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Kein Entkommen

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10.02.2000
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Kein Entkommen

Ich keuchte und schwitzte. Ein verzweifelter Blick auf den Boden, auf meine Schuhe. Einen vor den anderen, ich rannte so schnell ich konnte. Endlich war ich an der Sektionsschleuse. Ich schob sie zu und drückte auf den Knopf für die manuelle Verriegelung. Es zischte und meine Lunge keuchte ihr abgehetztes Lied dazu. Verriegelt, bestätigte mir die Kontrolllampe. Ich lehnte mich an die Schleusentür und ließ mich zu Boden gleiten. In meinen Ohren konnte ich mein Herz schlagen hören. Es pumpte mit aller Kraft mein Blut durch die Adern. Ich zog das Hypospray aus der Tasche und sprühte von dem Zeug an meine Rachenwand. Langsam wurde ich ruhiger und versuchte mich auf andere Geräusche zu konzentrieren. Aber da war nichts, außer meiner Panik. Es MUSSTE aber zu hören sein. Ich wollte es hören!

Mein Blick fiel aus dem Fenster. Hinaus in die Schwärze des Alls, entlang der Ringe der Station. Fenster nach Fenster suchte ich ab. Es war nichts zu sehen. Über mir konnte ich die anderen Speichen zur Achse der Station sehen. Dort waren die meisten Lichter ausgefallen. Zerstört durch Beschuss oder sonstige Gewalteinwirkung. Etwas kratzte hinter mir. Ich erstarrte und hielt die Luft an. Das Licht flackerte plötzlich, dann fiel es aus. Ich saß im Dunkeln. Die Notbeleuchtung reichte nur für ein ungefähres Erkennen der Umgebung aus.

Da war es wieder. Das Kratzen oder Schaben. Es war hinter der Schleuse. Es gab keine Chance diesem Ding zu entkommen. Mein Leben und all meine Erinnerung fielen in ein tiefes dunkles Loch, aus dem es kein Entkommen gab. Keine Hoffnung. Ich durfte nichts mehr hoffen. Und der Glauben fehlte mir seit jeher. Ich war wie gelähmt. Ohne Ketten an den Boden gekettet. Es zischte, es war bald soweit.

Ich rappelte mich auf. Nur weiter. Vielleicht schaffte ich es bis zu den Hangars. Ungefähr fünf Minuten hatte ich noch Zeit, bis die Schleuse sich auflösen würde. Ich lief weiter zur nächsten Sektion. Hier gab es eine Hauptschleuse. Der Ring war unterteilt in vier Hauptsektionen, die durch große Schleusen versiegelt werden konnten. Ich betätigte den Sensorknopf und sie schloss sich wie eine Fotoblende. Die Lampe leuchtete in dunklem Rot. Nun aktivierte ich die Versiegelung der vorhergehenden Sektion. Das Programm versagte. Fehlfunktion. Ein Abpumpen der Atemluft war nicht möglich. Ich drehte mich zu den Fenstern und starrte hinaus. Es war nichts zu sehen hinter den Scheiben der letzten Sektion. Überleg! Überleg endlich in Ruhe. Was konnte ich tun um es auszutricksen, zu umgehen. Schach. Mir fiel das Schachspiel ein. Ich war auf der Flucht. Keine Figuren mehr. Ein Patt gab es nicht. Nur den Tod.

Die Station bestand aus 5 Ringen, zylindrisch übereinander angeordnet. In der Mitte, wie eine Achse, das Basismodul. Von jedem Ring zur Achse jeweils vier Speichen. Ich befand mich im untersten Ring. Die Hangars waren an beiden Enden der Achse angebracht. Der untere Hangar war mein Ziel. Ich musste weiter. Noch knappe hundert Meter zur nächsten Speiche. Es war still. Plötzlich hörte ich diese Stille. Es war schon seit Wochen still. Aber nie so wie in diesem Moment. All meine Angst sammelte sich im Lauschen dieser Stille.

Und da war es wieder.

Hinter der Schleuse. Wie ein Dorn fuhr das schwach kratzende Geräusch in meine Nerven. Meine Haare stellten sich. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich begann zu rennen. Hundert Meter! Früher ein Klacks für mich. Jetzt wie ein nie enden wollendes Laufband. Ich rannte und schickte Befehle an meine Beine. Nicht versagen! Weiter! Los, kommt schon! Schwer atmend erreichte ich die Speiche. Ich schloss das Schott hinter mir. Fehlton. Keine Versiegelung möglich.

Hilflos ausgeliefert. Diesem Biest. Oder was immer es war. Wusste es, was ich vor hatte? Ahnte dieses verdammte Ding, was in den letzten Überresten meines Verstandes als Plan abgelegt war? Vielleicht. Mir schnürte es die Kehle zu, beim Gedanken an all das, was ich nicht wusste. Ich war mir auf einmal sicher, dass es mindestens so schlau war wie ich. Und es kannte die Station. Für den Jäger lag der Fluchtweg des Opfers völlig auf der Hand. Ich hechelte weiter durch die Speiche in Richtung Achse.

Was konnte ich tun? Selbst wenn ich rechtzeitig den Hangar erreichte, war bis dahin immer noch unklar, ob es überhaupt noch ein Beiboot gab. Und wenn ja, ob es funktionsfähig wäre. Um dies alles herauszufinden, war Zeit nötig. Und Zeit hatte ich nicht. Das Biest konnte also eigentlich ganz ruhig in Richtung unser beider Ziel marschieren. Ein Fenster kam. Ich hielt an und schaute zum Ring zurück. DA! Da meinte ich was gesehen zu haben. Ein Schatten. Hinter den Fenstern. Ich rannte weiter. Und plötzlich explodierte eine Idee inmitten meiner Hoffnungslosigkeit.

Wenn ich nun nicht den Weg nähme, den jedes Opfer in Panik nimmt? Dann könnte ich kostbare Zeit gewinnen. Am oberen Ende der Achse war ebenfalls ein Hangar. Das Ding wird bei dieser Geschwindigkeit zehn Minuten mehr als ich zum Hangar benötigen. Wenn nun gar nicht der untere Hangar mein Ziel ist, wie es das wohl vermuten musste, sondern ich schon längst auf dem Weg zum oberen Hangar, dann wäre es möglich, zehn Minuten plus zwei Überraschungsminuten zu gewinnen. Mit Sicherheit. Einzig der Weg nach oben bereitete mir noch Kopfschmerzen. Der Zentrallift als Transportmittel fiel weg. Der war ausgefallen. Blieben nur die Aufstiegsschächte, von denen es vier Stück kreisförmig um den Lift gab. Jeder groß genug für drei Leute, und alle fünf Meter ein Podest. Insgesamt 200 Meter hoch. Ich bekam Angst, bei dem Gedanken an den Aufstieg. Angst, noch länger in dieser Station verbringen zu müssen. Angst vor einem Versagen. Mittendrin. Einfach aufgeben. Das sähe mir ähnlich. Ich entschloss mich dennoch zum Aufstieg.

Keuchend erreichte ich die Achse. Ich stellte mir das Ding als Tier vor. Es würde vielleicht seine Nase einsetzen, wenn es denn eine hatte. Ich zog mein verschwitztes Shirt aus und rieb damit den Durchgang zur Hangarsektion ein. Dann versuchte ich möglichst vorsichtig die Tür zu einem der Aufstiegsschächte zu öffnen. Hier drin brannte nur Notbeleuchtung. Das gab mir komischerweise ein bisschen Sicherheit zurück. Ich schüttelte meine Arme aus, verriegelte die Tür von innen und begann an der Leiter hochzusteigen. Sprosse um Sprosse. Ich zählte bis fünfzehn, stoppte und lauschte. Doch das Geräusch meiner pfeifenden Lunge war zu laut, und das Rauschen des Blutes in meinen Ohren durchdringen, gelang mir nicht. Ich blickte nach oben. Die Röhre verlief sich im Nichts.

Weiter.

Bis fünfzehn zählen. Stopp.

Weiter.

Bis fünfzehn zählen. Stopp.

Ich achtete nicht auf die Höhe, und kurz schien es mir, als vergäße ich die Angst. Ein Trugschluss. Wo war ich? Ah, da, eine Markierung. 80 Meter. Ich erreichte das Podest und setzte mich drauf. Automatisch griff ich nach dem Hypospray und sprühte mir von dem Zeug in den Rachen, spürte, wie sich meine Pumpe beruhigte. Ich lauschte und drehte meinen Kopf so, dass mein eines Ohr in den Schacht unter mir hörte. Aber da war nichts. Vielleicht würde mein Plan aufgehen. Also weiter. Bis fünfzehn zählen. Sprosse um Sprosse. Stoppen. Bis fünfzehn zählen ...

Ich war kurz davor, ohnmächtig zu werden. So kam es mir jedenfalls vor. Mit zunehmender Entkräftung wurde mir alles egal. Einzig dieser Funke in mir, der brannte noch und trieb mich vorwärts. Ich konnte das Ende der Achse sehen. Höhe 160 stand vor mir. Und doch war mir danach einfach loszulassen. Fallen und dann schlafen. Ich setzte mich auf das Podest und pumpte eine große Ladung Hypospray in meinen Rachen. Wie oft man das Zeug wohl nehmen konnte, ohne einen direkten Schaden zu erleiden? Na, was soll’s, dachte ich bei mir. Hier sterben oder woanders. Was machte das schon aus? Doch die Angst kam zurück. Die Angst vor diesem unbekannten Grauen. Was immer es war. Es trieb mich fast zur Panik. Los, weiter!, schrie ich mich in Gedanken an.

Ich kam langsam hoch und dann rollte ein furchterregendes Knacken aus dem Dunkel der Röhre unter mir heran. Ich konnte förmlich spüren, wie sich das Knacken nach oben fortsetzte, und bei mir ankam, mit dem Hauch des Todes im Gepäck. Ich roch die Gefahr. Das Knacken war gerade abgeklungen, als ein Summen ertönte. Ich stutzte! Der Lift? Der Lift geht wieder? Aber wie um alles in der Welt war das möglich? Ich spürte das Zittern im Material der Achse stärker werden. Der Lift fuhr nach oben! Und jetzt? Oh Himmel, gottverdammter Mist! Wie nur, war es diesem Ding gelungen, den Lift in Betrieb zu setzen?!

Ich schaute nach oben. Ein Podest höher war der Ausgang zur vorletzten Radspeiche. Was sollte ich tun? Nur raus hier! Auf jeden Fall! Das Ding wusste, was ich vorhatte. Ich hielt den Atem an. Der Lift sauste hinter der gegenüberliegenden Wand an mir vorbei, fuhr bis ganz nach oben. Es gab nur noch eine Möglichkeit! Ich kletterte weiter. Mühelos erreichte ich das nächste Podest. Ich spürte das Adrenalin. Behutsam öffnete ich die Tür. Nichts zu sehen. Nichts zu hören. Das Biest war sicher am Endpunkt des Liftes ausgestiegen und vermutete mich nun im dortigen Hangar. Das verschaffte mir wieder etwas Zeit. Ich kletterte aus dem Schacht und lief durch die Speiche in die Ringsektion. Genau gegenüber war eine Andockschleuse, deren Blende ich öffnete, und betrat den Schleusenraum.

Mein Entschluss stand fest. Gegenüber an der Wand war die Elektronik der Andockschleuse. Ich deaktivierte sie und stellte manuellen Betrieb her. Dann löste ich die Hauptverriegelungen. Nun war es nur noch ein Griff, und die entweichende Atmosphäre würde mich, und alles was nicht niet- und nagelfest war, in den Raum hinausschleudern. Vielleicht auch dieses Ding. Ich ging den Vorgang in Gedanken immer wieder durch. Dann stellte ich mich draußen auf den Ring und begann zu rufen. Mit einem herumliegenden Metallteil haute ich auf die Wand ein. Es schepperte metallisch. Ich schrie mir die Kehle aus dem Leib, bedachte dieses unbekannte Wesen mit allen Schimpfwörtern, die mir einfielen. Zwischendurch stoppte ich immer wieder und lauschte.

Und nach einer halben Ewigkeit fiel plötzlich das Licht aus. Die Notbeleuchtung schaltete sich ein. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Da war es. Ich spürte die Gefahr näher kommen. Hastig zog ich mich in den Schleusenraum zurück und spähte um die Kante in den Gang hinein. Mal nach links, dann wieder nach rechts. Diese Angst in mir war pure Gewalt. Ich hatte so etwas noch nie gefühlt. Es zischte.

Dann sah ich es kommen. Von links. Eine schemenhafte Erscheinung. Langsame Bewegungen, dafür sehr viele. Was war das?! Tastende, zittrige Glieder, darunter kriechende, langsame Schatten. Ein Säuseln und Zischen wie bei einer Schlange. Ich wollte es endlich sehen! Stattdessen rannte ich schnell zur Schleuse und nahm den Griff in die Hand. Das war es nun? Das Ende meiner kläglichen Existenz? Hier im Nichts? Würde das Ding mit hinaus gezogen? Oder konnte es im Vakuum überleben? Was gäbe ich dafür, zu erfahren, ob mein Tod umsonst war oder nicht. Es kratzte direkt vor mir und dann sah ich was es war. Da stand es. Mit seinen acht Augen fixierte es mich, und niemals hätte ich mir vorstellen mögen, dass das Universum eine solche Kreatur zu schaffen imstande war. Ich legte den Griff um. Nichts passierte! Noch einmal! Ich erstarrte. Dieses Ding begann in den Schleusenraum zu kriechen. GOTT! WENN ES DICH GIBT, DANN TÖTE MICH JETZT! Mir wurde schwarz vor Augen.

*​

Die zwei Wärter standen an der Tür und schauten durch die Plexiglasscheibe in den Raum hinein. Drinnen war nicht viel zu sehen. Wattierte Wände, ein Mattenboden, kein Fenster, keine Möbel. Nichts. Nur ein Mann, der plötzlich umgefallen war.
»Siehst du?« sagte der linke, größere von beiden. »Er ist umgekippt. Wie ich es gesagt habe. Und das innerhalb von 30 Minuten. Du schuldest mir 20 Mäuse.«
Der kleinere schaute ungläubig durch das Fenster.
»Ich versteh das nicht.«
Seine Nase lag platt auf dem Plexiglas.
»Woher weißt Du, wann das passiert?«
»Ist immer dasselbe Schema. Er fängt an, im Kreis zu laufen. Läuft er links rum, dann sind es 30 Minuten. Läuft er rechts rum, sind es 60 Minuten. Beide Male fängt er nach fünf Minuten an zu rennen. Bei 30 Minuten klettert er irgendwo hoch. Bei 60 Minuten schwimmt er durch irgendwas durch.«
Er schob dem kleineren Wärter die Hand vor das Gesicht.
»20 Mäuse!«
Zähneknirschend gab der Verlierer dem Großen seinen Wettgewinn.
»Okay, danke. Hab ich dir schon den gezeigt, der sich immer den Finger in den Hintern steckt?«
Der kleine Wärter schüttelte den Kopf.
»Gut. Mach‘s Licht aus und komm mit«
Der Große ging los und der Kleine schaute noch einmal hinein. Dann knipste er das Licht aus.

Für Tashmetum

 

Holla Antonia, altes Haus! :D

Du bist auch noch da. Das freut mich aber. Danke fürs Lesen und Kommentieren. Also die Geschichte liegt schon im Ordner "Überarbeitung". Und Spinnen ... hör mir auf. Erst gestern Abend schau ich hinter mich, weil ich das Gefühl hatte, jemand beobachtet mich. Und siehe da! Eine gruselige Monster-Winkelspinne. Ich hab den Sprühkleber rausgeholt und sie erst mal an der Wand fixiert. Zur Abschreckung!

Ging mir schon öfter so. Letztens hatte ich das Gefühl, ich müsse sofort rüber in das Kinderzimmer und ein Fenster zumachen, weil Spinnen reinkommen könnten. Wie ich rüber komme, krabbelt grade eine rein. Oh Mann! Egal wo ich gehe oder stehe oder sitze, ein Auge scannt immer die Umgebung.

Und jetzt kommst Du mit ner Idee zu ner Spinnengeschichte. :hmm: Dann lass mal hören.

Grüße
Morphin

 

Hallo Heiko,

Nun habe ich diese Story von meiner Leseliste abgearbeitet. Es freut mich, dass du viele positive Rückmeldungen bekommen hast, aber mich konnte die Geschichte nicht mitreißen. Das Setting erinnert natürlich sofort an Alien und soll vermutlich auch diese Bilder hervorrufen. Zum Einen sorgte dies dafür, dass es mich langweilte. Zum Anderen wies es für mich darauf hin, dass es nur Fassade ist und eine Wendung kommen wird. Ich habe damit gerechnet, dass sich das Monster als harmlos herausstellt oder der Protagonist schlicht einem anderen, größeren Irrtum erliegt.
Es mag an mir liegen, dass diese Art Spannungsgeschichte bei mir nicht greift: Man wird in eine Verfolgungssituation hinein geworfen, in der natürlich die Atemlosigkeit und die fieberhaften Gedanken nach Fluchtwegen im Zentrum stehen. Mit einem Aufbau von Atmosphäre, Empathie und irgendeiner Bedeutsamkeit in der fiktiven Welt (juckt mich wenig, dass da gerade irgendein anonymer Typ gejagt wird :whocares:) hätte mich die Geschichte besser abholen können.

Gruß
Leif

 

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