aufstieg, die sie nicht verstehen konnte. Die sie auch jetzt nicht begriff.
Brix war soweit und obwohl ihre Gedanken weit weg waren, kam auch sie. Heftig zerrten ihre Arme an den Stricken und jeder Moment, in dem sie spürte, dass sie gefangen war, nicht los konnte, stärkte ihr Empfinden, machte den Moment intensiver.
Ihr Vater hatte sie nie freigelassen. Er hatte sie in einen unsichtbaren Kokon gewebt, dessen Farben von außen nach innen, von Kühle über Abneigung zu Hass schimmerten. Gefangen. Dieser Gedanke war zu kurz und sie konnte ihn nicht halten.
„Brix, hilf mir, lass mich frei.“
Oh Gott, wie gut es tut, das zu sagen!
„Ich sag dir wann, Baby, ich sag dir, wann.“
Oh Gott, wie gut es tut, das zu hören.
Es war wie im Film. Beide kamen gleichzeitig. Beide kamen heftig.
Und als er sie einige Zeit später von ihren Fesseln befreite und sie sich die geschundenen Handgelenke hielt, sagte er: „Angie, ich weiß, was dir gefehlt hat; ich kann dir sagen, was in dir los ist und was du willst.“
Sie nickte und er fuhr fort: „Du hast es gut gemacht – du kannst mich immer bitten, dich freizulassen, aber nie“ und er machte eine bedeutungsvolle Pause, „nie darfst du es verlangen.“

Verlangen. Nie verlangen.
In dem Moment hätte Brix ihr Vater sein können.
Wie konnte sie verlangen, dass er sie freiließ? War da Schuld? War da tatsächlich Schuld? Oder was sonst?
Sie zitterte, versuchte aufzustehen. Ihre Muskeln wehrten sich, zu lange der Kälte ausgesetzt. Ihre Glieder zitterten, ihre Haut fühlte nicht mehr.
Sie kämpfte und irgendwann stand sie auf den Füßen.
Die armen Füße. So kalt. So gefühllos. Was meinst du, wie lange hältst du das noch aus, Angie?
„Ich weiß nicht“ flüsterte sie. Ihr Kopf sank auf die Brust und langsam hob sie die Hände. Befühlte ihre Haare, die in kurzen Strähnen zottelig von ihrem Kopf abstanden.
„Ich weiß es nicht.“
Sie hob mühsam den Kopf und war kaum erstaunt, als sie am Fenster ein neuen Zettel kleben sah. Ein neuer Satz, eine neue Runde.
Noch ist es nicht vorbei, mein Schatz.
„Ich weiß.“ Langsam ging sie näher heran und las die zweite Aufforderung.

EIN SCHNITT – ARM ODER BEIN – SUCH ES DIR AUS

Einen Moment lang versuchte Angelina, Entsetzen in sich zu finden. Irgendwie war es doch das, was zu erwarten gewesen war.
Nirgends steht geschrieben, dass du allein mit kurzen Haaren hier rauskommst, nicht wahr? Nein.
Das Entsetzen fand sie. Wie ein kleines, schwarzes Loch lag es tief in ihr und saugte langsam, stetig, unerbittlich ihre Gedanken auf.
Jetzt war es so weit. Sie hatte darauf gewartet, auf etwas, das Schmerz bedeutete. Schmerzen, Narben
Sei froh, wenn es nur Narben bleiben
vielleicht sogar Schlimmeres.
„Nein“ hauchte sie. Die Kälte hatte nun nicht nur von ihrem Körper Besitz ergriffen, sie war tief in ihr Inneres vorgedrungen, umschlang Inseln in einem Sumpf aus Gefühlen, die sie erst langsam zu verstehen begann.
„Nein, bitte, nicht das.“ Sie war sich nicht sicher, ob ihre Worte draußen zu hören waren, fand aber keine Kraft, um sie lauter zu wiederholen.
Aber es war laut genug.

ES IST KALT, ODER?
WILLST DU NICHT RAUS?

Sie sah die geschriebene Antwort kaum; beinahe wusste sie, was kommen würde.
„Ja, ich will raus. Lass mich bitte raus. Mir ist kalt. Ich habe Angst.“
Erneut verschwand der Zettel, wurde ersetzt durch einen neuen.

EIN SCHNITT

„Nein.“
Aber sie ging wieder in die Knie, ihre Hand glitt wieder suchend über den Betonboden.
Angie, Baby, ein kleiner Schnitt und du kommst vielleicht hier raus. Was hältst du davon?
Das Messer lag schwer in ihrer Hand. Diesmal gelang es ihr nicht, es mit einer Bewegung zwischen den Fingern zu öffnen. Die Geschmeidigkeit blieb irgendwo hängen und sie musste die zweite Hand zu Hilfe nehmen, damit die Klinge aus ihrem metallenen Bett auftauchte. Sie leuchtete hell auf und zum ersten Mal hatte Angelina das Gefühl, dass das Neonlicht nicht mehr neutral war. Die Klinge schimmerte und blitzte, ein arrogantes und hässliches Etwas, das in ihrer Hand lag und nur darauf wartete, ihr wehzutun.
Leise wimmerte sie, als sie erst den einen Arm, dann den anderen vor ihre Augen hielt. Sie sah sich ihre Beine an, musste eine Entscheidung treffen. Schloss die Augen.
Die Spitze des Messer fuhr durch Haut und Muskeln eines Beines.
Im ersten Moment war es nicht schlimm; die Kälte hatte ihr Empfinden betäubt. Dann Schmerzen; kein langsames Auftauchen, kein einfaches Protestieren ihres Körpers. Das rasende Gefühl stürmte Bastionen und nahm ihr Innerstes ein, nur Bruchteile klaren Denkens. Ein langgezogener Schrei platzte aus ihr, brach den Panzer, der sie ganz weit unten beschützt hatte. Der auch irgendetwas eingeschlossen hatte. Nun kam es heraus und verlangte zu atmen. Blut floss.
Ihre Hand machte weiter.
Die Klinge schnitt weit und tief. Angelina schrie und führte einen Kampf gegen sich selbst. Die Hand, die gerne das Messer führte, der Vater in Gestalt heißen Metalls, beide führten die eine Seite; auf der anderen stand die Angelina, die sich im Dunkeln fürchtete, die Angelina, die sich in unzählige Arme geworfen hatte, nur, um nicht allein zu sein. Sie, die so verzweifelt den Vater vermisste, der stets mit einem Lächeln die Wahrheit aus der Welt herauswrang. Die Angelina, die noch jede Nacht schreiend um ihre verlorene Mutter weinte, die stets in sich eine Schuld gesucht hatte, eine Schuld, die ihren Vater gerechtfertigt hätte und die doch nie da war. Die nie da war.
Das Metall fuhr aus ihrem Körper, ihre Hand, ihre Hand zog es zurück und fasste es gleichzeitig fester als je irgendetwas. Sie schluchzte laut. Dann brüllte sie.
„Du kannst mich, Dad! Komm doch her! Komm endlich rein! Ich habe keine verfluchte Schuld, es war nicht mein Fehler!“
Sie weinte Tränen, die sich mit dem heißen Blut vermischten. In inniger Gemeinschaft liefen sie über ihr Fleisch, während sie sich hochstemmte, ihr Gewicht auf das gesunde Bein verlagerte und die Tür anschrie.
„Komm doch, du Wichser! Komm Dad, komm Brix, kommt alle! Ich hasse euch! Ich töte euch!“
Sie humpelte rückwärts in den Raum zurück, prallte gegen die toten Fleischstücke, bemerkte es nicht. Sie hatte nur eine dunkle Idee im Kopf und näherte sich einem Ziel. Nichts anderes zählte.
Das Licht ging aus.
Angelina lachte.
Sie kriegen dich nicht mehr – du hast sie soweit, Angie, du hast
Verpiss dich aus meinem Kopf, du Sau, verpiss

„Dich aus meinem Kopf!“ schrie sie in die Dunkelheit und die Stimme verstummte. Was gut war. Sie war der Verräter Nummer eins gewesen.
Angelina drehte sich, packte eines der Fleischstücke und machte sich an die Arbeit. Viel Zeit blieb nicht.

Ein unendlicher Hass waberte in seinem Kopf. Er konnte es nicht glauben. Was war schiefgelaufen? Warum tat sie nicht, was er erwartete?
Warum litt sie nicht weiter? So, wie er es getan hatte, die ganze Zeit, die ganzen langen Jahre.
Ein langgezogenes Keuchen entfuhr seiner Kehle, er hieb auf den Lichtschalter, riss den Riegel beiseite und öffnete die Tür.
Zeig es ihr, Daddy-O, was du hast, ist was du draus machst.
Bei Gott, wie er es ihr zeigen würde.

Die Tür schwang auf. Angelina fuhr herum und sah eine Gestalt hereinstürmen, sah die Gestalt, welche die ersten zehn Jahre ihres Lebens ihr Vater gewesen war.

„Angie!“
Zuerst sah er nur die vielen Stücke Fleisch, die an ihren Haken schwangen. Dann sah er die Kacheln an der Wand, in dem Grau-Weiß getüncht, das seit über zehn Jahren die Farben in seinem Leben getötet hatte. Dann sah er sie.
„Angie!“
Sie stand im hinteren Teil des Raumes, immer wieder verdeckt von toten Tierhälften. Das weiße T-Shirt betonte die Rundungen ihres Körpers, bedeckte Brüste, die eigentlich seiner Frau gehörten.
„Du hast sie getötet, Angie!“
Blut lief an ihrem Bein herunter. Viel Blut und es tat ihm so gut, es zu sehen, dieses leuchtende Rot. Er wollte mehr davon.

Angie wich zurück.
Das, was auf sie zukam, war nicht der Vater, den das Kind in ihr im Herzen bewahren wollte. Das war kaum ein Mensch. Sie weinte und schrie: „Du kannst mich, du Drecksau! Du hast mir wehgetan. Du hast mich um meinen Vater betrogen!“
Mit rudernden Armen stieß er die Fleischstücke zur Seite, kam auf sie zu.
Dann blieb sie stehen. Und sah ihn nur an. Angst verschwand. Da war nichts, an dem sie noch festhalten wollte.

Beinahe schien er zu fliegen.
Flieg, Daddy-O.
So kam es ihm vor, als er auf seine Tochter zustürmte. Zeit war zeitlos, Sinn war sinnlos, es befriedigte nur seinen Hass. Es mutete ihm beinahe spielerisch an, als er seine Hände um ihren Hals legte.
Drück zu, Dad, drück zu. Was ist sie, dass sie überleben durfte?
Nichts. Sie ist nichts.

Angelina hatte geglaubt, sie wüsste, was kalt bedeutete, dass sie es heute kennen gelernt hatte. Aber als sich seine Hände um ihren Hals legten, erfuhr sie eine ganz andere Art von Kälte. Es war die Erkenntnis, dass ihr Vater sie wirklich töten wollte. Der Moment, in dem klar war, dass sie nie wieder Eltern haben würde, so weit der Begriff auch reichte. Das sie nie wieder Eltern würde haben können, dass allein der Gedanke absurd war.
Von seiner Wucht mitgerissen, wurde sie nach hinten geschleudert. Es war knapp, aber sie erreichte das dicke Stück Fleisch zu ihrer Rechten. Gab ihm einen gewaltigen Tritt. Mit letzter Kraft, in letzter Sekunde. Wie schwerelos schwebte es durch die Luft, verharrte kurz beinahe waagerecht. Dann kam es zurück. In der fließenden Bewegung sah sie das Messer aufblitzen. Die Klinge ragte beinahe anmutig aus der rosa Masse, in die sie es getrieben hatte, bis ihre Hand blutete.
Ihr Vater brüllte sie an.
Sie wurde gegen die Wand geschleudert, spürte noch den Schmerz am Kopf und dann wurde alles schwarz.

Du hast sie, Daddy-O.
„Ich hab dich, du Dreckstück!“
Es war das beste Gefühl seines Lebens, als er endlich zudrücken konnte. Die Rache für ein Jahrzehnt Grau-Weiß.
„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede! Sie mich an!“ Er sah ihr in die Augen und verstummte.
Sie lächelte.
Und sie blickte auf etwas hinter ihm.
Dann prallte sie mit dem Kopf gegen die Fliesen und ihr Kinn sank auf seine großen Hände.
Im nächsten Moment fuhr ihm das Messer in den Rücken.

Das Gewicht des Fleisches trieb es tief in den Körper. Die Waffe hatte heute schon viel erlebt, aber wenn sie so etwas wie Gefühle kennen würde, könnte man davon ausgehen, dass ihr dieser Moment am meisten gefiel. Die Klinge durchdrang mühelos Fleisch, Muskeln, Knorpel und bohrte sich in das Herz.
Der Mann sackte zusammen; der Griff rutschte aus dem toten Fleisch heraus, das Messer blieb in seinem Rücken stecken - fast so, als wolle es dort sein, tief in dem noch warmen Gewebe.
Über ihnen schaukelte die Schweinehälfte.

Angelina ließ sich Zeit, bevor sie wieder auf die Beine kam. Ihr ganzer Körper tat höllisch weh. Die zerschnittene Hand, die tiefe Wunde in ihrem Oberschenkel, Rücken, Hals und Kopf.
Schließlich stand sie da, an die Wand gelehnt, die Hände an die Hüften gelegt und sah den toten Mann an.
Seine Augen starrten blicklos zur Decke.
Das war kein Mensch, den sie mal gekannt hatte.
„Ich war nie schuld“ sagte sie und trat gegen den Körper. Einmal, dann ein weiteres Mal. „Du kannst mich wirklich.“
Angelina wandte sich ab, humpelte zwischen den Fleischstücken über den kalten Betonboden und war wenige Augenblicke später durch die Tür verschwunden.
Sie war endlich frei.

 

Hi Baddax!

Deine Geschichte ist nicht „verdammt gut“, die ist Wahnsinn! Wie Du aus fünf vorgegebenen Wörtern eine derartig mitreißende, emotional tiefgehende Geschichte zu zaubern imstande bist, finde ich bewundernswert und es wundert mich nicht, daß es Kristin für´s erste die Sprache verschlagen hat... ;)

Du beherrscht die Klaviatur der Gefühle wie das kleine Einmaleins, das liest sich nicht nur aus dieser Geschichte heraus. Gekoppelt mit Deiner perfekten Ausdrucksweise samt einer gehörigen Portion Fantasie macht das aus Dir einen wirklich guten Autor, dessen Geschichten ich immer wieder gerne lesen werde!

Deine Protagonistin, Angelina, hat sich die Sinnsprüche ihres Vaters aber auch wirklich zu Herzen genommen – besonders den: „Solange Leben, solange Hoffnung“, denn die hat sie nicht aufgegeben, sondern ist vielmehr auch noch dem Spruch „Was du hast, ist, was du draus machst“ gefolgt, als sie nichts anderes hatte, als ein Messer und Schweine.... (Da hätte der Vater richtig stolz sein können, auf sie... :lol: )

Was mich jetzt beschäftigt, ist: Warum habe ich immer noch ein bisschen Mitleid mit dem Vater, obwohl der Satz

Es war der Moment, in dem jeder Teil in ihr wusste, dass ihr Vater sie wirklich töten wollte. Der Moment, in dem klar war, dass sie nie wieder Eltern haben würde, so weit der Begriff auch reichte. Dass sie nie wieder Eltern würde haben können, dass allein der Gedanke absurd war.
direkt von mir sein könnte, nur das Wort Vater durch Mutter ersetzt? – Ich war bei diesem Satz außerdem ein bisschen verwirrt, weil es für mich bisher nicht vorstellbar war, daß jemand auf dieses Gefühl zu sprechen/schreiben kommt, der es nicht direkt erlebt hat. – Aber ich nehme mal an, Du bist tatsächlich so begabt auf diesem Gebiet, denn das beweist Du ja auch mit zahlreichen anderen Beispielen.

Was ich mir während des Lesens angemerkt habe:

„...und das T-Shirt, dass sie trug...“ – das sie trug

„...weil sie nicht in durchgedreht hatte,...“ – in?

„Das die ganze Situation irgendwie wirklich gefährlich....“ – Dass die...

„Das Spiel war nicht mehr als ein gemeinsamen Ausflug ins Watt.“ – gemeinsamer

„Nein, sie sollte etwas ganz großes werden...“ – Großes

„...und ihre Vater hatte einen genauen Zeitplan erarbeitet,...“ – ihr Vater

„....Fleisch kämpfte um schwarz und weiß, ohne, dass....“ – Schwarz und Weiß

„Ihr ausgestreckten Arme berührten...“ – Ihre...

„Sie fühlte sich sicherer und sah sie wieder zu dem kleinen Fenster...“ – und sah wieder

Ähm, ich weiß nicht:

Halt’s Maul! Halt das
Sie fühlte sich einfach nur hilflos.
– Absicht oder vergessen?

Der Satz gefällt mir auch noch besonders gut:

„Das Leben, Angie, ist ein Geben und ein Nehmen. Sieh zu, dass du beides kannst.“

Und das finde ich auch sehr schön formuliert:

„die, in einem umfassenden Grau gefangen, immer danach strebte, so etwas wie Farbe zu sein.“

So, das war´s eigentlich... Das Lesen Deiner Geschichten ist eine sehr angenehme Beschäftigung und deshalb sage ich jetzt auch mal dafür, daß Du sie schreibst, Danke. Besonderer Dank gehört Dir obendrein, daß Du die Wörterbörse wiederbelebt hast!

Alles liebe
Susi

 

Hi, Kristin,
danke für Dein Lob! Bin gespannt auf eine weitere Meinung von Dir...

Hi, Susi,
erstmal Danke für das aufmerksame Lesen und die angemerkten Fehler; man kann echt lesen, so oft man will, sie bleiben einfach da...grr...na ja, hab sie ausgemerzt.

Ansonsten kann ich mich nur richtig doll bedanken für Dein dickes Lob, dafür, dass Du die Geschichten gerne liest und mir damit einen Ansporn gibst. Vielen Dank! :)

[ 07.07.2002, 16:34: Beitrag editiert von: baddax ]

 

Hallo baddax,

Im Grunde eine super Geschichte, allerdings am Ende ein wenig zu nahe an den Genrekonventionen für meinen Geschmack, weshalb mir Zacharias’ Garten immer noch ein bisschen besser gefällt. Trotzdem beeindruckend, was du hier aus den Wörtern geschaffen hast. Stilistisch nahezu einwandfrei. Hier und da könnte man ein wenig straffen, aber insgesamt hast du genau das richtige Gleichgewicht zwischen psychologisiertem Spannungsaufbau, und vorantreiben der Handlung gefunden. Was mir besonders gefällt, und mir auch schon bei anderen Texten von dir aufgefallen ist, ist, dass du nicht alles ins Detail beschreibst, und oftmals besonders schlimme Ereignisse der Vorstellung des Lesers überlässt (hier z.B. die Szene in der Brix zum ersten mal erwähnt wird). Der Nebel des Wattenmeeres könnte auch das Lesen dieser Geschichte beschreiben.

Gruss, und vielen Dank für die erneute Teilnahme,

I3en

 

Hi I3ten,

danke für's Lesen der Geschichte und Dein Lob.
Für das Ende hatte ich zwei Möglichkeiten: entweder so, wie es jetzt ist oder der Daddy erkennt sein krassen Fehlverhalten, sucht Vergebung, sie gewährt sie ihm nicht und geht einfach (verzeihen kann sie ihm defenitiv nicht).
Irgendwie hab ich's einfach damit, am Ende jemanden sterben zu lassen, dass hat man mir auch schon bei meinen beiden Geschichten, die in Horror stehen, gesagt. Die andere Wendung fand ich zwar interessant, aber da ich den Vater eh nicht mochte und ich ihre Weise, ihn umzubringen, spannend fand, lief es halt darauf hinaus.

Straffen ist so ne Sache. Prinzipiell möglich, auch weil die Geschichte etwas länger ist, aber als ich sie letztendlich durchgelesen habe, fiel mir kein überflüssiger Part auf. Ich glaube, es geht auch noch... ;)

Wieso der Nebel als Vergleich zum Lesen?

Danke nochmal für's Lesen und einen netten Gruß

baddax

 

Wieso der Nebel als Vergleich zum Lesen?
Na, weil du oft nicht explizit beschreibst, sondern den Leser gezielt bei manchen Sachen im unklaren lässt - den Leser quasi etwas vernebelst.

 

Hiya baddax.

Hatte die Story schon vor 'ner Weile gelesen, sorry, dass ich jetzt erst was schreibe.

Erstmal den Nippes...bei der wörtlichen Rede machst Du immer wieder denselben Fehler, nämlich

„Ich werde das nicht tun.“ wiederholte sie und hörte diesmal sogar ihre Worte.
"Ich werde das nicht tun", wiederholte sie und...

Musste mal durchgucken.

Eine Stelle hat mir inhaltlich nicht gefallen, und zwar die Retro, in der sich die Mutter vom Vater löst. Zwar bekommt die Protagonistin davon nichts mit, Dein Erzähler scheint aber allwissend...warum berichtet er dann nur so knapp? Hatte für mich die Konsequenz, dass diese Szene etwas unglaubwürdig erschien, vielleicht fehlten mir auch Bilder.

Ansonsten...Genre ist normalerweise nicht so mein Fall, aber es ist unbestreitbar, dass Du ne gute, solide Story geschrieben hast. In sich stimmig, gute Atmosphäre, Stil passt. Kommt nicht ganz an Zacharias ran, aber dennoch lesenswert!

Grüße,
San

 

Hi San,
auch Dir vielen Dank für's Lesen und Dein Lob.
Wörtliche Rede: Ups, noch nie bemerkt. Ich dachte immer, die w. Rede ist ein eigenständiger Part in dem Satz und bekommt deshalb auch ihren Punkt, wenn sie fertig ist. Also wird immer, wenn nach der w. Rede der Satz weitergeht auf den Punkt verzichtet? Aber Fragezeichen, Ausrufezeichen sind o.k. So habe ich das hier jetzt jedenfalls korrigiert.
So ein Mist - jetzt muss ich meine ganzen Stories durchwühlen... auf jeden Fall danke für den Tip, hätte ich sicher mein Leben lang weitergemacht.

Die Retro, da die Mutter sich aufgibt, habe ich so kurz gehalten, weil es für die Geschichte eigentlich nur wichtig ist, dass die Mutter auf diese Weise gestorben ist. Die drei haben sich als Familie (die Eltern als Ehepaar) gut verstanden, dass soll in dem Part anklingen (Gemeinsame Ausflüge, Geburtstag, Frankreich).
Es ist klar, dass der Verlust den Vater fertig macht (er schwimmt ja auch völlig 'von Sinnen' durch's Meer).
Auch soll der Part etwas emotionsarm sein, nur eine kalte Erinnerung, die sie noch relativ bewusst steuert (sie bleibt ja stehen, um an ihren Vater zu denken).
Deswegen habe ich keine Abschiedssequenz reingebaut - die wäre überflüssig gewesen, glaube ich...falls Du an so eine Szene gedacht hast.

Also, nochmals Danke,
mach's gut
baddax

 

Hi Baddax,

Klasse! Wüßte nicht, was ich daran noch rummeckern könnte, hab auch gar keine Lust dazu, weil ich noch zu befangen bin. Man ist von Beginn an gefesselt und liest ohne Unterbrechung zu Ende. Super!

Eine Kleinigkeit: 3.letzter Absatz "ihr Blick brach" bedeutet für mich, sie stirbt. Blick gebrochen= Tot. Hat mich irritiert. Vielleicht verstehe ich den gebrochenen Blick falsch? Was soll´s, einen Absatz weiter lebt sie ja wieder ;)

Gruß vom querkopp
P.S. Deine Angelina könnte mit Nachnamen Jolie heissen, hat irgendwie was von Tomb Raider.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi querkopp,

Du wirst lachen, aber einer der Hauptgründe für den Namen war gerade Angelina Jolie. Es tut einer Geschichte oft gut, wenn man jemanden hat, den man sich gut vorstellen kann - hatte, bevor ich angefange habe zu schreiben, einen Film mit ihr gesehen (ziemlich hohl übrigens - Mojave Moon) und ihr Bild war in meinem Kopf.

Das mit dem gebrochenen Blick hat für mich auch komisch gewirkt, als ich es geschrieben habe, aber irgendwie glaube ich, dass der Blick von jemandem, der kurzzeitig das Gedächtnis verliert schon so wirken kann. Jedenfalls ruft diese Beschreibung Emotionen hervor. Wenn Dir was besseres einfällt, sage auf jeden Fall Bescheid, okay?

Es freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat.

Einen netten Gruß

baddax

 

Hi baddax,

ich bin so überwältigt von der Geschichte, daß ich mir überhaupt keine Fehler gemerkt habe. Vielleicht sind ja auch schon alle weg?

Deine Geschichte ist wahnsinnig spannend und aufwühlend. Normalerweise höre ich auf zu lesen, wenn die Geschichten ziemlich lang sind und drucke sie lieber aus, aber das ging hierbei nicht. Ich mußte(!) weiterlesen.

Ganz große Klasse!

Gruß
Barbara

 

Liebe Barbara,
vielen Dank für's Lesen und natürlich freut es mich, dass Dir die Geschichte so gut gefallen hat. Immerhin hast Du so Papier gespart. ;)

Liebe Grüße, baddax

 

so, wieder zurückverschoben

Ich selbst fand die Geschichte ausgezeichnet, eigentlich schade, dass sie keine weiteren Kritiken bekam.

 

Naja, diese hat ja schon so einige Antworten ... vielen Dank auch für Dein Lob! :) Hat mich sehr gefreut.

Gruß, baddax

 

Hi Kristin,

freue mich sehr über Deine Antwort, vielen Dank für die Zeit, die Du Dir genommen hast. Deine netten Worte gehen sowieso runter wie Öl - vielen Dank auch dafür. :) Werde mich durch Deine Liste arbeiten und melde mich dann noch einmal.

Hehe - schlechte Gewissen zu infiltrieren ist doch schon was Tolles. :D

Lieben Gruß, baddax

 

Hi Kristin,
jetzt entschuldige ich mich, dass es länger gedauert hat. :shy:

Ich bin die Liste durchgegangen und alles, zu dem ich nix sage, nehme ich dankend als Verbesserung an.

Weder Biologie noch Physik zählten zu Angelinas Stärken, aber sie hatte das Gefühl, dass es mit der kalten Luft zusammenhängen musste.
Die matte Unwirklichkeit empfindet sie zum einen wg. der traumähnlichen Situation, in der sie sich so plötzlich wiederfindet; zum anderen gefiel mir der Gedanke, dass Geräusche zwischen den ganzen Fleischstücken (und es sind wirklich viele in dem Raum) an Kraft verlieren und verloren gehen. Aber den zitierten Satz nehme ich mal weg, da er nicht wirklich gut klingt und auch nicht wichtig ist. Stattdessen: "Oder als würden sie zwischen dem Fleisch verloren gehen."
Was ihr eher Probleme bereiten würde, war in diesem Fall ihre Kleidung.
Hab den Satz geändert. Das eher bezieht sich auf den Absatz davor, in dem der kleine Raum beschrieben wird.
unten in Frankreich
:D Wenn ich meine Eltern besuche, sage ich immer: "Ich fahre nach oben zur Küste." - dabei ist es von Hannover aus nicht so weit. Steckt drinne, nehme ich aber gerne raus.
Bei der Andeutung des Vergnügungsparks dachte ich an Disneyland in Paris (deshalb auch Mickey und so) - ich weiß noch, als der eröffnet wurde, war das ein Riesentrara und alle Medien, die Kinder erreichen sollen (Das lustige Taschenbuch, Der Disneyclub, der damals im Fernsehen lief) waren voll davon. Daher bin ich davon ausgegangen, dass sie davon gehört hat, öfter ihren Eltern davon erzählte und davon träumte, dass eben dies die Überraschung werden sollte. Ich muss noch einmal darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, das anders zu machen, denn so bezieht sich diese Anspielung auf einen bestimmten Zeitpunkt (und einen weltgeschichtlich nicht ganz so bedeutendes Ereignis) - und für Leute, die in hundert Jahren meine Geschichte lesen ( :D ), macht es dann keinen Sinn mehr, was irgendwie nicht wirklich gut ist.
Dreißig Minuten später hatten sie eine Sandbank erreicht

Das ganze "hatte" kannst Du hier z.B. mit "erreichten" umgehen.

Heute mach ich es - glaub ich - eh anders. Aber ich bin mir nie sicher: wenn ich das Jetzt (also im Kühlraum) schon in der einfachen Vergangenheit schreiben, muss dann nicht jeder Bericht über Ereignisse lange davor in der Vorvergangenheit geschrieben werden? Also immer: "hatte gesehen", "war ausgerastet" usw.?
Warum haengst Du eigentlich so an dem Plusquamperfekt?
s.o. - aber ich ändere es jetzt an einigen Stellen um, denn es klingt besser.
Wenn sie es nicht mitbekommen hat und ihr Vater nicht darueber sprach, woher weiss sie das dann? (Gilt auch fuer die folgenden Saetze.)
Hier spricht der allwissende Erzähler ... im Prinzip ist das ja eine Schlüsselszene für das Durchdrehen ihres Daddys und der Leser muss davon wissen. Alternativ könnte der Dad das natürlich noch am Ende erzählen, aber für seine Verfassung wäre das einfach nicht realistisch. Somit muss hier der Erzähler herhalten...
Sagt Fuss a zu Fuss b "Du, das ist mal wieder saukalt heute hier!"?
:D Okay, okay...
Sind solche Fleischerschuerzen nicht aus abwaschbarem Plastikzeuch?
Ja, stimmt. Ich relativier das mal etwas.
Warum sieht sie ueberhaupt was?
Das Licht ist wieder an, hab ich weiter oben in dem Absatz nachgetragen. :shy:
Ignorierte das taube Gefühl.

Warum nicht "die Taubheit"?

Hier gefällt mir das taube Gefühl vom Klang her besser.
"an mehreren Nachmittagen" klingt so wie ein VHS-Kurs in Aquarellmalerei an 4 Nachmittagen zu 1,5 Stunden in Raum Nr. 36.
Danke für Deinen lieben Sarkasmus, der entspannt. :D
Nein.

Ein Ausrufezeichen wuerde hier Verzweiflung betonen.

Stimmt, aber mir erschien der Gedanke gut, dass sie in dem Moment aufgibt, als sie die 2. Nachricht liest und jede Kampfkraft, die sie zuerst gezeigt hat, weg ist. Somit ist mir das Ausrufezeichen hier zu kraftvoll und es bleibt nur eine einfache Negation.

Die Zettelbotschaften sind uebrigens auch Befehle, die eigentlich ein Ausrufezeichen am Ende brauchen.
Stimmt, aber ich finde es spannender, das hier jegliche persönliche Betonung der Aufforderung (z.B. ein ! oder allgemein Satzzeichen) fehlt. Dadurch wirkt der Feind gesichtsloser, die Nachricht stumpfer und doch irgendwie endgültiger.
Angelina hatte die Augen wieder geöffnet, Lange, nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig war.

"lange"
Ich wuerde das nicht im Plusquamperfekt schreiben. Eher so "Angelina oeffnete die Augen erst wieder lange nachdem ..."

Muss das nicht so heißen, da der Satz zuvor: "Um sie herum lag das Haar." sich schon wieder darauf bezieht, dass sie das Haar wahrnimmt?
Zitat:
als ihre Köpfe unsanft gegeneinander stießen

Warum nicht gleich "aufeinanderprallten"?

Naja, prallen klingt krasser, ich habe jetzt "aneinander stießen" genommen.

Wieso kurz vorher? Erinnert sie sich jetzt doch daran?
Habs geändert. Kurz vorher ist falsch. Ansonsten sagt der Absatz ja, das die Szene, in der er das sagt und ihre Mutter ausrastet, die einzige ist, an die sie sich bewusst erinnern kann.
Es war eine Vater-Tochter-Zeit gewesen, die, in einem umfassenden Grau gefangen, immer danach strebte, so etwas wie Farbe zu sein.

Das verstehe ich nicht.

Sie waren im Krankenhaus (wg. Unterkühlung, denke ich). Dort und auch die erste Zeit danach, hat der Vater sich um sie gekümmert, sie haben versucht, sich gegenseitig Halt zu geben. Aber der Verlust und der Schrecken haben dem nie eine Chance gegeben und so ist diese Zeit in dem Grau (Verlust und Schrecken) gefangen, während sie versucht, Farbe zu sein (in bezug darauf, dass die Vater-Tochter-Beziehung hier funktioniert und sie beide überhaupt die erste Zeit überstehen lässt).
versuchte, aufzustehen

kein Komma, oder?

Ich habs weggenommen. In Kommasachen bin ich mir nie sicher.
kleines, schwarzes Loch

Meinst Du hier ein schwarzes Loch, diese Dinger die die Ufos und Sterne auffressen und so? Oder meinst Du einfach nur ein Loch das schwarz aussieht? Falls ersteres, darfst Du kein Komma setzen.

Meine letzteres.
„Ja, ich will raus. Lass mich raus. Mir ist kalt. Ich habe Angst.“

Befehle mit Ausrufezeichen (Lass mich raus!). Und bei Schreien ist es auch nicht verkehrt.

Hab ein "Lass mich bitte raus." draus gemacht. Auch hier ist es wieder der Gedanke, dass sie alle Kampfkraft verliert und mehr oder weniger flüsternd versucht, drumrum zu kommen.
Warum gleich noch durch die Muskeln? Das ist ja kein "kleiner" Schnitt mehr!
Hab das "KLEINER" aus den beiden Zettelnachrichten rausgenommen.
Warum sie so tief schneidet sagen die nächsten beiden Absätze.

Gefaellt mir nicht. Sonst wird aus Angies Perspektive erzaehlt, mit gelegentlichen Wechseln zum Vater, aber dann auch noch dem Messer eine menschliche Rolle zuzubilligen, hm ...
Hmm...jetzt muss ich zugeben, dass mir es mir Spaß gemacht hat, ganz kurz die Richtung anzudeuten, was das Ganze für das Messer bedeuten könnte. Ich werde da noch einmal drüber nachdenken.

So, jetzt bin ich auch durch ... war, glaube ich, die längste Korrekturliste, die ich je durchgearbeitet habe. ;) Aber die Geschichte ist jetzt viel besser und runder, ich habe auch einige andere Kleinigkeiten noch geändert, die mir beim Lesen aufgefallen sind.
Wenn Dir bei den Verbesserungen noch etwas auffällt, schnell posten, bin gerade im Korrekturflash.

Also, noch einmal vielen Dank für Deine Zeit und für das liebe Lob (allgemein und auch die in der Liste). :)

Lieben Gruß, baddax

 

Hallo baddax,
Diese Geschichte hat mich tief beeindruckt. Ich weiß nicht, ob sie psychologisch so funktionieren kann, aber sie wirkt gaubhaft auf mich. Zuerst habe ich geglaubt, sie macht so eine eine Art Schockterapie mit, um sich ihren Ängsten zu stellen. Aber tatsächlich wartest du mit einem Horror auf, der tief in die Abgrundtiefe der Seelen blicken lässt. Meine Hochachtung für die geschickte Wendung in der Geschichte.

Goldene Dame

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Goldene Dame,

danke schön fürs Lesen und für Dein Lob - und fürs Ausgraben. :)
Schön, dass es Dir glaubhaft rüberkommt - es kann gut sein, dass psychologisch einiges fragwürdig ist (da kenne ich mich auch nicht so gut aus, also glaub ich einfach mal dran, dass es stimmig ist :D). Freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat.

LG,
baddax

 

Hallo Baddax,

oft höre ich bei so langen Geschichten mittendrin mit dem Lesen auf... bei deiner wäre mir das gar nicht im Traum eingefallen. Sie war wirklich so etwas von Spannend und außerdem noch sehr schön geschrieben.
Ich habe schon vor deiner "Auflösung" geahnt, dass Angie von ihrem Vater eingesperrt worden ist.

Faszinierend, was du aus fünf Wörtern, zaubern konntest.

Schön fand ich auch die immer wieder eingestreuten Sinnsprüche des Vaters. Sie verdeutlichen sehr gut, wie sehr Angie immer noch an ihm hängt und den vermisst, den er einmal war.

Ich konnte mit dem Vater auch kein Mitleid empfinden. Natürlich hat er sehr viel durchgemacht, doch letztendlich hat er die Schuld am Tod seiner Frau auf seine Tochter projeziert und ihr damit das Leben zur Hölle gemacht.

Wirklich, sehr gute Geschichte!

LG
Bella

Sie waren hinaus ins Watt gewandert, hatten Krebse und Muscheln gesucht, waren in den Prielen geschwommen (eigentlich nur sie und ihr Vater – ihre Mutter hatte eine Abneigung gegen freie Gewässer) und hatten einen schönen Tag verlebt.

Nur eine Kleinigkeit, aber das zweite "hatte" würde ich persönlich streichen. Der Satz wirkt trotzdem, aber du vermeidest eine Wortwiederholung.

Als das schreckliche Schiff auftauchte, das sie gerettet hatte. Und mit einer Schuld hatte weiterleben lassen.

Daraus würde ich einen Satz machen. Liest sich meiner Meinung nach schöner - und du kannst dir wieder ein "hatte" sparen.

 

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