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Tier

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25.08.2016
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Tier

Er stieg aus dem Bus aus und sog die Luft des frühen Abends durch die Lippen. Tief in seiner Lunge pulsierte die dreckige,vergaste Luft des vorstädtischen Arbeiterviertels. Sauerstoff. Nahrung für das Feuer, das in ihm wütete. Es fraß sich durch seine Eingeweide. Zersetzte jeden Widerstand.
Er drehte sich einmal um sich selbst und betrachtet das Viertel. Zuhause. Er war angekommen.
Zügigen Schrittes durchquerte er die golden schimmernden Kopfsteinpflasterstraßen, die bald in völliger Dunkelheit vor ihm liegen würden. Er kannte sein Ziel.
Eine rotgestrichene Holztür zog ihn förmlich magisch an.
Er erkannte sie wieder.
Seine Stiefel klangen schwer auf der morschen hölzernen Veranda.
Er atmete aus. Einmal. Zweimal.
Plötzlich war er wieder Kind. Es erquickte ihn der Anblick einer rostigen Schaukel in dem Vorgarten und er wollte den Tauben hinterherrennen, die, als hätten sie seinen Gedanken ersonnen, in wilder Hast gen Himmel stoben.
Dennoch verharrte er in seiner Pose vor der verschrammten Tür.
Seine Finger fuhren zu dem Blumentopf auf dem halbverfallenen Fensterbrett. Er tastete nach dem kleinen Schlüsselchen am Boden des Übertopfes.
Ein Gurren.
Er sah hoch.
Eine Taube schaute ihn an und legte den Kopf dabei schief, als frage sie, was er vorhabe.
Der Mann und der Vogel starrten sich eine Weile direkt in die Augen..
Zwei Lebewesen. Keines von beiden zeigte ein Anzeichen von Annspannung. Sie standen beide einfach nur da.
Dann, als hätte er ihr ein geheimes Zeichen gegeben, breitete die Taube die Flügel aus und flatterte davon.
Er hatte mit dem Vogel eine Abmachung getroffen.
Er hatte nicht mit der Taube gesprochen, nein, wie man weiß sind derlei Unterhaltungen reine Hirngespinste. Und er war nicht verrückt.
Nein, der Mann hatte einfach nur eine Abmachung getroffen, eine derer, die selbst in unserer Zeit noch zwischen Mensch und Tier möglich sind.
Und als der Vogel davongeflogen war, war es, als hätte er alle Tauben der Stadt mitgerissen um sie an einen lichteren Ort zu führen. Ganz wie es abgemacht war.
Das Schlüsselchen klickte leise im Schloss. Der Mann drehte und die Tür ging auf.
Ohne ein Geräusch. Der Flur war mit einem Teppichboden ausgekleidet und ein Kleiderständer rechts der Tür lud den Eintretenden ein, Mantel und Hut abzulegen.
Er zog sich die Mütze vom Kopf. Die Jacke zog er sorgfältig aus, um sie nicht zu zerknittern und hängte sie und die Mütze auf einen Hacken des Kleiderständers.
Seine schweren Stiefel, die er an der Eingangstüre vom gröbsten Dreck gereinigt hatte zog er ebenso bedächtig aus und stellte sie parallel zueinander zu den anderen Schuhen.
Erst jetzt schloss er die Tür wieder.
Ein leises Lachen hallte durch das Innere des Hauses.
„Tom?“ Eine helle Frauenstimme drang durch das Haus.
„Ich dachte du kommst erst morgen wieder.“, Schritte auf dem dunklen Holzboden.
„Schön, dass du wieder da bist“, diese letzten Worte sprach sie mit solcher Liebe und Aufrichtigkeit, dass es dem Mann warm ums Herz wurde.
Ein breites Lächeln zog sich über ihr porzellanweißes Gesicht, eingerahmt in ebenholzfarbenes Haar, das ihre zarten Schultern umschmeichelte.
Ihre kleine Stupsnase zitterte und ihre Lippen bebten.
Das Lächeln und jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, als sie ihn erblickte.
Sie zitterte am ganzen Körper. „Wer sind Sie?“
Die Wärme im Herzen des Mannes war wieder dem Feuer gewichen. Es loderte auf. Und gleichzeitig war es, als spiele sich plötzlich alles mit Verzögerung ab.
Er nahm nun selbst Zehntelsekunden wahr, zumindest schien es ihm so. Und dann erkannte er das Beben und Zucken der Muskeln in dem vollkommen verstörten Gesicht der jungen Frau. Ihre Augen weiteten sich noch ein Stück weiter. Er wusste, dass er nicht mehr warten durfte.
Sie auch.
Mit einem Aufschrei des Entsetzens wirbelte die Frau herum und versuchte die Küche zu erreichen.
Er ließ sie gewähren.
Sie kreischte, stolperte und schlug hart am Boden auf.
Ohne Hast ging er ihr nach. Sie rutschte in der Küche über den Boden und zog sich an der Theke wieder hoch.
Er hatte sich bereits zwischen sie und die Küchentür geschoben. Seine Hände wanderten zu ihrem Hals.
Sie stieß ihn weg.
Er holte aus und ließ seine Hand auf ihr Gesicht treffen.
Sie schrie auf und ging erneut zu Boden. Er holte wieder aus. Diesmal mit der Faust.
Plötzlich bekam sie eine Pfanne oder einen Topf zu fassen. Es gab einen dumpfen Laut, als das Metall auf seinen Schädel traf.
Endlich.
Ein Knurren, aus dem tiefsten Inneren seines Körpers rollte durch seine Kehle. Das Knurren verwandelte sich in ein Schreien.
Es war nicht der Schrei eines Leidenden. Es war der Schrei des Triumphierenden. Und er schrie ihn, bis ihm die Stimme versagte.
Entsetzt starrte ihn die Frau an. So wie man ein Raubtier anstarrt, dessen nächsten Schritt man nicht vorhersehen kann.
Sie war wieder auf die Beine gelangt und lief zum Telefon an der Wand.
Mit zwei Schritten hatte er sie überholt und und schloss eine seiner Pranken um das Telefon. Mit ungeheurer Wucht riss er das Gerät aus der Wand, sodass Wandstückchen und Putz durch die ganze Küche rieselten.
Er drehte sich um und donnerte der Frau den Hörer ins Gesicht. Er hörte das Brechen ihres Wangenknochen und es gefiel ihm. Er genoss das Knacken ihres Gesichtes.
Süß schmeckte ihm die Brutalität mit der er ihr das Gesicht zertrümmerte.
Ein stumpfer Ausdruck lag dabei in seinen Zügen.
Ein Schluchzen. Sie weinte vor Schmerz.
Und ihre Tränen färbten sich rot, als sie über die blutige Masse liefen, die einmal ein so hübsches Gesicht gewesen war.
Langsam versagte ihm der Arm mit dem er immer noch auf sie einhieb.
Sie wimmerte.
Er schwitzte.
Der beißende Geruch des Animalischen vermischte sich mit der kupferartigen Note des Blutes, das in winzige Tropfen zerstoben die Luft erfüllte.
Einen Menschen zu Tode zu ringen ist eine sehr schwere Arbeit. So schwer, dass sie von keinem Menschen begangen werden kann. Nur von Tieren.
Der Mensch selbst hat sich dahingehend entwickelt, nicht mehr dazu in der Lage zu sein, er ist zu schwach für derlei Arbeiten.
Tiere streben danach den Lauf der Natur zu komplettieren. Sie fressen, schlafen, sterben, töten, pflanzen sich fort. Alles um einen großen Plan zu verwirklichen. Das Tier hinterfragt seine Handlungen nicht. Das unterscheidet es vom Menschen; es lebt. Natürlich.
Der Mensch ersetzt die Triebe. Und denkt er kann sie kontrollieren. Narr! Er kann nicht einmal sich selbst kontrollieren. Gefangener. Schmied des Schlosses, dass ihn kerkert.
Er versucht sich durch seine Werkzeuge zu retten. Technik macht nicht frei. Sie verglast das Gefängnis und macht es gleichzeitig dunkler. Und tiefer. Blick nach draußen, Mensch und sag mir ob du die Gitterstäbe noch erkennen kannst!
Nein, du hast dich eingekerkert und abgelenkt. Du erkennst dein Übel nicht. Niemals. Befreie dich selbst. Streif die Fesseln ab.
Er sehnt sich. Er will seine Flügel ausbreiten. Über Steppen brüllen. Den Mond anheulen.
Leben!
Denn letztlich ist der Mensch nur ein Tier. Ein Tier. Nur ein Tier.
Sie fanden ihn bald. Es war nicht schwer, er hatte sich immerhin nicht versteckt.
Sie legten ihm Handschellen an, doch er fühlte sich nicht mehr gefesselt. Sie steckten ihn in ein Gefängnis, doch er fühlte sich frei.
Jemand sagte ihm, er hole in raus. Er hatte nicht darum gebeten.
Nach Wochen führten sie ihn in einen Gerichtssaal, indem ein Mann neben ihm stand und allen Anwesenden von seinen Eltern erzählte. Wie schlecht es ihm ergangen war. Er wollte sich aber nicht erinnern. Der Mann erzählte allen von einer Krankheit, die er hatte. Dass er nicht Schuld war.
Und sie glaubte ihm.
Und sie steckten ihn wieder in ein Gefängnis. Diesmal fühlte er sich eingesperrt. Das Feuer kehrte zurück.
Der Mann aus dem Gerichtssaal kam ihn oft besuchen und erklärte ihm Dinge durch die Gitterstäbe. Er hörte nicht zu.
Sie schickten ihn in Räume mit anderen Menschen in denen er über sich redete. Sie gaben ihm Tabletten die er schluckte.
Dann durfte er das Gefängnis verlassen. Erst manchmal, dann immer öfters. Er ging viel spazieren und redete mit niemandem.
Irgendwann gaben sie ihm ein Papier und klopften ihm auf die Schulter. Und lobten sich selbst. Auf dem Papier stand „resozialisiert“.
Die Tür ging auf und sie sagten ihm er wäre frei. Die, die keine Ahnung von Freiheit hatten.
Er kaufte sich eine Fahrkarte und stieg ein. Er fuhr mit dem Bus weit weg. In eine andere Stadt. Weg von alledem.
Schlussendlich stieg er ihm Vorort einer fremden Stadt wieder aus. Die Schornsteinschlote spuckten ihre schwarze Last in den Himmel. Eine Weile betrachtete er die Häuser vor ihm.
Tief sog er die verdreckte Luft ein. Zuhause.
Er nahm seine Tasche und ging auf ein Haus zu. Auf seine rote Tür.

 

Guten Abend Sebastian Kofler,

erstmal: Mir hat dein Schreibstil sehr gefallen. Er erinnert mich ein bisschen an den des Spaniers Zafón, wenn dir der Name etwas sagt. Meiner Meinung nach hast du in deiner Geschichte eine gute Balance zwischen der Spannung und dem Erzählen gefunden. Als "philosophisch" würde ich den Text jedoch nicht bezeichnen. Gut, es mag sein, da stecken einige sehr interessante Gedanken drinn, die mir wohlüberlegt scheinen - im Übrigen der andere Punkt, der mir an deiner Geschichte sehr gefallen hat: Alle Äußerungen, mal ganz abgesehen davon, ob sie durch Erkenntnisse der Protagonisten oder durch die Beschreibungen in den Text eingeflossen sind, kommen mir, wie schon gesagt, sehr überlegt vor. Du bedienst dich meiner Meinung nach keinen überflüssigen Klischees und Informationen, die für den neutralen Leser uninteressant sind :thumbsup:

Jetzt noch ein paar Kleinigkeiten:

die dreckige,Leerzeichenvergaste

Sauerstoff. Nahrung für das Feuer, das in ihm wütete. Es fraß sich durch seine Eingeweide.
Mit dieser Formulierung verstehe ich, dass das Feuer im Sauerstoff wütet. Aber ist es nicht eher das Feuer, das durch den Sauerstoff wütet?

Der Mann und der Vogel starrten sich eine Weile direkt in die Augen.[.]

„Ich dachte du kommst erst morgen wieder.“[,] Schritte auf dem dunklen Holzboden.

„Schön, dass du wieder da bist“, diese letzten Worte sprach sie mit solcher Liebe und Aufrichtigkeit...
In diesem Falle würdest du hinter den Dialog einen Punkt setzten.

Als konstruktiven Gedanken habe ich bei deiner Geschichte stellenweise den Gebrauch von Adjektiven im Hinterkopf gehabt (vor allem deshalb, weil er in meinem Texten auch öfters Mal ein Verbesserungsvorschlag gewesen ist). Das bezieht sich zum Beispiel auf Passagen wie diese hier:

Ein breites Lächeln zog sich über ihr porzellanweißes Gesicht, eingerahmt in ebenholzfarbenes Haar, das ihre zarten Schultern umschmeichelte.
Ich habe die Adjektive mal fett markiert, um es deutlicher zu machen. Ich verstehe, dass du diese Beschreibungen eines porzellanweißen Gesichtes und des ebenholzfarbenen Haares miteinbringen wolltest - ich hätte es wahrscheinlich auch getan :D Allerdings könnte ich es auch gut nachvollziehen, wenn nicht jeder etwas mit diesen kühnen Vergeichen anfangen kann.

Von mir sehr gerne gelesen :)

Ein herzliches Willkommen bei uns Wortkriegern und liebe Grüße,
SCFuchs

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sebastian Kofler,
und herzlich Willkommen bei den Wortkriegern! :)

Dein Text hat mich direkt an dieses Lied erinnert:
https://www.youtube.com/watch?v=sXbWuZwCyMQ ;)

Tiere streben danach den Lauf der Natur zu komplettieren. Sie fressen, schlafen, sterben, töten, pflanzen sich fort. Alles um einen großen Plan zu verwirklichen. Das Tier hinterfragt seine Handlungen nicht. Das unterscheidet es vom Menschen; es lebt. Natürlich.

Hier widersprichst du dir selbst: "Das Tier hinterfragt seine Handlungen nicht" ist schlichtweg unvereinbar mit einem Streben nach etwas. Wenn du also argumentieren willst, dass Tiere ausschließlich ihren Instinkten folgen, dann kannst du nicht gleichzeitig behaupten, sie würden danach streben, den "Lauf der Natur" zu komplettieren, oder gar bewusst daran mitwirken, einen "großen Plan zu verwirklichen". Allein dieser Lauf der Natur, der angeblich einem Plan folgen soll, ist ja schon eine These, die du aufstellst, ohne sie weiter auszuführen. So als wäre es allgemein anerkannt, dass hinter allem ein tieferer Sinn steckt.

Ich muss also leider meinem Vorredner widersprechen, mir persönlich kommen die Gedanken, oder zumindest der oben angesprochene, eher weniger überlegt vor.

Einige Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler haben sich auch eingeschlichen, z.B. hier:

Seine Stiefel klangen schwer auf der morschen(K) hölzernen Veranda.
oder hier
Blick nach draußen, Mensch(K) und sag mir(K) ob du die Gitterstäbe noch erkennen kannst!

Schau am besten selber nochmal durch, ob du noch Fehler findest.

Inhaltlich bin ich ein paar Mal gestolpert, z.B. steht er erst auf der morschen Verande, die Tür ist zerschrammt, das Fensterbrett halb verfallen, und dann öffnet er die Tür und plötzlich ist das Haus bewohnt und es liegt auch noch Teppichboden im Flur? Das sind für mich zwei verschiedene Welten.
Beim Ende war ich auch unschlüssig, ich habe mich gewundert, warum er sich so einfach hat festnehmen lassen, er scheint mir ja nicht dumm zu sein.
Aber da ich insgesamt nicht weiß, was mir die Geschichte jetzt genau sagen soll, weiß ich auch nicht, ob das Ende jetzt passend ist oder nicht.
Was wolltest du denn damit sagen?
Das Gewaltverbrecher keine Menschen sind und man sie nie resozialisieren kann?
Oder etwa, dass der Mensch nur dann wirklich frei ist, wenn er alle gesellschaftlichen Normen und Regeln über Bord wirft und sich wieder wie ein Tier benimmt?
Oder wolltest du nur die Geschichte von diesem speziellen Mann erzählen? Dann ist der Tag "Philosophisches" auf jeden Fall verkehrt, denn das würde ja bedeuten, dass du etwas allgemeingültiges erzählen willst und es nur auf ein Beispiel herunter brichst.
Du siehst, ich bin ein wenig unschlüssig. Vielleicht kannst du ja mit einer Erklärung ein bisschen Licht ins Dunkel bringen.

Grüße vom Sommerdieb

**Achso, was ich noch anmerken wollte, dann aber vergessen habe:

Sie fressen, schlafen, sterben, töten, pflanzen sich fort.
Die Reihenfolge macht keinen Sinn, nachdem sie gestorben sind, töten sie keine anderen Lebewesen mehr und pflanzen sich auch nicht mehr fort. Warum nicht einfach 'Sie fressen, schlafen, töten, pflanzen sich fort, sterben'? Auf jeden Fall das "sterben" zuletzt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sebastian Kofler,

Die Geschichte hat mir im ersten Abschnitt gefallen, Stil, Rhythmus, Melodie - hat erstmal gepasst. Dann hat der Text angefangen, mich zu ärgern. Das muss nicht schlecht sein, und ich mache dir für einen Teil des Ärgerns auch gleich noch ein (halbes) Kompliment.
Kein Kompliment, aber auch keine dicke Schelte, bekommst du von mir jedoch für den Tag "Philosophisches". Der Tag gehört nicht zur Geschichte und man kann deswegen drüber hinwegsehen. Trotzdem: Wo soll da die Philosophie sein? Dass der Mensch ein Tier sei? Das lockt doch keinen mehr hinterm Ofen hervor. Als Einstellung des Protagonisten finde ich das gar nicht mal so schlecht. Besonders das Dreifache

nur ein Tier. Ein Tier. Nur ein Tier.
hat schon eine gewisse Wirkung. Aber philosophisch? Nee...
Oder liegt die Philosophie darin, dass die Geschichte mir erzählen will, Resozialisierung funktioniere nicht? Ich hoffe nicht, denn das zeigt die Geschichte nicht, sie zeigt nur einen einzelnen Fall. Ohnehin wäre das keine philosophische Position, ist also wohl nicht gemeint.
Oder soll ich die Philosophie beim Thema "Freiheit" finden (Mensch/Tier; gefangen/frei)? Zu dünn. Wir erfahren nur, dass jemand seinen Trieben nicht entkommt und dass er die Psychiatrie einengender findet, als das Gefängnis. Das muss man nicht uninteressant finden, aber philosophisch ist es auch nicht.

Na, genug geschimpft, und gleich das zweite Ärgernis: Die Gewaltszene in dieser Ausführlichkeit fand ich abstoßend. Knackende Knochen kann ich schon vertragen, aber mir ging das alles zu lang, die Episode mit dem Telefon, dass aus der Wand gerissen wird, die hätte es für mich in jedem Fall nicht mehr gebraucht. Aber da ist eben auch das Kompliment: Wenn die Gewaltszene abstößt, dann hat sie geschafft, was sie soll. Es ist nicht schön, wenn Knochen knacken, und wenn es beim Lesen weh tut, ist etwas gelungen. Ich kann dir sagen, dass das zumindest bei mir funktioniert hat.

Und ein paar Details:

Plötzlich war er wieder Kind. Es erquickte ihn der Anblick einer rostigen Schaukel in dem Vorgarten und er wollte den Tauben hinterherrennen, die, als hätten sie seinen Gedanken ersonnen, in wilder Hast gen Himmel stoben.
- Diesen Rückblick habe ich übrigens nicht kapiert. Bringt er seine Mutter um? Das wäre eine Erklärung aber sie kommt mir nicht ganz stimmig vor. Seine Ex-Frau? Möglich, aber warum dann die Erinnerung?
- "ersonnen" heißt "ausgedacht", oder? Die Tauben haben seine Gedanken ausgedacht? Hm.
- Für sich genommen fand ich diese Erinnerungszene übrigens gut gemacht.

Dennoch verharrte er in seiner Pose vor der verschrammten Tür.
Wiseo "dennoch"? Den Tauben nachfliegen kann er ja nicht.

legte den Kopf dabei schief, als frage sie,
"als fragte", würde ich sagen, denn es bleibt ja Vergangenheit.

Keines von beiden zeigte ein Anzeichen von Anspannung. Sie standen beide einfach nur da.
Warum sollte die Taube Zeichen von Anspannung zeigen?

Er hatte mit dem Vogel eine Abmachung getroffen...[a]ls der Vogel davongeflogen war, war es, als hätte er alle Tauben der Stadt mitgerissen um sie an einen lichteren Ort zu führen. Ganz wie es abgemacht war.
Die Abmachung erschließt sich mir doppelt nicht. Zum einen sind die Tauben doch vorhin schon in den Himmel aufgestoben, sind los schon weg. Zum anderen: Was hat der Mann davon, wenn die Tauben an einen anderen Ort - licht oder düster - fliegen?


Ohne ein Geräusch.
Evtl. "Ohne ein weiteres Geräusch"? Der knackende Schlüssel gehört streng genommen nicht zur Tür, technisch kann man das akzeptieren. Aber das Knacken stört die Geräuschlosigkeit der Aktion insgesamt, finde ich.


„Schön, dass du wieder da bist“, diese letzten Worte sprach sie mit solcher Liebe und Aufrichtigkeit, dass es dem Mann warm ums Herz wurde.
Überraschung gut vorbereitet - und das über die ganze Länge hin!

Sie zitterte am ganzen Körper. „Wer sind Sie?“
Also nicht die Ex-Frau...


als spiele sich plötzlich alles mit Verzögerung ab.
"Plötzlich" und "Verzögerung" stoßen sich aneinander, finde ich, obwohl es der Sache nach nicht problematisch ist. "Von jetzt an" o.ä. gefiele mir wahrscheinlich besser.

Er nahm nun selbst Zehntelsekunden wahr, zumindest schien es ihm so.
Die Zehntelsekunden könnten weg. Ich habe gleich mehrere Gründe: Zehntelsekunden sind so kurz nicht, die nehme ich auch ohne Ausnahmezustand wahr. Ich glaube außerdem nicht, dass ihm das so schien. Er hat womöglich ein Gefühl davon, dass er die Abläufe gedehnt wahrnimmt. Wenn er sich mit gedehnten Zehntelsekunden beschäftigt, müsste er doch eigentlich die Norm-Sekunden und die subjektiven Sekunden vergleichen, und dann ist er aus der gedehnten Wahrnehmung eigentlich schon wieder halb draußen. Ok, vielleicht nicht zwingend, aber du hast ein Beispiel dafür, warum jemand das unpassend finden könnte. Schließlich: Zehntelsekunden klingen für diesen emotionalen Moment eh zu technisch.

Es war der Schrei des Triumphierenden. Und er schrie ihn, bis ihm die Stimme versagte.
Ich stelle mir das merkwürdig vor, wie ihm da mitten im Rasen die Stimme versagt. Kann aber sicher sein.

Mit ungeheurer Wucht riss er das Gerät aus der Wand,
"Wucht" alleine dürfte reichen, dass sieht man dann schon, dass sie ungeheuer ist.

Er drehte sich um und donnerte der Frau den Hörer ins Gesicht
"Donnern" scheint mir hier nicht so ganz passend. Warum, weiß ich nicht genau. Vielleicht macht es mir zu viel Lärm (im Gegensatz zu "schlug" beispielsweise), vielleicht finde ich auch, es hat einen leicht unernsten Touch.

Einen Menschen zu Tode zu ringen ist eine sehr schwere Arbeit.
Das hätte ich auch ohne diesen Satz gemerkt und geglaubt. Mit ihm frage ich mich nun: ist das Töten von Tieren weniger schwere Arbeit? Ich stelle mir da so einen massigen Rindernacken vor. Der ist sicher nicht schneller durch.

So schwer, dass sie von keinem Menschen begangen werden kann. Nur von Tieren.
Zwischen den Zeilen lese ich: Es tut aber ein Mensch, also ist der Mensch immer dann Tier, wenn er tötet. So richtig will mir das in der Form nicht gefallen, aber es hat vielleicht schon etwas für sich.

Der Mensch selbst hat sich dahingehend entwickelt, nicht mehr dazu in der Lage zu sein, er ist zu schwach für derlei Arbeiten.
Schön wär's...
Ich merke nebenbei gerade, dass das meiner Lesart des vorangehenden Satzes zumindest halb widerspricht. Das macht mir den oberen Satz doch wieder weniger sympathisch.

Der Mensch ersetzt die Triebe. Und denkt er kann sie kontrollieren. Narr! Er kann nicht einmal sich selbst kontrollieren.
Diesen Ausruf zwischendurch finde ich nicht schlecht. Ich finde ihn gut gesetzt, nicht nur, weil er die theoretische Abhandlung, die in ihrer Länge gerade immer banaler werden wollte, auflockert und an die Fiktion zurückerinnert.
Inhaltlich möchte ich aber doch gerne noch meckern. "Er kann nicht einmal sich selbst kontrollieren." - was soll das heißen, wenn nicht: "er kann seine Triebe nicht kontrollieren"? Wo ist die Steigerung zum "nicht einmal"?

Gefangener. Schmied des Schlosses, dass ihn kerkert.
Er versucht sich durch seine Werkzeuge zu retten. Technik macht nicht frei. Sie verglast das Gefängnis und macht es gleichzeitig dunkler. Und tiefer. Blick nach draußen, Mensch und sag mir ob du die Gitterstäbe noch erkennen kannst!
Nein, du hast dich eingekerkert und abgelenkt. Du erkennst dein Übel nicht. Niemals. Befreie dich selbst. Streif die Fesseln ab.
Er sehnt sich. Er will seine Flügel ausbreiten. Über Steppen brüllen. Den Mond anheulen.
Leben!
Als Stimme des Protagonisten kann ich das alles akzeptieren, als Erzählerstimme nicht. Ich würde den Protagonisten hier deutlicher erkennbar machen, z.B.: "macht ihn nicht frei", "verglast sein Gefängnis" o.ä. Sonst ist mir wenigstens die Aussage zu allgemein und dann zu gewaltverherrlichend.

Auf dem Papier stand „resozialisiert“.
Passt das? Müsste da nicht "geheilt" stehen - sinngemäß?

Er kaufte sich eine Fahrkarte und stieg ein. Er fuhr mit dem Bus weit weg. In eine andere Stadt. Weg von alledem.
Schlussendlich stieg er ihm Vorort einer fremden Stadt wieder aus. Die Schornsteinschlote spuckten ihre schwarze Last in den Himmel. Eine Weile betrachtete er die Häuser vor ihm.
Tief sog er die verdreckte Luft ein. Zuhause.
Er nahm seine Tasche und ging auf ein Haus zu. Auf seine rote Tür.
Das Ende kapier ich wieder nicht. Er will wieder jemanden umbringen, ok. Aber vorher konnte man irgendeine Motivation im Hintergrund ahnen, die damit zu tun hat, dass er die Frau kannte. Das fällt jetzt weg. Warum dann die rote Tür? Wenn sie nur zeigen soll, dass er jetzt wieder was vorhat, dann geingt das zwar, reicht für die Stimmigkeit aber nicht, finde ich. Das Bild müsste sich auch innerhalb der Handlung erschließen. Das Ende liest sich gut, finde ich, die rote Tür eingeschlossen, es müsste nur noch mehr verankert werden...

Ja dann... "Gerne gelesen" wäre aus bekanntem Grund nicht ganz treffend :Pfeif:, aber ich kann schon was mit dem Text anfangen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Hallo

Mir gefällt der Schreibstil mit den nicht zu lange gezogenen Sätzen sehr gut. Man muss die Geschichte allerdings öfters lesen, denn es entstehen immer wieder Eindrücke neu, was allerdings für die Story spricht. Ich bin dran und lese es nochmal durch.

Liebe Grüße

Autuum

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Sebastian Kofler,

der Schreibstil ist mir teilweise etwas zu gekünstelt.

Tief in seiner Lunge pulsierte die dreckige,vergaste Luft des vorstädtischen Arbeiterviertels. Sauerstoff
Luft, die in der Lunge pulsiert, klingt unpassend für mich. Dreckige Luft verbinde ich gefühlsmäßig nicht mit Sauerstoff, auch wenn natürlich welcher drin ist.
Er atmete aus. Einmal. Zweimal
Auch das finde ich schräg. Durchatmen träfe es vielleicht besser.
Mehr will ich zur Form nicht sagen, da es sich hierbei um eine sehr subjektive Kritik handeln würde. Letztendlich entscheidet die Gesamtheit der Leser, ob der Stil bei ihnen ankommt.

Inhaltlich begibst Du Dich auf dünnes Eis. Und zwar gleich durch zwei streitbare Thesen.

Einen Menschen zu Tode zu ringen ist eine sehr schwere Arbeit. So schwer, dass sie von keinem Menschen begangen werden kann. Nur von Tieren.
Der Mensch selbst hat sich dahingehend entwickelt, nicht mehr dazu in der Lage zu sein, er ist zu schwach für derlei Arbeiten
Also wäre das Töten von Menschen ein Ausbruch der tierischen Seite der Mörder?
Nach meinem Eindruck widerspricht dem die ganze historische Entwicklung der Menschheit; mit zunehmender Zivilisierung steigen die Zahlen der Opfer. Nicht das tierische Erbe treibt uns um Töten, sondern sehr menschliche Interessen.

Eine zweite schwer wiegende Aussage steckt in der indirekten Andeutung, dass Gewaltverbrecher, aufgrund ihrer Unmenschlichkeit Therapie-resistent seien. Das kann bei Einzelfällen, die extrem gestört sind, durchaus vorkommen. Diese werden in der Regel identifiziert und verbringen ihr restliches Leben in Sicherheitsverwahrung. Du stellst die Aussage jedoch in einen verallgemeinernden Kontext und das finde ich sehr bedenklich. Der nur von Trieben geleitete Mörder, praktisch ein Nichtmensch, entspricht damit den Vorstellungen der Kriminologie, des frühen 20.Jh. Die Entmenschlichung ausgewählter Gruppen, war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu deren Auslöschung. Diese wiederum wurde von zivilisierten Menschen organisiert und ausgeführt - nicht von Tieren. Bei solchen Untertönen klingelt ganz schnell der Alarm bei mir.

Also mit dieser Geschichte hast Du mich nicht erreicht. Das Thema und die Thesen gehen an mir vorbei.Bei der nächsten könnte es anders aussehen.

Schönen Gruß! Kellerkind

 

Hallo Sebastian Kofler,

Vorab: Mir gefällt deine Art, Dinge zu beschreiben, sehr gut. Die Adjektive sind gut gewählt und helfen dabei, sich ein Bild von der Szene zu machen.

Abgesehen davon eine inhaltliche Frage: warum hast du ausgerechnet Tauben gewählt und nicht einfach "normale" Vögel? Ob du mir da helfen kannst?
Oder vielleicht anders formuliert: Wenn du schon von Tauben sprichst, kannst du ja versuchen, noch mehr mit ihrem Image als "Ratten der Lüfte" zu spielen.

Ansonsten muss ich Kellerkind in dem Punkt zustimmen, dass das Töten von Menschen durch Menschen nicht durch das "tierische Erbe" kommt, sondern eben durch "menschliche Interessen" (tut mir leid, deine Wortwahl hat mir so gut gefallen, dass ich das gar nicht anders formulieren möchte. :D).

 
Zuletzt bearbeitet:

Willkommen hier Sebastian Kofler

deine Geschichte hat in einigen Sätzen und Abschnitten einen guten Sound, jedoch ist mir manches dann doch zu plakativ, als dass es den Tag "Philosophisches" rechtfertigte. Selbst die Frage, ob Tiere anders töten wie Menschen, ist oft gestellt worden und gar nicht so wichtig. Wir wissen schließlich, wie und warum Menschen töten können.
Im Internet macht derzeit ein Video Furore, in dem Eine Elster von einem anderen Vogel (die Gattung fällt mir nicht ein) zu einem Tümpel gezerrt und dort ertränkt wird.

Paar Textstellen:

Es erquickte ihn der Anblick einer rostigen Schaukel in dem Vorgarten und er wollte den Tauben hinterherrennen, die, als hätten sie seinen Gedanken ersonnen, in wilder Hast gen Himmel stoben.
der Satz klingt gewollt literarisch...

Sie standen beide einfach nur da.
ob so eine Taube wirklich steht?

Nein, der Mann hatte einfach nur eine Abmachung getroffen, eine derer, die selbst in unserer Zeit noch zwischen Mensch und Tier möglich sind.
mm, klingt gut, aber wie hälst du im dunkeln, warum?

Und als der Vogel davongeflogen war, war es, als hätte er alle Tauben der Stadt mitgerissen um sie an einen lichteren Ort zu führen. Ganz wie es abgemacht war.
wie soll ich das verstehen? die Tauben verschwinden aus der Stadt, damit er in Ruhe morden kann?

Er genoss das Knacken ihres Gesichtes.
Süß schmeckte ihm die Brutalität mit der er ihr das Gesicht zertrümmerte.
Ein stumpfer Ausdruck lag dabei in seinen Zügen.
da powerst du alles rein; nur: wie knackt denn ein Gesicht? und wenn sie ihm süß schmeckt, seine Tat, warum blickt er dann stumpf? Aus Scham etwa?

Einen Menschen zu Tode zu ringen ist eine sehr schwere Arbeit. So schwer, dass sie von keinem Menschen begangen werden kann. Nur von Tieren.
Der Mensch selbst hat sich dahingehend entwickelt, nicht mehr dazu in der Lage zu sein, er ist zu schwach für derlei Arbeiten.
äh, okay, ich kenne jetzt auch kein Tier, das ein anderes zu Tode ringt, da ist mehr beißen und ähnliches im Spiel... und so gibt mir dein Ende ein Rätsel auf, das ich btw gar nicht unbedingt lösen will...

ah geht noch weiter:)

Das Tier hinterfragt seine Handlungen nicht. Das unterscheidet es vom Menschen; es lebt. Natürlich.
oha, das weiß, glaube ich, jeder :)

Schlussendlich stieg er ihm Vorort einer fremden Stadt wieder aus. Die Schornsteinschlote spuckten ihre schwarze Last in den Himmel. Eine Weile betrachtete er die Häuser vor ihm.
so viele Schlote gibt es nicht mehr...

Er nahm seine Tasche und ging auf ein Haus zu. Auf seine rote Tür.
warum rot?

viele Grüße
Isegrims

 

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