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Der Kult

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22.03.2015
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Der Kult

„Die Götter ernähren sich von meinen Gefühlen,
wenn ich leide.“
-Adrian Peivareh-

Nach langem Hin und Her entschied ich mich am Morgen meines großen Tages für ein eher lässiges Outfit. Jeans, schwarzes T-Shirt, Hemd. Ordentlich aber nicht weiter auffallend. Zufrieden betrachtete ich das Ergebnis im Spiegel und schwor mir, das arrogant wirkende Grinsen spätestens dann abzustellen, wenn ich das Haus verließ.
Mit einer Tasse Kaffee nebst Zigarettenschachtel im Schlepptau, schob ich die Balkontür auf und trat ins Freie. Eine salzige Meeresbrise wehte mir entgegen. Gierig sog ich die Luft ein und ließ mich auf einem der Terrassenstühle nieder. Geübt schüttelte ich eine Zigarette aus der Packung, ließ das Feuerzeug aufschnappen und entzündete sie. Für den Moment zufrieden lehnte ich mich zurück, schlürfte an meinem Kaffee und ließ den Morgen auf mich wirken.
Ein paar Möwen stritten sich kreischend um irgendwas, was das Meer über Nacht an den Strand gespuckt hatte. Die Wellen schwappten geräuschvoll über den Sand und in weiter Ferne schaukelte ein Fischerboot über das Wasser. Irgendwo am Küstenstreifen heulte eine Alarmanlage auf.
Ich kämpfte nach wie vor gegen den Drang, den Fernseher oder das Radio anzuschalten, um zu erfahren, ob ich das gewünschte Inferno losgetreten hatte. Aber ich hatte mir fest vorgenommen zu warten, bis ich es selbst schwarz auf weiß in meinen Händen hielt.
Ich drückte die Zigarette aus, leerte meinen Kaffee und sah auf die Uhr. 06:30 Uhr. Zeit, die Ernte einzufahren.

Noch während ich den Wagen aus der Einfahrt lenkte, schob ich eine meiner (lautesten) Lieblings-CD´s in den Wechsler und machte mich auf den Weg in die Stadt.
Der Fahrtwind brauste über das offene Verdeck und schon bald verschwand das Meer zu meiner Rechten. Häuser säumten jetzt nach und nach den Straßenrand.
Schon von Weitem konnte ich das Rot der Ampel sehen. Gemütlich ging ich vom Gas, ließ den Wagen auf die Kreuzung zurollen und hielt an. Während ich wartete, starrte ich nach oben. Ein einzelnes Flugzeug schmücke mit seinen Kondensstreifen den Himmel und am Horizont kämpfte sich eine noch müde Sonne zwischen ein paar violetten Wolken hindurch.
Vorausschauend klappte ich die Sonnenblende herunter. Ein kleiner Zettel kam zum Vorschein und landete in meinem Schoß. Verblüfft faltete ich das Papier auseinander.
Es war eine Nachricht von meiner Freundin. Julie. Sie musste sie hinterlegt haben, bevor sie zur Nachtschicht aufgebrochen war. Sie ließ mich wissen, dass sie unglaublich stolz auf mich war und ich allen Grund hatte, es ebenfalls zu sein. Und dann stand da noch etwas sehr Unanständiges und dass ich nicht allzu spät heimkommen solle.
Grinsend steckte ich den Zettel ein, steckte mir eine weitere Zigarette an und tippte mit dem Daumen auf dem Lenkrad herum. Ich legte den Kopf in den Nacken. Langsam stieß ich den Qualm aus meinen Lungen und blies ihn in die kühle Morgenluft hinaus. Mein Blut kochte. Große Klasse.
Ich kam mir allwissend, sexy und unbesiegbar vor. Als wäre die Welt ein einziger, gigantischer Pausenhof. Und ich, der Unscheinbare, hatte gerade Gott, dem fiesesten Schläger der ganzen Schule, vor allen anderen in die Eier getreten und somit seinen Platz eingenommen. Die Ampel sprang auf Grün und ich drückte das Gaspedal durch.
Die Palmen am Straßenrand fegten an mir vorbei. Die Stadt kam gerade erst zu sich. Wann immer ich an einem Zeitungsstand vorbei kam, wurde ich ein kleines bisschen langsamer um die Menschen davor zu beobachten. Einige diskutierten tatsächlich, steckten die Köpfe zusammen oder hielten sich gedankenverloren die Hände vor den Mund.
Ich wuchs auf Rekordgröße an und drehte die Lautstärke hoch. Ich war ein verdammter Komet und hatte mit voller Wucht eingeschlagen. Vor mir erhoben sich die ersten Hochhäuser.

Die Luft in der Stadt war fieberig und die letzten Straßenlaternen brannten noch. Die Nacht war gewichen und ließ ihre Verletzten zurück. Vor den Bars und Clubs forderte der Alkohol von den Menschen seinen Tribut.
Ich selbst trank nicht und hatte auch nie verstanden, was man in Taumel und Lüge zu finden hoffte. Natürlich gab es auch in meinem Leben genug finstere Momente, die nach den hochprozentigen Engeln riefen doch wenn die Versuchung einmal zu groß wurde, dachte ich ganz einfach an meinen Vater und die Vernunft kehrte zurück. Es hatte mich viel Zeit und Kraft gekostet, die Vergangenheit nicht als Kette, sondern als Werkzeug zu betrachten.
Ich bemerkte, dass ich zu schnell fuhr und ging vom Gas. Ein riesiges Plakat am Straßenrand wünschte mir wie jeden Tag einen Guten Morgen mit Magnum Deluxe Coffee.
Wenige Minuten und einige Kurven später, kam endlich das Redaktionsgebäude in Sicht.

Ich schrieb nun seit beinahe zwei Jahren für eine der größten Zeitungen des Landes. Und auch wenn die Verkaufszahlen momentan insgesamt zurückgingen, konnten wir uns stets auf eine große Leserschaft stützen. Dass sich in den letzten Monaten immer öfters Boulevardartikel einschlichen, hatte ich registriert, pflichtete dem jedoch keine große Bedeutung zu. So ganz ohne Klatsch kam wohl kein Blatt aus.
Für meine Story, die gerade wie geplant dabei war das herrschende Bewusstsein aus den Angeln zu heben, hatte ich bereits in den letzten Monaten meines Studiums recherchiert. Mein größtes Interesse galt schon immer den Mechanismen von Politik und Gesellschaft. Wie funktionierte ein System? Warum funktionierte es überhaupt und wer manipuliert uns zu welchem Zweck?
Ich wollte meine Leser immer schon dazu bewegen, ebenfalls einen Blick hinter die Kulissen zu wagen und nun hatte ich sie, die eine, alles entlarvende Story.
Denn in den oberen Etagen des Landes regierte das Chaos. Und es war an der Zeit dieses Chaos beim Namen zu nennen, es ans Tageslicht zu zerren. Es hoch oben an die Stadttore zu nageln von wo aus es alle sehen konnten. Bevor sie uns eines Tages mit der Rechnung alleine am Tisch sitzen ließen.

Ich lenkte meinen Wagen auf den Mitarbeiterparkplatz, schloss das Verdeck und stieg aus. Vor Aufregung vergaß ich beinahe, abzuschließen.
Direkt vor dem Gebäude ratterten seit gut einer Woche die Maschinen einer Baustelle und der Geruch von frischem Teer stieg mir in die Nase. Ein paar Bauarbeiter lehnten an einem der Bagger und nahmen ihr Frühstück zu sich. Zwischen ihnen schien eine hitzige Diskussion im Gange zu sein. Ich atmete tief durch und ging durch die gläserne Drehtür.

Als ich aus dem Fahrstuhl stieg, empfingen mich klingelnde Telefone und das Brodeln unzähliger Kaffeemaschinen. Normalerweise war ich einer der ersten. Heute aber schienen die meisten bereits an ihren Schreibtischen zu sitzen.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich mich meinem Platz näherte. Die heutige Ausgabe war bereits verteilt worden.
Ich ließ mich in meinen Schreibtischstuhl fallen und rollte unfreiwillig ein Stück davon. Schnell strampelte ich mich zurück zu meinem Tisch und hielt den Atem an. Ein Knistern lag in der Luft. Dann nahm ich das Magazin in die Hand, las die Titelseite und spürte, wie sich meine Eingeweide verkrampften:

SCHOCK!
POPSTERNCHEN und IT-GIRL SASHA DIAMOND AUF OFFENER STRAßE ERSCHOSSEN​

Mir wurde heiß und kalt und der Schweiß schoss mir aus jeder einzelnen Pore. Wo zum Teufel war meine Story? Ich blinzelte ein paar Mal, als würde das etwas an der Schlagzeile vor mir ändern. Ich blätterte um. Nichts. Ich schluckte schwer. Zitternd überflog ich den Aufhänger.
Irgendein verblendeter Fan hatte das fragwürdige Musikphänomen und Model Sasha Diamond - ein selten grottiger Künstlername - vergangene Nacht beim Verlassen einer Diskothek niedergeschossen und war dann geflüchtet. Keine Stunde später fand ihn ein Sondereinsatzkommando der Polizei tot in seiner Wohnung. Selbstmord.
Sasha Diamond wurde umgehend ins umliegende Krankenhaus gefahren, wo sie allerdings noch vor der eingeleiteten Notoperation ihren Verletzungen erlag.
Neben dem Text prangte ein Foto von Sasha auf dem Laufsteg und ein Bild von blutigem Asphalt und Absperrband.
Mein Mund stand so weit offen, dass man problemlos einen Apfel hätte hineinlegen können.
Ich drehte mich langsam auf meinem Stuhl um, als jemand hinter mir um Aufmerksamkeit räusperte. Es war Stephen Marlin, mein Vorgesetzter. Er sah mich aus großen Augen und mit zusammengepressten Lippen an.
„Bei mir. Sobald Sie bereit sind!“, sagte er und verließ meinem Albtraum vorerst wieder.
Ich nickte nur und wendete mich wieder der Schlagzeile zu, um sie weiter ungläubig anzugaffen.

„Herein!“, rief Marlin, nachdem ich angeklopft hatte.
Ich betrat das stark klimatisierte Büro und schloss die Türe unnötig langsam.
„Setzen Sie sich doch“, sagte er und stand selbst auf.
Ich ließ mich in einen Stuhl aus kaltem, schwarzen Leder sinken. Meine Handflächen waren schweißnass und etwas hinter meinem Gesicht schrie nach Freilassung. Aus meinem Hirn war eine Autobahn geworden, auf der unzählige Gedanken entlang rasten. Zu schnell um sie genauer zu betrachten.
Marlin setzte sich auf die Schreibtischkante, verstaute seine Handflächen unter den Achseln und legte die Stirn in Falten. Er sah mich an, als wäre ich ein kleines Mädchen, dessen Hündchen er gerade platt gefahren hatte. Und ich, die Hundeleine noch immer fest umklammert, stand am Straßenrand und staunte über die blutige Realität.
„Sagen Sie es ruhig, Jim“, forderte er.
„Wo ist er?“, hörte ich mich in seltsamer Ruhe sagen.
Wieder presste er die Lippen zusammen und suchte auf dem Boden zu seinen Füßen erst einmal nach einer Antwort.
„Ich habe getan, was ich konnte“, schwor er dann und legte eine kurze Pause ein, „Aber die Entscheidung war klar. Entweder wir schließen uns dem Feuer an. Oder lassen uns davon auffressen! Sie kennen das.“
Mir war plötzlich unglaublich heiß und ich war unfähig zu schlucken. Mit der Hand wischte ich mir über mein feuchtes Gesicht.
„Wegen dieser Scheiße?“, fragte ich ohne ihn anzusehen.
„Wegen dieser Scheiße“, sagte er nickend.
„Seit wann sind wir ein verfluchtes Klatschblatt?“
„Bitte …!“
„Es gab bisher nicht einen Artikel über diese Schlampe!“, fauchte ich.
„Kommen Sie, Jim. Sie wurde ermordet.“
„Wir hatten uns auf diesen Tag geeinigt!“
„Ich weiß.“
„Und das nicht ohne Grund. Es muss heute sein!“
Marlin nickte nur. Ich kam mir vor wie ein Fahrlehrer, der seinem Schüler den Unterschied zwischen Gas- und Bremspedal erklärte und dann mit ansehen musste, wie sein Schüler nickend gegen eine Wand fuhr.
„Wir könnten ihren Artikel, je nachdem wie sich die Geschehnisse weiter entwickeln, morgen bringen“, sagte er.
„Auf der Titelseite?“
„Das kann ich Ihnen nicht garantieren.“
„Aber diese beschissene Wahl ist doch schon morgen!?“
Der Zorn drang jetzt in jede Faser meines Körpers vor. Ich wollte schon Blut und Galle spucken, als mich ein Gedanke plötzlich zusammenzucken ließ.
„Moment mal“, sagte ich und ein Funken Hoffnung kam auf, „Ist das alles ein Scherz?“
Ich wäre nun wahrlich nicht der Erste gewesen, den man innerhalb der Redaktion aufs Glatteis geschickt hätte. Und es war immer wieder faszinierend, wie kreativ und bodenlos böse der Mensch doch werden kann, wenn er uneingeschränkten Zugriff auf Druckermaschinen und die modernsten Bildbearbeitungstechnologien hat.
Marlin sah mich unglücklich an. Dann nahm er eine Fernbedienung vom Tisch und schaltete einen kleinen Fernseher in der Ecke seines Büros an. Ich drehte mich um. Die Nachrichten flimmerten über den Schirm:

„… handelte es sich bei dem Mörder von Sasha Diamond um einen 29-jährigen Mann mexikanischer Abstammung. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um denselben Mann handelte, der die Sängerin bereits vor wenigen Monaten verfolgt und gestalkt haben soll. Wir schalten jetzt Live zu unserer ...“

Marlin schaltete den Fernseher wieder aus und stieß die Luft aus seinen Nasenlöchern.
„Ist kein Scherz, Jim“, sagte er und legte die Fernbedienung zurück, „Ich wünschte, es wäre einer“.
Ich biss die Zähne zusammen. Die Hoffnung starb immer zuletzt, aber nun wurde mir klar, dass mit mir nie auch nur ein Schwein über die Zeit danach geredet hatte.
„Achtzehn Monate“, sagte ich, „Achtzehn Monate habe ich gebraucht um …!“
„Es war nicht meine Entscheidung, Jim.“
„Wessen war es dann?“, brüllte ich, stand auf und warf dabei den Stuhl um.
Jetzt war es passiert. Noch nie zuvor in meinem Leben war ich gegenüber einem Vorgesetzten laut geworden. Ich verstand es normalerweise spielend, mich in schwierigen Situationen unter Kontrolle zu halten, um darauf zu warten, dass mein Gegenüber die Beherrschung verliert und seine Schwachstellen offen legt. Der Mensch ist am verletzlichsten, wenn er zürnt.
Marlin sah mich lange an und nickte leicht. Dann stand er auf, ging an mir vorbei und vergewisserte sich, dass die Tür auch wirklich geschlossen war. Er drehte die Jalousien vor den Fenstern herunter und fuhr sich angestrengt durch den Nacken.
Ich stellte den Stuhl wieder auf obwohl ich ihn lieber, wo er doch schon mal da lag, mit den Füßen zu Klump getreten hätte.
Marlin ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder und tippte mit dem Finger auf der Tischkante herum.
„Bitte setzen Sie sich wieder“, sagte er.
„Ich stehe lieber“, antwortete ich knapp.
Ich war kein Idiot. Ich wusste natürlich, dass es nicht Marlins Schuld war. Trotzdem schaffte ich es nicht, meine abgrundtief finstere Miene ihm gegenüber abzulegen.
„Wie Sie wissen, sind unsere Verkaufszahlen in den letzten Monaten gesunken und ...“, begann Marlin.
„Ist das Ihr Ernst?“, kläffte ich dazwischen, „Ich habe für diesen beschissenen Artikel gelitten. Verstehen sie das? Ich habe alles gegeben. Sogar meine Beziehung war in Gefahr, weil ich jede freie Minute damit verbracht habe, für diese Zeitung einen Scheiß Knaller zu kreieren. Und ausgerechnet heute, an meinem Tag, berichten wir auf einmal über von Youtube hochgezüchtete Teenie-Idole?“
„Bleiben Sie fair, Jim“, seine Stimme wurde lauter, „Sie wurde schließlich erschossen.“
„Fair? Wir hatten eine beschissene Abmachung!“, schrie ich und gestikulierte mit den Armen.
Ich wusste, dass ich nun kurz davor war, etwas endgültig Dummes zu sagen oder zu tun. Also setzte mich doch, starrte zu Boden und faltete die Hände über meinem Nacken zusammen.
Schweigend saßen wir uns gegenüber. Ich versuchte mich zu beruhigen, doch mein Herz klopfte mit dem Presslufthammer vor dem Gebäude um die Wette. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Marlin seufzte und die eisige Stille im Raum durchbrach:
„Ich habe leider kaum Zeit. Aber hatten Sie heute schon einen Kaffee?“
„Verdammt, ja“, sagte ich entnervt, ohne aufzublicken.
„Tja. Ich nicht. Kommen Sie. Begleiten Sie mich!“

Ein paar Minuten später saßen wir gemeinsam, zwei Häuserblocks entfernt, in einem kleinen, jedoch gut besuchten Café. Es gab zwei Fernseher. Auf beiden liefen die Nachrichten. Es gab nur das eine Thema.
Nachdem die Bedienung unsere Bestellung aufgenommen hatte, starrte ich aus dem Fenster. Autos bretterten vorbei. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite warteten Menschen an einer Bushaltestelle - allesamt vertieft in die Morgenzeitungen oder aber an die Bildschirme ihrer Mobiltelefone gefesselt.
„Wissen Sie eigentlich, warum die Menschen so gerne etwas über tote Prominente wie Sasha Diamond lesen?“, fragte mich Marlin plötzlich und riss mich aus meiner Gedankenwelt.
„Sie haben sicher eine verdammt gute Antwort darauf“, entgegnete ich und lehnte mich in meinem Sitz zurück.
Marlins Mund verkrampfte sich zu einem merkwürdigen Lächeln und er faltete die Hände zusammen. Der Schatten einer großen Wolke zog durch die Straße und traf auch das Café.
„Weil sie es ihnen gönnen, Jim!“

Die Bedienung näherte sich und stellte uns jeweils eine große Tasse Kaffee vor die Nase.
„Danke“, murmelte ich.
Marlin nickte ihr zu. Ich riss eine kleine Tüte Zucker auf und ließ die kleinen Kristalle in meinen Kaffee rieseln.
„Was genau meinen Sie?“, fragte ich, während ich mit dem Löffel in meiner Tasse herumstocherte.
Diesmal war es Marlin, der aus dem Fenster starrte und sich kurzzeitig verlor. Er runzelte die Stirn.
„Sehen Sie“, begann er dann, „die Menschen wollen nichts über Leute lesen deren Bankkontos platzen, die schnelle Autos fahren oder die in den teuersten Hotels dieser Welt absteigen. Nein. Sie wollen erfahren, dass auch diese Leute fett, alt und krank werden können. Dass auch deren Herzen brechbar sind. Sie wollen wissen, wie Spitzenschauspieler ohne Schminke aussehen und dass die heißesten Models der Welt Cellulite am Hintern tragen, bevor sie nicht eine Runde durch den Photoshop gedreht haben.
Die Menschen wollen sehen, dass es einfaches Blut ist, das auf die Straße klatscht, wenn jemandem wie Sasha Diamond der Schädel vom Hals geblasen wird.“
Er legte eine kurze Pause ein, als ein Krankenwagen lautstark an uns vorbeirauschte, um sich noch lange hörbar durch den Berufsverkehr zu kämpfen.
„Hören Sie, die Menschen fürchten sich nicht davor, dass sie nie das erreichen werden, was die Leute in den VIP-Bereichen ihr Eigentum nennen dürfen. Stattdessen fürchten sie sich davor, dass diese nicht das ertragen müssen, worunter sie selbst tagtäglich zu leiden haben. Die Menschen haben Angst. Angst davor, dass andere vergessen wurden als Liebeskummer, Durchschnittseinkommen und schiefe Zähne verteilt wurden.
Sie wollen die Gewissheit, dass weder Reichtum, Macht oder ein perfekter Arsch jemanden über den Zustand „Mensch“ hinaus heben können. Dass auch diese Leute letzten Endes, einfach nur sterblich sind.
An diesem Leid teilhaben zu dürfen, das ist ihre eigene, ganz spezielle Form von Rache!“

Ich antwortete nicht. Legte nur den Kopf in den Nacken und stieß die Luft aus den Nasenlöchern. Marlin schob seinen Kaffee beiseite, beugte sich vor und verschränkte seine Unterarme auf dem Tisch.
„Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Jim. Auch ich bin nicht gerade betroffen darüber, dass jemand dieser Dumpfbacke das Licht ausgepustet hat. Sasha Diamond war eine talentresistente Rotzgöre mit dem Drang, ihr Ego Gassi zu führen, die außerdem jeden einzelnen Musik– und Filmproduzenten der Stadt inzwischen am Geschmack identifizieren konnte.“
„Sasha Diamond interessiert mich einen feuchten Dreck, sagte ich.
„Ich weiß!“
„Ach ja und warum reden wir dann darüber?“
„Damit sie mir heute nicht verzweifeln, Junge. Und auch nicht morgen oder wann auch immer. Sie sind jung, Jim. Und sie sind gut. Verdammt gut. Mir müssen sie schon lange nichts mehr beweisen. Sie haben in den letzten Monaten großes geleistet und ich ziehe meinen Hut vor so viel Leidenschaft und Kampfeslust.“
„Aber?“
„Aber in den Straßen dort draußen herrscht ein Kult. Und der betet zu allerlei bösen Göttern. Und leider hat, ausgerechnet heute Nacht, einer dieser Götter geantwortet.“

Ich starrte in meinen Kaffee. Mein Hirn kaute auf Marlins Worten herum wie auf einem Kaugummi, der längst jeglichen Geschmack verloren hatte.
Wenn er mich mit seinem Vortrag trösten wollte, hatte er auf ganzer Linie versagt. Doch irgendetwas sagte mir, dass dies allein nicht seine Absicht war.
Marlin schürzte die Lippen. Dann sah er auf seine Uhr und würgte den Rest seines Kaffees herunter.
„Ich muss gehen, Jim. Sie verstehen!“
„Gut“, murmelte ich und schickte mich an, ebenfalls auszutrinken.
„Kein Grund zur Eile. Sie müssen nicht mitkommen“, sagte Marlin und stand auf, „Gehen Sie heim und ruhen Sie sich aus. Kommen Sie am Montag wieder“.
Ich wollte erst lautstark protestieren, ließ es dann aber doch sein.
„Mal sehen“, brummte ich stattdessen.
Er zog seine Brieftasche hervor.
„Das erledige ich“, sagte er und zeigte auf meinen Kaffee.
Ich nickte ihm zum Dank zu. Marlin schob sich seine Sonnenbrille ins Gesicht und richtete den Kragen seines Hemdes.
„Ich werde tun was ich kann, damit ihre Geschichte schnellstmöglich veröffentlicht wird. Wenn sie aber der Meinung sind, wenn nicht jetzt dann doch besser nie, dann lassen Sie es mich bitte noch heute wissen!“
Meine Hände krampften sich zu Fäusten zusammen. Mir war klar, dass es längst zu spät war. Ich nickte erneut.
Marlin sah mich noch einen Moment an und machte sich dann auf, zu gehen.
„Wenn es stimmt, was Sie sagen“, platzte es plötzlich aus mir heraus, „warum dann überhaupt je wiederkommen?“
Marlin blieb neben mir stehen, sah mich aber nicht an. Er senkte den Blick und legte mir eine Hand auf die Schulter. Er drückte leicht zu.
„Wir zerstören Ängste, Sie und Ich. Aber wir schüren sie nicht. Niemals. Dann überleben wir das hier!“
Dann lies er mich alleine. Ich hörte ihn hinter meinem Rücken bezahlen und dann das Café verlassen.
Ich ging nicht heim. Stattdessen saß ich noch eine gefühlte Ewigkeit mit geprügeltem Gesichtsausdruck da und starrte auf den Bildschirm über der Bar. Sasha Diamonds Blut auf der dreckigen Straße. Das Gesicht ihres Mörders. Die Diskothek die im Blaulicht unterging. Sie zeigten es immer und immer und immer wieder.
Auch die anderen Gäste ließen sich von der Dauerschleife hypnotisieren.
Zwischendurch versuchte ich, in den Gesichtern der anderen zu lesen. Von Entsetzen bis hin zu Gleichgültigkeit schien alles vertreten. Ein Mann, ungefähr in meinem Alter, forderte die Bedienung auf die Lautstärke etwas aufzudrehen.
Als mich schließlich das Gefühl überkam, in dem Café keine Luft mehr zu kriegen, stand ich auf und ging.
Es war heiß geworden. Die Sonne brannte erbarmungslos und die letzten Wolken waren verschwunden. Gedankenverloren schlenderte ich in Richtung Parkplatz davon.
Auf meinem Weg kam ich an einem kleinen Spirituosenladen vorbei und hielt an. Mit hängenden Schultern betrachtete ich die Auslage im Schaufenster. Flaschen unterschiedlichster Formen und Farbe ragten vor mir auf. Genug um sämtliche Alkoholiker der Stadt damit aufs offene Meer hinaus treiben zu lassen. Wiederverschließbare Gleichgültigkeit. Zum Greifen nah.
„Toll gemacht, Dad“, knirschte ich, wandte mich ab und ging weiter.

Ich lenkte meinen Wagen beinahe eine Stunde über die kurvige Küstenstraße. Zerklüftete Felsen zu meiner rechten, das Meer zu meiner linken. Bald verschwanden die letzten Anzeichen von Zivilisation und ich hielt an einer ungepflasterten Ausbuchtung direkt neben der Straße.
Ich parkte den Wagen im Schatten einer großen Palme und stieg aus. Die Straße hatte einen weiten Bogen geschlagen, so dass ich von hier aus einen guten Blick über die ganze Stadt hatte.
Ich versuchte meine Hemdtasche zu öffnen, um an meine Zigaretten zu gelangen, bekam den Knopf jedoch nicht durch die Lasche geschoben. Ich zog und zerrte. Versuchte es mit Feingefühl, probierte es mit zwei Fingern, schwitzte, rutschte ab und explodierte dann.
Mit einem einzigen Ruck riss ich die Hemdtasche auf. Nähte rissen auf. Der Knopf verabschiedete sich mit einem zupfenden Geräusch. Ich packte die Zigarettenpackung, holte aus und warf sie mit aller Kraft über die Klippe.
„Fuck! Scheiße!“, brüllte ich meinen Kippen hinterher, „Fuck, fuck fuck!“
Erschöpft ließ ich mich zu Boden sinken und lehnte mich gegen die Palme. Von meiner erhöhten Position aus beobachtete ich ruheloses, winziges Leben in den Straßen. Doch dann erinnerte ich mich an das Gespräch im Café zurück und die Stadt mutierte zu diesem einen riesigen, unbezwingbaren Gegner.
Die Geräusche der Stadt verschmolzen zu einer Stimme und diese Stimme rief mich zu sich herab. Runter von meinem Berg, von dem aus ich alles überblicken konnte und der mich den Horizont sehen ließ. Und wieder hinab in die Straßenschluchten, die mir die Sicht auf das große Ganze verweigerten und in denen das Leben stets nur von einem Block bis zum nächsten reichte.
Ich spürte, wie ich durch die Last meiner düsteren Gedanken in mich zusammenfiel und ließ mich rücklings ins Gras fallen.
Weit unter mir brandete das Meer gegen die Klippen. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, um wieder zur Ruhe zu kommen. Doch Marlins Worte spukten mir im Kopf herum und speisten mein Gehirn mit heillos schwachsinnigen Bildern. Bilder von Menschen, die im Blutrausch durch die Straßen der Stadt zogen, mir bekannte Prominente an Straßenlaternen aufhingen oder sie bei lebendigem Leibe zerrissen.
Ein erfrischender Windstoß wehte um mich herum. Er hob die Palmblätter an, tanzte einige Sekunden mit ihnen und ließ sie wieder fallen. Eine große Kokosnuss schaukelte direkt über meinem Kopf auf und ab. Ich fixierte sie mit einem starren Blick.
„Tu es“, flüsterte ich schließlich und ließ die Kokosnuss dabei nicht aus den Augen, „Komm schon … tu es„
Der Wind wurde stärker.

Julie war schon da, als ich nach Hause kam. Es war bereits später Nachmittag. Auf die dämliche Kokosnuss war kein Verlass gewesen und so hatte ich noch viele Stunden auf dem Hügel zugebracht. Auch der Rückweg war umständlich lange ausgefallen.
Wie ein Junge mit einem schlechten Zeugnis im Sack und einem gewalttätigen Vater auf der Couch, trat ich ein, und warf die Türe hinter mir zu.
Julie trat vom Balkon, kam auf mich zu und legte mir ihre Arme um den Hals. Ich drückte sie fest an mich. So standen wir eine Weile wortlos beisammen.
Dann löste sie sich langsam von mir und legte ihre Hände auf meine Wangen. Sie sah mich an. Ihre Augen verrieten, dass sie etwas getan hatte, was mir mein eigener Stolz bis jetzt verweigert hatte. Julie hatte geweint und mir taten augenblicklich all die Idioten da draußen leid, die jemals versucht hatten, Liebe in Worten auszudrücken.
„Was kann ich tun?“, fragte sie und zog die Lippen zurück.
„Ich bin in Ordnung“, schwindelte ich und täuschte ein Lächeln vor.
Doch sie durchschaute mich. Julie besaß diesen Röntgenblick, der Männer zu Glas werden lässt. Wieder schloss sie mich in die Arme und ich bettete meinen Kopf auf ihre Schulter. Ich verspürte den Drang, los zu heulen und schluckte schwer.
„Jim?“
„Ja?“
„Hast du meine Nachricht gefunden?“
„Ja!“
Wieder kehrte ein Moment der Stille ein.
„Weißt du,“ flüsterte Julie dann, „Das, was ich geschrieben habe, das gilt trotzdem! Alles, was ich geschrieben habe!“
Ich runzelte die Stirn und sah sie an. Julie verzog den Mund und sah mich aus großen Augen heraus fragend an. Ich strich ihr über die Wange und küsste sie.

Die Wellen waren größer geworden. Unüberhörbar brachen sie in Strandnähe.
Auf dem Wohnzimmerboden lagen verstreut Kissen und Kleidungsstücke. Wir hatten es nicht mehr bis ins Schlafzimmer geschafft und lagen nun, ein wenig erschöpft, auf dem Sofa beisammen. In meinen Lenden kribbelte es noch immer, während meine Finger mit Julies dunkelblondem Haar spielten. Draußen wanderte das Licht und die Sonne bereitete sich allmählich für ihren Sturz ins Meer vor.
Nach mehreren Fehlschlägen gelang es Julie, mit dem großen Zeh die Fernbedienung zu erwischen und den Fernseher ein zu schalten.
Wir verfolgten noch die letzten Minuten einer bunten Sitcom bevor sich nach einem kurzen Werbeblock, die Abendnachrichten ankündigten.
„Oh. Ist das okay?“, fragte Julie.
Mich überkam ein mulmiges Gefühl. Doch ich nickte und wir setzten uns auf. Julie strich sich die Haare zurecht.
In den letzten Stunden hatten die Medien ihre Palette an exklusivem Bildmaterial erweitert. Aufnahmen von Menschen, die Kerzen und Blumen vor dem Club niederlegten, vor dem Sasha Diamond niedergeschossen wurde. Interviews wurden geführt. Kleine Mädchen heulten Kameralinsen voll und Trauerbekundungen weltweit fluteten das Internet. Oh Mann!
Ich drehte meinen Kopf zur Seite und beschloss zu flüchten, indem ich einfach nur Julie ansah. Sie hatte die Augen zusammengekniffen und den Mund leicht geöffnet. Den Körper leicht nach vorne gebeugt, ließ sie sich von dem Bilderrausch in den Bann ziehen. Und hätte ich in diesem einen, entscheidenden Moment geblinzelt, dann wäre es mir womöglich entgangen. Ein kleines, furchteinflößendes Detail.

Ich sortierte einen Moment lang meine Gedanken und stand dann auf.
„Ich muss noch kurz etwas erledigen“, sagte ich und versuchte, die Benommenheit in meiner Stimme zu überspielen.
„Was denn?“
„Dauert nicht lange. Versprochen.“
„Ist alles in Ordnung?“
„Alles okay“, sagte ich, ohne Rücksicht auf den Röntgenblick.
„Soll ich uns etwas zu Essen machen?“
„Gern.“
Ich warf mir ein Shirt über, verschwand in meinem Arbeitszimmer und schloss die Türe. Gedämpft hörte ich Julies Schritte, und wie sie in der Küche zu hantieren begann.
Ich zog die Vorhänge zur Seite. Lila Wolken auf rotem Himmel. Der erste Tag ohne Sasha Diamond neigte sich einem überraschend farbenfrohen Ende.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, fuhr meinen Laptop hoch und öffnete meinen E-Mail Account. Mit einem kribbelnden Gefühl in den Fingern gab ich Marlins Mail-Adresse ein.
Nach nur zwei kurzen Sätzen und einem knapp gehaltenen Gruß, schickte ich die Nachricht ab. Danach ließ ich mich zurückfallen und starrte eine Zeit lang vor mich ins Leere.
Auf meinem Schreibtisch stand ein eingerahmtes Foto. Ein Urlaubsbild von mir und Julie. Ich nahm es an mich.
Es war eines meiner Lieblingsbilder von Julie. Es zeigte einfach alles, worin ich mich bereits bei unserem ersten Treffen verliebt hatte. Die langen Haare. Diese großen, wunderschönen Augen. Das freche Gesicht. Und ja, ja es zeigte auch die kleinen Grübchen, die sich bereits beim noch so geringsten Anflug eines Lächelns bei ihr bildeten.

Wie versprochen, verließ ich mein Arbeitszimmer kurz darauf wieder, blieb jedoch im Flur stehen und beobachtete Julie. Sie hatte sich eines meiner alten Band-Shirts übergezogen und war mit Gemüseschneiden beschäftigt. Sie bemerkte mich nicht. Der Fernseher lief noch immer.
Mit meiner Arbeit hatte ich drohendes Unheil abwenden wollen. Ich wollte die Menschen da draußen schützen. Sie warnen. Ihnen die Augen öffnen und sie auf den richtigen Weg führen. Ich hätte geradezu alles für sie verwüstet, damit sie noch einmal von vorne beginnen konnten.
Jetzt sah Julie auf, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Wie gern wäre ich auch ihr Komet gewesen.
„Thai-Curry“, sagte sie und wedelte mit dem Messer.
„Klingt super“, antwortete ich.

Gut möglich, dass Marlin mich an diesem Morgen nur hatte trösten wollen. Sehr wahrscheinlich sogar.
Aber was wenn nicht? Was, wenn wirklich mehr dahinter steckte?
Dann hatten sich die Kannibalen letzten Endes zum Dank ja doch nur Augen und Zungen aus dem Schädel gerissen, und für meine Story gab es jetzt nur noch einen einzigen passenden Zeitpunkt, um veröffentlicht zu werden.
Und Marlin hätte dann, ganz nebenbei bemerkt, zumindest in einem Punkt Recht behalten: Jeder von uns hat so seine eigene, ganz spezielle Form von Rache.


ENDE​

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Cabal,

habe deine Geschichte gerne gelesen, aber das Ende habe ich nicht vollends verstanden. Z.B. warum Julie weint? Ist sie traurig wegen Sasha Diamond? Oder hat sie mitbekommen, dass die Geschichte der Hauptfigur nicht veröffentlicht wurde?

Die Geschichte liest sich wie ein Thriller. Flüssig geschrieben, spannend, Informationen werden häppchenweise serviert. Aber das Ende ist eher philosophisch. Das passt nicht zusammen. Der thrillerhafte Hauptteil der Geschichte weckt bestimmte Erwartungshaltungen beim Leser.

Ich hatte gehofft, dass da im Hintergrund eine der politischen Verschwörungen im Gange ist, über die die Hauptfigur recherchiert hat. Dass eine dunkle, böse Macht die Redaktion gezwungen hat, den Artikel nicht zu bringen. Und dann natürlich die Auflösung, um was es in diesem Hammer-Artikel eigentlich geht. Aber all das kam leider nicht. Ich habe unter dieser Prämisse immer weiter gelesen. Wann wird aufgelöst? Wer steckt dahinter? Wann sagt Marlin im Café endlich, um was es wirklich geht? Das hat mich als Leser bei der Stange gehalten. Und natürlich war ich dann ein wenig enttäuscht, als sich herausgestellt hat, dass da nichts Großes dahintersteckt.

Ich denke, die Geschichte, die du eigentlich erzählen wolltest ist die, wie Prominente symbolhaft für das Leben aller stehen. Aber dieser Subplot scheint nur am Rande durch, denn wie gesagt, es liest sich wie ein Thriller und als Leser habe ich eine andere Art der Auflösung erwartet.

Dann sind da noch eine Reihe von Rechtschreib- und ein paar Zeichenfehler drin, aber nicht so dramatisch.

Alles in allem gerne gelesen.

 

Hallo @Cabal,
deine Geschichte fand ich interessant. Du hast die Spannung gut dosiert, so dass ich immer weiter las und wissen wollte, was für ein Knaller Jim in seiner Zeitung bringt.

Ich wollte meine Leser immer schon dazu bewegen, ebenfalls einen Blick hinter die Kulissen zu wagen und nun hatte ich sie, die eine, alles entlarvende Story.

Ist nur sehr schade, dass man nichts weiter darüber erfährt. Am Ende war ich enttäuscht. Doch nicht nur das, ich verstehe jetzt auch den Schluss nicht.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und beschloss zu flüchten, indem ich einfach nur Julie ansah. Sie hatte die Augen zusammengekniffen und den Mund leicht geöffnet. Den Körper leicht nach vorne gebeugt, ließ sie sich von dem Bilderrausch in den Bann ziehen. Und hätte ich in diesem einen, entscheidenden Moment geblinzelt, dann wäre es mir womöglich entgangen. Ein kleines, furchteinflößendes Detail.

Was meinst du mit dem furchteinflößenden Detail? Hab' ich was überlesen? Steh ich auf dem Schlauch? Leider, ich kann nichts damit anfangen. Was ist los mit Julie?

Ich meine einige Kommafehler entdeckt zu haben, bin da aber selbst nicht regelfest. Schreibe daher nur mal eine Stelle und die sehr zaghaft auf:

Mit einer Tasse Kaffee Komma nebst Zigarettenschachtel im Schlepptau Komma schob ich die Balkontür auf und trat ins Freie.

Des Weiteren hast du Ausrufezeichen an Stellen gesetzt, an denen nicht geschrien/gebrüllt wird.

„Bei mir. In fünf Minuten!“, sagte er …
„Wegen dieser Scheiße!“, sagte er nickend.
„Bitte …!“

Sätze in Klammern sind unschön – da gibt es andere Möglichkeiten. Der Gedankenstrich zum Beispiel oder in diesem Fall

Noch während ich den Wagen aus der Einfahrt lenkte, schob ich eine meiner (lautesten) Lieblings-CD´s in den Wechsler und machte mich auf den Weg in die Stadt.

kann man darauf verzichten.

"Sie"/"Ihnen" in der höflichen Anrede hast du durchweg kleingeschrieben. Gehört aber groß.

„Setzen Sie sich doch“
„Das kann ich Ihnen nicht garantieren.“

Ein paar Möwen stritten sich kreischend um irgendwas, was das Meer über Nacht an den Strand gespuckt hatte. Die Wellen schwappten geräuschvoll über den Sand und in weiter Ferne schaukelte ein Fischerboot über das Wasser. Irgendwo am Küstenstreifen heulte eine Alarmanlage auf.

Einer der vielen Sätze, die mich ins Geschehen zogen. Ich spüre und rieche das Salz des Meeres.

Ihre Augen verrieten, dass sie etwas getan hatte, was mir mein eigener Stolz bis jetzt verweigert hatte. Julie hatte geweint und mir taten augenblicklich all die Idioten da draußen leid, die jemals versucht hatten, Liebe in Worten auszudrücken.

Einfach Klasse. Ist meine Lieblingsstelle in deinem Text.

Oh man!

Ist das englisch in einem deutschen Text? Dann würde ich das optisch hervorheben. So liest es sich für mich falsch.

Lieber Cabal, mir hat gefallen, was und wie du schreibst. In deiner letzten Geschichte wurde ich der vielen Beschreibungen überdrüssig. Hier fand ich sie dosierter. Dein Text hat mich gleich im ersten Absatz angesprochen und das hat sich bis zum Schluss durchgezogen – obwohl ich, wie gesagt, das Ende unbefriedigend empfand.

Schönen Abend, gute Nacht und liebe Grüße
Tintenfass

 

Hallo HSB

Erst einmal Danke für deine Kritik :read::)

Zu deinen Fragen:

warum Julie weint? Ist sie traurig wegen Sasha Diamond? Oder hat sie mitbekommen, dass die Geschichte der Hauptfigur nicht veröffentlicht wurde?

Sie weint, weil die Story nicht veröffentlicht wurde. Deine Frage hat mich dazu veranlasst, diese Stelle noch einmal ein wenig umzuschreiben, um dies zu verdeutlichen. Danke für den Hinweis.

Ich denke, die Geschichte, die du eigentlich erzählen wolltest ist die, wie Prominente symbolhaft für das Leben aller stehen.

Leider nicht. Mein Kerngedanke war/ist, dass die Menschen in meiner Geschichte schon lange gewillt sind, auf etwas "wirklich bewegendes" zu verzichten, wenn stattdessen die Möglichkeit besteht, dass ihre Gier auf "Blut" gestillt wird, und somit ihre Form von Gerechtigkeit waltet.
Alles was Marlin im Café zu Jim sagt, meint er auch so.
„Aber in den Straßen dort draußen herrscht ein Kult. Und der betet zu allerlei bösen Göttern.

Ich habe mich absichtlich dazu entschieden, nicht ans Tageslicht kommen zu lassen, welchen Knüller Jim tatsächlich in der Tasche hat um den Kern auf Marlins Aussage zu lenken. Jims Story ist hier, wenn ich das so sagen kann, nur Mittel zum Zweck.

Ich hoffe, ich konnte etwas Licht ins Dunkel bringen :)

Auch dir Hallo Tintenfass

Auch dir erstmal Danke für deine Rückmeldung zum Text :thumbsup:

Was meinst du mit dem furchteinflößenden Detail? Hab' ich was überlesen? Steh ich auf dem Schlauch? Leider, ich kann nichts damit anfangen. Was ist los mit Julie?

Das furchteinflößende Detail verrät die Geschichte erst, nachdem Jim in sein Zimmer geht und das Urlaubsfoto betrachtet:
Und ja, ja es zeigte auch die kleinen Grübchen, die sich bereits beim noch so geringsten Anflug eines Lächelns bei ihr bildeten.

Ich versuche das Ende mal aufzulösen:
Marlin spricht im Kaffee von einem herrschenden Kult unter den Leuten, der Menschen wie Sasha Diamond nur allzu gern bluten sieht. Jim bleibt ein wenig ratlos zurück. Erst als er Julie beim betrachten der Nachrichten für den Bruchteil einer Sekunde lächeln sieht, zieht er Marlins These als "echte Möglichkeit" in Betracht und rächt sich an diesem Kult, in dem er Marlin bittet seinen Artikel erst dann zu veröffentlichen, wenn es für die Menschen zu spät ist um zu handeln.

Wie oben schon schon einmal kurz angedeutet, wollte ich nicht exakt auf Jims "Artikel" eingehen denn es geht nicht darum was er veröffentlichen will, sondern warum er es nicht veröffentlichen kann.
Das war meine Idee dahinter :shy:

Danke für die Hinweise auf Kommas, und die unnötige "!" Zeichensetzung. Aber jetzt kommt ja das Wochenende, da finde ich sicher Zeit dies nachträglich auszumerzen:schiel:

Ist das englisch in einem deutschen Text?

Oh mist, das sollte natürlich "Oh Mann" und nicht "Oh man" heißen. Wird korrigiert.

Nochmal danke euch beiden, einen schönen Freitag und ein wohlverdientes Wochenende :)

Grüße

 

Hallo Cabal,

eine lange Geschichte, deren Plot und Figuren, aber auch die Idee dahinter, gut gefallen haben. Die Frage ist nur, ob du wirklich so viele Worte dafür brauchst. Da könntest du, glaube ich, stark kürzen.
Z.B. der Anfang: ist es wirklich wichtig, was der Protagonist anzieht und ob er einen Kaffee trinkt oder eine Zigarette raucht? Es sind in meinen Augen alles keine Sachen, die ihn für mich als Figur lebendiger machen. Er ist ganz normal in seinem Verhalten, das muss nicht betont werden, denke ich. Ich hätte die Geschichte hier gestartet:

Ich kämpfte nach wie vor gegen den Drang, den Fernseher oder das Radio anzuschalten, um zu erfahren, ob ich das gewünschte Inferno losgetreten hatte.
Hier habe ich aufgemerkt und das wäre ein Einstieg, der den Grundkonflikt des Ich-Erzählers auf den Punkt bringt und die eigentliche Geschichte startet.

Auch die Fahrt zur Arbeit könnte stark gekürzt werden. Was nicht weg sollte, aber meiner Meinung nach schwach umgesetzt wurde: die erste Erwähnung von Julie:

Vorausschauend klappte ich die Sonnenblende herunter. Ein kleiner Zettel kam zum Vorschein und landete in meinem Schoß. Verblüfft faltete ich das Papier auseinander.
Meine Freundin Julie hatte mir, bevor sie zur Nachtschicht aufgebrochen war, eine Nachricht hinterlassen. Sie ließ mich wissen, dass sie stolz auf mich war und ich allen Grund hatte es ebenfalls zu sein. Und dann stand da noch etwas sehr Unanständiges und dass ich nicht allzu spät heimkommen solle.
Hier erzählt sich der Ich-Erzähler selbst etwas, damit es der Leser erfährt. Warum kann er nicht einfach lesen, was auf dem Zettel steht: "Bin zur Nachtschicht. Ich bin stolz auf dich. [etwas Unanständiges] Komm nicht zu spät heim. Julie"?
Je nachdem, was das Unanständige ist, was du dir da ausdenkst, wird der Leser schon kapieren, dass es sich bei Julie um seine Freundin, und nicht um seine Tante oder seine Psychotherapeutin handelt.

Was ich loben muss und die Länge der Fahrt fast schon wieder rechtfertigt: wie du die Spannung aufbaust. Die ganze Zeit denkt man, all die Aufregung bei den Passanten, Bauarbeitern etc entsteht durch seinen Artikel, von dem man gleich erfahren wird, um was es sich handelt. Ich finde das sehr raffiniert, gerade weil man ja nie erfährt, um was es in dem Artikel ging.

Dann die Enthüllung durch die Schlagzeile. (Der Tippfehler Popsterchen statt Popsternchen ist wohl keine Absicht, oder?). Gut gelöst.

Dann aber dehnst du sowohl den Schock als auch später die Wut in Marlins Büro zu sehr aus. Da sind eine Menge Redundanzen, das könnte deutlich straffer. Es ist auch nicht plausibel, dass nach einem so langen und auch unerfreulichen Gespräch der Chef noch auf eine Kaffeepause drängt. Wohingegen ein kurzer und ruhig auch heftiger Wutausbruch Jims den Chef vielleicht dazu bewegen könnte, schnell einen Ortswechsel vorzuschlagen, um an neutralem Ort dann freier reden zu können.
Übrigens: Tintenfass hat dich ja bereits darauf hingewiesen, dass du die Anrede "Sie" und "Ihnen" ziemlich konsequent klein- und damit falsch schreibst. Ich kenne mich im Medienbetrieb jetzt nicht so aus, aber das "du" zwischen direktem Vorgesetzten und Mitarbeiter hat sich selbst bei Versicherungen mittlerweile so durchgesetzt, dass ich mir in einer Zeitungsredaktion das anhaltende Gesieze fast nicht vorstellen kann. Zumal in Verbindung mit den (anglisierten) Vornamen es wirklich nach schlecht synchronisierter US-Fernsehserie klingt.

Seine Gefühle während des Gesprächs, während des Aufenthalts am Meer und später im Verhalten zu Julie finde ich (bis auf einige Ausnahmen) ganz gut geschildert. Außerdem finde ich, dass du zum Ende hin, während und nach der Sexszene, straffer wirst in der Erzählweise (weil du zum Ende kommen wolltest?), da habe ich dann nichts mehr auszusetzen.

Noch ein paar Kleinlichkeiten:

Wenige Minuten aber dafür einige Kurven später, kam endlich das Redaktionsgebäude in Sicht.
"Wenige Minuten und einige Kurven später" klingt runder. (Das Komma ist entbehrlich, aber Zeichensetzung wollte ich eigentlich nicht betrachten).

Dass sich in den letzten Monaten immer öfters Boulevardartikel einschlichen, hatte ich registriert, pflichtete dem jedoch keinerlei große Bedeutung zu.
keinerlei klingt hier hochtrabend, warum nicht einfach "keine große Bedeutung" oder "keine Bedeutung"?

Ich drehte mich langsam auf meinem Stuhl um, als jemand hinter mir nach Aufmerksamkeit hustete.
Schon klar, was gemeint ist, aber wenn, dann "um Aufmerksamkeit hustete"? Klingt aber trotzdem seltsam.

„Bei mir. In fünf Minuten!“, sagte er und verließ meinem Albtraum vorerst wieder.
Ich geb ja zu, ich bin kleinlich, aber wieso erst in fünf Minuten? Damit Marlin noch schnell sein Büro aufräumen kann? "Bei mir!" kann ein Chef sagen, den Raum verlassen und einfach erwarten, dass sein Mitarbeiter nachkommt.

Ein Kribbeln hatte meinen ganzen Körper übernommen.
Das ist jetzt eine der Ausnahmen in der sonst ganz guten Schilderung der Gefühle. Zu gestelzt. Und "übernehmen" ist dafür auch kein gutes Verb. "Mein ganzer Körper kribbelte." täte es auch. Oder "Ich kribbelte am ganzen Leib."

„Aber diese beschissene Wahl ist doch schon Morgen!?“

Wenn sie aber der Meinung sind, wenn nicht jetzt dann doch besser nie, dann lassen sie es mich bitte noch Heute wissen!“
Ich glaube, morgen, heute und gestern werden als Adverbien kleingeschrieben. Und die Anrede "Sie" eben groß.

Ich verstand es normalerweise spielend, mich in schwierigen Situationen unter Kontrolle zu halten, um darauf zu warten, das mein Gegenüber die Beherrschung verliert und seine Schwachstellen offen legt.
dass

Dann stand er auf, ging an mir vorbei und vergewisserte sich, dass die Tür zu war.
Hier ist mal nicht zu gestelzt, sondern zu umgangssprachlich: "dass die Tür geschlossen war"

Ich wusste, dass ich nun kurz davor war vor[,] etwas endgültig dummes zu sagen oder zu tun.
Das "vor" muss weg, und "etwas Dummes"

Eine betretene Stille suchte das Büro heim. Ich versuchte mich zu beruhigen, doch mein Herz klopfte mit dem Presslufthammer vor dem Gebäude um die Wette.
Stille sucht nicht heim. Vielleicht breitet sie sich aus. Aber nicht, wenn vor dem Gebäude ein Presslufthammer dröhnt.

Ich riss eine kleine Tüte Zucker auf und lies die kleinen Kristalle in meinen Kaffee rieseln.

Ich spürte, wie ich durch die Last meiner düsteren Gedanken in mich zusammenfiel[,] und lies mich rücklings ins Gras fallen.
"ließ"

Sie wollen die Gewissheit, dass weder Reichtum, Macht oder ein perfekter Arsch jemanden über den Zustand „Mensch“ hinaus heben können.
Hier sagt mir mein Sprachgefühl, es müsse "kann" heißen. Weil es entweder Reichtum, Macht oder ein perfekter Arsch ist, was das kann.

Sasha Diamond war eine talentresistente Rotzgöre mit dem Drang[,] ihr Ego Gassi zu führen[,] und die jeden einzelnen Musik– und Filmproduzenten der Stadt inzwischen am Geschmack identifizieren konnte.
Das "und" muss weg, "mit dem Drang" und der Relativsatz lassen sich nicht mit und verbinden.

Gehen sie Heim und ruhen sie sich aus.

Ich ging nicht Heim.
"Gehen Sie heim" "Ich ging nicht heim"

Zerklüftete Felsen zu meiner rechten, das Meer zu meiner linken.
Rechten, Linken

Sie hatte sich eines meiner alten Band-Shirts übergezogen und war mit Gemüse schneiden beschäftigt.
Gemüseschneiden (ein Wort)

Insgesamt gern gelesen, trotz oder gerade des offenen Endes wegen, und natürlich steht es dir frei, zu kürzen oder nicht.

Viele Grüße
Ella Fitz

 

Hallo Ella Fitz

Entschuldige, dass du einige Zeit auf Antwort warten musstest.

Die von dir beanstandeten Fehler im Bereich Rechtschreibung, Grammatik etc. habe ich ausgebessert. Merci :)

der Anfang: ist es wirklich wichtig, was der Protagonist anzieht und ob er einen Kaffee trinkt oder eine Zigarette raucht?

Mit dem ruhigen "alltäglichen" Anfang, wollte ich meinen Protagonisten in "Sicherheit wiegen", bevor seine Seifenblase platzt. Der Tag sollte möglichst friedlich beginnen, um ihn noch unerwarteter aus der Bahn zu werfen.

Auch die Fahrt zur Arbeit könnte stark gekürzt werden.

Wie du in deiner Antwort später schreibst, dient die Fahrt wirklich lediglich als Aufbau der Spannung bis die Schlagzeile dann tatsächlich enthüllt wird.

Es ist auch nicht plausibel, dass nach einem so langen und auch unerfreulichen Gespräch der Chef noch auf eine Kaffeepause drängt.

Wenn es nach "drängen" klingt, muss ich wohl was umschreiben. Meine Idee ist, dass Marlin durchaus Verständnis für den Wutausbruch hat. Auch nach allem, was er später im Café von sich gibt, weiß er durchaus, was in dem Protagonisten vorgeht. Aus der Redaktion zu verschwinden, um die Unterhaltung in einem Café fortzusetzen, ist als "tröstende" Geste gemeint.

Außerdem finde ich, dass du zum Ende hin, während und nach der Sexszene, straffer wirst in der Erzählweise (weil du zum Ende kommen wolltest?)

Das ist mir selbst gar nicht aufgefallen :shy:

Ich kenne mich im Medienbetrieb jetzt nicht so aus, aber das "du" zwischen direktem Vorgesetzten und Mitarbeiter ...

Ich habe beides schon erlebt. Habe mich aus persönlichen Gründen, und weil es für mich angenehmer klang, für das "Siezen" zwischen Mitarbeiter und Chef entschieden. Aber interessanter Hinweis :)

Die Einführung von Julie habe ich ein kleines bisschen "umgeschrieben". Ich wollte sie zu Anfang nicht groß ins Spiel werfen, um nicht abzuschweifen.

Danke für deine Antwort,

lieber Gruss.

 

Hey Cabal,

erst mal was für mich nicht passt: die Sprache klingt zwischendurch (selten) zu altbacken, als würdest du momentan zu viele Klassiker lesen. so was schmälert für mich maßgeblich die Wirkung von Szenen, die auch wirken, als wäre das Inventar verschiedener Jahrzehnter durcheinander geschüttelt worden.

kann ich dir bei Bedarf ein paar Beispiele rauszitieren.

alle drücken sich um Zeitschriftenstände herum und stecken die Köpfe zusammen? in der Wohnung läuft ein Fernseher während sie Thai-Curry macht? aus seinem Handschuhfach fällt ein Zettel mit einer Nachricht? gleichzeitig haben wir Begriffe wie Youtube-Star und Stalking, die noch nicht so lange auf dem Markt sind. ich würde sagen, du müsstest dein Inventar straight kriegen.
so siehts für mich aus, als hätten wir hier verschiedene Vorstellungen davon, wie mensch in den vergangenen Jahrzehnten in Innenstadtpanoramen und Zeitungsredaktionen aufgestellt war und agierte. aber kein schlüssiges Bild, das augenscheinlich in der Zeitgenossenschaft angesiedelt sein soll.

sein Chef geht mit ihm ins Café und redet ständig beschwörend auf ihn ein, meint, er hätte in den vergangenen Monaten großes geleistet? spricht mit Ausrufezeichen, obwohl es nicht um seinen Arsch geht?

gerade im Medienbereich kümmern sich Chefs einen Scheiß um ihre Angestellten. fast alles prekäre Beschäftigungen. als Angestellter gibts nomalerweise die Möglichkeit von Voice / Exit - so eine Chefarztbehandlung ergibt gar keinen Sinn, widerspricht all meiner Arbeitserfahrung. auch bei guten Arbeitgebern. so wie der redet, spricht ein Vater zu seinem Sohn.

und der redet viel zu lange, da soll mir was erklärt werden, nervt, ist schwer anders zu sagen so was, ich weiß, wenns nun mal rein soll und du der Meinung bist, das müsste unbedingt gesagt werden. das zerrt auch an der faked credibility, denn daran arbeiten Medienschaffende doch, eh?
wenn er ein angestellter Medienmensch ist, müsste dem stream der faked credibility und crazyness folgen. der denkt anders, ist schärfer konturiert, stromlinienförmiger. innerlich gehetzt, offen nach allen Seiten könnte ich mir so einen vorstellen.

hier fühlt sich das an, als würde der junge Lord einen Ausritt in seine Grafschaft machen. na ja nicht ganz, aber du ahnst was ich meine...

und wer so jung ist, macht entweder den ganzen Alltagsscheiß mit all den lahmen Seite 14 Themen, oder er wäre wirklich krass. so wirkt er auf mich aber nicht. dafür ist er zu gemütlich, zu verträumt, zu sanft. hm.

ich habs gern gelesen. was du mir sagen willst habe ich nicht verstanden. der Text fühlt sich aber an, als wollte er verstanden werden. als wäre da irgendwas großes, besonderes drin zu finden. auch mit dem vorgestellten Zitat. hat mir Lust auf die Geschichte gemacht, aber ich bin etwas enttäuscht, weil das mir nur abstrakt assoziiert vorkommt.

was ich richtig gut finde, sind die Beschreibungen der Umwelt. die Bildwerdung während der Protagonist durch die Landschaften der Geschichte rollt und geht.

Gruß, Kubus

 

Hallo Cabal,

Ich hatte anfangs das Gefühl, einen ordentlichen konstruierten Thriller zu lesen. Eine wichtige Enthüllung wird von der Gier des Publikums nach dem Leid von Prominenten aus den Schlagzeilen verdràngt. Beim Dialog mit dem Chef schwenkt die Geschichte gekonnt in eine sozialkritische Anklage. Das gefällt mir ganz gut.
Trotzdem bin ich am Ende unzufrieden. Du baust Spannung auf, indem Du die Story des Protagonisten nur andeutest, aber deren Bedeutung sehr stark thematisierst.

Für meine Story, die gerade wie geplant dabei war das herrschende Bewusstsein aus den Angeln zu heben,
Große Worte, die Erwartungen wecken. Es hätte der sozial kritischen Botschaft der Geschichte keinen Abbruch getan, sie vielleicht sogar noch verstärkt, wenn wenigstens ein kurze Aufklärung über den Inhalt seiner journalistischen Recherche stattgefunden hätte. Ab dem Moment, als er an Julie irgendetwas entdeckt, komme ich nicht mehr mit. Ich verstehe das komplette Ende nicht. Weder, was der Anblick Julies auslöste, noch was er letztendlich vorhat. Das kann auch daran liegen, dass ich ja nicht weiß, worum es überhaupt bei seiner Reportage geht.
Offene Enden mag ich. Aber ich brauche einen Zipfel, an dem ich mich festhalten kann, um die Geschichte selbst weiter zu denken. Rückblickend verstehe ich auch den Anfang nicht; er erwartet ein starkes Medienecho, aber er hat die Story noch gar nicht veröffentlicht.
Schade, dass mir das Ende so verkorkst erscheint, da mir der Stil generell sehr zusagt.
Für eine Kurzgeschichte könnten ein paar Stellen gestrafft werden. Die Szene mit der Kokosnuss fand ich unnötig.

Gruß vom Kellerkind

 

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