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Serie Elements: Macht der Legenden

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Elements: Macht der Legenden

Daniel Polster

Elements: Macht der Legenden


"Er ist wunderschön!", flüsterte sie.
"Findest du? Glaubst du, ich sollte das Kinn noch ein wenig betonen?"
"Auf gar keinen Fall. Lass ihn so wie er ist. Sonst sieht er noch aus wie eine Comicfigur."
"Ok. Wie soll ich ihn nennen?"
"Wie wär's mit: 'Der unbeschreibliche Bildhauer'?"
Er lachte. "Nein, im Ernst. Ich denke, ich nenne ihn den 'Wahrer der Legenden' im Angedenken an die tapferen Ritter und Helden, die wir nur noch aus mittelalterlichen Sagen und Legenden kennen." Er trat einen Schritt zurück und begutachtete sein Meisterwerk. Seit seinem zehnten Lebensjahr gab es in seinem Leben nichts anderes als die Bildhauerei. Anfängliche Versuche mit Holz und Ton waren jämmerlich zum Scheitern verurteilt. Doch hatten ihn Fleiß, Ehrgeiz und ein wenig Sturheit über die Jahre hinweg zu einem der berühmtesten, angesehensten und renommiertesten Künstlern seines Faches avancieren lassen.
Und nun stand er da und musterte sein bislang größtes Werk mit argwöhnischem Blick. "Vielleicht sollte ich doch noch ein wenig...", setzte er an und hob bereits die Arme, als er von hinten gepackt und fort gezogen wurde.
"Dad, nein!", sagte seine Tochter bestimmend und blickte ihm in die Augen. "Du hörst sonst auf niemanden. Aber mein Rat ist dir immer wichtig gewesen. Und ich sage dir, die Skulptur ist perfekt!"
Einige Minuten standen beide nur da und ließen ihre Blicke über den nackten Jüngling gleiten, der, sich keiner Scham bewusst, regungslos vor ihnen posierte.
Sie lachte. "Nur eine Kleinigkeit hättest du vielleicht etwas größer machen sollen."
"Er ist ein Krieger, kein Stripteasetänzer für adlige Burgfräulein, Liebes!", empörte er sich. "Wenn das deine Mutter hören könnte."
"Ja", murmelte sie. "Wahrscheinlich hat sie es ja gehört", fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. Lauter fuhr sie fort: "Warum hast du eigentlich Ton genommen und sie nicht aus Marmor oder Granit gehauen, wie deine anderen Werke?"
"Aus reinem kindlichen Trotz. Ich wollte mir selber beweisen, dass ich auch aus Ton etwas zaubern könnte. Eine lange Geschichte, mein Schatz."
"Kennst du die jüdische Legende vom Golem?", fragte sie.
Daraufhin fing er an zu lachen. "Natürlich. Aber mach dir keine Hoffnungen! Er wird nicht anfangen, uns im Haushalt zu helfen oder einkaufen zu gehen. Apropos einkaufen gehen; warst du nicht heute dran?"
"Eine perfekte Überleitung, Dad!", maulte sie. "Bin schon unterwegs."
"Liebes Kind", sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Die Türklingel läutete. "Bin gleich da... sofort... einen Moment noch..." Dann öffnete er die Tür und erstarrte.
Er spürte, wie sich seine Kehle zusammenzog, und der Mund ihm auszutrocknen drohte. Vor ihm stand ein Polizist in voller Lebensgröße - die Mütze abgenommen, mit einem ernsten und dennoch mitfühlenden Ausdruck in den Augen.
"Was... was ist passiert, Officer?", stammelte der Bildhauer.
"Sir, es ist leider meine traurige Pflicht ihnen mitzuteilen, dass ihre Tochter vor wenigen Minuten erschossen worden ist."
Die Beine des Mannes knickten ein. "Wie... wie ist es... was... warum, oh Gott, warum SIE?"
Sofort ging der Polizist neben ihm auf die Knie. "Sir, wollen sie erstmal mit aufs Revier kommen? Wir haben dort eine Psychologin, die ihnen vielleicht helfen kann. Ich kann auch einen Krankenwagen rufen, wenn sie das möchten."
Doch der Bildhauer winkte nur kraftlos ab. "Nein, danke", röchelte er, "aber ich komm schon zurecht."
"Falls sie es sich anders überlegen sollten, kommen sie einfach im Department vorbei, ok?"
Die Andeutung eines Nickens war die einzige Antwort. "Was den Schützen anbelangt", fuhr der Polizist fort, "wir haben ihn am Tatort festgenommen. Er wollte gerade den Supermarkt vorn an der 57ten ausrauben und hatte den Verkäufer mit seiner Waffe bedroht, als ihre Tochter dazwischen ging. Sie hat dem Angestellten damit wahrscheinlich das Leben gerettet."
"Wie schön für ihn", murmelte der Bildhauer bitter.
"Allerdings seh ich persönlich in Bezug auf das Strafmaß des Täters schwarz. Er war schon einmal wegen Mordes im Gefängnis, kam aber wegen verminderter geistiger Zurechnungsfähigkeit nach drei Jahren wieder raus. Ich schätze, er wird dieses Mal auch nicht mehr als fünf Jahre unter psychiatrischer Beobachtung bekommen. Die Verhandlung ist auf nächsten Dienstag angesetzt."
"Ich werde kommen", flüsterte der Künstler.
Der Polizist nickte. "Ok. Denken Sie daran, im Revier ist immer jemand da. Sie können jederzeit vorbei kommen." Mit diesen Worten stand er auf und ging langsamen Schrittes zurück zu seinem Wagen, der stumm an der Straße auf ihn wartete.
Zurück blieb ein einzelner, gebrochener Mann. Noch nie zuvor hatte er sich so einsam und hilflos gefühlt. Er war allein, unendlich allein. Schluchzend bettete er seinen Kopf zwischen seine Knie. Welle um Welle unkontrollierbarer Gefühle versetzten seinen Körper in grausame Agonie.

Ein entferntes, doch eindringliches Geräusch riss ihn aus dem Schlaf. Wie hatte er überhaupt einschlafen können, fragte er sich benommen. Er kauerte vor den Füßen seiner Skulptur und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Irgendwann letzte Nacht war er völlig am Boden zerstört in sein Atelier gegangen, und war von Pein und Leid restlos ausgezehrt vor seinem Lebenswerk zusammen gebrochen. Doch sein wahres Lebenswerk - seine Tochter - war tot, erinnerte er sich, und spürte wie der Schmerz erneut seine Finger ausstreckte, um von ihm Besitz zu ergreifen.
Das Geräusch!, schoss es ihm durch den Kopf. Hastig suchte er dessen Quelle und fand sie schließlich in Form seines Telefons, das scheinbar schon seit geraumer Zeit unablässig läutete.
"Ja?", meldete er sich.
"Sir, Officer O'Hara hier", antwortete eine aufgeregte Stimme. "Ich bin der Polizist, der gestern bei Ihnen war. Es ist etwas passiert. Etwas... dass sie interessieren dürfte." Eine kurze Pause folgte, dann fuhr der Beamte fort. "Der Mörder ihrer Tochter... ist tot."
Sofort war der Bildhauer hellwach. "Wie bitte? Was ist passiert?"
"Sir, ähm... das wissen wir nicht genau. Die Außenwand seiner Zelle ist... aufgesprengt worden oder etwas ähnliches. Obwohl wir keinerlei Spuren eines Sprengstoffes finden konnten, befindet sich ein ansehnliches Loch im Mauerwerk. Der Mann selber wurde erdrosselt, nur konnten wir auch da keinerlei eindeutige Spuren finden. Weder Fingerabdrücke noch Hinweise auf Handschuhe oder ähnliches. Überall in der Zelle verteilt fanden wir eine Art schmutzige Rückstände - Erde oder Lehm oder etwas in der Form. Die Untersuchung hat gerade begonnen. Ich halte sie auf dem laufenden!"
"Ok. Ich danke Ihnen, Officer." Mit diesen Worten legte der Bildhauer auf. Der Mörder - tot? Er stellte fest, dass er sich dadurch auch nicht besser fühlte. Naja, vielleicht ein klein wenig. Aber wer hatte ihn umgebracht? Die Polizei hatte keinerlei Spuren gefunden, überlegte er. Bis auf... eine erdähnliche Substanz.
Seine Augenbrauen hoben sich, als sich die Erkenntnis in seine Gedanken schob. Langsam glitt sein Blick zu der Statue. Ein Wort fiel ihm wieder ein. Ein Wort, dass seine Tochter in Bezug auf sein Werk benutzt hatte.

Golem.

Ein eiskalter Schauer lief über seinen Rücken.

***

Elements IV: Earth

 

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