Was ist neu

Copywrite Jetzt lass mal die Sofia erzählen

Wortkrieger-Globals
Wortkrieger-Team
Seniors
Beitritt
24.01.2009
Beiträge
4.096
Zuletzt bearbeitet:

Jetzt lass mal die Sofia erzählen

Auf dem rechten Arm halte ich Hanno, in der linken Hand den Koffer. So stehe ich vor der Wohnung meiner Mutter. Der Koffer wiegt gefühlt, als hätte ich einen Grabstein durch die Stadt getragen. Daniel, mein kleiner Bruder, öffnet mir die Tür. Sofort verlangt der stolze Onkel nach seinem Neffen. Ich gebe ihm Hanno, froh, wenigstens ein Gewicht los zu sein.
„Es ist Sofia“, ruft Daniel und ich wuschle ihm zur Begrüßung durchs Haar. Mutter kommt. Sie trocknet sich die Hände mit einem Küchenhandtuch.
„Das ist ja eine schöne Überraschung“, sagt sie und will mich umarmen. Als sie nah genug bei mir ist, bemerkt sie die Schramme und die Beule in meinem Gesicht. Dann starrt sie auf den Koffer. Sofort verflüchtigt sich ihre Freude.
„Geh mit Hanno ins Wohnzimmer", bittet sie Daniel und schließt hinter ihm die Stubentür. „Wie ist das passiert? Und was soll der Koffer? Bitte sag, dass es nicht das ist, was ich denke.“
„Es ist nicht das, was du denkst. Lass uns in Ruhe drüber sprechen. Nicht hier im Flur.“
„Ich werde dir nicht helfen. Vergiss es!“
Ich lege meine Arme um ihre Schultern, flüstere: „Ich haue nicht ab. Versprochen.“
Sie schaut mir geradewegs in die Augen, sucht nach Lüge oder Wahrheit, aber ich halte ihrem stummen Verhör stand, bis sie nickt. „Dein Zwilling ist auch da.“ Mit dem Kopf deutet sie zur Stube hin, aus der der Fernseher zu hören ist.
Verdammt, denke ich.

Mutter deckt den Tisch fürs Abendbrot. „Der Fritz hat mir einen Räucheraal besorgt. Ganz frisch.“ Stolz wickelt sie den Fisch aus der Zeitung und hält ihn hoch. Es ist die Zeitung von heute. Bilder vom gestrigen 40. Jahrestag der Republik auf der Titelseite. Honecker, wie er die Faust nach oben streckt. Gorbatschow, der neben ihm winkt. Vor ihnen die Militärparade. Alles glänzend im Fischfett.
Sie teilt den Aal in vier gleichgroße Teile und legt auf jeden Teller eines. Hanno spielt mit unseren Hausschlappen unter dem Tisch. Daniel berichtet stolz, wie er gestern mit Thomas die Parade angeschaut hat, zählt die Namen der Panzer auf, der Waffen, die die Soldaten trugen, erzählt, dass er Gorbi gesehen hat, auch den Fleck auf seinem Kopf. Er meint, er hätte noch nie so leckere Erbsensuppe gegessen, wie die gestern aus der Gulaschkanone. „Erbsensuppe mit Bockwurst!“ Ich lächle. Für Bockwurst würde mein kleiner Bruder seine Seele verkaufen.
„War bestimmt ein toller Tag für euch beide“, sage ich in Richtung meines Zwillings. Thomas hat an Waffen einen Narren gefressen, ist nie der Cowboy- und Indianerphase entwachsen. Deshalb hat er sich auch für die Kampfgruppe gemeldet. Männer jeden Alters spielen an ein paar Wochenenden im Jahr Manöver. Schlafen auf Stroh, zündeln Lagerfeuer. Marschieren, bekommen Muskelkater, um im Ernstfall der Held zu sein, der unsere Betriebe gegen die feindliche Übernahme verteidigt. Volkseigentum wird vom Volk geschützt. Lächerlich. Was liegt auf der Wiese, ist grau und zittert? Die Kampfgruppe.
„Jetzt ist genug mit Waffen“, sagt Mutter. „Jetzt lass mal die Sofia erzählen.“
Sie schaut mich an und ich weiß, sie wartet auf eine Erklärung für die Verletzungen in meinem Gesicht und den Koffer im Flur. Ich wünschte, Thomas wäre nicht hier. Nicht heute. Ich habe keine Kraft und auch keine Lust auf eine politische Diskussion mit ihm. Aber ich brauche Mutters Hilfe, und dafür bin ich ihr eine Antwort schuldig.
„Gestern Nachmittag war ich mit Mike, meinem Nachbarn, am Palast. Hanno war bei seinen Großeltern. Ulrichs Eltern.“
„Haben sie etwas von ihrem Herrn Sohn gehört?“, fragt Thomas.
Ich schüttle den Kopf. „Nein. Nichts.“
„Wundert mich gar nicht. Ich sag dir, dein Künstler hat sich verpisst. Hat euch sitzen lassen. Ist schön über Prag in den goldenen Westen geschwebt. Die werden da sicher keinen Freudentanz aufführen. Noch so ein Spinner für ihre Arbeitslosenstatistik.“
„Halt doch deinen Mund! Was weißt du schon?“
„Hört auf! Sofort! Alle beide! An diesem Tisch wird heute nicht mehr über Waffen oder Hannos Vater gesprochen.“ Mutters Worte zeigen Wirkung, Thomas schweigt. Er widmet sich jetzt ganz dem Fisch. Schaut weder sie noch mich an.
„Kommt Ulrich denn nicht zurück?“, fragt Daniel.
„Das gilt auch für dich!“ Dass sie ihr Nesthäkchen in einem solch scharfen Ton angeht, habe ich noch nie erlebt. Normalerweise tropft purer Honig aus ihrer Stimme. Altersmilde, denn uns Zwillinge hat sie früher ständig angebellt. Mutter atmet durch. „Erzähl weiter.“
„Wir standen auf dem Marx-Engels-Forum, dem Palast der Republik gegenüber. Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen. Zwischen uns und denen die Spree. Das Gebiet abgesperrt, die Brücken zugestellt. Ein unglaubliches Aufgebot an Polizei und Stasi und LKWs und Einsatzfahrzeugen. Man hätte denken können, unsere Gruppe wäre der komplette Westen, bereit, Erichs Lampenladen zu stürmen.
„Und da hat mein Schwesterchen wieder nicht den Mund halten können, und hat eins auf den Deckel bekommen.“ Thomas grient.
„Nein. Nicht da.“
Wir schweigen. Auch Thomas. Wahrscheinlich dachte er tatsächlich, er hätte einen Witz gemacht.
„Sie haben uns abgedrängt, Richtung Liebknechtstraße. Wer nicht freiwillig ging, wurde weggeschleppt. Direkt auf die LKWs. Aber die meisten sind einfach ganz ruhig gegangen. Immer weiter. Passanten und Fenstergucker schlossen sich dem Zug an. Es blieb friedlich. Liebknechtstraße, Prenzlauer Allee, Dimitroffstraße. Je weiter wir gingen, je mehr Menschen wurden es. Auch mehr Staatsmacht und FDJ. Auf einmal schlugen sie los. Von allen Seiten. Mit Gummiknüppeln. Viele sind in die Seitenstraßen geflüchtet, liefen in Richtung Stargarder Straße, weiter zur Gethsemanekirche. Wir auch. Sie kamen von überall, selbst aus den Hausaufgängen. Mike hob sofort die Hände, trotzdem haben sie ihn festgenommen. Mich haben sie an die Hauswand geschubst, als ich ihnen im Weg stand. Versteht ihr? Mike hat nichts gemacht. Und trotzdem hat man ihn verhaftet. Wahrscheinlich erschien er ihnen subversiv genug, wegen seiner langen Haare oder, weil er auf seiner Jeansjacke groß UDO L. stand. Vielleicht gefiel einfach jemandem seine Brille nicht. Er ist noch nicht zurück.“
Mutter schlug eine Hand vor den Mund. „Er hat doch Kinder?“
„Ja. Drei.“
Sie schüttelt den Kopf, kann gar nicht aufhören damit.
„Was ist subversiv?“, fragt Daniel.
„Das sind die Freunde deiner Schwester, wegen denen sie sich noch eine Menge Ärger einhandeln wird“, erklärt ihm Thomas.
„Glaube nicht jeden Mist, den dein Bruder dir erzählt.“ Zur Bekräftigung meiner Glaubwürdigkeit schenke ich ihm meinen restlichen Aal.
„Wo soll das alles noch hinführen?“ Mutter ist klein geworden auf ihrem Stuhl.
„Nirgendwohin. Wirst sehen. In ein paar Tagen ist der Spuk vorüber“, versucht Thomas sie zu beruhigen. Er steht auf und geht zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen. Stellt es auf dem Tisch ab und geht weiter zum Badezimmer. „Ich muss mal.“
„Im Koffer sind Sachen für Hanno drin“, sage ich. Während ich seinen Namen ausspreche, fällt mir auf, wie still es seit Längerem unter dem Tisch ist. Mutter scheint den gleichen Gedanken zu haben, wir sehen beide nach. Hanno schläft. Sein Kopf liegt auf unseren Schuhen.
„Ich will, dass er heute Nacht bei dir bleibt.“
„Wieso?“
„Leute treffen sich an der Gethsemanekirche, um Kerzen für die Freilassung der Inhaftierten anzuzünden. Ich will dahin und ich weiß nicht, wie es ausgeht. Vielleicht sind heute schon Strasssteine subversiv genug.“

Thomas ist zurück. „War die Stasi wieder bei dir in der Bude?“
„Letzte Woche. Sie haben sich Kaffee gekocht, das übliche Chaos angerichtet, meine Schallplatten zerbrochen und mir einen Haufen ins Klo geschissen.“
„Du solltest da heute nicht hingehen. Wegen Hanno“, sagt Mutter.
„Ich will dahin. Ich muss.“
„Nein. Lass das die anderen machen. Du hast ein Kind zu versorgen. Seinen Vater hat Hanno schon verloren.“
Die Worte zwirbeln wie Hagelkörner und ich merke, wie mir wieder die Tränen kommen. Aber ich darf jetzt nicht weinen. Ich will Mutter nicht zeigen, dass sie eine Chance hätte. Auf jedem Wäschestück meines Sohnes im Koffer sind Tränen.
„Mama, bitte. Versuche es nicht. Denk doch an Mike und seine Kinder.“
„Doch, das werde ich sehr wohl tun. Als deine Mutter mache ich mir Sorgen. Und die solltest du dir auch machen.“
Ich möchte ihr den Mund verbieten. Möchte, dass sie aufhört. Aber ich kann nicht mit ihr streiten. Wenn ich Hanno bei ihr weiß, ist das meine einzige Chance, es überhaupt durchzustehen.
„Thomas hat für heute Abend Einsatzbefehl“, flüstert sie.
„Du hast was?“ Fassungslos starre ich meinen Bruder an, der bis eben seelenruhig unserem Gespräch zugehört hat. „Sag, dass das nicht wahr ist!“
„Deswegen bin ich hier. Ich wollte es Mama sagen. Man kann ja nie wissen. Nachher trifft mich so ein blöder Stein, den deine Kumpels werfen.“
„Moment! Nur damit ich das hier richtig verstehe. Thomas darf also gehen, aber ich nicht?“
„Er hat einen Befehl. Was soll er denn tun?“
„Denen seinen Mitgliedsausweis auf den Tisch werfen, wenn die von ihm verlangen, seine eigene Schwester, seine Kollegen, seine Freunde zu verraten. Wir sind keine Betriebe. Er soll Volkseigentum schützen. Nicht das Volk lynchen.“
„Und du und deine Freunde, ihr seid also das Volk?“, fragt Thomas.
„Natürlich sind wir das!“
„Ihr seid also alle in diesem Land? Und ihr bringt es nicht gerade in Schwierigkeiten?“
„Dieser Staat fault doch. Es stinkt bis ins letzte Rattenloch. Fälschung der Wahlergebnisse, die Schönrederei, all die absurden Verhaftungen in den letzten Wochen. Leipzig, Dresden. Hast du überhaupt eine Ahnung, was da losgeht? Aber keine Zeile in unseren Zeitungen, kein Ton in den Nachrichten. Da propagieren sie Friede und Eierkuchen.“
„Auf der Straße: Gorbi, Gorbi rufen, ändert auch nichts daran. Ich sage ja nicht, dass alles gut ist, aber das ist nicht der richtige Weg. Gegeneinander. Das ist Verrat an der Idee des Sozialismus.“
Ich gebe es auf. Mit Thomas über Politik zu reden, ist, als würde ein Hund versuchen, sich mit einem Huhn zu unterhalten. Er macht mich wütend, aber es bestärkt mich in meinem Entschluss.
„Ich werde hingehen. Seid ihr bewaffnet?“
„Gummiknüppel.“
„Und du wirst mich damit verdreschen? Deine eigene Schwester?“
„Du musst nicht hingehen.“
„Nein! Nein! Nein!“ Mutter ist aufgesprungen. Früher wart ihr wie zusammengeschweißt. Habt ihr denn völlig den Verstand verloren?“
Sie sinkt zurück auf ihren Stuhl. Ihr Körper zittert. Ihre Hände bedecken das Gesicht. Ich lege meine Hand auf ihren Arm, aber sie wischt sie fort.
„Wird Thomas Sofia wehtun?“, fragt Daniel.
„Nein. Das wird er nicht tun“, sagt Mama und schaut Thomas an, bis er unter ihrem Blick nickt.
„Und wird einer von Sofias Freunden Thomas wehtun?“
„Vielleicht.“
„Und darf Thomas dem dann auch wehtun?“
„Ich weiß es nicht. Frag doch nicht solche Fragen“, sagt Mutter.
Eine Weile sagt niemand etwas. Ich schaue noch einmal nach Hanno. Er schläft. Ich denke an den Koffer und am liebsten würde ich zu ihm unter den Tisch krabbeln, mich neben ihn legen und ihn ganz dicht bei mir halten. Aber ich darf nicht, wenn ich erst seinen Geruch in der Nase habe, werde ich ihn nicht mehr loslassen können. Ich muss gehen, so schnell wie möglich hier raus. Ich schließe kurz die Augen und konzentriere mich auf Thomas. Wir sitzen uns gegenüber und aus unseren Blicken ist die Wut gewichen. Es sieht eher so aus, als hätte Thomas Angst. Angst vor der Ungewissheit. Die habe ich auch.
„Wird es Krieg geben?“, fragt Daniel.
Schockiert starren wir ihn an. Alle drei. Und wie aus einem Mund sagen wir: „Nein.“


Im Oktober 1989 wurden 3500 Angehörige der Kampfgruppe direkt zum Einsatz gebracht, zusätzliche 7100 Mitglieder in Bereitschaft versetzt.
188 Mitglieder erklärten ihren Austritt, 146 verweigerten den Einsatzbefehl.
Am Abend des 8.10.1989 kam es zu weiteren Verhaftungen von über 1000 Männern, Frauen und Minderjährigen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fliege,

ich weiß zwar nicht warum hier noch keine Anmerkungen, Kritiken oder Korrekturen gekommen sind. Vielleicht ist das im Kopierspiel auch nicht angedacht, ich machs trotzdem. :D

Ich habe die Originalgeschichte gelesen und muss sagen das mir deine Version, Konflikte innerhalb der Familie aufgrund politischer oder gesellschaftlicher Gegebenheiten, aufzuzeigen sehr gefällt. Obwohl es zur DDR - Zeit spielt, ist es aktueller denn je und übertragbar auf fast alle Länder Europas. Dass ich keine Fehler finde ist klar und wenn, wäre es nur Zufall. :lol:
Ich mag deine Sprache, deine Dialoge. Ich nehme es mal einfach als Lehrbeispiel :read:

gern gelesen und dadurch auch schon Fehler bei meiner eigenen Geschichte gefunden :Pfeif:

Die ich natürlich sofort ausbessern werde :thumbsup:

LG BRM

 

Hey BRM,

ich weiß zwar nicht warum hier noch keine Anmerkungen, Kritiken oder Korrekturen gekommen sind. Vielleicht ist das im Kopierspiel auch nicht angedacht, ich machs trotzdem.

Ach doch. Und warum es hier bisher so still ist, kann ja viele Gründe haben:

1. Das Wendethema hängt allen zu den Ohren raus.
2. Die Geschichte mag keiner und niemand will es mir sagen.
3. Niemand hat Zeit.
4. Ich war jetzt selbst nicht so aktiv in letzter Zeit.
5. ...

Wenn ich mir was aussuchen darf, nehme ich Punkt 1 :D. Ich wollte ja auch nie eine Wendegeschichte schreiben, bis das Frl. Losfee gedachte, mir den Schwups und seinen Horror unterzujubeln. Und als ich das Original gelesen habe, kam mir halt der Copyansatz in den Sinn. Dann habe ich ganz viel zum 7.10. und 8.10.1989 recherchiert und da war es auf einmal doch ein sehr spannendes Thema. Für mich jedenfalls ;). Vielleicht ist es mir geglückt irgendwas davon in die Geschichte zu packen, vielleicht auch nicht. Aber deinen Kommentar geht ja schon in eine gute Richtung.

Ich mag deine Sprache, deine Dialoge. Ich nehme es mal einfach als Lehrbeispiel :read:

gern gelesen und dadurch auch schon Fehler bei meiner eigenen Geschichte gefunden :Pfeif:


Vielen Dank und das ist doch was Gutes :).

Liebe Grüße und Kommentardank!
Fliege

 

Fliege schrieb:
Und warum es hier bisher so still ist, kann ja viele Gründe haben:
Zum Beispiel auch den, dass einige der Autoren, die sich üblicherweise ganz gerne in der Kreativwerkstatt herumtreiben, momentan selber in der aktuellen Copywrite-Runde eingespannt sind und ihre Zeit gerade damit verbringen, sich haareraufend und zähneknirschend um eine neue Geschichte zu bemühen.
(Das als Ausrede dafür, dass zumindest ich mich hier noch nicht zu Wort gemeldet habe.)

 

ernst offshore schrieb:
(Das als Ausrede dafür, dass zumindest ich mich hier noch nicht zu Wort gemeldet habe.)

Oh! Nicht falsch verstehen. Muss sich niemand Ausreden einfallen lassen. Ich bin ziemlich entspannt. Aber ich muss ja auch keine Haare raufen und Zähne mehr knirschen :p.

 

Hallo Fliege,

diese Geschichte zu kommentieren ist etwas aufwendiger, weil ich erst noch die Geschichten davor lesen wollte. Und es hat sich gelohnt. Faszinierend wie bei ähnlicher Besetzung der Charaktere die Politik zur Zerreißprobe für die Familie wird und wie jeder seine Rolle innerhalb dieses neuen Settings "spielt".
Ich weiß zu wenig darüber, wie damals so der Sprachduktus in den Familien war. An einigen Stellen erscheint mir die Sprache im Dialog etwas zu glatt.

Wir standen auf dem Marx-Engels-Forum, dem Palast der Republik gegenüber. Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen. Zwischen uns und denen die Spree. Das Gebiet abgesperrt, die Brücken zugestellt. Ein unglaubliches Aufgebot an Polizei und Stasi und LKWs und Einsatzfahrzeugen. Man hätte denken können, unsere Gruppe war der komplette Westen, bereit, Erichs Lampenladen zu stürmen.

Das ist so ein Beispiel, wo ich mich frage, ob sie in der spannungsgeladenen Situation mit ihrem Bruder solche ausführlichen, geschliffenen Sätze formulieren würde.

„Dieser Staat fault doch. Es stinkt bis ins letzte Rattenloch. Fälschung der Wahlergebnisse, die Schönrederei, all die absurden Verhaftungen in den letzten Wochen. Leipzig, Dresden. Hast du überhaupt eine Ahnung, was da losgeht? Aber keine Zeile in unseren Zeitungen, kein Ton in den Nachrichten. Da propagieren sie Friede und Eierkuchen.“
„Auf der Straße: Gorbi, Gorbi rufen, ändert auch nichts daran. Ich sage ja nicht, dass alles gut ist, aber das ist nicht der richtige Weg. Gegeneinander. Das ist Verrat an der Idee des Sozialismus.“

Das kommt mir so vor, als würden für den Leser noch einmal die Argumente verständlich vorgetragen, ich denke die Positionen hast du zu diesem Zeitpunkt schon gut klargemacht.

Mutter deckt den Tisch fürs Abendbrot. „Der Fritz hat mir einen Räucheraal besorgt. Ganz frisch.“ Stolz wickelt sie den Fisch aus der Zeitung und hält ihn hoch. Es ist die Zeitung von heute. Bilder vom gestrigen 40. Jahrestag der Republik auf der Titelseite. Honecker, wie er die Faust nach oben streckt. Gorbatschow, der neben ihm winkt. Vor ihnen die Militärparade. Alles glänzend im Fischfett.
Sie teilt den Aal in vier gleichgroße Teile und legt auf jeden Teller eines. Hanno spielt mit unseren Hausschlappen unter dem Tisch. Daniel berichtet stolz, wie er gestern mit Thomas die Parade angeschaut hat, zählt die Namen der Panzer auf, der Waffen, die die Soldaten trugen, erzählt, dass er Gorbi gesehen hat, auch den Fleck auf seinem Kopf. Er meint, er hätte noch nie so leckere Erbsensuppe gegessen, wie die gestern aus der Gulaschkanone. „Erbsensuppe mit Bockwurst!“ Ich lächle. Für Bockwurst würde mein kleiner Bruder seine Seele verkaufen.

Das hat mir sehr gut gefallen, wie du in die fettige Zeitung ein paar wichtige Informationen "gepackt" hast. Und gelungen fand ich auch die Bockwurst, die Daniels Rolle zwischen allen Stühlen aus Schwups Geschichte noch mal andeutet. Vielleicht lege ich zuviel hinein, aber ich sehe da auch den Gedanken, dass Daniel seine politische Seele möglicherweise verkauft.

„Wird es Krieg geben?“, fragt Daniel.

Das fand ich genial. Das weist es noch einmal weit zurück bis zu Kews Geschichte und zu dem was Grundlage und Ursache für all diese Dramen in der Familie sind. Als wenn das Kind das scheinbar unmotiviert ausspricht was ganz hinten in den Köpfen liegt.

Auch wenn ich deinen Ansatz, den Konflikt komplett in der Familie zu lassen gut nachvollziehen kann, hat mir trotzdem irgendwie der Pfarrer gefehlt.

Insgesamt: Hut ab, wie du diese schwierige Aufgabe gemeistert hast!

Liebe Grüße von Chutney

 

Hey Fliege,

habe ich den Teil mit Ende März irgendwie falsch verstanden?
Ich war so stolz, dass ich letztes Wochenende immerhin schon mal angefangen habe mit dem Copywrite, und du stellt hier schon die fertige Geschichte ein! :)

Ich finde deinen Ansatz sehr gut, die Geschichte in die Wende- statt die Nachkriegszeit zu verlagern - mir hängt das keinesfalls zu den Ohren raus, ich habe eigentlich einen stärkeren Bezug dazu, weil ich da zumindest schon auf der Welt war (auch wenn ich noch weniger davon verstanden habe was da los war als Daniel :)).

Und mir gefällt, dass dein Text wesentlich kompakter ist als das Original von Schwups. Du hast das ja in deinem Kommentar zu "Alte Schatten" ja schon gesagt, dass es dir besser gefallen würde, wenn sich alles innerhalb der Familie abspielt, und ich finde, das ist wirklich gut gelungen. Der größere Rahmen in der Geschichte von Schwups macht es möglich, mehr Ereignisse unterzubringen und die Veränderungen über einen längeren Zeitraum zu verfolgen, aber dieser zentrale Konflikt, dass unterschiedliche politische Haltungen die Familie auseinanderreißen, und dass der jüngste Bruder ein bisschen hilflos davor steht, weil er nicht nachvollziehen kann, worum es da geht, ich finde das reicht schon völlig aus für die Geschichte.

Mir gefällt auch, dass die Sofia eine aktivere Rolle hat als im Original. Ich finde, es macht den Konflikt stärker, dass sie sich selbst politisch engagiert, anstatt nur eine andere Meinung zu haben und mit einem Mann zusammenzusein, der für Thomas ein politischer Gegner ist.

Was ich ein bisschen kritisch sehe, sind die Dialoge. Zum großen Teil finde ich die gelungen, insbesondere die Mutter finde ich gut getroffen. Aber an den Stellen, wo der politische Konflikt in Worte gefasst und der historische Kontext geliefert wird, da habe ich es stellenweise als "unecht" empfunden. Hier zum Beispiel:

„Wir standen auf dem Marx-Engels-Forum, dem Palast der Republik gegenüber. Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen. Zwischen uns und denen die Spree. Das Gebiet abgesperrt, die Brücken zugestellt. Ein unglaubliches Aufgebot an Polizei und Stasi und LKWs und Einsatzfahrzeugen. Man hätte denken können, unsere Gruppe war der komplette Westen, bereit, Erichs Lampenladen zu stürmen.
Es ist sehr schwierig, da im Einzelnen zu sagen, was die "Misstöne" sind oder was genau ich ändern würde, damit es "echter" wirkt. Aber mein Gesamteindruck ist eben: Das klingt nicht wie etwas, das jemand wirklich in einem Gespräch sagen würde, sondern wie etwas, was jemand im Nachhinein aufgeschrieben hat. Die Worte sind zu gewählt.

Also zum Beispiel: "dem Palast der Republik gegenüber" - für mich ist das Schriftdeutsch. Wenn ich das erlebt hätte und es jemandem erzählen würde, dann würde ich wahrscheinlich sagen "gegenüber vom Palast der Republik".
Oder auch: "Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen." Sicher gibt es Leute, die so druckreif reden. Aber doch ziemlich selten. Ich denke, dass ich mich durchaus in einigermaßen gebildeten Kreisen bewege, aber ich bin ziemlich sicher, dass ich in meinem ganzen Leben noch kein Gespräch beim Abendbrot gehabt habe, wo jemand so einen Satz gesagt hätte. :)

Ich glaube, das ist auch eine ziemliche Gratwanderung bei solchen historischen Texten - auf der einen Seite muss man die Informationen über den historischen Kontext irgendwie so rüberbringen, dass es für Leser, denen diese Dinge vielleicht nicht mehr so geläufig sind, noch verständlich ist, auf der anderen Seite wirkt es halt immer lebendiger, wenn die Dialoge einigermaßen umgangssprachlich und wie gesprochene Sprache daherkommen.

Na ja, das ist immer eine recht schwammige, bauchgefühllastige Angelegenheit mit den Dialogen, es muss auch nicht sein, dass jeder Leser das so empfindet.

Auf jeden Fall habe ich das gern gelesen und beneide dich unendlich um die Geschwindigkeit. :)

Grüße von Perdita

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Fliege,

geschickt verschiebst du den historischen Kontext, behältst den Fokus auf den Einfluss der Politik auf familiäre Muster aber bei, verschärfst ihn sogar im Vergleich zum Original. Der fade Geschmack einer Zeit, in der Chaos von künstlicher Ordnung beherrscht wird, ist spürbar in deiner Erzählung. Nachkriegs- und DDR-Literatur ist mir in Deutschland – ehrlich gesagt – zu präsent im literarischen Geschehen, ständig, in kaum zu zählender Wiederholung und ohne Unterlass wird über die Anbahnung, den Schrecken und das Danach des Krieges berichtet, über die Spaltung und Einung Deutschlands. Gejammert und ausgeheult habe ich mich bei einem Freund über diese Tatsache. Er aber meinte, dass sich anhand solcher Extremsituationen viel über den Menschen sagen und zeigen ließe und da wir hier in Deutschland einen Mangel an Extremsituation „ausgesetzt“ sind und sowohl Zweiter Weltkrieg und Nationalsozialismus als auch DDR und Wende die jüngsten Schrecken unserer Geschichte sind, bedient man sich – fast selbstverständlich – derer. Warum ich meine Einstellung zu diesem Thema so ausbreite, hat folgende Bewandtnis: Ich sehe in deinem Text keine stumpfe Wiederholung, keine mit dem politisch korrektem Eisen glatt gebügelte Aufklärungsarbeit, keine Mahn- oder Erinnerungsschrift, sondern das Menschelnde, das du so beherzt in deine Geschichten streust. Etwas klischiert ist das Auseinandereilen der Zwillinge: Thomas, der dem Sozialismus zugeneigte, beinahe verbundene Bruder, Sofia, die trotzige und liebevolle Rebellin. Während ihr Standpunkt Teil einer Welle ist, ist Thomas‘ Sicht der Dinge ein Einschussloch in der Vernunft, unverrückbar und mit hässlichem Rand, d.h. dass ich Sofia mehr als Mensch lese, Thomas eher als Träger einer Idee und sonst nichts. Mir hätte es gefallen, wenn das Gespräch nicht wie zwischen Hund und Huhn verlaufen wäre, sondern zwischen einer Henne und einem Hahn, oder einem Schäferhund mit einem Dalmatiner oder so.

Ein paar Anmerkungen:

Sie schaut mir geradewegs in die Augen, sucht nach Lüge oder Wahrheit, aber ich halte ihrem stummen Verhör stand, bis sie nickt.
Sehr schöner und treffender Ausdruck!

„Hört auf! Sofort! Alle beide! An diesem Tisch wird heute nicht mehr über Waffen oder Hannos Vater gesprochen.“ Mutters Worte zeigen Wirkung, Thomas schweigt.
Überflüssig, jedes einzelne Wort. Mutters Worte hört man davor, die Wirkung kriegt man danach gezeigt. Den Satz könntest du streichen.

Normalerweise tropft purer Honig aus ihrer Stimme.
Die Stimme ist süß, schmeckt – wenn man so will – nach Honig, aber wie kann aus Honig Honig tropfen? Warum purer Honig? Ist Honig in der Regel verun-rein-igt? Hier konntest du dich nicht vor der süßest möglichen Formulierung retten; ich finde den Vergleich/ die Metapher maßlos überzogen.

Die Worte zwirbeln wie Hagelkörner und ich merke, wie mir wieder die Tränen kommen. Aber ich darf jetzt nicht weinen. Ich will Mutter nicht zeigen, dass sie eine Chance hätte. Auf jedem Wäschestück meines Sohnes im Koffer sind Tränen.
Für mein Befinden ist „zwirbeln“ ein schönes Wort, allerdings hier schlicht die falsche Wahl. Was wird hier „mit den Fingerspitzen [schnell] zwischen zwei oder drei Fingern [ge]dreh[t]“ (Duden)? Auf der einen Seite vergleichst du Worte mit Hagelkörnern, das ist okay, vielleicht sogar elegant, weil sie anfangs hart sind, wenn man sich länger mit ihnen beschäftigt, aber schmelzen und im Zweifelsfall zu den Tränen führen, die später ja (nicht) fließen. Aber die Worte sind hier Subjekt und sie zwirbeln, aber was und warum und wie? Ich finde das komisch.
Das Weinen wird unterdrückt, der Mutter wegen. Aber warum der Nachsatz: „Auf jedem Wäschestück meines Sohnes im Koffer sind Tränen.“ Ich komme nicht mit. Was bedeutet das für das Nichtweinen, für die Mutter? Für sich allein stehend, finde ich den Satz mit der Wäsche durchtränkt mit Tränen gut, aber in der Argumentationsreihe blicke ich da nicht durch.

Aber ich darf nicht, wenn ich erst seinen Geruch in der Nase habe, werde ich ihn nicht mehr loslassen können.
Sie darf nicht weinen, sie darf nicht an ihrem Kind riechen, sie darf nicht Frau, nicht Mutter, nicht Mensch sein, sie muss einiges unterdrücken, um Teil von etwas sein zu können, dass die große Unterdrückung vertreiben kann. Wer im Kleinen schwach wird, wird im Großen scheitern.

Und damit zurück zu dir. Du bist stark im Kleinen und damit meine ich nicht, dass du deine Schnüffelnase hinterm Anti-Tränen-Spray versteckst, sondern dass es dir gelingt, eine gesellschaftliche Umbruchstimmung in ein Familienportrait zu packen.

In der Dialogkritik, die Perdita anführt, muss ich mit einsteigen. Wenn man eine Sprechblase mit historischer Luft füllt, ist die Gefahr aber auch groß, dass sie platzt. Vielleicht würde es den Klang schon etwas verändern, wenn du nicht so abgehakt, fast protokollhaft schreibst:

Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen. Zwischen uns und denen die Spree. Das Gebiet abgesperrt, die Brücken zugestellt.
Kurze Hauptsätze statt kurzen Fakten.

Besonders gut hat mir der kleine Daniel gefallen, der – ich würde nicht das Wort hilflos verwenden – ahnungslos und unbekümmert, die genau richtigen Fragen stellt, ohne es zu merken. Seine Gedanken hängen ihm noch nicht wie ein Maulkorb vom Kopf, er wird zum Mund der Familie und liefert am Ende die entscheidende Frage, die die gesamte Familie - in ihrer Widersprüchlichkeit vereint – verneinen darf.

Rundes Ding, da bin ich gar nicht zwiegespalten!

Beste Grüße
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fliege,

Anscheinend gibt es verschiedene Versionen der gleichen Geschichte. Ich habe auch in die von Schwups reingeschaut, komme aber mit Deiner Version, wo sich alles am Familientisch abspielt, besser klar.

So wie Du die Szenen beschreibst, wurde ich in die Geschichte mit hinein genommen und es wurde etwas von der Schwere und Bedrückung im Wohnzimmer spürbar.

Zwillinge, einst zusammengeschweisst, jetzt durch ihre Überzeugungen getrennt.
Und dann Sofia mit ihrer schwierigen Entscheidung. Der Einzige, der sie zurückhalten könnte ist Hanno. Am liebsten würde sie zu ihm unter den Tisch kriechen und seinen Geruch einatmen.
Sie darf nicht. Sie hört einen anderen Trommelschlag und muss ihm folgen.

Auch den Schluss finde ich stark. Die Wut ist aus den Blicken der beiden Geschwister gewichen. Beide haben Angst vor dem was kommt und das bindet sie wieder ein Stück weit zusammen.

Danke Fliege für die Zeit, die Du aufgewendet hast, um diese Geschichte zu schreiben. Was damals geschah, darf nicht in Vergessenheit geraten.

Marai

 

He du flinke Fliege,

haust hier also als erstes dein Copy raus.
In einem Satz: Ich habs gern gelesen.
Der Absatz, der schon 2x zitiert wurde, der kam mir beim Lesen auch etwas zu glatt rüber. Aber wir sind da auch so penibel hier. Weiß nicht, ob das dem normalo-Leser in irgendeiner Weise negativ auffallen würde. Geschrieben ist er ja tadellos. Was mir nicht gefällt, ist der letzte kursive Absatz. Braucht es den? Ich tendiere zu nein. Sieht angeklebt aus.
Angenehm lebendig ist deine Tischrunde. Da ist Esprit, Witz und Spannung drin. So wie es sein soll und so, wie du das richtig gut beherrschst.
Das mit dem Aal fand ich auch richtig gut und hierüber musste ich schmunzeln:

Was liegt auf der Wiese, ist grau und zittert? Die Kampfgruppe.
Den Daniel hast du super eingebaut. Auch das mit der Schlussszene, ich hab da richtig das Luftanhalten gespürt.
Den Titel finde ich auch klasse, gerade in Bezug auf das Copy ein augenzwinkernder Verweis.
Joa. Kein Krawumm, sondern das Brodeln davor. Schön eingefangen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Liebe Ihr alle,

ich habe nur ganz wenig Zeit, wird in den nächste Tagen auch nicht wirklich besser, aber mal schauen. Vorab aber ein fettes Dankeschön für Eure Anmerkungen. Auch die kritischen. War für mich die schwierigste Geschichte, die ich bisher geschrieben hab, war mir auch klar, dass mir das nicht zu 100% gelingt. Dass es aber doch über große Strecken so gut funktioniert und wie ihr das so empfindet, also, ich bin gerade total stolz auf mich :D. Trotz der Mängel, die angebracht sind. Aber immerhin ...
Ich gehe die Tage noch intensiver auf Eure Beiträge ein, ich muss nur schon wieder weg und sieht allgemein auch nicht so gut mit Zeit aus bei mir. Hoffe, zum nächsten Wochenende entspannt sich das. Bitte nicht böse sein.

Liebe Grüße, Fliege

 

Es hat sich ein Zeitfensterchen aufgetan - juchu - da muss ich Euch ja nicht weiter warten lassen. Danke für Eure Rückmeldungen.

Hey Chutney,

diese Geschichte zu kommentieren ist etwas aufwendiger, weil ich erst noch die Geschichten davor lesen wollte.

Oh ha, da hast Du aber ordentlich viel gelesen. Respekt.

An einigen Stellen erscheint mir die Sprache im Dialog etwas zu glatt.

Ja, so ein Gefühl hatte ich auch, aber da will man dann die Fakten reinbringen, um die Zusammenhänge zu erläutern und das ist dann ziemlich schwierig. Und ich hatte jede Menge Fakten im Kopf und schon das aussortieren war eine gefühlte Heldentat. Ich weiß nicht, ob ich da jetzt noch mal ran will oder nicht, im Augenblick bin ich einfach nur verdammt glücklich, dass die Geschichte in sich aufgeht. Das ist schon viel mehr, als was ich mir als Ziel gesetzt hab. Aber wer weiß, bisschen Dialoge glätten ist jetzt auch nichts, wovor es mich graust.

Vielleicht lege ich zuviel hinein, aber ich sehe da auch den Gedanken, dass Daniel seine politische Seele möglicherweise verkauft.

Das hat mir gefallen. Der Gedanke war jetzt bei mir nicht so im Kopf, eher so, wie es bei Kindern eben ist. Wenn Du das machst, bekommst Du das. Und wenn ein Kind mit Bockwurst glücklich ist, dann ist das ja sehr einfach. Denn die gab es ja in der DDR reichlich.

Das fand ich genial. Das weist es noch einmal weit zurück bis zu Kews Geschichte und zu dem was Grundlage und Ursache für all diese Dramen in der Familie sind. Als wenn das Kind das scheinbar unmotiviert ausspricht was ganz hinten in den Köpfen liegt.

Ich war für die Figur des Daniels sehr dankbar. Ich mochte den schon auch gern mit seinen Fragen bei Schwups.

Auch wenn ich deinen Ansatz, den Konflikt komplett in der Familie zu lassen gut nachvollziehen kann, hat mir trotzdem irgendwie der Pfarrer gefehlt.

:)

Insgesamt: Hut ab, wie du diese schwierige Aufgabe gemeistert hast!

Vielen Dank.


Hallo Perdita,

habe ich den Teil mit Ende März irgendwie falsch verstanden?

Nö, aber mein März ist so voll ... und früher (ja früher) hatte man eine Woche Zeit. Daran habe ich mich gewöhnt. Ich fand das schön :).

- mir hängt das keinesfalls zu den Ohren raus, ich habe eigentlich einen stärkeren Bezug dazu,

Mir schon. Vor allem die Geschichten, in denen die Wende als Partygeschichte erzählt wird. Die finde ich persönlich sehr schwierig. Und als ich dann um die beiden Tage recherchiert habe, da fand ich das Thema selber voll spannend :).

Du hast das ja in deinem Kommentar zu "Alte Schatten" ja schon gesagt, dass es dir besser gefallen würde, wenn sich alles innerhalb der Familie abspielt, ...

Tja, als hätte ich es damals geahnt :).

... aber dieser zentrale Konflikt, dass unterschiedliche politische Haltungen die Familie auseinanderreißen, und dass der jüngste Bruder ein bisschen hilflos davor steht, weil er nicht nachvollziehen kann, worum es da geht, ich finde das reicht schon völlig aus für die Geschichte.

Freut mich zu hören.

Was ich ein bisschen kritisch sehe, sind die Dialoge. Zum großen Teil finde ich die gelungen, insbesondere die Mutter finde ich gut getroffen. Aber an den Stellen, wo der politische Konflikt in Worte gefasst und der historische Kontext geliefert wird, da habe ich es stellenweise als "unecht" empfunden.

Ja. Recht hast Du. Ich habe schon oben was dazu gesagt.

Na ja, das ist immer eine recht schwammige, bauchgefühllastige Angelegenheit mit den Dialogen, es muss auch nicht sein, dass jeder Leser das so empfindet.

Nee, das ist kein Bauchgefühl. Das ist so.

Auf jeden Fall habe ich das gern gelesen ...

Das nehme ich gern mit und macht mich glücklich :).

Lieber Markus,

Er aber meinte, dass sich anhand solcher Extremsituationen viel über den Menschen sagen und zeigen ließe und da wir hier in Deutschland einen Mangel an Extremsituation „ausgesetzt“ sind und sowohl Zweiter Weltkrieg und Nationalsozialismus als auch DDR und Wende die jüngsten Schrecken unserer Geschichte sind, bedient man sich – fast selbstverständlich – derer.

Das fand ich sehr schlau und irgendwie auch logisch. Guter Freund!

Ich sehe in deinem Text keine stumpfe Wiederholung, keine mit dem politisch korrektem Eisen glatt gebügelte Aufklärungsarbeit, keine Mahn- oder Erinnerungsschrift, sondern das Menschelnde, das du so beherzt in deine Geschichten streust.

Daaanke!

... d.h. dass ich Sofia mehr als Mensch lese, Thomas eher als Träger einer Idee und sonst nichts. Mir hätte es gefallen, wenn das Gespräch nicht wie zwischen Hund und Huhn verlaufen wäre, sondern zwischen einer Henne und einem Hahn, oder einem Schäferhund mit einem Dalmatiner oder so.

Okay. Angekommen. Kann ich auch total verstehen und nachvollziehen. Aber werde ich sicher nicht heute oder morgen umsetzen können. Das ist doch mit einem gewissen Aufwand verbunden und ... Zeit halt.

Für mein Befinden ist „zwirbeln“ ein schönes Wort, allerdings hier schlicht die falsche Wahl.

Mag sein. Aber ich sag schon seit dreißig Jahren, dass es auf der Haut zwirbelt, wenn Hagelkörner auf mich prasseln. Wenn die Leser davon nun irritiert sind ... aber ich will das erst mal nicht ändern. Da müssen noch mehr Proteste zusammenkommen.

Sie darf nicht weinen, sie darf nicht an ihrem Kind riechen, sie darf nicht Frau, nicht Mutter, nicht Mensch sein, sie muss einiges unterdrücken, um Teil von etwas sein zu können, dass die große Unterdrückung vertreiben kann. Wer im Kleinen schwach wird, wird im Großen scheitern.

Das haste aber schön gesagt!

Seine Gedanken hängen ihm noch nicht wie ein Maulkorb vom Kopf, er wird zum Mund der Familie und liefert am Ende die entscheidende Frage, die die gesamte Familie - in ihrer Widersprüchlichkeit vereint – verneinen darf.

Ich fand den auch ganz wichtig und toll. Der hat sich beim Schreiben einfach nur echt angefühlt. Und deshalb hat er auch das letzte Wort. Das war von Anfang an für mich klar.

Rundes Ding, da bin ich gar nicht zwiegespalten!

Schön. Und vielen Dank für die ganze Textarbeit auch.

Liebe Grüße an Euch alle. Morgen dann der Rest.

 

Jetzt lass doch mal'n 68er erzählen!

Erinnert mich ja ein wenig an 1968 (eigentlich schon 1967 mit dem Vietnamkongress zu Berlin) mit ähnlichen Auswirkungen in Familien, die von betroffen wurden. Aber das wirklich erschreckende war dann im Lehrbetrieb zufällig den Ausbildungsleiter zu hören, der seinem Vorgesetzten nach Ostern 68 steckte „wenn ich gewusst hätte, was das für einer ist, hätte der niemals einen Lehrvertrag bekommen“, kurz: Vorweggenommenes Berufsverbot durch Ausbildungsverhinderung - was auf die damaligen Vorzüge eines Ausbildungsvertrages hinweist und gleichwohl meine Eltern, als sie davon erfuhren, in Schrecken versetzte (obwohl sie ja wussten, wie unterschiedlich ihre Söhne waren).

Heute erklär ich mir (als alternder Ironier) damit die um ein halbes Jahr verkürzte Lehrzeit. Man war froh, mich loszuwerden.

Hallo Fliege,

kurz: Mir gefällts – ohne den „anregenden“ Text zu kennen (wird noch nachfolgen, was keine Drohung ist) – durchaus. Im Grund haben Familienbande in ihrem Hinterteil einen Geschmack von Wahrheit (frei nach Karl Kraus), aber auch etwas von Stammesethik. Gleichwohl paar Unstimmigkeiten (keine Panik, sind wenig genug)

Hier wäre ein konsequenter Konjunktiv konsequent

Man hätte denken können, unsere Gruppe [wäre] der komplette Westen, bereit, Erichs Lampenladen zu stürmen.
Hier fehlt'n n
…, wegen seiner lange[n] Haare oder, weil er auf seiner Jeansjacke groß UDO L. stand.
Dafür wird hier versehentlich ein n, statt des m getroffen
Vielleicht gefiel einfach jemande[m] seine Brille nicht.
Haut Mutter sich tatsächlich selbst in die Fresse, was das Reflexivpronomen vorgaukelt
Mutter schlug sich eine Hand vor den Mund
Erst hier fällt mir auf, dass ganz zu Anfang mal die Höflichkeitsform wider erwarten innerhalb der Familie genutzt wird („Euch“, manchmal bin ich so schlampich …). Gleichwohl ist ein Komma nachzutragen
„Und du und deine Freunde[,] ihr seid also das Volk?“, fragt Thomas.
Hier werden werden (ward) und sein (wart) verwechselt
Früher ward ihr wie zusammengeschweißt.
Wart!

So, det wart auch für heut,

sagt der Friedel,
der wahrscheinlich noch mal vorbeischaut

 

Hallo Marai,

So wie Du die Szenen beschreibst, wurde ich in die Geschichte mit hinein genommen und es wurde etwas von der Schwere und Bedrückung im Wohnzimmer spürbar.

Das freut mich zu hören.

Und dann Sofia mit ihrer schwierigen Entscheidung. Der Einzige, der sie zurückhalten könnte ist Hanno. Am liebsten würde sie zu ihm unter den Tisch kriechen und seinen Geruch einatmen. Sie darf nicht.

Das ist eine Entscheidung, die möchte man eigentlich keiner Mutter zumuten. Jedenfalls möchte ich nicht so eine Entscheidung treffen müssen.

Auch den Schluss finde ich stark. Die Wut ist aus den Blicken der beiden Geschwister gewichen. Beide haben Angst vor dem was kommt und das bindet sie wieder ein Stück weit zusammen.

Danke dafür. Deine Lesart freut mich sehr.

Danke für deine Zeit und deine Worte!


Hey du selber schneller weltenläufer,

In einem Satz: Ich habs gern gelesen.

Phuu.

Was mir nicht gefällt, ist der letzte kursive Absatz. Braucht es den? Ich tendiere zu nein. Sieht angeklebt aus.

Ich mag den eigentlich ganz gern. Er steht auch irgendwie für die Konfrontation, die ja dann auch kommt. Für die Menschen in dieser Zeit. Ich hatte eine Wahnsinnsliste im Kopf, Links zu tausend Seiten, die mir irgendwie auch alle wichtig waren. Genauso, wie die Infos in den weniger schönen Dialogstellen. Ich weiß nicht, vielleicht muss ich vom Thema erst mal drei Schritte zurücktreten und das ganze dann mit einer zeitlichen Distanz/Abstand betrachten. Wenn mir die ganzen Fakten aus dem Kopf sind und ich nüchtern auf die Geschichte schauen kann.

Auch das mit der Schlussszene, ich hab da richtig das Luftanhalten gespürt.

Cool. Den Satz hatte ich schon ganz am Anfang und hab darauf zugeschrieben (also, wie Du es bei deiner Copy getan hast) und ist natürlich genial, wenn es dann auch aufgeht :).

Den Titel finde ich auch klasse, gerade in Bezug auf das Copy ein augenzwinkernder Verweis.

Das ist zwar irgendwie Zufall, aber er gefällt!

Auch Dir mein Dank!


Hallo Friedrichard,

Jetzt lass doch mal'n 68er erzählen!

Mach ich doch! :)

Aber das wirklich erschreckende war dann im Lehrbetrieb zufällig den Ausbildungsleiter zu hören, der seinem Vorgesetzten nach Ostern 68 steckte „wenn ich gewusst hätte, was das für einer ist, hätte der niemals einen Lehrvertrag bekommen“, kurz: Vorweggenommenes Berufsverbot durch Ausbildungsverhinderung - was auf die damaligen Vorzüge eines Ausbildungsvertrages hinweist und gleichwohl meine Eltern, als sie davon erfuhren, in Schrecken versetzte (obwohl sie ja wussten, wie unterschiedlich ihre Söhne waren).
Heute erklär ich mir (als alternder Ironier) damit die um ein halbes Jahr verkürzte Lehrzeit. Man war froh, mich loszuwerden.

Und ich höre Dir auf aufmerksam zu. Spannend!

kurz: Mir gefällts –

Freut mich.

Gleichwohl paar Unstimmigkeiten (keine Panik, sind wenig genug)

Habe ich schon verbessert. Danke für die Liste. Dass sie im Laufe der zeit kürzer zu werden scheint, zeigt mir doch, hey ho, ich lerne :bib:. Langsam zwar nach all den Jahren hier, aber immerhin.

Auch an Dich, lieben Dank für Zeit, Mühe und Worte.

Liebe Grüße an Euch, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,

hat mich insgesamt irgendwie an ein Theaterstück erinnernt, so diese Situation, Familie am Tisch, Krisengespräch, die drei Erwachsenen haben alle einen verschiedenen Standpunkt und debattieren darüber.
Was ich beim Lesen an mir beobachten konnte, ist, dass ich kurz gebraucht habe, um die Figurenkonstellation im Text zu verstehen. Da kommen in relativ kurzer Zeit: Sofia, Hanno, Mutter, Daniel, Zwillingsbruder, Fritz (Fischverkäufer), Mike. Das halte ich für keinen Fehltritt, aber ich musste anfangs schon beim Lesen nachdenken, okay, wer ist jetzt wer, wer ist der Zwilling? Ist das einer von Sofias Zwillingskinder, oder ihr eigener Zwillingsbruder? Vielleicht ist das ja gar nicht schlecht, dass man anfangs etwas mitdenken muss. Ich denke, das kann man dem Leser schon abverlangen, der bricht deswegen nicht ab, aber am Anfang bremst es ein bisschen das Abtauchen in den Text, nach meinem Gefühl halt. Nach ein paar Seiten hatte ich die Konstellation im Kopf und war dann auch drin im Text. Die Dialoge finde ich sehr gut, ist immer schön viel Konflikt drinnen, das läuft, viele verschiedene Standpunkte, und nebenbei kommt diese aufgeheizte Stimmungs vor der Demo gut rüber, niemand weiß, was passieren wird, wie die Zukunft aussehen wird, und das macht allen Angst - der letzte Satz fügt das dann super zusammen, als gefragt wird, ob es Krieg geben wird, und alle sagen: nein! Das fand ich echt ziemlich stark, das drückt sehr viel aus, jeder will eigentlich, dass es wieder Frieden gibt.
Ja, der Stil ist super, das ist gut geschrieben, und den kursiven Anhang fand ich auch interessant. Was mir persönlich noch gut gefallen hätte, ist so eine originelle Sichtweise eines SED-Anhängers. Das ist schon in Ansätzen da, dass Thomas sagt, die Protestierenden machen Krawall und repräsentieren eigentlich nicht das ganze Volk. Die Sichtweise der Prostestler, dass die SED morsch ist und das System schlecht und es wird gelogen, das ist uns heute bekannt und wurde oft aufarbeitet, aber in so einem Text mal einen SED-Anhänger von damals sagen lassen, dass er das Volk verteidigen will und dass der Kapitalismus Armut erzeugt und versklavt und er die Leute davor beschützen will oder so ... sowas fände ich persönlich noch super in deinem Text. Noch mehr Eigenes, vermeintlich Sympathisches an Thomas, das sein Engagement für das SED-System nachvollziehbar macht, denn er glaubt ja daran, er denkt ja, er ist auf der guten Seite, und die anderen sind die Bösen. Aber das ist bloß so ein Sahnehäubchen, das mir gefallen würde, ich finde die Story gut, wie sie ist.

Ich habs sehr gerne gelesen,

viele Grüße,
zigga

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Fliege

So, jetzt melde ich mich endlich auch mal zu dieser Geschichte.

Als ich gesehen habe, dass du mich "gezogen" hast, war ich gespannt, welchen Text du nehmen würdest. An diesen hier hab ich nicht gedacht, vielleicht, weil das Original selbst ein Copywrite war. Ich hab dann auch nochmal meine Geschichte gelesen, und naja, ich würde den Text heute so wohl nicht mehr schreiben.

Mir gefällt dein Ansatz, das Thema konzentrierter zu behandeln. Du hast nur diese eine Szene, und du rückst den Konflikt innerhalb der Familie in den Vordergrund. Das funktioniert gut, finde ich. Bei mir sind es ja wesentlich mehr Szenen, auch mehr Figuren, das zerfasert hier und da, das passiert bei deiner Interpretation nicht.

Auch dass du einen anderen historischen Hintergrund wählst, finde ich gut. Meine Geschichte spielt vierzig Jahre früher, beim Beginn eines Systems, dessen Ende du beschreibst. Thomas ist bei mir ein strammer Nazi, bei dir ein Sozialist. Trotz dieser Unterschiede bleibt das Kernthema dasselbe: wie beeinflussen die verschiedenen politischen Strömungen in Zeiten des Umbruchs einen Einzelnen, wie die Familie? Bei mir klingt beides an, du konzentrierst dich dabei mehr auf die Familie.

Ich merke dem Text auch an, dass du gut recherchiert hast. Das habe ich damals auch, und eine der großen Fragen ist, wie bekommt man diese Informationen unter, ohne dass sie zum Selbstzweck werden? Du streust die Informationen authentisch ein, es macht nicht den Eindruck, als wölltest du sie dem Leser aufzwingen. Aufgefallen ist mir das an den Ortsangaben, als Sofia spricht:

Es blieb friedlich. Liebknechtstraße, Prenzlauer Allee, Dimitroffstraße. Je weiter wir gingen, je mehr Menschen wurden es. Auch mehr Staatsmacht und FDJ. Auf einmal schlugen sie los. Von allen Seiten. Mit Gummiknüppeln. Viele sind in die Seitenstraßen geflüchtet, liefen in Richtung Stargarder Straße, weiter zur Gethsemanekirche.

Ich würde hier in der wörtlichen Rede das Präteritum sparsamer einsetzen und mehr im Perfekt schreiben, das entspricht einfach mehr der gesprochenen Rede.

Auch die Erwähnung der Militärparade, gewisse Einzelheiten - die Erbsensuppe, das Mal an Gorbatschows Kopf - machen den Text in meinen Augen authentisch und geben ihm einen für einen historischen Text passenden Kontext.

Gut gefällt mir dann vor allem der Teil, als Sofia erzählt, nochmal losziehen zu wollen, um Kerzen anzuzünden. Das ist auch die Stelle, wo der Zusammenhalt der Familie maximal auf die Probe gestellt wird. Sofia, die für die Freiheit eintritt, Thomas, der nicht nur den Sozialismus mit Worten verteidigt, sondern sogar einen Einsatzbefehl hat, und dazwischen die Mutter, die sich Sorgen um beide Kinder macht. Dabei agiert sie unpolitisch, ihre Argumente beziehen sich auf die Familie:

„Du solltest da heute nicht hingehen. Wegen Hanno“, sagt Mutter.
„Ich will dahin. Ich muss.“
„Nein. Lass das die anderen machen. Du hast ein Kind zu versorgen. Seinen Vater hat Hanno schon verloren.“

Selbst als sie Thomas' Entscheidung - scheinbar - verteidigt, tut sie das nicht aus Überzeugung, sondern weil sie es gewohnt ist, sich dem autoritären System zu beugen:

„Moment! Nur damit ich das hier richtig verstehe. Thomas darf also gehen, aber ich nicht?“
„Er hat einen Befehl. Was soll er denn tun?“

Das ist eine interessante Stelle, weil Sofia hier nicht nur mit der Sorge der Mutter um ihre Tochter konfrontiert wird, sondern weil der Konflikt eine zweite Ebene bekommt: die Mutter verteidigt hier indirekt das System, gegen das Sofia sich auflehnt.

Dazwischen dann die naiven Fragen von Daniel, der von alldem nichts versteht.

„Wird Thomas Sofia wehtun?“, fragt Daniel.
„Nein. Das wird er nicht tun“, sagt Mama und schaut Thomas an, bis er unter ihrem Blick nickt.
„Und wird einer von Sofias Freunden Thomas wehtun?“
„Vielleicht.“
„Und darf Thomas dem dann auch wehtun?“

Das ist natürlich dem Original geschuldet, hängt aber auch etwas in der Luft. In meiner Version ging es ja um Daniel, der versucht, eine Richtung und Stabilität zu finden. Hier, in deiner Version, wird Daniels Rolle nicht ganz klar. Er gibt der Diskussion in meinen Augen keine neue Stoßrichtung - die Sorge um die Familie, diesen Punkt übernimmt eigentlich schon die Mutter. Gut gefällt mir dann diese Stelle hier, und die allein rechtfertigt vielleicht allein auch schon den Daniel in deiner Version:

„Wird es Krieg geben?“, fragt Daniel.
Schockiert starren wir ihn an. Alle drei. Und wie aus einem Mund sagen wir: „Nein.“

Das ist ein versönliches Ende. Nicht nur, weil die Familie nicht in allen Fragen so zerrissen ist, wie es zunächst den Anschein hatte. Alle sind an einer friedlichen Lösung interessiert. Aber auch, weil man ja weiß, wie die Sache damals endete - Krieg gab es keinen. Ob das allerdings ausreicht, um die Familie am Ende zusammenzuführen - man weiß es nicht. Ich denke, verschiedene politische Interessen müssen nicht zwangsweise zum Zerfall einer Familie führen, aber sie können trotzdem ein guter Grund dafür sein. Besonders, wenn sie so weit auseinandergehen wie zwischen Sofia und Thomas, und das noch in einer solchen Zeit - auch in meiner Version ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich beide zusammensetzen und einfach akzeptieren, dass man politisch unterschiedlicher Meinung, aber trotzdem noch eine Familie ist. In ruhigen Zeiten mag so etwas gehen, aber in Zeiten wie damals - sei es die Nachkriegszeit, die Zeit kurz vor der Wende - ist es wahrscheinlich schwierig.

Also ich mag deine Interpretation. So als Vorschlag noch, es hätte mir gefallen, wenn du den Konflikt weiter ausgearbeitet hättest. Zum Beispiel wäre es interessant gewesen, wie ein Dialog zwischen Sofia und Thomas einen Tag später ausgesehen hätte. Du bringst den Konflikt zwar in die Geschichte, aber du löst ihn nicht auf (oder sagen wir, du führst in nicht fort - Auflösung gibt es vermutlich keine). Du gibst jeder Seite Platz für ihre Argumente, aber das führt zu nichts, zumindest nicht in dem Zeitraum, den du erzählst. Es ist keine Entwicklung da, im Prinzip entspricht das dem Schema jeder politischen Talkshow: jede Seite betet die immer gleichen Argumente herunter, und am Ende sind alle so schlau wie zuvor. Einen Erkenntnisgewinn, ein Hinterfragen, ein Hineinversetzen in eine andere Position - das findet alles nicht statt. Klar, darum geht es dir auch nicht. Du beleuchtest, wie die Familie vor dem politischen Hintergrund auf die Probe gestellt wird, und das gelingt dir wie gesagt auch auf mehreren Ebenen - aber ich denke, man könnte das noch weiter zuspitzen. Was passiert, wenn Sofia wirklich verhaftet wird? Was passiert, wenn einer ihrer Freunde Thomas einen Stein an den Kopf wirft und diesen lebensgefährlich verletzt? Was überwiegt dann? Die Familie oder die Politik? Das sind so Fragestellungen, zu denen man die Handlung noch entwickeln könnte.

Ich hab das gern gelesen. Interessant, welche Entwicklung Kew's Ursprungsgeschichte durchlaufen hat, mal schauen, ob sich diesem Thema nochmal jemand annimmt und es in die Gegenwart legt. Genügend politischen Zündstoff für diverse Familienkonflikte gibt es ja auch heute genug ...

Viele Grüsse,
Schwups

 

Liebe Fliege,
jetzt hab ich sie bestimmt dreimal gelesen, die Sofia.
Und bin immer noch total verblüfft, wie sehr deine Geschichte einer Idee ähnelt, die ich kürzlich hatte. War auch Wende (Fall der Mauer) am Beispiel in einer Familie, nur die personelle Besetzung war anders. Bei mir Vater und Sohn und Mutter. Und der Konflikt zwischen dem Vater und dem Sohn.
War aber erst mal nur eine Idee, mal schauen, was dann am Ende draus wird. Und ob überhaupt was draus wird. Aber umso interessanter finde ich dann immer, wie andere Leute an die Sache gegangen sind, wenn man mit einer ähnlichen Sache schwanger geht. Und was noch schöner ist, ich kann mir bei dir einfach immer eine Menge abgucken.
Das geht schon mal los mit der Kürze des Textes. Das ist sehr erstaunlich, wie wenig du geschreiben hast und wieviel da aber drinsteckt. Ich war ehrlich verblüfft, als ich die reale Textlänge sah. Also was man ja schon merkt, du hast dich natrülich sehr auf den reinen Familienkonflikt fokussiert, was ich auch richtig gut finde. Trotzdem hast du deinen Text immer noch sehr dicht geschrieben.

„Das ist ja eine schöne Überraschung“, sagt sie und will mich umarmen. Als sie nah genug bei mir ist, bemerkt sie die Schramme und die Beule in meinem Gesicht. Dann starrt sie auf den Koffer. Sofort verflüchtigt sich ihre Freude.
Fand ich spannend hier, weil ich zuerst an einen ganz anderen Konflikt denken musste. An Ehestreitigkeiten, an die Rückkehr der Tochter nach Hause. Als ich es aber (sehr schnell danach) kapiert habe, hat es mir sehr gut gefallen, auch die Reaktion der Mutter auf die vermeintliche Flucht, weil es sofort die Linien absteckt, zwischen denen der Konflikt in dieser Familie angesiedelt ist, und es sagt auch eine Menge über die Mutter aus, ohne dass man viel Gewese drumherum lesen müsste. Einfach durch diesen knappen Dialog.

„Dein Zwilling ist auch da.“ Mit dem Kopf deutet sie zur Stube hin, aus der der Fernseher zu hören ist.
Verdammt, denke ich.
Auch hier. Dass die Zwillinge sind, das gefiel mir total. Das war bei Schwups auch schon so, oder? Ich weiß das nicht mehr. Zwillinge sind sich ja (angeblich) immer so nahe. Und da treffen die Verletzungen durch die unterschiedliche Entwicklung und die Streitigkeiten natürlich umso mehr.

Mutter deckt den Tisch fürs Abendbrot. „Der Fritz hat mir einen Räucheraal besorgt. Ganz frisch.“ Stolz wickelt sie den Fisch aus der Zeitung und hält ihn hoch. Es ist die Zeitung von heute. Bilder vom gestrigen 40. Jahrestag der Republik auf der Titelseite. Honecker, wie er die Faust nach oben streckt. Gorbatschow, der neben ihm winkt. Vor ihnen die Militärparade. Alles glänzend im Fischfett.
Mann! Warum komm ich nicht auf so eine Idee. Sie ist so einfach und so gut gleichzeitig. Okay, als Autor sagt man natürlich, das ist ein Trick, um Zeit und gesellschaftliche Verhältnisse mit einem Schlag in der Geschichte zu zeigen. Die in Zeitung eingewickelten Fische.
Es ist gleichzeitig aber auch ein verdammt guter Trick, der super funktioniert, weil du das ganze Politszenarium von damals abgedruckt „aufmarschieren“ lassen kannst und es zeigt auch die wirtschaftlichen Verhätnisse von damals und natürlich auch den Privattausch.

Für Bockwurst würde mein kleiner Bruder seine Seele verkaufen.
Auch an der Stelle hier erfährt man zwischen den Zeilen, dass sie vor Thomas Einfluss auf Daniel Angst hat.

„Wir standen auf dem Marx-Engels-Forum, dem Palast der Republik gegenüber. Darin die Könige des Sozialismus beim Abendessen. Zwischen uns und denen die Spree. Das Gebiet abgesperrt, die Brücken zugestellt. Ein unglaubliches Aufgebot an Polizei und Stasi und LKWs und Einsatzfahrzeugen. Man hätte denken können, unsere Gruppe wäre der komplette Westen, bereit, Erichs Lampenladen zu stürmen.“
Da bin ich mir nicht so sicher, ob das nicht ein bisschen zu ausgereift klingt für einen Dialog. Liegt besonders an den Königen des Sozialismus. Und guck auch mal nach dem Präteritum. Vielleicht besser Perfekt? Gewundert hab ich mich, dass sie da einfach so erzählt, keine Unterbrechung, kein Blick zu Thomas. Immerhin weiß sie ja, dass der gleich loslegen wird wie immer.

„Sie haben uns abgedrängt, Richtung Liebknechtstraße. Wer nicht freiwillig ging, wurde weggeschleppt. Direkt auf die LKWs. Aber die meisten sind einfach ganz ruhig gegangen. Immer weiter. Passanten und Fenstergucker schlossen sich dem Zug an. Es blieb friedlich. Liebknechtstraße, Prenzlauer Allee, Dimitroffstraße. Je weiter wir gingen, je mehr Menschen wurden es. Auch mehr Staatsmacht und FDJ. Auf einmal schlugen sie los. Von allen Seiten. Mit Gummiknüppeln. Viele sind in die Seitenstraßen geflüchtet, liefen in Richtung Stargarder Straße, weiter zur Gethsemanekirche. Wir auch. Sie kamen von überall, selbst aus den Hausaufgängen. Mike hob sofort die Hände, trotzdem haben sie ihn festgenommen. Mich haben sie an die Hauswand geschubst, als ich ihnen im Weg stand. Versteht ihr? Mike hat nichts gemacht. Und trotzdem hat man ihn verhaftet. Wahrscheinlich erschien er ihnen subversiv genug, wegen seiner langen Haare oder, weil er auf seiner Jeansjacke groß UDO L. stand. Vielleicht gefiel einfach jemandem seine Brille nicht. Er ist noch nicht zurück.“
Das gefiel mir weniger. Ein ziemlich langer Monolog für jemand, der ja Gefahr läuft, dass sich gleich ein Streit entwickelt. Und der ja auch in der Nachschau, wenn er erzählt, normalerweise Emotionen zeigen müsste über das, was da erzählt wird. Die haben doch mit Sicherheit Angst gehabt. Da erzählt Sofia mir zu sehr herunter.
Und überleg auch mal hier, ob vielleicht mehr Perfekt. Wegen der Redegewohnheit, da spricht man ja auch mehr Perfekt.

„Glaube nicht jeden Mist, den dein Bruder dir erzählt.“ Zur Bekräftigung meiner Glaubwürdigkeit schenke ich ihm meinen restlichen Aal.
Na also, so ähnlich sind sie sich die beiden Zwillinge, Thomas besticht Daniel mit Bockwurst, sie mit Aal. Aber süß, so geht es wirklich zu, wenn man das Nesthäkchen ist.

Die Worte zwirbeln wie Hagelkörner und ich merke, wie mir wieder die Tränen kommen. Aber ich darf jetzt nicht weinen. Ich will Mutter nicht zeigen, dass sie eine Chance hätte. Auf jedem Wäschestück meines Sohnes im Koffer sind Tränen.
Schön. Sehr eindrückliche Bilder.

Moment! Nur damit ich das hier richtig verstehe. Thomas darf also gehen, aber ich nicht?“
„Er hat einen Befehl. Was soll er denn tun?“
Ja, die alte Frage. Wie sagte schon Lenin, die Deutsche würden erst eine Bahnsteigkarte ziehen, bevor sie eine Revolution machen. Und die hier reklamiert hier auf die Erlaubnis der Mutter. Und die auf den Befehl. Gefällt mir aber, kann ich mir gut vorstellen, dass die so denken. Und die Erlaubnis der Mutter ist da ja eh schon wurscht. Aber find ich lustig, wie das alte kindliche Muster „der darf und ich nicht“ sich hier Bahn bricht. Shön gemacht nach allen Seiten hin.

„Nein! Nein! Nein!“ Mutter ist aufgesprungen. Früher wart ihr wie zusammengeschweißt. Habt ihr denn völlig den Verstand verloren?“
Sie sinkt zurück auf ihren Stuhl. Ihr Körper zittert. Ihre Hände bedecken das Gesicht. Ich lege meine Hand auf ihren Arm, aber sie wischt sie fort.
Die Szene ist super. Auch das Gespräch mit Daniel danach auch. Das fand ich sehr eindrücklich alles.

Das Ende ist dann in gewisser Weise tröstlich, denn die Geschwister werden durch die Angst vor dem Ungewissen und durch die Furcht vor dem Wechsel geeint. Es bleibt trotzdem eine Familie. Aber spannend wäre jetzt schon auch, wie es eigentlich weitergeht.
Also ich fand das eine tolle Geschichte, gründlich und gut recherchiert und in Szene gesetzt. Hat mir sehr gefallen.

Im Oktober 1989 wurden 3500 Angehörige der Kampfgruppe direkt zum Einsatz gebracht, zusätzliche 7100 Mitglieder in Bereitschaft verletzt.
Muss das nicht versetzt heißen?

Viele Grüße von Novak.

 

Oh Mann, ich wünschte jeder Tag im März hätte zwei Stunden mehr, dann würde ich auch dazu kommen, eure Kommentare zeitnah zu beantworten. Irgendwie habe ich das Gefühl, zur Zeit zu gar nix zu kommen.

Hey zigga,

hat mich insgesamt irgendwie an ein Theaterstück erinnert, so diese Situation, Familie am Tisch, Krisengespräch, die drei Erwachsenen haben alle einen verschiedenen Standpunkt und debattieren darüber.

Stimmt :).

Vielleicht ist das ja gar nicht schlecht, dass man anfangs etwas mitdenken muss. Ich denke, das kann man dem Leser schon abverlangen, der bricht deswegen nicht ab, aber am Anfang bremst es ein bisschen das Abtauchen in den Text, nach meinem Gefühl halt.

Die Befürchtung hatte ich beim Schreiben auch. Zur Zeit schaffe ich das nicht, die Geschichte umzuarbeiten. Da ist ja inzwischen einiges zusammengekommen, was mir lohnend erscheint. Auch das hier ist ein Punkt, den man sicher Leserfreundlicher und eleganter lösen könnte. Falls ich die Geschichte irgendwann anpacke, dann auch das Namenskuddelmuddel am Anfang.

Was mir persönlich noch gut gefallen hätte, ist so eine originelle Sichtweise eines SED-Anhängers. Das ist schon in Ansätzen da, dass Thomas sagt, die Protestierenden machen Krawall und repräsentieren eigentlich nicht das ganze Volk. ... aber in so einem Text mal einen SED-Anhänger von damals sagen lassen, dass er das Volk verteidigen will und dass der Kapitalismus Armut erzeugt und versklavt und er die Leute davor beschützen will oder so ... sowas fände ich persönlich noch super in deinem Text.

Das will ich auf jeden Fall noch mit einbauen. Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, wie und was. Also, in einem Jahr ist die Geschichte dann auch schick. Na ja, vielleicht schon bis zum Sommer, auch wenn es dann niemand mitbekommt, weil die Story durch ist, aber ich fühle mich dann gut :shy:.

Ich habe mich auch sehr über das viele "gut" gefreut. Danke für deine Zeit und deinen Kommentar.


Lieber Schwups,

Als ich gesehen habe, dass du mich "gezogen" hast, war ich gespannt, welchen Text du nehmen würdest.

Glaube mir, ich habe alle gelesen :). Und deine Plotgeschichten haben mich fast in den Wahnsinn getrieben, weil ich keine Öse gefunden hab, wo ich mich hätte einklinken können. Jawohl! Bis mir dann der Text unterkam.

Ich merke dem Text auch an, dass du gut recherchiert hast. Das habe ich damals auch, und eine der großen Fragen ist, wie bekommt man diese Informationen unter, ohne dass sie zum Selbstzweck werden? Du streust die Informationen authentisch ein, es macht nicht den Eindruck, als wölltest du sie dem Leser aufzwingen.

Das freut mich so. Ich finde auch, dass ist die wirkliche Hürde bei solchen Texten. Auch wenn ich sie nicht immer zu 100% gelöst bekommen habe, aber wenn das Gesamtbild ein halbwegs zufriedenes beim Leser ist, bin ich schon mächtig stolz auf mich.

Ich würde hier in der wörtlichen Rede das Präteritum sparsamer einsetzen und mehr im Perfekt schreiben, das entspricht einfach mehr der gesprochenen Rede.

Ist auf der Liste ... für ... später irgendwann.

Das ist natürlich dem Original geschuldet, hängt aber auch etwas in der Luft.

Das Du das so empfunden hast, beschäftigt mich jetzt schon seit ich deinen Komm gelesen hab. Ich empfinde das nämlich ganz und gar nicht so. Aber ich bin eh befangen.

Hier, in deiner Version, wird Daniels Rolle nicht ganz klar. Er gibt der Diskussion in meinen Augen keine neue Stoßrichtung - die Sorge um die Familie, diesen Punkt übernimmt eigentlich schon die Mutter.

Klar, Daniel wechselt von Hauptfigur in Nebenfigur, der muss auch das Geschehen nicht vorantreiben. Er darf da einfach so als Platzhalter rumsitzen und naive Fragen stellen um am Ende den Schlussapplaus abzukassieren. Für mich passt das eigentlich ganz gut. So sind Kinder nun mal :D.

In ruhigen Zeiten mag so etwas gehen, aber in Zeiten wie damals - sei es die Nachkriegszeit, die Zeit kurz vor der Wende - ist es wahrscheinlich schwierig.

Da bin ich ganz bei Dir.

Du bringst den Konflikt zwar in die Geschichte, aber du löst ihn nicht auf (oder sagen wir, du führst in nicht fort - Auflösung gibt es vermutlich keine). Du gibst jeder Seite Platz für ihre Argumente, aber das führt zu nichts, zumindest nicht in dem Zeitraum, den du erzählst.

Stimmt, aber irgendwie auch nicht. Für mich ist ganz klar Sofia und ihre Entscheidung pro Kind oder pro Politik im zentralen Blickfeld. Okay, sie entwickelt sich nicht, sagen wir eher sie schwankt, die Hürden werden größer und die Frage für mich ist, reichen diese, sie abzuhalten. Und das wird ja schon erzählt. Mag sein es ist zu wenig, mag sein, andere Konfliktfäden bleiben lose in der Luft hängen, aber genau das ist mein Herzensthema und das habe ich beendet. Das klingt jetzt nach Rechtfertigung und ist damit natürlich Mist, sicherlich gäbe es noch viel zu erzählen, sicherlich könnte man noch so manchen Faden weiterführen, aber nicht ich. An dieser Stelle steig ich aus und lass damit sicher auch Potential liegen, keine Frage.

Was passiert, wenn Sofia wirklich verhaftet wird? Was passiert, wenn einer ihrer Freunde Thomas einen Stein an den Kopf wirft und diesen lebensgefährlich verletzt? Was überwiegt dann? Die Familie oder die Politik? Das sind so Fragestellungen, zu denen man die Handlung noch entwickeln könnte.

Ich weiß nicht, ob mich diese Fragen wirklich triggern. Die Antworten sind klar. Es passiert entweder das eine oder das andere und am Ende ist es eine individuelle Lösung, wie Einzelne mit der Situation umgehen. Mich hat aber Sofia als "Symbol" für so viele Menschen interessiert. Viele waren sich der Konsequenzen bewusst, die da hätten kommen können und sind rausgegangen. So wie die Geschichte jetzt steht, ist es die Geschichte von Tausenden, sie weiterzuziehen, wird es die Geschichte einer Familie und bräuchte dann auch viel mehr "Figurencharakter". Für mich wäre es dann eine andere Geschichte.

Ich hab das gern gelesen. Interessant, welche Entwicklung Kew's Ursprungsgeschichte durchlaufen hat, mal schauen, ob sich diesem Thema nochmal jemand annimmt und es in die Gegenwart legt.

Wer weiß? :)
Danke auch Dir für den ausführlichen Kommentar. Habe ich sehr interessiert gelesen und mich gefreut.


Liebe Novak,

Und bin immer noch total verblüfft, wie sehr deine Geschichte einer Idee ähnelt, die ich kürzlich hatte. War auch Wende (Fall der Mauer) am Beispiel in einer Familie, nur die personelle Besetzung war anders. Bei mir Vater und Sohn und Mutter. Und der Konflikt zwischen dem Vater und dem Sohn.

Der Unterschied, ich allein wäre nie auf die Idee gekommen, mich eines solchen Themas anzunehmen :D. Respekt!

Aber umso interessanter finde ich dann immer, wie andere Leute an die Sache gegangen sind, wenn man mit einer ähnlichen Sache schwanger geht.

Das kenne ich auch. Und ich lese das auch mit gehobener Spannung.

Das geht schon mal los mit der Kürze des Textes. Das ist sehr erstaunlich, wie wenig du geschrieben hast und wieviel da aber drinsteckt.

Das hat mich total gefreut!

Und auch deine feinen Beobachtungen innerhalb kleiner Sequenzen. Ich war zum teil selbst erstaunt, was ich da alles so erzählen vermag.

Es ist gleichzeitig aber auch ein verdammt guter Trick, der super funktioniert, weil du das ganze Politszenarium von damals abgedruckt „aufmarschieren“ lassen kannst und es zeigt auch die wirtschaftlichen Verhätnisse von damals und natürlich auch den Privattausch.

Klingt jetzt bisschen eingebildet, aber ich war auch total stolz auf die Idee.

Da bin ich mir nicht so sicher, ob das nicht ein bisschen zu ausgereift klingt für einen Dialog.

Ja, steht schon auf der Liste für ... später.

Das gefiel mir weniger. Ein ziemlich langer Monolog für jemand, der ja Gefahr läuft, dass sich gleich ein Streit entwickelt. Und der ja auch in der Nachschau, wenn er erzählt, normalerweise Emotionen zeigen müsste über das, was da erzählt wird. Die haben doch mit Sicherheit Angst gehabt. Da erzählt Sofia mir zu sehr herunter.

Das auch.

Na also, so ähnlich sind sie sich die beiden Zwillinge, Thomas besticht Daniel mit Bockwurst, sie mit Aal. Aber süß, so geht es wirklich zu, wenn man das Nesthäkchen ist.

Finde ich aber auch!

Das Ende ist dann in gewisser Weise tröstlich, denn die Geschwister werden durch die Angst vor dem Ungewissen und durch die Furcht vor dem Wechsel geeint. Es bleibt trotzdem eine Familie. Aber spannend wäre jetzt schon auch, wie es eigentlich weitergeht.

Das wissen wir doch. Thomas wird ein IT-Fachmann und hat Karriere, Sofia sucht ihren Künstler, die halten sich ein paar Jahre aneinander fest ohne wirklich was gebacken zu bekommen, und mit 34 lässt sie sich scheiden, Hanno macht Abitur und Sofia macht auch irgendwas, was ihr gut tut. Oder so :).
Ach so, und Sofia und Thomas "kämpfen" an verschiedenen Stellen, stehen sich in der Nacht also nicht gegenüber, machen sich im Hinterkopf aber doch Sorgen umeinander.

Also ich fand das eine tolle Geschichte, gründlich und gut recherchiert und in Szene gesetzt. Hat mir sehr gefallen.

Freut mich. Ich hatte mich schwer mit der Geschichte. Merkt man an einigen stellen ja auch.

Lieben Dank auch Dir für die vielen Worte und Gedanken, für Lob und Kritik.

Euch allen ein paar herrliche Sonnentage,
liebe Grüße, Fliege

 

Hallo Fliege

...
3. Niemand hat Zeit.
...
*seufz* endlich.
Ich hab den Text total gerne gelesen, kenne das Original nicht
(sorry Schwups, hol das aber auf jeden Fall nach)
und liess mich von deiner Erzählkraft anstecken.
1. Das Wendethema hängt allen zu den Ohren raus.
Finde ich nicht, denn dein Text braucht das Thema nur als Aufhänger, genau so gut könnte Thomas Polizist in Frankfurt und Sofia eine Aktivistin von Blockupy sein. Das Spannungsfeld ist das gleiche und du setzt es sehr schön in Szene.

Kleinkram:

Mit Thomas über Politik zu reden, ist, als würde ein Hund versuchen, sich mit einem Huhn zu unterhalten.
Der Vergleich hinkt, deshalb hat es mich da wohl kurz rausgehauen. Ich finde Sofias Rethorik bis dahin so stark, da würde ich ihr hier einen besseren Vergleich zutrauen. Ist aber keine grosse Sache, ich erwähne es nur deshalb, weil es mich eben kurz rausgehauen hat.

Danke für den Lesegenuss und liebe Grüsse
dot

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom