Was ist neu

Im Bunker

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04.08.2001
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Im Bunker

Die Sonne war noch zu erkennen, doch die ersten schweren Wolken türmten sich über der Skyline auf. Es war abzusehen, dass es in Kürze zu regnen beginnen würde.
Die unnatürliche Stille in den Straßen, die letzten Endes doch nur natürlich war, das vollkommene Fehlen von Lärm, die Abwesenheit jeglicher von Menschen verursachter Geräusche, schufen eine Atmosphäre, die für eine Großstadt wie diese surreal und ohnegleichen war.
Pflanzen hatten sich des Straßenpflasters bemächtigt, Bäume waren in Gebäude eingedrungen. Hin und wieder huschte ein Tier an den Fassaden vorbei, von Scheu keine Spur. Die Natur, in ihrem eigensten, unverfälschten Sinne, hatte diese ehemals menschliche Stätte vollends im Griff. Mauern waren eingestürzt oder kurz davor. Schaufenster sämtlich zu Bruch gegangen und selbst die Splitter waren verschwunden unter einer Moosdecke. Bis auf alles was grünte, zeichneten sich die schalen Überbleibsel der Menschheit durch Nutzlosigkeit aus.
Und dann, in die Idylle hinein, ein Schwarm Menschenähnlicher; durch gewisse Zerlumptheit, verhärmtes Aussehen und Abgezehrtheit gleichgemacht, strichen sie durch die Straßen, wachsam zwar, aber mit einem blöden Gesichtsausdruck, suchend, doch nichts, als das noch nicht gefundene Ziel wahrnehmend. Und ebenso unvermittelt und still, wie gekommen, verschwanden sie wieder in den Häuserschluchten, auf der Jagd wonach auch immer.
Dann trat ein Mann auf die Bühne, der sich von den Artgenossen unterschied. Er war kräftig gebaut und hatte einen offenen Blick. Auch er schaute sich um, aber vorsichtig und auf der Hut.
Besorgt blickte er zum Himmel, er wusste, wenn es zu regnen begann und er hatte noch keinen Unterschlupf gefunden, dann war es um ihn geschehen.
Er lief weiter, immer ein wachsames Auge auf der Straße, geduckt und mit fließenden Bewegungen, wie einer dieser Panther, die sich seit einiger Zeit in der Stadt blicken ließen, legte er mehrere Straßenzüge zurück. Schließlich stoppte er vor einem Gebäude, das in der Form eines schlichten Kastens einmal ein Supermarkt gewesen war.
Die Mauern des Hauses waren verwittert und von der Flora eingenommen wie die seiner Nachbarn. Doch unterschied es sich in einem wesentlichen Punkt von ihnen: Die Fenster waren samt und sonders mit Brettern vernagelt.
Des Mannes Gesichtszüge hellten sich auf. Er lief geduckt zu dem Bau und ging ihn systematisch ab. Es dauerte nicht lange, da hatte er gefunden, wonach er suchte: Ein Hintereingang, ebenfalls verrammelt, aber die Barrikade konnte jederzeit geräumt werden.
Während er nach oben schaute, begann er, gegen die Bretter zu hämmern. Er lauschte auf Geräusche, hub erneut an zu schlagen und versuchte, so wenig Lärm wie möglich zu machen.
Und immer wieder der angstvolle Blick gen Himmel.
Irgendwann nach einer Ewigkeit, regte sich etwas. Der Mann unterbrach, atmete schwer.
„Bist du bescheuert“, kam es von drinnen.
„Lasst mich rein!“
Eine Pause, während der sich der Mann wieder prüfend umschaute.
Dann kam es hinter den Brettern: „Wer bist du?“
„Könnt Ihr mich nicht erstmal reinlassen?“
„Wo kommst du her? Du bist nicht angekündigt.“
Der Mann wurde wütend. Er fing wieder an, gegen den provisorischen Zugang zu hämmern.
„Lasst mich rein, verdammt noch mal“, wiederholte er. „Ich bin ein Mensch wie ihr!“
Stille, und dann bewegte sich zaghaft die Brettertür. Ein fetter Mann kam heraus, mit seinen kleinen Augen in alle Richtungen blickend.
„Komm“, flüsterte er.
Minuten nachdem der Mann in dem Bau verschwunden war, begann es zu regnen.

Oberst Morx pochte nur einmal gegen die Tür. Er stand draußen wie ein Dirigent, mit erhobenem Kopf, und drängte sich sofort an mir vorbei, nachdem ich geöffnet hatte. Er war allein, der Zentralbunker, war nicht weit entfernt.
Als ich die Tür wieder verriegelt hatte und mich umwandte, fixierte er mich scharf.
„Wo ist er?“, bellte er.
„Wir haben ihn ganz hinten einquartiert“, erwiderte ich müde. Wir waren uns erst einmal begegnet, das war kurz nach dem Unglück gewesen, schon damals hatte er die Kontrolle übernommen. Als alles durcheinander war und jeder sich suchte.
Er stand da, die Hände auf dem Rücken verschränkt und wartete, dass ich voranginge.
Normalerweise, wenn Leute von einem Bunker in den anderen wechseln, werden Waren mit überführt, Sachen, die nicht jedes Team zur Verfügung hat. Man freut sich, wenn Besuch kommt, weil Kerzen oder Diesel oder dergleichen mitgebracht werden.
Nicht so Morx. Er kam allein und hatte nur persönliche Dinge dabei. Hätten wir nicht unseren speziellen Besucher gehabt, wäre er sicher nicht zu uns gekommen. Wir waren nur ein kleiner Außenposten, der in diesen Zeiten kaum interessierte.
Wir gingen durch die dunklen Flure, ich voran mit der Taschenlampe – Kurbellampe mit LED, nur das Beste in unserem Haus! – und Morx im Rücken. So wie er sich selbst am liebsten sah.
„Zu dritt, nicht wahr?“, kam es von hinten.
„Ja.“ Er meinte die Anzahl der Bewohner unseres Bunkers.
„Wo sind die Anderen?“
Ich drehte mich um, er hatte mich im Blick. Formal waren wir beide Zivilisten. Sicher. Niemand hätte dem anderen gegenüber ein Weisungsrecht. Formal!
Aber nicht in diesen Zeiten: Morx war Oberst der Einheiten des humanen Widerstands. Ernannt von der einzigen Autorität, die sich aus dem Leben vor der Katastrophe herübergerettet hatte: Der Vizepräsident.
„Kinky wird lesen“, antwortete ich. „Und Pecho schläft.“
Die Schritte klackten unangenehm auf dem Boden, ich war immer wieder froh, wenn ich die Passage entlang der Lagerräume durchquert hatte.
„Ist der Gefangene ruhig?“
Die Worte hallten eisig durch den Flur; wir blieben vor der Tür zu unseren Wohnräumen stehen.
„Wir haben ihn eigentlich nicht als Gefangenen gesehen“, antwortete ich. Er war einen halben Kopf größer als ich und machte mit seiner Römernase den Eindruck eines arroganten Advokaten. So starrte er mich an, so dass seine Stirn Falten schlug.
„Wir sehen ihn als Gast.“
„Kann mir vorstellen, dass Sie so handeln, weil Sie’s nicht besser wissen“, sagte er. „Aber der Fall ist jetzt aus Ihren Händen.“
Ich war im Begriff gewesen, die Tür zu öffnen, doch jetzt nahm ich die Hand von der Klinke.
„Er ist ein Mensch“, sagte ich.
Morx machte eine unwillige Bewegung.
„Und als solcher ist er ein Verbündeter.“
„Das haben nicht Sie zu entscheiden!“
„So wenig Menschen, Oberst! Wir brauchen jeden!“
Schweigen zwischen uns, er nahm den Koffer, den er abgestellt hatte, wieder auf.
„Zeigen Sie mir den Gefangenen.“
Seufzend drückte ich die Klinke herunter und wir gingen in den Wohntrakt.
Kinky saß im Essensbereich und las tatsächlich. Er sprang auf, als wir den Raum betraten, so schnell es sein Gewicht zuließ.
„Kinky Blowers“, sagte ich, Morx musterte ihn kühl.
Kinky streckte seine Hand aus, die aber ignoriert wurde.
„Ich werde Ihnen die Last des Gefangenen abnehmen“, sagte Morx. „Wo ist er?“
Kinky sah mich mit einem seltsamen Blick an.
„Der wird wohl schlafen.“
Morx schaute sich kurz um und fragte nebenbei: „Sie haben den Mann reingelassen, Blowers?“
Kinky nickte und ließ sich wieder auf die Eckbank zurückplumpsen.
„Er hat Glück gehabt. Man hört hier unten nicht, wenn oben einer gegen die Tür hämmert. Er war wohl …“
Morx hatte den Raum verlassen, um sich umzusehen. Von draußen rief er: „Was für einen Eindruck hat er auf Sie gemacht?“
Kinky seufzte. Mit seinen dicken Fingern trommelte er auf dem Buch herum. Tolstoi, wie ich sah. Der Große, der Märtyrer.
„Er war erleichtert, würde ich sagen.“ Er sprach ins Nichts, der Oberst war noch immer draußen. „Kurz danach hat es immerhin angefangen zu regnen.“
„Hatte er Waffen dabei?“ Urplötzlich streckte Morx seinen Kopf herein.
„Nein.“ Kinky sah mich wieder an. „Er war ganz friedlich.“ Er lächelte unsicher.
Ich schaltete mich ein. „Wir haben ihn noch gar nicht richtig sprechen können. Er hat gegessen und ist dann beinahe sofort eingeschlafen.“
Morx kam herein, die Hände auf dem Rücken verschränkt. „Ich will ihn sehen“, sagte er zur Decke gewandt.
Der Supermarkt, in dessen Innern wir unser Asyl eingerichtet hatten, war zu Glanzzeiten riesig gewesen, ein Paradies für jeden Einkaufsfan. Lebensmittel waren nur eine Randerscheinung, die Sachen, mit denen man wirklich verdienen konnte, waren Möbel und Elektro-Artikel.
So kam es, dass wir in unserem Dasein zwar sparsam sein mussten, unsere Unterkünfte jedoch ausgestattet waren wie aus dem Katalog.
Unser Gast lag, so wie er hingesunken war, auf dem großen Doppelbett, das wir in aller Eile heruntergewuchtet hatten,. Bäuchlings, den Kopf gestreckt und den Mund offen. Ein Speichelfaden hing ihm von der Oberlippe.
Wir standen ziemlich einfältig um das Bett herum, niemand sagte ein Wort. Morx sah auf den Unbekannten hinunter, und für einen Moment sah ich flammenden Hass in seinen Augen.
Abrupt drehte er sich um und verließ das Zimmer. Wir folgten ihm, draußen verkündete er: „Ich will, dass der Mann in eine Einzelzelle kommt. Er ist gefährlich, und die Tatsache, dass er hier ist, ist ungeheuer wichtig für uns.“
Er sah uns beide an. „Wo kann ich mich frisch machen?“

Der Oberst zog sich mit seinem Koffer in das Zimmer zurück, das wir ihm hergerichtet hatten. Wie gesagt, an Möbeln herrschte kein Mangel und über fehlenden Platz konnten wir uns auch nicht beklagen.
„Was machen wir hier?“, fragte Kinky, als wir allein waren.
Ich zuckte mit den Schultern, während ich mir Kaffee eingoss.
„Ich meine, der Mann ist freiwillig zu uns gekommen und hat Unterschlupf gesucht.“ Er trommelte wieder auf dem Tolstoi herum. „Weißt du, was er damit meint, den Mann in eine Zelle zu sperren?“
Ich trank meinen Kaffee und starrte ihn über den Tassenrand an.
„Nein“, antwortete ich schließlich. „Aber ich fürchte, wir haben uns ziemlichen Ärger eingehandelt, als wir ihn hier reingelassen haben.“

Pecho, unser verrückter Mexikaner, tauchte kurze Zeit später auf. Er sah aus, als hätte ein Bär ihn ausgeschissen und seiner Miene nach fühlte er sich auch so.
Er schlich durch die Küche und suchte etwas. Mit fahrigen Bewegungen öffnete er sämtliche Fächer der Schränke, zog Schubladen heraus und wühlte darin herum.
„Können wir helfen, Pecho?“, fragte Kinky freundlich.
„Lass mich, Mann! Mir ist nicht zu helfen.“
Er kramte weiter und wurde immer aufgeregter.
„Was suchst du, verdammt?“
Pecho hielt inne und drehte sich zu uns um. Er sah wirklich furchtbar aus, das heißt noch furchtbarer als sonst.
„Alka Seltzer“, sagte er, als würde er uns ein Geheimnis verraten.
In unserer Dreiergemeinschaft gab es keinen Arzt; wenn einer vonnöten war, kam Doktor Carter aus dem Zentralbunker in Windigo angeritten. Ebendort, wo auch Morx herkam. Für kleinere Wehwehchen war ein Sanitäter zuständig, der eine kurze Einweisung, Lesematerial und die notwendige Ausrüstung erhalten hatte. Unglücklicherweise war in unserem Bunker Pecho diese Person, und nur dem Umstand, dass es im vergangenen Jahr keinerlei medizinischen Zwischenfälle gegeben hatte, war es zu verdanken, dass Pecho noch nicht seines Amtes enthoben war.
Ich stand auf, ging um den Tisch herum auf packte Pecho bei den Schultern.
„Morx ist da, hörst du“, sagte ich zu ihm. „Oberst Morx.“
Er starrte mich an, dann Kinky und wieder mich. Schließlich machte er sich unwillig los und drehte sich weg.
„Ja, Mann. Das weiß ich doch längst“, nölte er. „Denkst du, ich bin blöde?“

Als unser Gast erwachte (der, dessen Anwesenheit uns so viel Aufregung brachte), bat ich ihn, nachdem er sich etwas frisch gemacht hatte, in ein leeres Zimmer ganz am Ende des Flures. Wir stellten einen Tisch, vier Stühle und ein Bett hinein und hießen ihn, hier zu warten. Die Tür schloss ich hinter mir so sanft wie möglich.
Wie er so dasaß, in dem nahezu kahlen Raum, und mir fragend und ein wenig verwirrt nachblickte, da erinnerte er mich an irgendjemanden, mir wollte ums Verrecken nicht einfallen, an wen.
Morx erschien. Er kam mir verändert vor, nicht nur, weil er sich umgezogen hatte, er schien zielstrebig, das Drumherum interessierte ihn nicht, er war ganz auf seinen Gefangenen konzentriert.
Als wir vor der improvisierten Zelle standen, sagte er: „Ich spreche zuerst allein mit ihm. Wenn das geht.“
Der Nachsatz war reine Koketterie, denn natürlich hatte er hier das Sagen. Er war immerhin Repräsentant des Vizepräsidenten.
„Natürlich“, sagte ich leise.

So saßen wir drei unschlüssig um den Küchentisch herum, Kinky und ich jeweils Kaffee vor uns, Pecho mit einem Glas Wasser. Er hatte seine Alka Seltzer gefunden, doch es ging ihm keineswegs besser.
Schweigen in dem kleinen Raum, wir lauschten auf Geräusche vom Flur.
Irgendwann sagte Kinky: „Wir müssen uns bald um Sprit kümmern.“
Niemand antwortete.
„Entweder das“, versuchte er es noch einmal „oder wir schalten den Generator ab.“
„Ich hatte gemeint, Morx bringt einige Sachen mit.“
Es war wirklich ärgerlich! „Uns geht nicht nur der Sprit aus. Kaffee wird knapp, Obst wäre auch wieder schön.“
Das Überleben war zweifelsohne noch lange Zeit gesichert, wir würden die Sachen früher oder später aus dem Zentralbunker beziehen. Trotzdem war dies hier durchaus ein Tanz auf dem Vulkan. Sachen, die wir nicht im alten Supermarkt fanden (und das wurden natürlicherweise immer mehr), bekamen wir aus dem Bunker in Windigo; wir waren abhängig, wie von einem Tropf. Das und die Unkenntnis darüber, wie genau die Lebensmittel beschafft wurden, machte Angst.
„Was soll die Scheiße mit dem Kerl da drin?“ Das war auch ziemlich selten, von Pecho so etwas wie Interesse zu erleben, eine neue Erfahrung.
„Was machen die jetzt da drinnen?“, setzte Kinky nach.
Ich zuckte mit den Schultern, es waren immer noch keine Geräusche zu hören.
Kinky war in seinem früheren Leben Buchhändler gewesen, ich glaube, er hatte ein inzestuöses Verhältnis zu den Schinken gehabt.
Ich hatte vor ungefähr tausend Jahren als Bauzeichner die Brötchen verdient und Pecho war wohl sein ganzes Dasein schon Junkie und Gruppenclown gewesen. Bei seinem Lebenslauf war es am ehesten zu vermuten, dass er sich mit Verhören und Arrestzellen auskannte.
„Er glaubt, unser Gast hätte etwas mit der Invasion zu tun.“
„Unsinn“, erklärte Kinky. „Niemand hat von Infizierten gehört, die noch bei wachem Verstand sind. Außerdem hat er sich vor dem Regen gefürchtet.“
„Vielleicht haben die in Windigo neue Erkenntnisse“, gab ich zu bedenken. „Du weißt ja, wir hier draußen sind einzig gut zum Streife laufen.“
Kinky war nicht überzeugt. Er war im Allgemeinen der abwägende Typ.
„Aber der Regen! Warum sollte er sich vor dem Regen fürchten, wenn er schon infiziert ist?“
„Warum muss er schon infiziert sein“
Pecho verfolgte aufmerksam unsere Unterhaltung. Er nahm ein Schluck Wasser und ließ uns auch beim Trinken nicht aus den Augen. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, wandte er den Blick ab.
„Morx meint wohl, er verstellt sich“, sagte ich. „Verstehst du, dass er sich eingeschlichen hat, als Maulwurf, sozusagen.“
Kinky wuchtete sich mühsam hinter dem Küchentisch hervor. Pecho musste beiseite rücken. „Hey, Mann! Ein Jahr auf Diät und kein bisschen abgenommen. Sieh dich gefälligst vor!“
Kinky goss sich Kaffee nach.
„Wenn das so ist, wie du sagst, dann ist das ein Qualitätssprung. Das ist wichtig.“
Milch hinterher und jede Menge Zucker.
„Ich meine, wir sind davon ausgegangen, dass das alles Zombies sind, die da draußen rumlaufen.“
Die Schwärmer und die Steher. Niemand sollte sagen, wir würden verstehen, was da draußen vor sich ging. Auch wenn wir schon ein Jahr lang zuguckten.
„Morx glaubt, dass das einer von denen ist?“, zischelte Pecho. Das Limit für Interesse war bei ihm ohne Frage überschritten. Er wurde noch ein ganz normaler Mensch!
„Aber das ist Quatsch“, entgegnete ich. „Du weißt doch, dass er völlig normal war.“
„Ja, aber woher kommt er?“
Da hatte er nun Recht. Wir hatten den Fremden nach seinem Namen gefragt, und als er schlief, den Zentralbunker kontaktiert. Ein Walter Frey war nirgends registriert.
Morx trat ein. Er hatte ein ernstes Gesicht und wischte sich in einem fort die Hände an seiner Jacke ab.
„Sie können den Gefangenen jetzt wegschließen“, sagte er. „Wir machen morgen weiter.“
Unnatürliche Stille machte sich breit. Ich hatte den Eindruck, Morx wollte noch etwas sagen, doch er schwieg und sah uns nur an.
„Sie wollen über Nacht bleiben?“, fragte ich schließlich.
Er löste sich aus seiner Starre. „Ich würde gern etwas essen.“
Das war Kinkys Aufgabe.
Pecho sprang plötzlich auf und rief: „Ich schließe ihn ein.“ Sofort war er verschwunden.
Für mich war es Zeit, zur Streife aufzubrechen.

Am nächsten Morgen überraschte Morx mich mit der Aufforderung, ihn zu begleiten.
„Irgendwelche Auffälligkeiten, draußen?“, fragte er und setzte hinzu: „Sie kommen mit rein.“
Pecho war noch nicht zu sehen und vor Mittag gab es wohl kaum eine Chance darauf. Kinky wusch das Geschirr des Frühstücks ab. Morx hatte sich eine Zigarette angesteckt und sah mich durch den Qualm hindurch an.
„Nein“, sagte ich.
Kinky hörte auf zu klappern.
„Kommen Sie!“ Morx drückte seine Zigarette aus und stand auf. Ohne auf mich zu achten, ging er voran.

„Name?“
Morx hatte ein Blatt vor sich zu liegen und starrte darauf. Der Fremde sah übernächtigt aus, seine gesunde Farbe hatte er verloren.
Er seufzte.
„Noch mal, also“, sagte er. „Walter Frey. Und ich kann mir immer noch nicht vorstellen, weshalb Sie mich hier festhalten.“
Er schien für die Situation ziemlich ruhig, wahrscheinlich hatte er sich in der Nacht abreagiert. Es war nichts zu hören gewesen, nachdem er sich im Anschluss an das Abendessen hatte widerstandslos einsperren lassen. Doch das hatte nicht viel zu sagen, die Mauern waren dick und das Zimmer lag am Ende des Ganges.
Wir saßen uns beide in dem kahlen Raum gegenüber. Morx, an der Längsseite des Tisches, tat unbeteiligt.
Das Bett war ungemacht.
„Ihr Wohnort?“
„Was?“
„Wo wohnten Sie, bevor die ganze Scheiße hier angefangen hat?“
„Ich weiß nicht, was das …“
„Walter!“ Morx Stimme war ruhig. „Wir sind in einer schwierigen Situation. Wie Sie mir gestern Abend schon mehrmals gesagt haben, stehen Sie in keinerlei Verbindung mit der außerirdischen Invasion.“
Walter nickte.
„Ich habe in der Nacht noch mit der Zentrale gesprochen.“
Eine Pause.
„Und das eigentliche Problem ist, wir glauben Ihnen nicht, Walter.“
Walter seufzte wieder, Morx lächelte fein.
„Aber warum nicht?“, fragte ich.
„Weil ein Walter Frey nirgends bekannt ist. Und in dem Gebiet, aus dem er zu kommen vorgibt, existieren keine Bunker.“
Walter sagte: „Das haben wir doch gestern alles durchgekaut. Ich bin doch nun wirklich nicht hierher …“
„Halten Sie den Mund, Walter!“
Morx’ Gestalt spannte sich. Doch Walter lamentierte weiter.
„Hören Sie, ich will doch nur ein bisschen …“
„Halten Sie den Mund!“
„Aber Sie können doch nicht …“
Es klatschte. Morx war aufgesprungen und hatte Walter derart ins Gesicht geschlagen, dass dieser zu Boden ging.
Morx stand über ihm, packte den Mann, zerrte ihn zurück auf seinen Stuhl und setzte sich wieder ruhig an unsere Seite.
Und da begriff ich, dass Morx gestern Abend schon Gewalt angewandt hatte und dass Walter deshalb so ruhig war. Das Verhältnis der Beiden zueinander war nicht leicht zu durchschauen.
„Also“, sagte Morx. Beeindruckend, welche Ruhe er nach dem Vorfall ausstrahlte. „Ihre Adresse, bitte!“
Er schaute mich kurz an.
„Elmsdrive 16.“
Das war unten in der Südstadt.
„Wo waren Sie, als das Ganze anfing?“
Walters Oberlippe war aufgesprungen, es sickerte Blut heraus. Er sah auf die Tischplatte vor sich während er sprach.
„Middleton, kleiner Ort, 200 Meilen westwärts. Wir hatten die Verwandten meiner Frau besucht.“ Er schluckte. „Das heißt, meine Frau, meine Tochter und ich. Ihre Eltern lebten dort mit ihrem Bruder auf einem Hof. Wir hatten gehofft, ein paar Tage Urlaub machen zu können.“
Er verstummte und sah mich an, unter dem rechten Auge hatte er einen Bluterguss.
„Wir hatten gefeiert am Abend“, fuhr er fort. „Mein Schwager und ich schliefen noch, als der Regen begann. Meine Frau und meine Tochter waren draußen auf dem Hof.“
Morx machte sich Notizen. Das Kratzen des Stiftes auf dem Papier war neben Walters Stimme das einzige Geräusch im Raum.
„Als ich aufstand und aus dem Fenster schaute, da regnete es. Und dann sah ich meine Frau und meine Tochter wie blöde im Kreis rumlaufen.“ Er schluckte.
Morx fragte: „Wie wussten Sie, dass die Gefahr vom Regen ausging?“
„Mein Schwager …“ Er blickte hoch. Das war nicht mehr der Mann, den wir vorgestern in unseren Bunker eingelassen hatten.
„Er ging hinaus. Raus in den Regen, warf sich einen Mantel über und ging zu den Andern.“
Seine Stimme war brüchig. Morx hatte aufgehört zu schreiben und blickte auf.
„Sofort, als er rauskam, begann er ebenso blöde rumzulaufen wie alle anderen.“
„Und was geschah dann?“
Walter antwortete nicht. Er starrte auf die Tischplatte, unbeweglich und still. Es brauchte einige Zeit, bis ich erkannte, dass ihn ein Weinkrampf schüttelte. Er schluchzte und wischte sich den Rotz mit dem Handrücken ab.
„Was geschah dann?“
Als Walter aufsah, war ich sicher, dass er uns nicht sehen konnte.
„Ich war nicht vollständig angezogen gewesen, verstehen Sie? Ich war zu langsam, deshalb war er schon raus. Ich hatte verschlafen, darum hat es meine Familie erwischt.“
„Wie ging es weiter?“ Morx war unerbittlich.
Walter beruhigte sich wieder.
„Sie müssen nacheinander alle rausgelaufen sein. Meine Frau mit meiner Tochter wurde von dem Regen überrascht. Ihre Schwester sah, wie die beiden rumliefen und wollte helfen. Ihre Eltern, und ihr Mann dann. Ich war der einzige, der übrigblieb.“
„Was hatte ihre Frau an?“
Walter stutzte. „Weiß ich nicht mehr.“
„Und Ihre Tochter?“
„Weiß ich nicht. Hören Sie, das Ganze ist jetzt über ein Jahr her. Ich kann mich nicht an alles erinnern.“
Mit einem Ruck stand Morx auf. Walter zuckte zusammen.
„Schöne Geschichte“, skandierte Morx, während er durch den kahlen Raum wanderte. „Wie geht es weiter?“
„Ich habe gewartet, bis der Regen vorbei war. Dachte, dass das Verhalten der Menschen sich auch ändert. Hab gesessen und beobachtet, am Fenster, am anderen Fenster. Immer hin und her gelaufen. Als es dann endlich aufhörte, waren sie immer noch so, sie liefen ohne Ziel, mit diesem blöden Gesichtsausdruck.“
Er erzählte hier eine Geschichte, wie sie jeder von uns so ähnlich erlebt hatte; es war schwer zuzuhören und nicht an die eigenen Verwandten zu denken.
„Ich hab tagelang im Haus gesessen, mich nicht rausgetraut. Irgendwann waren sie weg. Heute laufen sie rum, ohne zu wissen, wohin. Und dann plötzlich sind sie nicht mehr da.“
Morx blieb hinter Walter stehen und schaute auf ihn hinab. „Wie sind Sie hierher gekommen?“
„Ich bin irgendwann raus, musste ich ja, die Vorräte waren alle. Von da an bin ich die Landstraße lang, von einem Lager zum nächsten. Überall wo es was zu essen gab, bin ich angehalten. Menschen habe ich nicht gesehen, keine normalen zumindest. Ein paar von diesen …Zombies, und wusste, ich muss mich fernhalten von denen.
Irgendwann kam ich hier in die Stadt zurück, in meine Wohnung. Doch was sollte ich da? Keiner hatte überlebt. Und dann fiel mir das einzige Gebäude auf, dessen Fenster vernagelt waren.“
„Sie haben sich fast ein Jahr rumgetrieben, ohne menschliche Begleitung?“
Walter nickte.
Als Morx mir einen Wink gab und wir das Zimmer verließen, rief Walter uns nach: „Sir!“
Morx drehte sich um.
„Darf ich den Raum verlassen?“
Morx wandte sich wieder ab und folgte mir. „Natürlich nicht“, brummte er, als er eigenhändig die Tür abschloss.

„Was meinen Sie?“, fragte Morx, als wir vier am Küchentisch saßen. Pecho war zur Abwechslung mal nicht high.
„Ich weiß nicht, ob es richtig war, Gewalt anzuwenden“, antwortete ich.
„Es werden ganz andere Sachen geschehen, wenn ich die Wahrheit nicht herausbekomme.“
Er hatte sich ein großes Stück Corned Beef abgeschnitten, während er gründlich kaute, war es still im Zimmer, nur Pecho raschelte mit einer Tüte, aus der er in einem fort Dörrobst aß.
„Ist er ein Spion?“, fragte Kinky in die Stille hinein. Er war recht blass und kam mir noch kränklicher vor als gewöhnlich.
Pecho lachte leise in sich hinein, Morx kaute weiter. Während er den letzten Bissen hinunterschluckte, arbeitete jeder Muskel in seinem Gesicht, sein Blick ging auf die Tischplatte.
„Was denken Sie?“, fragte er noch einmal.
„Ich weiß nicht“, antwortete ich. „Hat er nicht völlig normal reagiert?“
Morx fasste mich ins Auge, Kinky starrte Morx an und Pecho spielte mit seiner Tüte herum. Es war etwas ganz Normales, was ich gesagt hatte, zumindest hatte ich den Eindruck.
„Vielleicht ist das ja gerade Sinn der Aktion“, sagte Morx.
Ich musste lachen. „Damit könnten wir die Sache bis ins Unermessliche treiben.“
„Glauben Sie“, knurrte er. Er griff sich eine Scheibe Brot und nahm dann vom Hartkäse. Wir hatten den Käse einfrieren müssen, mir sagte der aufgetaute Kefalotyri nicht zu, Morx hingegen schien er zu schmecken.
Wir waren gezwungen gewesen, viele Lebensmittel einzufrieren, auch solche, von denen wir nicht wussten, ob sie sich halten würden.
„Auf jeden Fall müssen wir die Fakten zusammentragen, die dafür sprechen und dagegen.“
Damit schien für ihn die Diskussion beendet.
Kinky war es, der das Schweigen brach. Er sah Morx nicht an, als er fragte: „Was spricht denn dafür?“
„Er hat sich fast ein Jahr in der Gegend herumgetrieben, ohne dass er auf jemanden getroffen wäre.“
„Das spricht nicht unbedingt gegen ihn“, erwiderte ich. „Nicht zwingend.“
Morx polkte mit der Zunge Essensreste zwischen seinen Zähnen hervor. Er blickte mich gedankenverloren an, während er seine Milch austrank.
Milch war ein Lebensmittel, das wir frisch beziehen konnten; sie war ohne Zweifel begehrt und nicht im Überfluss zu kriegen. Trotzdem war der Nachschub stetig, wenn auch dürr. Von der Produktion bekamen wir nichts mit, die Leistung, die wir zu erbringen hatten, war die Wacht, die Streife durchs Gelände.
„Wir haben es mit einem Gegner zu tun, der alle Mittel anwendet. Diese Rasse …“, er wischte sich über den Mund, „die Wesen, die auf die Erde gekommen sind, scheinen uns so fremd, dass wir wirklich alles in Betracht ziehen müssen. Wir kämpfen hier an allen Fronten, Freunde!“
Pecho gluckste, Kinky kratzte sich übers Kinn, als er sinnierte: „Man munkelt, dass das Ganze überhaupt keine außerirdische Invasion ist.“
„Vollkommener Quatsch!“ Morx überlegte, ob er noch vom Käse nehmen sollte.
„Habich aber auch gehört.“
Pecho, dachte ich bei mir. Du wirst noch zum Helden werden.
„Was habt ihr gehört? Diese Märchen von Tierversuchen, die schief gelaufen sind? Chimären?“ Er würgte das Wort hervor. „Killerinsekten, die Menschen mit einer Krankheit infizieren, die im Labor hergestellt wurde?“
Er hatte sich entschieden. Er säbelte ein großes Stück ab und schob sich den Käse in den Mund. Er schien nicht zu wissen, dass dies hier von unserer Ration abging. Oder es war ihm egal.
„Was genau habt ihr gehört, Freunde?“
Kinky war, wie gesagt, Buchhändler gewesen, er wusste eine Menge. Sein Doppelkinn zitterte, als er sprach.
„Es ist von Versuchen die Rede, die Blut-Hirn-Schranke leichter zu überwinden.“
Pecho lachte schon wieder, doch Morx war still. Er sah zu mir.
„Das ging schon eine ganze Weile so“, fuhr Kinky fort. „Kein großes Ding. Man hat schon ein paar Jahre daran experimentiert, neurologische Krankheiten besser mit Medikamenten behandeln zu können.“
„Ah, ein Experte“, ätzte Morx.
Kinky winkte ab und lehnte sich zurück. Er war der Schöngeist der Gruppe, aber ich hoffte für ihn, dass er sich jetzt nicht verbrannte.
„Und wie geht es weiter?“
„Weiß ich nicht. Alles andere sind Spekulationen. Vielleicht ist ein Stoff hergestellt worden, der so rasend schnell ins Hirn geht und …“ Er schluckte und griff sich mit der Hand an den Hals. Für einen Moment dachte ich, ihm wäre schlecht. Doch er fuhr fort: „…aus den Menschen das macht, was er aus ihnen macht.“
Er sackte zusammen, als hätte er körperliche Arbeit geleistet. Morx lehnte sich ebenfalls zurück, allerdings schien er aufzuleben.
„Und das zielgerichtete Benehmen der Infizierten?“
„Tja.“
„Das kommt erst später, ich weiß. Trotzdem gibt es für die Infektion einen Grund, wie mir scheint.“
Kinky lachte freudlos. „Zielgerichtetes Benehmen? Bei allem Respekt, die einen rennen durch die Gegend, die anderen stehen nur rum.“
„Zu einem Zweck, den wir noch nicht kennen.“
„Jetzt sehen aber Sie Gespenster, die nicht da sind. Wenn ich mir die Toxoplasmose anschaue, dann haben wir ein ähnliches Bild.“
Morx stöhnte auf. „Kleine, wilde Tierchen, die das Rückenmark raufkrabbeln. Kommen Sie, das ist doch ein alter Hut!“
Kinky sah die Zeichen nicht, den sich ankündigenden Sturm. Er fuhr unbeirrt fort: „Der Parasit der Toxoplasmose ist ein Protozoon, dessen Endwirt Katzenartige sind. Es gab Wissenschaftler, die der Meinung waren, dass er das Verhalten seiner Zwischenwirte dahingehend beeinflusst, dass sie in die Nähe von Katzen streben.“
„Is ja cool, Mann“, kam es von Pecho. „Wie ham die das gemacht?“
„Es wurden Verhaltensänderungen bei Infizierten nachgewiesen. So verloren sie die natürliche Scheu vor Katzen. Es wurde bewiesen, dass Menschen risikobereiter handeln, auf der anderen Seite wurden ihre Reaktionen verlangsamt.“
„Das hilft uns nicht weiter“, knurrte Morx. „Ist Walter Frey einer von denen oder nicht?“ Seine Augen blitzten. „Wenn er es nämlich ist, dann ist es vollkommen egal, was er sagt. Dann müssen wir die Wahrheit erfahren.“
„Aber die Möglichkeit ist riesig, dass er etwas anderes ist als infiziert.“
„Verdammt!“ Morx schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Kinky zitterte vor Schreck, Pecho grinste nervös.
„Ihr in eurem kleinen Bunker, ihr lebt euer Leben, als sei nichts geschehen. Ihr bringt einen Tag nach dem anderen rum, die Schwuchtel, der Junkie und der Held.“
Er bedachte jeden mit einem Blick.
„Ihr habt gar keine Ahnung, was draußen vor sich geht, was Sache ist. Ihr sitzt hier und wartet, dass es besser wird. Die wirkliche Arbeit machen andere.“
Stille, die eigentlich ungesund war, dennoch von niemandem unterbrochen wurde. Pecho fiel die Tüte zu Boden, sie machte dabei einen Heidenlärm.
„Ist er nun ein Alien?“, fragte Pecho schließlich.

Ich verließ unseren improvisierten Fitnessraum, als ich Geräusche im Vorratslager hörte. Kinky war auf Patrouille, Morx hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und Walter war nun wirklich ein Gefangener, er saß eingesperrt in seiner Zelle. Demnach musste es Pecho sein, der solchen Lärm veranstaltete.
Ich fand ihn vor einem geöffneten Schrank kniend, wie er die Einmachgläser, die wir aus dem Supermarkt heruntergeschleppt hatten, durchstöberte.
„Pecho?“
Er schaute sich um, ich sah ihm an, dass er schon wieder auf einem Trip war. Ich fragte mich, woher er das Zeug in diesen Mengen bezog. Er musste es mitbringen, wenn er zur Streife eingeteilt war.
„Was machst du da?“
Er grinste mich an und wandte sich wieder den Vorräten zu.
„Du hast deine Streife getauscht“, fuhr ich fort. Eigentlich wäre er heute Nacht an der Reihe gewesen, aber Kinky war losgezogen. Was hatte Pecho nur für einen Grund angegeben, fragte ich mich. Es war nicht das erste Mal gewesen. Oder war der Tausch Kinkys Idee?
Pecho sprang plötzlich auf mich zu, mit seinem verzerrten Gesicht blieb er wenige Zentimeter vor mir stehen. Seine Pupillen schlingerten.
„Pass mal auf, Roberts“, krächzte er. Sein Atem roch schal, ich unterdrückte den Zwang mich wegzudrehen. „Das geht dich überhaupt nichts an! Verstehst du?“ Er drehte sich schwankend wieder um. „Schnauze“, sagte er noch, dann hockte er sich wieder hin und suchte weiter.
„Was suchst du?“, fragte ich so ruhig wie möglich.
Er antwortete nicht, sondern durchsuchte schweigend Fächer des nächsten Schrankes.
Plötzlich stieß er einen Schrei aus, wandte sich mir zu und hielt mir eine Handvoll getrockneter Peperoni hin.
„Das müsste gehen“, sagte er. Ohne weitere Erklärungen räumte er die heruntergefallenen Konserven wieder ein, schloss die Schränke und verließ den Raum.
„Pecho, was willst du damit?“, rief ich ihm hinterher. Doch er antwortete nicht.

Kinky kam gegen Mitternacht zurück.
„Alles ruhig“, sagte er, als er sich auszog, es wurde nachts schon wieder unangenehm kalt. Seine Nase war ganz rot. „Keine Veränderung.“
Auch sein Gesicht zeigte eine leichte Rotfärbung und die blassblauen Augen schienen noch wässriger, als ohnehin. Ich hatte das schon öfter bei ihm beobachtet: Wenn er von seinen nächtlichen Patrouillen zurückkehrte, wirkte er mitgenommen und sah aus, als hätte er geweint.
Ich hatte den Verdacht, dass er Verwandte suchte. Einen Freund, eventuell. Eine Frau eher nicht. Ich war mir beinahe sicher, dass Kinky schwul war, obwohl man das nicht genau sagen konnte.
Wir hatten nur zwei Kolonien von Stehern, die wir regelmäßig während der Streifengänge besuchten. Von den Stehern hatte man keine Gefahr zu erwarten, sie waren vollkommen harmlos, im Gegensatz zu den Schwärmern. Ich hatte selbst schon nach Verwandten unter den Stehern gesucht, war dann aber erleichtert gewesen, niemanden gefunden zu haben.
„Was meinst du“, fragte ich Kinky. „Ist Walter ein Alien?“
Er grinste, als er sich hinter den Tisch fallen ließ.
„Bei Walter bin ich mir nicht sicher. Aber Pecho ist ganz bestimmt einer.“
Unser Lachen klang ein wenig hölzern.

Morx eilte an uns vorüber und schnippte mit den Fingern nach mir, was hieß, ich solle ihm folgen.
Walter schlief noch, als wir in seine Zelle kamen.
„Ich habe Hunger“, murmelte er, nachdem wir ihn geweckt hatten. „Gestern den ganzen Tag nichts gegessen.“
Morx machte eine ungeduldige Handbewegung.
„Kommen Sie, Walter. Setzen wir uns.“
„Was ist mit der Morgentoilette?“
„Dafür haben Sie später Zeit.“
Wir nahmen Platz, Walter als letzter, mit wirrem Haar, unrasiert. Er machte keinen guten Eindruck.
„Sie haben uns gestern eine schöne Geschichte erzählt“, begann Morx, während er seinen Handkoffer öffnete. „Jetzt ist die Reihe an mir.“
Er holte etwas aus der Tasche und legte es auf den Tisch: Zwei getrocknete Paprikaschoten.
Ich sog scharf die Luft ein. Walter schaute ungläubig auf das Gemüse, dann auf Morx, der keine Miene verzog.
„Die Geschichte handelt von einem Mann“, fuhr Morx fort. „Wie wollen wir ihn nennen? Walter? Ja, ich denke, das ist ein passender Name.“
Er lehnte sich zurück, Walter wirkte angespannt und nervös.
„Lassen wir es so sein, dass Walter mit seiner Familie Urlaub auf dem Land macht, das ist nicht die Hauptsache. Lassen wir weiterhin Walters Familie von diesem Drecksregen infizieren. Der Unterschied zu Ihrer Geschichte folgt: Walter kommt nicht davon, er wird ebenfalls infiziert.“
„Nein!“
„So geht meine Geschichte, Walter. Aber sie fängt schon viel früher an.“
Er begann die Paprikaschoten zwischen seinen Fingern zu zerreiben. Sie waren knochentrocken, es knisterte, als sie zu feinem Staub zerrieselten.
„Wir wissen längst nicht alles, was vor sich geht, uns fehlen die Geräte, schmerzlich vermissen wir das Netz. Wir wissen, dass der Regen aus den Menschen, die mit ihm in Kontakt geraten, dämliche Zombies macht. Die Steher haben Ketten um bestimmte Gebäude gebildet, berühren diese mit den Handflächen und scheinen sie mit Energie aufzuladen. Weiß der Himmel, woher sie Nährstoffe beziehen, aber sie stehen dort Tag und Nacht.“
Er hatte die Schoten zu feinem Pulver zerrieben, nichts anderes war übrig. Vorsichtig schob er den Staub zu einem kleinen Häufchen zusammen.
„Die Schwärmer sind gefährlicher. Sie durchstreifen die Gegend und infizieren jeden, der in ihre Nähe kommt. Die sind zuständig für die regenfreie Zeit, sozusagen.“
Er lächelte.
„Kein Tier, kein anderes Wesen scheint von diesem Virus befallen zu werden. Nur der Mensch.“
Wir beide, Walter und ich, hörten zu, obwohl das doch bekannte Fakten waren.
„Jetzt haben wir schon länger die Vermutung, dass es eine dritte Form der Infektion geben muss. Eine, die zu Denken und vernünftigem Handeln imstande ist. Was meinen Sie, Mac, ist das plausibel?“
Ich hatte fasziniert beobachtet, was er mit den Paprikaschoten veranstaltete.
„Ja“, antwortete ich mit brüchiger Stimme. „Irgendjemand …irgendjemand muss organisieren. Das hier kann nicht alles sein.“
Morx sah auf und blickte Walter an. Der starrte vor sich hin. Stille.
Irgendwann sagte Walter: „Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen. Ich habe Ihnen erzählt, wie es abgelaufen ist. Mehr als einmal war ich nahe dran zu krepieren. Aber es gab immer wieder einen Laden oder so was, wo ich Essbares fand.“
„Sie sind infiziert, Walter. Sie sind mit Ihrer Familie infiziert worden.“
„Nein!“
„Und wurden dann ausgewählt, unsere Verteidigungsanlagen auszuspähen.“
„Nein, was denken Sie?“
Walter wollte aufspringen, Morx hielt ihn zurück.
„Wissen Sie, wie man das in der Sprache der Geheimdienste nennt?“
„Ich bin nicht infiziert, glauben Sie mir! Ich bin nicht infiziert.“
„Doppelagenten“, spie Morx aus. „Der Abschaum, die Verräter. Die Niederen der Niedersten!“
Wieder Schweigen, Walters Kiefer mahlten. Ich wusste noch immer nicht, weshalb Morx mich mit hier hinein genommen hatte.
Walter begann leise zu weinen und Morx steckte seinen Daumen in den Mund.
„Ich werde Sie dazu bringen, uns alles zu verraten, was Sie über die Außerirdischen wissen“, sagte er ruhig, während er seinen Daumen betrachtete. Er senkte ihn und legte ihn auf das Häufchen mit dem Schotenpulver. Walter beobachtete, was er trieb, ich war ebenso atemlos. Morx lächelte noch immer.
„Halten Sie ihn fest, Mac!“
Ich begriff nicht.
„Mac!“, brüllte Morx plötzlich. „Halten Sie den verdammten Mann fest!“
„Ich …“ Ich war nicht darauf gefasst gewesen, nicht auf seinen Befehl, auch nicht auf den Ausbruch von Morx.
„Warum?“, fragte ich blöde.
„Halten Sie ihn fest!“ Speichel spritzte von Morx’ Mund.
Ich zögerte noch immer, Walter blickte mich ausdruckslos an.
„Pecho!“, schrie Morx.
Die Tür flog auf und der Mexikaner stürzte in den Raum.
„Halt den verdammten Kerl fest!“
Pecho mochte wunderlich sein, aber er war stark und er erfasste die Lage sofort.
Er stürzte zu Walter und nahm ihn in die Zange, so dass der sich nicht bewegen konnte.
Morx griff mit einer Hand in Walters Haare und riss seinen Kopf zurück, Walter schrie auf.
Er streckte seinen Daumen – den, der noch immer mit dem Schotenpulver bedeckt war – über Walters Gesicht, legte ihn auf das linke Auge und begann zu reiben.
Walter brüllte auf, er schüttelte sich und versuchte, Pecho loszuwerden.
Morx sprang zurück und machte eine Geste zu dem Mexikaner. Walter fiel schreiend vom Stuhl, krümmte sich auf der Erde und hielt sein Gesicht. Er trat wild um sich, doch wir alle waren nach hinten gewichen.
Nun lag er wie ein verletzter Käfer in unserer Mitte, wurde langsam ruhiger und jammerte schließlich nur noch.
„Was haben Sie getan“, weinte er. „Was haben Sie mir angetan?!“
Morx stand über ihm und sprach ihn an, wie man mit einem Schakal spricht: „Sie können sich jetzt um Ihre Morgentoilette kümmern, Walter. Wir schauen später noch mal herein.“
Damit drehte er sich um und verließ wortlos den Raum, gefolgt von Pecho. Ich kniete mich zu Walter hinab und wollte ihm helfen. Sein Jammern war fast erstorben, doch er musste noch ungeheure Schmerzen haben, denn er rieb sich noch immer verzweifelt das Auge.
„Oh Gott“, stöhnte er.
„Warten Sie“, sagte ich. „Reiben Sie nicht zu sehr daran herum, ich hole Wasser und einen Lappen.“
Damit stand ich auf und wollte hinauseilen, doch in der Tür stand Morx.
„Sie werden nichts tun, Roberts“, sagte er kalt. „Walter wird sich allein helfen müssen.“
„Wir können ihn doch nicht …“
„Doch, wir können.“ Pecho lachte. „Wir müssen sogar.“
Damit drängte er mich aus dem Raum und schloss hinter mir die Tür, während Pecho darauf wartete, sie versperren zu können.
Als wir den Flur hinuntergingen, zischte Morx mich an: „Wagen Sie nicht, sich noch einmal einzumischen! Sie machen alles zunichte!“
Ich spürte, wie sich etwas in meinem Körper aufputschte. „Ich?“
Wir waren stehengeblieben und verharrten wie zwei wütende Hunde.
„Sie quälen hier einen Menschen! Einen Menschen, verdammt! Glauben Sie, ich schau da einfach zu?“
Morx’ Gesichtszüge entspannten sich. „Roberts“, sagte er. „Nun machen Sie hier nicht auf humanistisch. Wir sind im Krieg, vielleicht haben SIE das noch nicht mitbekommen. Unbekannte Mächte sind dabei, die menschliche Rasse auszurotten. Wir wissen nicht, wer das tut und wir wissen schon gar nicht, aus welchem Grund.“
„Das ist mir nicht entgangen“, spuckte ich zurück. Pecho lachte wieder hinter mir. „Wenn wir aber auf diese Art und Weise unsere Sitten verrohen lassen, dann können wir den Kampf gleich aufgeben.“
„Wie dem auch sei“, murmelte Morx und wandte sich zum Gehen. „Ich möchte nicht, dass das hier noch mal vorkommt!“
Damit ging er davon, den verrückten Mexikaner im Schlepptau.
Er drehte sich noch einmal um und rief: „Wir machen zum Mittag mit der Befragung weiter. Der Gefangene bekommt zu essen und zu trinken und die Möglichkeit, sich zu waschen.“
Dann verschwand er und Pecho mit einem Blick auf mich hinterdrein.

Punkt dreizehn Uhr stand er ungeduldig vor der Zellentür. Morx wollte mich unbedingt bei dem Verhör, wie er es nannte, dabei haben. Ich wusste erstens nicht, was er mit mir dabei wollte, zweitens konnte ich hinterher nicht sagen, warum ich überhaupt mit hineingegangen war. Vielleicht wollte ich das Gröbste zu verhindern versuchen.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte Morx, als wir drei wieder an einem Tisch saßen. Pecho musste, obwohl es ihn ärgerte, draußen bleiben.
Walters linkes Auge war rot zugeschwollen und wenn er es bewegte, schien er Schmerzen zu haben.
„Lassen Sie mich hier raus!“, knurrte er.
„Das kann ich nicht.“ Morx schien aufgeräumter Stimmung zu sein. Er hatte zu Mittag gegessen und sich danach für eine halbe Stunde hingelegt.
Ich für meinen Teil konnte nicht sagen, dass es mir gut ging. Während wir zusammen hockten, hatte ich versucht, Morx zu durchschauen, wie er so dasaß und jeden Bissen gründlich kaute. Es schien, als hätte er Spaß an dem ganzen Spiel.
Morx begann wieder in seinem Köfferchen zu kramen, Walter wurde unruhig. Ich wünschte, er hätte mich in seine Pläne eingeweiht gehabt, aber das war wohl zuviel verlangt, wenn man bedachte, dass ich mich am Morgen gegen ihn aufgelehnt hatte.
„Wir waren uns doch einig, wie der Stand ist“, fuhr Morx fort, abgelenkt durch den Inhalt der Tasche. „Ich will nun von Ihnen wissen, was, im Großen, hier vor sich geht.“
Er klappte den Koffer zu und hielt zwei Nadeln in der Hand, nicht stark, ein wenig länger als Nähnadeln. Wusste der Teufel, woher er die hatte.
Als er sie ordentlich vor sich auf den Tisch legte, sah ich, wie sie sich in seinen Augen spiegelten.
„Hören Sie“, sagte Walter hastig. „Ich will Ihnen gerne helfe, aber Sie haben sich da in etwas verrannt. Ich bin ein einfacher Mann. Ich habe meine gesamte Familie verloren, und ich will nur noch das letzte bisschen Leben. Hören Sie…“
Er begann zu schluchzen. Walter Frey war am Ende, und auch wenn ich nicht wusste, ob er jetzt ein feindlicher Agent war oder nicht, er tat mir Leid.
Morx’ Stimme war so unbeteiligt, als spräche er übers Wetter. „Sie können wissen, Walter, ich bin nicht allein. Der Widerstand gegen die Fremdherrschaft hat sich sofort nach dem Beginn der Invasion formiert.“
Mit spitzen Fingern griff er sich eine der Nadeln und führte ansatzweise vor, was er damit beabsichtigte. Er tat dies an seiner linken Hand am Nagel des Mittelfingers.
Walter schluckte, er schien noch kleiner geworden zu sein.
„Ich weiß nichts“, jammerte er.
„Erinnern Sie sich!“, forderte Morx. „Sie müssen sich erinnern! Was ist mit Ihnen geschehen, nachdem Sie infiziert waren?“
„Ich wurde nicht infiziert!“ Wut mischte sich in die Verzweiflung.
Morx hatte die Nadel wieder neben die andere gelegt. Seine Hände ruhten auf dem Tisch und er sah Walter erwartungsvoll an.
Ich fragte: „Kann man nicht anatomisch feststellen, ob er infiziert ist?“
„Ich sage doch, uns fehlen die speziellen Geräte. Wir haben zwar Theorien, was im Körper geschieht, aber wir können sie nicht beweisen. Walter hier“ – er wandte sich um – „Walter ist das erste Exemplar seiner Art, das uns in die Finger geraten ist.“
„Aber wäre es nicht besser, ihn zu untersuchen, bevor man ihn befragt?“
Morx schaute mich lange an. Es schien, als überlege er, doch ich wusste es besser. Er tat alles, um die Spannung zu erhöhen.
„Sie haben Recht, Mac“, sagte er endlich. „Aber dazu müssten wir ihn in den Zentralbunker schaffen und das können wir nicht riskieren, wir wissen nicht, wie die Läufer reagieren, wenn er draußen ist. Diese einmalige Chance, dass er hier drinnen gefangen ist, können wir uns nicht entgehen lassen. Um die Wahrheit zu sagen, wir haben schon seit einiger Zeit damit gerechnet, dass so einer hier auftaucht.“
Walter saß reglos mir gegenüber und sein Blick hing irgendwo über meiner Schulter.
Er blieb auch weiterhin stumm, als Morx sagte: „Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, Walter. Haben Sie etwas gelernt aus unserem Gespräch heute früh?“
Stille.
„Nun?“
Keine Antwort. Die einzige Bewegung Walters war ein angestrengtes Schlucken.
„Ich habe gestern noch einmal den Zentralbunker kontaktiert.“
Ich bekam das Gefühl nicht los, dass er nicht zu Walter sprach.
„Die Gegend, aus der Sie zu kommen vorgeben, Walter, ist schon seit einem halben Jahr menschenleer. Außer einigen Horden Schwärmer, die dort ihre Runden ziehen, gibt es Quadratmeilen nichts, was menschlichem Leben auch nur entfernt nahe käme.“
Walter drehte seinen Kopf zu Morx. Ein Schleimfaden zog sich zwischen Nase und Mund hinab.
„Vielleicht war ich woanders unterwegs“, sagte er müde. „Ich bin hin- und hergeirrt.“
„Wenn mir das passiert wäre, ich würde sicher nach der ersten Panik planvoll vorgehen. Was waren Sie von Beruf, bevor das hier alles losging?“
„Ich hatte ein Geschäft zusammen mit meiner Frau.“
„Was für ein Geschäft?“
„Eine Boutique.“
„Und wie war das auf dem Bauernhof, Walter, zusammen mit Ihrer Frau, als Sie infiziert wurden?“
„Meine Frau – ich nicht.“
Morx klatschte mit den Handflächen auf die Tischplatte. Walter schrak zusammen.
„Ich habe es satt“, brüllte Morx. „Ich werde die Handschuhe ausziehen.“
Er sprang auf und Walter duckte sich. Doch Morx lief an ihm vorbei zur Tür, riss sie auf und winkte Pecho herein, der davor gewartet haben musste.
Keiner sagte ein Wort, doch wusste Pecho genau, was er zu tun hatte.
Er nahm ein Seil, das er über den Arm mit hereingebracht hatte, und schlang es Walter um den Leib. Er fesselte den Mann so behände, als wäre dies früher sein Beruf gewesen. Er band ihn so fest, dass Walter sich nicht bewegen und nichts anderes tun konnte, als den Mexikaner entgeistert anzustarren.
Pecho setzte sich schließlich aufs Bett und sah zu uns herüber.
Morx machte keine Anstalten, ihn hinauszuschicken, was mich besonders beunruhigte. Walter zitterte. „Ich habe alle Vollmachten von meinen Vorgesetzten“, flüsterte Morx. Dann zu Pecho: „Ich brauche seine Hand!“ Der sprang auf und kam herüber. Er löste einen Teil von den Fesseln und riss Walters rechten Arm nach oben, knallte ihn auf den Tisch und versuchte, ihn so zu fesseln. Als ihm dies nicht gelang, stürzte er aus dem Zimmer und kam gleich darauf wieder zurück, eine Rolle Paketklebeband dabei. Damit fixierte er Walters Hand auf der Tischplatte und legte dem Arm noch zusätzlich Fesseln an. Walter ließ alles mit sich geschehen, er wirkte abwesend. Pecho blieb, trotzdem er seine Arbeit getan hatte, im Zimmer.
„Pecho“, sagte ich. „Was denkst du, wie er mit dir umgehen wird, wenn er mit Walter fertig ist?“
Der Mexikaner reagierte nicht.
Morx meinte: „Halten Sie den Mund, Mac! Denken Sie, mir macht das Spaß?“
„Sie sind wahnsinnig, Morx! Sie denken, weil Sie einem Wesen Leid antun, könnten Sie die Menschheit retten? Lächerlich!“
„Ich weiß, dass es so ist, Mac. Ich bin mir sicher. Und langsam mache ich mir Gedanken, auf welcher Seite Sie wohl stehen in unserem Kampf.“
Ich schwieg. Er hatte mir mit einem Satz klargemacht, wie brüchig der Boden war, auf dem ich mich bewegte. Wenn die Stimmung kippte, war es nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass ich mich auf Walters Stuhl wiederfand.
Morx war zufrieden und wandte sich wieder Walter zu.
„Was haben Sie uns nun zu sagen, Walter?“
Walter weinte. Müde hob er den Blick und sah Morx mit dem gesunden Auge an. „Ich weiß nicht, was Sie hören wollen.“
„Ich will wissen, wer Ihre Herren sind. Ihre Strippenzieher.“
„Ich bin nicht infiziert.“
Mit einer schnellen Bewegung griff Morx nach Walters Hand, obwohl er die ja nicht bewegen konnte. Er nahm eine Nadel und führte sie zum Zeigefinger.
Walter wurde panisch, er zerrte an seinen Fesseln und versuchte, die Hand zu befreien. Schließlich begann er haltlos zu schreien.
Ich wollte aufspringen und zu den Beiden stürzen, doch als ich aus den Augenwinkeln sah, wie Pecho hochschnellte, wusste ich, weshalb er im Raum geblieben war. Mit zwei Sätzen war er bei mir, drängte mich zurück auf den Stuhl und hielt mich so im Schwitzkasten, dass ich kaum atmen konnte.
„Ganss ruhig“, zischte er viel zu nah an meinem Gesicht. „Ganss ruhig!“
Sein Atem roch nach Knoblauch und einem weiteren Gewürz, das ich nicht identifizieren konnte.
„Nachdem wir das geklärt haben“, sagte Morx zufrieden, „können wir ja fortfahren.“
„Hören Sie, ich weiß wirklich nichts, ich weiß doch nichts, Sie sind …“
Das durchdringende Kreischen, mit dem er sich selbst unterbrach, zeigte, dass Morx begonnen hatte. Ich hatte die Augen zugekniffen, aber Pechos widerliches Lachen direkt an meinem Ohr brachten mich dazu, sie wieder zu öffnen.
Es war nichts Spektakuläres an der Szene, außer Walters Reaktion. Er konnte die Hand noch immer nicht bewegen, Morx schob die Nadel fester unter den Nagel des Fingers, ein Lächeln um seinen Lippen.
Walters Körper bäumte sich auf, er brüllte.
„Verdammt!“ Morx machte ein ärgerliches Gesicht, sah zu mir herüber und zeigte das Stück der Nadel. „Abgebrochen, verdammte Sauerei.“
Ich schwöre, trotz Walters Schreie hatte ich das Metall brechen hören.
„Pecho!“ Morx machte eine Handbewegung, der Mexikaner lief hinüber. „Halte den verdammten Kerl fest!“
Er hatte zu tun, das Nadelende unter Walters Fingernagel hervorzubekommen. Mit spitzen Fingern griff er danach, doch die Nadel saß zu tief, sie rutschte ihm durch die Kuppe.
Morx löste den Klebestreifen und klemmte sich Walters Hand unter den Arm. „Halt ihn fest, verdammt!“
Schweiß war auf seine Stirn getreten, während er Walters Finger hin- und herbog.
„Zange“, zischte er mir zu. „Zange, sofort!“
Ich sah Blut unter dem Nagel hervorquellen, durch Zufall fing ich einen Blick Walters auf. Er schien kurz davor, aufzugeben.
Ich lief hinaus. Als ich endlich gefunden hatte, was ich suchte, als ich mit der Zange zurückkehrte, war Walter in Ohnmacht gefallen.
Morx packte – wie ein Monteur zum Feierabend – seine Nadeln ein. Er wischte sie sorgfältig ab und verstaute sie anschließend in seinem Koffer und klappte ihn vorsichtig zu.
„Binde ihn los“, sagte er zu Pecho, als er den Raum verließ.

„Das können Sie nicht machen, Morx“, zischte ich.
Er schnellte herum.
„Was kann ich nicht tun, Roberts?“ Unsere Nasen berührten sich beinahe. Er musste sich herabbeugen zu mir. „Was glauben Sie, wer Sie sind?“
Ich spürte seinen Atem; außer dass er warm über mein Gesicht strich, fiel mir nichts auf.
„Wer gibt Ihnen das Recht, so zu agieren?“ fragte ich in halbwegs ruhigem Ton, um die Situation nicht anzuheizen.
Morx’ Gesicht glühte, er richtete sich wieder auf und ein wenig zitterte seine Stimme, als er sagte: „Wissen Sie, wen Sie vor sich haben?“
Nein, dachte ich bei mir. Weiß ich nicht. Ich wusste weder, was Morx vor der Katastrophe getan hatte, noch wo er hergekommen war.
„Haben Sie den Hauch einer Ahnung, wie unsere Hierarchie aufgebaut ist?“
Ach ja, die Hierarchie! Gerüchte gab es natürlich zuhauf über Morx. Es hieß, er hätte bei dem ersten Regen seine gesamte Familie verloren. Andere behaupteten, er selbst hätte sie ausgelöscht.
„Ich bin dem Vizepräsidenten persönlich unterstellt.“
Der Präsident war irre geworden, hieß es. Nicht durch den Regen, sondern durch die Situation. Einfach überfordert, der Mann, hatte sich aufgegeben und einem Anderen Platz gemacht.
„Der Vizepräsident gibt Ihnen das Recht, Menschen zu foltern?“
„Er ist kein Mensch.“
„Beweise!“
„Jetzt machen Sie mal halblang, Roberts. Wir in der Zentrale sind uns einig, dass wir mit allen Mitteln arbeiten müssen, wenn wir an Informationen gelangen wollen.“
Da saßen die alten, verbitterten Männer im Zentralbunker, führten aus sicherer Distanz Krieg gegen einen Feind, den sie nicht kannten.
Es hat sich gar nichts geändert, dachte ich. Es ist alles beim Alten geblieben.
„Mit allen Mitteln, verstehen Sie.“
Die alten Männer mit ihren Komplexen waren immer an der Macht. Oder war es umgekehrt? Wurden die Männer, nachdem sie an der Macht waren, alt und komplexbeladen?
„Es steht viel auf dem Spiel.“
Ich hörte ihm gar nicht mehr zu, murmelte abwesend: „Es steht immer viel auf dem Spiel.“
Er verschwand und ich war abermals unterlegen.

Ich traf Pecho in den Duschen, sein Gehabe zeugte von einem neuerlichen Rausch. Seine Augen schwirrten unruhig umher, er sah überall hin, nur nicht auf mich.
„Ach, Scheiße, Mann“, zischte er und versuchte, sich an mir vorbeizudrängen. Dabei streifte er in seiner Hektik meine Seite und strauchelte gegen die Fliesen.
Er sah mich mit großen Augen an und nölte: „Soll’n das, Mann? Was soll das? Hab dir nix getan, nie.“
Während er weiterging, sah er sich um, als sei ich sein Feind.
Er war unsicher auf den Beinen, er musste sich abstützen und stieß trotzdem an. Seine Bewegungen waren fahrig, er ruderte mit den Armen; er war ein Wrack, das dabei war, abzusaufen.
Plötzlich lachte er auf und fuhr sich durch die fettigen Haare. Die Geste hatte etwas Automatenhaftes.
„Pecho“, sagte ich. „Leg dich ins Bett!“
Dann, mit einem Schlag, war seine Agilität dahin, als wäre ein Vorhang gefallen. Er lehnte sich erschöpft gegen die Wand, schloss die Augen und rutschte langsam nach unten. Dabei versuchte er, sich blind irgendwo zu halten und erwischte den Duschhahn. Das Wasser kam nicht tröpfelnd, sondern schoss eiskalt heraus. Ich konnte eben nach hinten ausweichen, doch Pecho war sofort durchnässt. Bis auf ein kurzes Zusammenzucken und ein Stöhnen zeigte er keine Reaktion. Er saß auf dem Boden und es war nicht zu erkennen, ob er weinte.
Ich drehte den Hahn zu, Wasser war kostbar.
„Geh zu Bett, Pecho!“
„Im Arsch“, wimmerte er. „Wir sind alle im Arsch.“
Er weinte tatsächlich, seine harten, verlebten Züge hatten einen kindlichen Ausdruck bekommen. Mir schien, ich erlebte einen seltenen klaren Moment des Mexikaners.
Ich hievte ihn hoch, er stank zum Gotterbarmen aus dem Mund.
„Lass mich, Mann!“ Er hatte die Augen geschlossen. „Alles vorbei.“
Ich schleppte ihn in sein Zimmer und als uns auf dem Flur Kinky begegnete und schweigend mit anpackte, wurde mir klar, dass wir drei uns überhaupt nicht kannten, obwohl wir über ein Jahr zusammenlebten

Die Nacht war frisch, klarer Himmel, nicht mehr als fünf Grad. Ich hatte die Streife für heute und war froh, etwas Zeit für mich zu haben.
Schwärmer waren ganz selten im Dunkeln unterwegs, wenn es nicht regnete, war man um diese Zeit relativ sicher.
Ein leichter Wind wehte, als ich unseren Bunker vorsichtig verließ. Er brachte einen fauligen Geruch mit sich, den wir seit der großen Katastrophe häufig rochen. Vielleicht rührte er von den Stehern her.
Im Gegensatz zu der Situation unten in unseren Räumen war hier draußen die Geräuschkulisse geradezu enorm. Die bewegten Luftmassen waren ständig zu hören, es knackte und knirschte allerorten, um zu demonstrieren, dass die Tageswärme sich ins All verflüchtigte.
Nicht zuletzt die Tiere, die sich hier in der Stadt einen neuen Lebensraum erobert hatten, verursachten Laute, die sich in das Meer aus Tönen einbettete.
Aber hier hatte ich trotzdem meine Ruhe.
Darauf bedacht, möglichst wenig zum Klangteppich beizutragen, ging ich die Chester-Road hinunter. Ein Industriegebiet, in dem es zu seinen besten Zeiten lebhaft zugegangen war. Kleine Firmen, Handwerker hatten hier ihren Sitz gehabt, auf den verwahrlosten Straßen zeugten Firmenwagen und Lieferfahrzeuge davon.
Die Chester-Road mündete in die Schnellstraße, die aus der Stadt herausführte. Wie Kuchenkrümel fanden sich vereinzelte Fahrzeuge auf den drei Spuren, sie schienen zu schlafen. Oder gestorben zu sein.
Als ich auf der Schnellstraße unterwegs war, breitete sich der Nachthimmel über mir aus und ich wurde mir meiner Winzigkeit bewusst. Von diesem Gedanken zu dem der vollkommenen Einsamkeit war es nicht weit.
Wir waren vielleicht einige Hundert, die das Inferno hier überlebt hatten. Wir hatten noch immer keinerlei Kontakt zu Gruppen woanders auf der Welt. Zu sagen, unsere Zukunft wäre ungewiss, grenzte an Selbstbetrug. Wir wussten nicht, was geschehen war, also konnten wir nicht einmal ahnen, wo es hinging.
Und wir waren schon wieder dabei, uns gegenseitig zu zerfleischen.
Offenbar war es Tatsache, dass der Mensch nicht anders konnte, sich über seinesgleichen zu erheben, Hierarchien zu errichten, um damit Standesunterschiede zu manifestieren. Vielleicht lag es in unseren Genen; eben die Eigenschaft, die uns über andere Spezies erhoben hatte, würde uns nun gänzlich in den Abgrund zerren.
Wer konnte mir helfen in dieser Situation? Pecho ganz sicher nicht, ich fürchtete, auf Kinky konnte ich auch nicht zählen. Doch was sollte ich tun? Mich auf die andere Seite schlagen und von der Annahme ausgehen, dass Walter ein Spitzel der Außerirdischen war? Was, wenn er es wirklich war? Wenn er tatsächlich infiziert war und sich verstellte?
Auch eine Eigenschaft, welche die Menschheit bis zur Perfektion verbessert hatte. Mimikry – vielleicht war es auch Morx, der sich verstellte?
Gab es die Invasion überhaupt? Gab es die Außerirdischen? Stammte die Infektion von der Erde, erzeugt von uns selbst, von den Menschen? Was gibt es überhaupt, wovon kann man sicher ausgehen?
Der Mond beleuchtete die Szenerie, ließ Schatten von den vereinzelten Autowracks wachsen und verbreitete so etwas wie eine feierliche Stimmung. Es fiel schwer, sich den allgegenwärtigen Straßenlärm, die abgasgeschwängerte Luft über dem Asphalt und die aufgeregte, hektische Geschäftigkeit vorzustellen, die hier vor gut einem Jahr geherrscht hatte.
Autos, die vorüberrasen und gelegentlich hupen, Ampeln, die viel zu schnell auf Rot schalten, ein Radfahrer, der sich in das Gewusel gewagt hat.
Alles vorbei! Stattdessen von bleichem Licht beschienene Fahrzeugleichen, eine beängstigende Leere und Ruhe, die vom Geräusch meiner Schritte auf dem Asphalt durchdrungen wurde.
Die Medaille hat immer zwei Seiten. Ich hatte gelitten unter dem Lärm der Straße, der Hektik, der Rücksichtslosigkeit, die in der Stadt herrschten. So gesehen hatte ich wenigstens ein Gutes an diesem ganzen Unglück entdeckt.
Beinahe übergangslos, in einer Seitenstraße, begann die Stadt mit Einfamilien-Reihenhäusern, vor denen fast ausnahmslos jeweils ein Auto stand – die Katastrophe kam an einem Wochenende.
Ich lief an den Häusern vorbei, alles ruhig. Es war die reine Routine, die unsere Rundgänge prägte. Wir hatten uns angewöhnt, stets dieselbe Runde abzulaufen. Welche die anderen Beiden bevorzugten, wusste ich nicht, wichtig war, dass wir die zwei Kolonien der Steher ansteuerten, um zu kontrollieren, dass alles beim Alten war.
Jede Nacht, immer ein anderer.
Als ich über den Swinton-Place ging – gutbürgerliche Gegend, die seit über hundert Jahren ihren zurückhaltenden, vornehmen Charme zur Schau trug – bemerkte ich eine Bewegung im Mondschatten der Platanen.
Mit der Routine des geübten Jägers stoppte ich sofort jede Bewegung und hoffte, der oder das Andere wäre weniger aufmerksam als ich.
Wie gesagt, Schwärmer waren des Nachts sehr selten unterwegs, dass man sie einzeln antraf, war ebenso unwahrscheinlich. Aber diesen geringen Prozentsatz herauszufordern und damit leichtsinnig eine Infizierung zu riskieren, wollte ich vermeiden.
Ich hielt die Luft an, mir tränten die Augen. Dann bewegte sich der Andere wieder. Offenbar hatte er mich noch nicht bemerkt.
Ich stand ziemlich offen auf dem Platz, die nächste Deckung war eine Parkbank, verwittert und übernommen vom Moos, ungefähr fünf Meter entfernt.
Ich überlegte, ob ich es wagen sollte, zu der Bank zu hechten, als sich der Andere aus dem Schatten löste und ins Licht trat.
Es war ein Hund, ein besonders großer, eine Rottweilermischung mit lädiertem Fell und hängenden Seiten. Einer der wenigen, die überlebt hatten. Den hier hatte ich schon einmal gesehen, schon aus der Tatsache heraus, dass er sich gegen andere Tiere durchgesetzt hatte, zeigte, dass er gefährlich war.
Das Tier trabte langsam über den Platz, sog die Luft durch die Nase ein und war wachsam und gespannt.
Ich bewegte mich nicht, doch ich hatte Glück: Der Wind stand in meine Richtung, so dass er keine Witterung von mir bekam.
Er verließ den Platz, als träte er von einer Bühne ab. Ich atmete erleichtert aus und schlich mich in den Schatten, wo ich eine Weile ruhig ausharrte.
Wir hatten im Bunker eine gesonderte Kammer eingerichtet, eigentlich war es ein größerer Schrank, in dem wir vier kleinkalibrige Pistolen aufbewahrten, die uns vor einem dreiviertel Jahr vom Zentralbunker zugewiesen worden waren. Die lagen darin, eingeschlossen, geladen, aber bis heute unbenutzt, weil wir drei der Meinung gewesen waren, sehr gut darauf verzichten zu können.
Das war eine andere Zeit gewesen.
Nach einer angemessenen Weile schlich ich weiter. Hier, in diesem Viertel, spielten die meisten meiner Erinnerungen an die Stadt. Vor dem GAU. Ich hatte hier gelebt, hatte eine glückliche Zeit und das Leben lag in voller Unberechenbarkeit vor mir. Vor uns, so dachten wir. Ich hatte gerade meine spätere Frau kennengelernt.
Es schien, als seien gerade diese alten Fassaden prädestiniert, Grünem Halt zu bieten. Es hatte sich allerlei Flora an den Wänden angesiedelt, auf den Gehwegen und dem Fahrdamm sowieso. Und, wie die Natur nun einmal war, hatte sie auch genügend Vertretern der Fauna hier Platz geboten.
Die erste Kolonie der Steher hatte ein achtstöckiges, freistehendes Bürogebäude eingekreist. Sie standen Schulter an Schulter, die ausgestreckten Handflächen auf die Fassade gelegt. So umspannten sie das gesamte Gebäude, bewegten sich nicht, standen nur mit geschlossenen Augen da.
Frauen, Männer, Junge, Alte. Alles vertreten. Die einzelnen Personen glichen sich allerdings durch die Zeiten an. Wurden angeglichen, indem die Umstände und die Witterung alle Unterschiede tilgten.
Die Haut war – wo nicht mit Wunden oder Pilzen übersät – blass und fahl, die Kleidung der Menschen hing lose herab, auch hier hatten die Elemente daran gezerrt und einen Auflösungsprozess in Gang gesetzt. In einem: die Menschen waren keine. Tote Hüllen, nicht mehr.
Ich tat es wie jedes Mal, ich ging in Ruhe einmal um das Gebäude herum.
Geistlose Details fielen mir auf: Ein Junge, schwer zu schätzen, wie alt, vielleicht fünfzehn oder sechzehn, hatte ein Basecap auf, das leicht verrutscht war. Schimmelpilze über seinem Hals wucherten bis auf die Mütze.
Ein kleines Mädchen daneben, das sich fein gemacht hatte. Es trug ein Kleid, das früher lindgrün gewesen war und eine Schleife von derselben Farbe im Haar. Die Schleife hing herab und bewegte sich leise im Wind. Ein grobschlächtiger Mann hatte die Unterarme vollständig tätowiert.
Die Menschen hatten die Augen geschlossen, gut möglich, dass sie zugewachsen waren. In den Gesichtern keine Regung, herabhängende Züge. Ein kaum wahrnehmbares Brummen lag in der Luft. Mehr, dass man es im Bauch spürte, als es zu hören.
Ich konnte niemanden Neues entdecken; hin und wieder kam es vor, dass einer der Steher zusammenbrach oder von einem Tier gerissen wurde. Es dauerte dann meist nicht lange, bis er durch einen Schwärmer ersetzt worden war. Der sah dann frischer und weniger abgezehrt aus.
Wie jedes Mal vergaß ich die Zeit und strich gedankenverloren eine weitere Runde, an deren Ende ich bemerkte, dass ich weinte.
Dies alles hier – waren es siebzig oder mehr? – waren früher Menschen gewesen – Nachbarn, Kinder, Ehegatten. Wendy konnte irgendwo stehen, verfallen. Eine Hülle, ohne Innenleben.
Mein Blick verschwamm, ich setzte meine Tour fort. Der Mond war mittlerweile verschwunden, es war dunkler geworden.
Ich musste mich beeilen, wenn ich sicheren Fußes nach Hause – in mein jetziges Zuhause – zurückkehren wollte. So verfiel ich in leichten Trab, was mir gut tat.
Die zweite Kolonie war kleiner, sie hatte sich um einen Wasserturm herum gebildet. Siebzehn Personen, die ebenso das Gebäude umringten, wie ihre Genossen das Bürohaus, und das Bauwerk zum Summen brachten.
Ich sah, als ich die Straße betrat, dass etwas nicht stimmte, konnte nur nicht sofort benennen, was es war.
Sie war fort; die ganze Kolonie war verschwunden. Kein Mensch, der seine Hände ans Mauerwerk presste, weg, als hätten sie nie existiert.
Ich kniete mich auf die Erde und untersuchte den Boden.
Einzelne Abdrücke waren Zeugen, dass die Personen bis gestern hier gestanden und ausgeharrt hatten. Eingedrückte Erde, Fußspuren – das war alles, was von ihnen geblieben war.
Ich lief zurück zum Bunker, eben noch hatte ich geweint, jetzt war ich aufgeregt.
„Wir müssen Morx wecken“, keuchte ich, als Kinky mich einließ.
„Was ist passiert?“ Er hatte schon geschlafen, merkte aber, dass eine Veränderung eingetreten war.
Morx hörte sich schweigend an, was ich zu berichten hatte. Er sah ebenfalls müde aus, aber auch entschlossen und hart. Es schien, als hätte er auf so etwas gewartet.
„Das ist der Beweis“, sagte er knapp. Er trommelte mit den Fingern auf dem Küchentisch und starrte gedankenverloren Kinky ins Gesicht.
Der schien vollkommen fassungslos. Mit tränenerstickter Stimme fragte er mich leise: „Welche Kolonie?“
„Der Wasserturm.“
Er sackte erleichtert zusammen, und ich fragte mich, was an dieser Neuigkeit erfreulich war.
Morx sprang auf. „Wo ist Pecho?“, fragte er launig.
„Der wird schlafen.“
Frankenstein und sein Igor, dachte ich bei mir. Da haben sich zwei gefunden.
Er eilte ohne ein Wort hinaus.
„Er wird doch Pecho nicht wecken wollen?“, murmelte Kinky. „Es ist nach Mitternacht.“
Die Andeutung eines Lächelns.
Ich versuchte zurückzulächeln, doch das gelang mir noch weniger als ihm.
„Kinky“, sagte ich. Er spürte, dass etwas Wichtiges kommen würde. „Wir sind die Zeit recht gut miteinander ausgekommen.“
Das war eine Übertreibung. Wir alle drei waren uns nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen.
Er nickte.
„Ich glaube“, fuhr ich fort, „dass wir beide hier noch die einzigen sind, die sich halbwegs normal benehmen.“
Er nickte nicht, stattdessen sagte er: „Wer ist schon normal in diesen Zeiten?“ und lächelte wieder.
Sein Lächeln verschwand schlagartig, als ich sagte: „Ich fürchte, Morx hat den Verstand verloren.“
„Er ist Oberst, ein ziemlich hohes Tier.“
„In einer Hierarchie, die selbst geschaffen ist.“
Kinky nahm seinen Tolstoi hervor und hielt ihn vor sich, wie einen Schild. „Wir brauchen Strukturen, sonst können wir nicht überleben.“
„Aber er dreht völlig durch!“
„Vielleicht ist es richtig, was er tut.“
Irgendetwas stimmte hier nicht, es war hier etwas vollkommen verschoben.
„Kinky“, sagte ich. „Siehst du nicht, wo das hinlaufen wird? Morx wird weitermachen, er kann gar nicht mehr aufhören. Das endet erst, wenn Frey tot ist.“
Er schwieg, starrte vor sich hin und strich zum hundertsten Male die Seiten in seinem Buch glatt.
Kinky war fett, das war er schon gewesen, als wir diese Behausung hier bezogen hatten. Doch Pecho hatte Recht, bis zum heutigen Tag hatte er kein Gramm abgenommen; er war ein Duckmäuser. Trotzdem mochte ich ihn, und ich glaubte nicht, dass ich ihm böse sein konnte.
Ganz leise und mit gesenktem Blick sagte er schließlich: „Vielleicht nützt es aber etwas.“
Eine gespannte Stille machte sich zwischen uns breit. Die drei scheuen Blicke, die er mir zuwarf, senkten sich sofort wieder auf sein Scheißbuch.
„Ein ‚Vielleicht’ genügt mir aber nicht“, sagte ich. „Ich dachte, wenigstens wir beide sind da einer Meinung.“
Er kratzte sich am Kinn. Ganz deutlich konnte ich sehen, wie das Fett in Bewegung geriet.
„Aber die Möglichkeit besteht doch, dass Walter Verbindungen zu den Außerirdischen hat und wir an Informationen durch ihn kommen.“
Ich bin allein, dachte ich. Ich war völlig auf mich gestellt.
„Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass du in Verbindung mit den Außerirdischen stehst“, fuhr ich ihn an.
„Das ist doch etwas völlig anderes, Mac.“
„Das ist genau dasselbe.“
„Du verstehst nicht.“
Er sah mich an, und sein Blick war gequält. Und ein klein wenig war er sich seines Verrates bewusst.
Und während ich ihn stumm anstarrte, während ich jede Nuance in seinem Gesicht studierte, schlich sich das Verstehen in meinen Verstand, ich wusste plötzlich, warum Kinky nicht auf meiner Seite stand.
„Du hast“, sagte ich atemlos, „du hast einen Angehörigen unter den Stehern entdeckt.“
Er nickte kaum wahrnehmbar. Ich hätte längst darauf kommen müssen.
„Du hoffst, dass wir Erkenntnisse durch Walter gewinnen, mit denen wir ihn wieder heilen können.“
In seinen Augen schimmerten Tränen. Als sich eine löste, sagte er tonlos: „Mein Freund.“ Er schaute mich an. Seine Stimme versagte, er räusperte sich. „Er wollte nur einen Schirm aus dem Auto holen, damit ich ihn in der Buchhandlung hatte. Er hat …gelächelt, als er zurückkam, den Schirm unterm Arm. Und von einem Augenblick auf den anderen …“ Er schluchzte auf. „Seine Augen, Mac! Es war furchtbar. Als wenn jemand das Licht ausmacht.“
„Er kann nicht mehr gerettet werden“, erwiderte ich leise.
„Sag das nicht!“, fauchte er mich an. „Nimm mir nicht die letzte Hoffnung!“ Er sackte wieder in sich zusammen. „Er war der einzige, den ich hatte.“
Mühsam versuchte er, die Beherrschung wiederzuerlangen. Er schluckte, dann lächelte er mich tapfer an.
„Weißt du“, sagte er. „Ich fand es schon immer erstaunlich, dass dem Individuum sein eigenes Schicksal wichtiger ist, als das seiner Rasse. Wir sollten doch evolutionär ein Interesse daran haben, dass die Menschheit überlebt.“ Sein Blick ging nach unten. „Aber das ist mir egal. Ich will nur ihn wiederhaben.“
„Das ist eine normale Regung“, erwiderte ich. „Aber wir müssen diese Haltung ablegen. Sie ist dafür mitverantwortlich, dass wir in diese Lage gekommen sind.“
Er hob bedauernd seine Hände. „Tut mir Leid, dass ich dir nicht helfen kann. Ich bin der Meinung, dass Walter Frey ein außerirdischer Spion ist.“
„Dein letztes Wort?“
Er nickte.
Das war eine Information, die ich sicher schon geahnt hatte und mit der ich leben musste. Ich war allein, vollkommen auf mich gestellt. Ich wusste nicht, wie die Meinungen im Zentralbunker waren, allerdings fürchtete ich, dass dort die Dinge ähnlich lagen. Man würde den Argumenten Morx’ folgen, allein weil er als Oberst in ihre verdammte Hierarchie integriert war. Er war einer der ihren, eine Krähe hackt der anderen …Na ja.
Da zählte ein Leben überhaupt nicht.
Ich schlief schlecht, das heißt, den größten Teil der Nacht schlief ich überhaupt nicht. Gegen drei fuhr ich hoch und meinte, etwas gehört zu haben.
Angestrengt lauschte ich, doch es rührte sich nichts, alles still. Ich wollte meinen schweißnassen Körper eben auf das Bett zurückwerfen, als wieder ein Geräusch zu hören war. Ein Ton, den ich nicht deuten konnte.
Ich stand leise auf, streckte meinen Kopf aus der Tür und lauschte wieder.
Nichts. Doch ich hatte mich nicht getäuscht, da war etwas gewesen! Ich ging den Flur hinunter, entlang der Zimmer der anderen zum Essraum. Vorsichtig schaute ich hinein, leer, der kleine Kühlschrank summte vor sich hin.
Ich suchte weiter. Als ich auf Höhe von Morx’ Zimmer war, hörte ich einen Schrei. Leise, verzweifelt. Ich wusste sofort, woher er kam.
Ich begann zu laufen und als ich an Walter Freys Zelle ankam, ertönte der Schrei wieder.
Es lag Verzweiflung darin, Entsetzen und hoffnungslose Angst.
Als ich die Tür aufgeschlossen und geöffnet hatte, erfüllte der Schrei das gesamte Zimmer.
Walter war gefesselt, er kauerte am Boden in die hintere Ecke gedrängt. Pecho hatte ihn an die Heizung gebunden, so dass er gezwungen war, in dieser hockenden Haltung zu verharren.
Zusammengekrümmt saß er da und schaute mich mit weiten Augen an. Er litt Höllenqualen.
Und dann sah ich, womit Morx ihn quälte.
Er hatte zwei Bretter unter Walters Hacken gelegt, durch die jeweils ein Nagel getrieben war. Walter musste nun – in dieser Stellung beinahe unmöglich – auf den Zehenspitzen hocken, um die Nägel nicht in seine Hacken zu treiben.
Ich wusste nicht, wie lange er hier so saß, aber er musste schon eingeschlafen sein, denn ich konnte vom Eingang mit einem einzigen Blick erkennen, dass beide Nägel blutig waren.
„Oh Gott“, stieß ich wohl aus und wollte zu ihm eilen. Doch ein Griff hielt mich – Morx stand neben mir.
„Lassen Sie das sein! Er ist noch nicht soweit.“
Ich wollte mich befreien, doch es bestand kein Zweifel: Obwohl Morx älter war als ich, verfügte er über größere Kräfte.
Ich wand mich. „Lassen Sie mich los!“, schrie ich und endlich stieß er mich in den Flur zurück. Ich fiel auf den Boden und knallte mit dem Kopf gegen die Wand.
Walter schrie immer noch, Morx brüllte mich an, ich keifte zurück – wir veranstalteten einen Höllenlärm. Doch niemand schien es zu hören, wir waren allein auf der Welt.
„Du Sau“, brüllte Morx und kam plötzlich auf mich zu. „Du verdammte Sau! Du bist genauso ein verficktes Arschloch wie der da drinnen!“
Er packte mich an meinem Hemd, zerrte und hob mich auf seine Höhe. „Ich bring dich um!“, gurrte er. Dabei konnte ich seinen Atem spüren.
Mit roher Wut schleuderte er mich noch einmal gegen die Wand, als der brennende Schmerz meine Brust durchschoss, wusste ich, es ging um Leben und Tod.
Morx’ Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, der nicht mehr zivilisiert war. Die Wut, die Rage, die die ganze Zeit hinter der Maske verborgen gewesen war, brach sich Bahn.
„Ihr verfickten Säue“, brüllte er. „Ihr verdammten Ficksäue!“ und stürzte auf mich zu.
Es gelang mir, mich wegzurollen, er griff ins Leere.
„Seien Sie vernünftig!“, japste ich.
„Du bist ein verdammter Spion“, zischte er zurück. „Genauso wie der da drinnen!“
Er kam hinter mir hergestampft wie ein unbeholfenes Monster, er grunzte und ich sah in einem schrecklich gedehnten Moment den Geifer seine Mundwinkel hinab rinnen.
Er kriegte mich wieder beim Kragen zu packen, es gelang mir, ihm zwei Fausthiebe ins Gesicht zu versetzen, doch es machte ihm nichts aus. Er hob mich hoch, ließ mich halb fallen und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Du Sau“, krächzte er wieder.
Noch mal ein Faustschlag gegen seine Schläfe, doch keine Reaktion, außer der, dass er noch wütender wurde. Wenn das überhaupt möglich war.
Da traf mich ein Hieb am Jochbein, der mich ins Zimmer von Walter Frey hineinschleuderte. Ich schlug gegen den Tisch, versuchte, mich aufzurappeln, doch Morx stand schon wieder über mir und begann, mit seinen Füßen auf mich einzutreten. Ich versuchte, mich zu schützen, hielt die Hände vor den Leib, da trat er gegen den Kopf. Kurz wurde es schwarz vor meinen Augen, doch nur, bis ich den nächsten Tritt spürte. Er würde nicht aufhören, bis ich tot wäre.
Er war der Raserei verfallen, trat immer wieder zu, brüllte: „Ihr Säue, Ihr Säue!“ und mir blieb nichts, als mich zusammenzukrümmen.
Irgendwann musste er aufhören, weil er außer Atem war. Keuchend stand er über mir, ich wagte, die Augen zu öffnen, zumindest das eine, das ich noch aufbekam.
Er hatte die Hände auf die Knie gestützt und rang um Luft. Verschwommen sah ich eine Gestalt hinter ihm auftauchen, die etwas hoch hielt.
Als die Eisenplatte auf Morx’ Kopf donnerte, erkannte ich Kinky.
Morx brach zusammen, ich verlor das Bewusstsein.

Ich kam zu mir, indem sich die Bildpunkte vor meinem Auge langsam zusammenfügten.
Als ich das Geschehen um mich herum erkannt hatte, brauchte es eine Zeit, bis ich es deuten konnte. Ich lag auf meinem Bett, war ausgezogen, zugedeckt und hatte offenbar längere Zeit hier verbracht.
Kinky saß an meiner Seite. Er war eingenickt, doch als ich mich bewegte, wachte er sofort auf. Er schaute mich unsicher an.
„Weißt du, was passiert ist?“
Selbst das leichte Nicken tat mir weh.
„Wie lange liege ich hier?“
„Gott sei Dank bist du zu dir gekommen“, sagte er. „Es ist einiges geschehen in der Zwischenzeit.“
Er kam ganz dicht zu mir heran. „Hör zu, Mac“, flüsterte er. „Sag niemandem, wer Morx niedergeschlagen hat.“
„Morx lebt?“
„Ja, natürlich. Er war nur kurz weggetreten.“
„Wie lange war ich weg?“
Kein Zweifel, Kinky hatte mir das Leben gerettet.
„Knapp zwölf Stunden“, antwortete er. „Pecho hatte seine liebe Not. Die meisten Wunden habe ich versorgt. Mac, wenn Morx erfährt, wer ihn wirklich niedergeschlagen hat …Er glaubt, du wärst das gewesen.“
„Ich?“ Ein zu dummer Gedanke.
„Er hat kaum Erinnerungen an eure Auseinandersetzung.“
Er stand auf und wollte hinausgehen.
„Er reist morgen ab.“
„Was ist mit Walter?“
Er kam zurück an mein Bett. Ich setzte mich auf und spürte jeden Knochen dabei.
„Er ist tot“, sagte er und senkte seinen Blick.
Ich ließ mich zurückfallen. Augenblicklich beherrschte mich das Gefühl, jede Hoffnung sei verloren, es war ohnehin alles egal. Es war ja nur ein Mensch, der gestorben war – oder vielleicht nicht einmal das – im Vergleich zu den unheimlichen Verlusten, welche die Menschheit erlitten hatte, kaum zu erkennen in der Waagschale. Trotzdem schien etwas mit Walter zusammen untergegangen zu sein.
Ich hörte es kaum, wie Kinky hinzufügte: „Er hat sich umgebracht. Als ich seine Fesseln gelöst und ihn allein gelassen hatte, hat er sich erhängt.“
Er schluchzte, als er aus dem Zimmer ging.
Mir tat der Kopf weh.

Als Morx uns verließ, herrschte draußen strahlender Sonnenschein. Es war, als sollte sich alles zum Guten wenden, als hätte Gott Mitleid mit seinen Kindern.
Morx wandte sich grußlos ab, stapfte davon durch die Sträucher und Büsche, die den Asphalt vereinnahmt hatten. Kinky und ich, wir blickten ihm schweigend nach.
Mir kam der deprimierende Gedanke, dass das Fahrzeugverbot, das wegen des Benzinmangels herrschte, ganz bestimmt bald für die Nomenklatura aufgehoben würde. Eine seltsame Überlegung in diesem Moment.
Morx schaute sich nicht um bis er um die Ecke bog. Wir würden ihn sicher wiedersehen.
Ganz bestimmt.

 

Diese Geschichte wurde von einem Autor geschrieben, der hier im Forum angemeldet ist, es für diese Geschichte aber bevorzugt hat, eine Maske zu tragen.
Der Text kann, wie jeder andere Text im Forum, kommentiert werden, nach zehn Tagen wird die Identität des Autors enthüllt.

Als Kritiker kann man bis dahin Vermutungen über die Identität des Autors anstellen. Damit man anderen mit einem schlüssigen Rateversuch nicht den Spaß raubt, sind Spekulationen und Vermutungen bitte in Spoiler-Tags zu setzen.
Beispiel:

[spoiler]Ich vermute, dass der Autor der Geschichte Rumpelstilzchen ist. Der schreibt doch auch immer von güldenem Haar und benutzt so viele Ausrufezeichen![/Spoiler]

Die eckigen Klammern setzt ihr mit der Tastenkombination Alt-gr+8 bzw. Alt-gr+9.
Da dies jedoch kein Ratespiel ist, sind Beiträge ohne Textarbeit, also reine „Vermutungen“, nicht erwünscht.

Viel Spaß beim Raten und Kommentieren!

Die Runde endet am: 17.01

 
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Hallo Maske!

Ich habe Deinen Text mit Spannung gelesen, obwohl ich kein Fan von Zombie-Geschichten bin, nicht in der Literatur, nicht im Film und auch nicht in PC-Games. Was mich an Zombiegeschichten am meisten stört ist, dass der Gegner auf ein blödes Stück Fleisch reduziert wird, weder Stil, noch Klasse, noch Intelligenz besitzt und nur durch seine schiere Masse bedrohlich wird.

In Deinem Stück war das Zombiemotiv aber nur im Hintergrund präsent. Das mag ein Grund sein, weshalb ich Gefallen an der Geschichte gefunden habe. Ich schreibe selbst gerade an einer dystopischen Geschichte, auch aus diesem Grund wollte ich wissen, wie Du das Ganze gelöst hast.

Thema - Das Thema Deines Textes ist die Frage, wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten, in denen sie glauben, zwischen Humanismus und Selbstschutz entscheiden zu müssen. Das rührt an große Themen von Psychologie, Philosophie und Soziologie. Einerseits kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass humanistische Ideale, wie wir sie heute kennen, irgendwann im Laufe der Menschheitsgeschichte "erfunden" wurden. Unsere Vorfahren im Miozän Ostafrikas kannten sie mit Sicherheit nicht.

Andererseits befremdet der Gedanke, dass ehemals zivilisierte Menschengemeinschaften in Barbarei und Terror zurückfallen, wenn es ans Eingemachte geht. Doch dass dies eine historische Tatsache ist, beweist die Geschichte des letzten Jahrhunderts. Die Zivilisation liegt nur wie eine dünne Firnis auf der Oberfläche – das Wesen darunter ist immer noch ein Raubtier.

Problematisch ist im Kontext Deiner Geschichte, dass dieses Thema so schon häufig bearbeitet wurde. Deshalb entsprechen Deine Figuren auch gewissermaßen Archetypen dieses Themenkreises:

Figuren - Wir haben einen sadistischen Oberst, der aus dem vermeintlichen Feind überlebenswichtige Informationen herausquetschen will, einen Handlanger (Pecho) und zwei Mitläufer. Ich finde, Du hast die Konstellationen, die zwischen diesen Figuren bestehen, deutlich herausgearbeitet.

Die Motivation von Morx, der seine paranoiden Vorstellungen abarbeitet, wird deutlich. Pecho ist der gewissenlose Helfer, die beiden anderen sind unentschiedene Mitläufer. Das alles ist geradezu klassisch, birgt aber eben auch nicht viel Neues, keine Überraschung.

Logik – Die Geschichte hat, nimmt man die Ausgangssituation ernst, schon eine insgesamt schlüssige Logik, auch wenn ich bei Details hängengeblieben bin. Um nur zwei Beispiele zu nennen:

"Wir hatten im Bunker eine gesonderte Kammer eingerichtet, eigentlich war es ein größerer Schrank, in dem wir vier kleinkalibrige Pistolen aufbewahrten, die uns vor einem dreiviertel Jahr vom Zentralbunker zugewiesen worden waren. Die lagen darin, eingeschlossen, geladen, aber bis heute unbenutzt, weil wir drei der Meinung gewesen waren, sehr gut darauf verzichten zu können."

In einem apokalyptischen Szenario, wie Du es beschreibst, bestünde eine meiner ersten Handlungen darin, mich zu bewaffnen. Es fehlt mir schlichtweg an Phantasie, aus welchem Grund die Insassen des Bunkers unbewaffnet auf Patrouille gehen. Ich verstehe zweitens nicht, weshalb Du von kleinkalibrigen Pistolen sprichst. (Die Bezeichnung "kleinkalibrig" ist ja im Grunde eine deutsche Erfindung, die verschleiert, dass der eigentliche Unterschied der unterschiedenen Munition primär in ihrer Funktionsweise liegt: Randfeuerzündung (Kleinkaliber) vs. Zentralfeuer (Großkaliber) – mit wenigen Ausnahmen.) Aus welchem Grunde sollte der Zentralbunker die Außenstellen mit derartigen Waffen versorgen? Herrscht ein Mangel an Schusswaffen? Befürchtet das Oberkommando, die Patrouillengänger würden gegenseitig aufeinander schießen oder gar den Zentralbunker stürmen?

Das zweite Beispiel betrifft die Reaktion des Obersten auf die Tatsache, dass er niedergeschlagen wurde. So, wie Du ihn dargestellst, hat es mich erstaunt, dass der einfach abhaut. Ich hätte damit gerechnet, dass er sofort Konsequenzen zieht, also Roberts exekutiert wegen Hochverrats oder zumindest festsetzen lässt.

Unaufgelöste Enden – Es existieren aber auch unaufgelöste Enden, wie beispielsweise die Steher und Schwärmer. Es ist nicht zu erkennen, weshalb sie tun, was sie tun. Das zeigt, dass Dir das Szenario eben nur als Vehikel dient, um die Verhörgeschichte in Szene zu setzen. Ich finde aber, das kann man so machen. Es gibt keine Regel, dass jedes Details erklärt werden muss. Das betrifft auch die Frage, ob es nun wirkliche ein Alienangriff war oder Umweltkatastrophe oder eine Verschwörung.

Dramaturgie – Der Aufbau konnte mich nicht in allen Details überzeugen. Ich finde zwar, dass Du die Zuspitzung der Situation gut herübergebracht hast, aber der Text ist mir insgesamt zu weitschweifig. Die erste Szene dient lediglich der Atmosphäre, hat aber keine dramaturgische Funktion. Da hätte man z.B. wegstreichen können.

Meine bisherigen Erfahrungen im Schreiben von Kurzgeschichten sagen mir, dass Atmosphärisches nur in Szenen die dramaturgische Funktionen erfüllen eingebettet werden darf. Die Idee, eine Szene nur dem Beschreiben des Settings zu widmen, bläht den Text auf.

Die Verhörtechniken des Obersten hast Du schauerlich in Szene gesetzt. Das fand ich gut.

Das Ende der Geschichte ist gewissermaßen ein Kompromiss – ob Frey ein Alienspion oder unschuldig war, wird nicht geklärt. Sein Tod ist die grausame Konsequenz aus der Paranoia des Obersten. Kinky ermannt sich, dem Tyrannen eins über den Schädel zu ziehen. Und die weiteren Aussichten sind düster. Das ist nicht gerade ein erlösendes Ende, aber das kann man so machen.

Sprache – Mein größter Kritikpunkt an der Geschichte ist die verwendete Sprache. Da stimmt vieles noch nicht. Es ist ja immer schwer zu unterscheiden zwischen persönlichem Geschmack, Sprachempfinden und objektivierbaren Ausdrucksmängeln. Aber mein Gespür sagt mir, dass sich eine Menge schwacher Formulierungen in den Text geschmuggelt haben. Und da es auch bei den Satzzeichen Flüchtigkeitsfehler gibt, tippe ich darauf, dass Du den Text nicht gründlich genug überarbeitet hast.

Nur ein paar Beispiele:

"Die Sonne war noch zu erkennen, doch die ersten schweren Wolken türmten sich über der Skyline auf. Es war abzusehen, dass es in Kürze zu regnen beginnen würde."

2x "war" am Anfang der Geschichte. Die Formulierung "zu regnen beginnen würde" gefällt mir auch nicht.

"Die unnatürliche Stille in den Straßen, die letzten Endes doch nur natürlich war, "

Hier kommt das dritte "war" und "letzten Endes doch nur natürlich" – das ist zu umständlich.

"das das vollkommene Fehlen von Lärm, die Abwesenheit jeglicher von Menschen verursachter Geräusche, schufen eine Atmosphäre, die für eine Großstadt wie diese surreal und ohnegleichen war. "

Das vierte "war", und Formulierungen wie "die Abwesenheit jeglicher von Menschen verursachter Geräusche" und "ohnegleichen" sind allesamt zu umständlich und unelegant.

"durch gewisse Zerlumptheit "

Das geht nicht. Man kann eine so starke Beschreibung wie "Zerlumptheit" nicht relativieren. Man kann nicht "ein bisschen zerlumpt" sein.

Mir scheinen das aber primär Fehler zu sein, die sich bei mehrmaligem Überarbeiten vermeiden ließen, Flüchtigkeitsfehler also, oder ein Mangel an Fleiß.

Fazit – Mit hat die Geschichte gut gefallen, ich fand sie spannend und ich mochte das Setting des Dystopischen. Schwächen sehe ich vor allem in einem Mangel an eleganter, präziser Sprache (da sollte entschlackt werden) und in dem Umstand, dass die Geschichte ein Thema beackert, das so schon hinlänglich bekannt ist.

Trotzdem gern gelesen.

Beste Grüße
Achillus

 

Lieber Maskenball,

hm, also schon eine interessante Handlung und fundiert scheinender Hintergrund. Die düstere Atmosphäre ist sehr spannend, wobei die ganze Spannung am Ende leider in einer großen Enttäuschung verpufft, denn das Ende finde ich etwas sehr offen und die ganze Geschichte löst sich ein bisschen in Wohlgefallen auf. Meine leichte Abneigung gegen das Außerirdische- und das Zombie-Thema auf der einen Seite, aber Endzeitszenarien faszinieren mich auf der anderen Seite sehr, weshalb ich auch nach der Erwähnung einer möglichen extraterrestrischen Invasion gespannt weiter gelesen habe.

Mehr Licht hättest du auf die Figur des Pecho werfen können. Warum erwählt Morx gerade ihn zum Handlanger in seinen Foltersitzungen? Klar, Kinky war ihm wohl zu fett, aber einen Junkie für diese Aufgabe abzurichten, ich weiß nicht, das erscheint mir doch ein bisschen konstruiert. Ach, was solls, möglich ist es natürlich.

Auch das Verhältnis des Icherzählers zur Katastrophe und überhaupt, wie er sie erlebt hat, wird nicht so ganz klar (ich hoffe, ich habe nur nix überlesen oder habs gar vergessen). Morx hält ihn zwar auch für einen Spion, das mag aber eher seiner Paranoia geschuldet sein. Mac scheint das alles ziemlich lethargisch hinzunehmen, für den Icherzähler hat er sonst einen recht flachen Charakter. Ach so, seine Freundin hieß Wendy?

Es folgt einiger Detailkram. Handwerklich lugt hier und da noch Ungeduld hervor, der Text hat wirklich noch Bedarf nach Feinschliff.

Die Sonne war noch zu erkennen, doch die ersten schweren Wolken türmten sich über der Skyline auf. Es war abzusehen, dass es in Kürze zu regnen beginnen würde.
  • da »in Kürze« schon inchoativ wirkt, kannst du einfach schreiben >> dass es in Kürze regnen würde. Dito bei späterer Stelle.

Und dann, in die Idylle hinein, ein Schwarm Menschenähnlicher; durch gewisse Zerlumptheit, verhärmtes Aussehen und Abgezehrtheit gleichgemacht, strichen sie durch die Straßen, wachsam zwar, aber mit einem blöden Gesichtsausdruck, suchend, doch nichts, als das noch nicht gefundene Ziel wahrnehmend.
  • zum Ende hin liest sich das widersinnig, ein nicht gefundenes Ziel ist nicht wahrnehmbar, sonst wäre es ja gefunden.
  • »als« hinter einem Komma ist grundsätzlich die Konjunktion »als«, nicht der Vergleichsmarker, daher wohl bin ich hier aus dem Lesefluss raus.

Des Mannes Gesichtszüge hellten sich auf.
  • Stilbruch >> Die Gesichtszüge des Mannes

Minuten nachdem der Mann in dem Bau verschwunden war, begann es zu regnen.
  • Komma nach Minuten

Er war allein, der Zentralbunker, war nicht weit entfernt.
  • Komma nach Zentralbunker ist zuviel

Als unser Gast erwachte (der, dessen Anwesenheit uns so viel Aufregung brachte), bat ich ihn, nachdem er sich etwas frisch gemacht hatte, in ein leeres Zimmer ganz am Ende des Flures.
  • Klammern sind fast immer aua, hier ist der Einschub außerdem unnötig, da ich ja gelesen habe, dass die Bewohner den Dazugestoßenen als Gast betrachten.

Wie er so dasaß, in dem nahezu kahlen Raum, und mir fragend und ein wenig verwirrt nachblickte, da erinnerte er mich an irgendjemanden, mir wollte ums Verrecken nicht einfallen, an wen.
  • »ums Verrecken« ist Umgangssprache und jenseits des sonstigen Stils.
  • »irgend-« drückt eine gleichgültige Haltung aus.
  • Mein Verbesserungsvorschlag >> ... nachblickte, dachte ich angestrengt nach, an wen er mich erinnerte. Alles gesagt. Leider nimmst du diesen Faden im weiteren Verlauf des Textes nicht mehr auf, er versandet.

Das war auch ziemlich selten, von Pecho so etwas wie Interesse zu erleben, eine neue Erfahrung.
  • Könnte man kürzen zu >> Eine ziemlich neue Erfahrung, dass Pecho so etwas wie Interesse zeigt. Mindestens das Füllsel »auch« solltest du streichen.

Das Verhältnis der Beiden zueinander war nicht leicht zu durchschauen.
  • kleinschreiben >> beiden

„Wir haben es mit einem Gegner zu tun, der alle Mittel anwendet. Diese Rasse …“, er wischte sich über den Mund, „die Wesen, die auf die Erde gekommen sind, scheinen uns so fremd, dass wir wirklich alles in Betracht ziehen müssen. Wir kämpfen hier an allen Fronten, Freunde!“
  • Einem Oberst scheint nicht, für ihn, der ein Weisungsrecht für sich beansprucht und daherstolziert, geht nur der harte Indikativ >> sind uns so fremd

Morx stöhnte auf. „Kleine, wilde Tierchen, die das Rückenmark raufkrabbeln. Kommen Sie, das ist doch ein alter Hut!“
  • Ja, sowas ist immer shwierig, dem Leser Fachbegriffe und ihre Definition unterzujubeln. Ich bin da eher dafür, dass eine dritte Figur sich einmischt, die das Gespräch mitverfolgt, also hier entweder der Ich-Erzähler oder Pecho. So jedoch wirkt das, als ob im Kopfkino Morx plötzlich frontal in die Kamera blickt, um dem Publikum was zu erklären. Nicht sehr geschickt.

Auch sein Gesicht zeigte eine leichte Rotfärbung und die blassblauen Augen schienen noch wässriger, als ohnehin.
  • »als« nach nem Komma ... tu es weg.
  • ohnehin würde ich schreiben >> wässriger als sonst

„Wir wissen längst nicht alles, was vor sich geht, uns fehlen die Geräte, schmerzlich vermissen wir das Netz.
  • Auch hier: Ich glaube kaum, dass ein Oberst so reden würde. Vorschlag >> Wir wissen nicht alles, was vor sich geht, uns fehlen die Geräte und das Netz. Knapp und bündig.

Wir sind im Krieg, vielleicht haben SIE das noch nicht mitbekommen.
  • normal und kursiv >> vielleicht haben Sie das noch nicht mitbekommen

Die zweite Kolonie war kleiner, sie hatte sich um einen Wasserturm herum gebildet. Siebzehn Personen, die ebenso das Gebäude umringten, wie ihre Genossen das Bürohaus, und das Bauwerk zum Summen brachten.
Ich sah, als ich die Straße betrat, dass etwas nicht stimmte, konnte nur nicht sofort benennen, was es war.
Sie war fort; die ganze Kolonie war verschwunden. Kein Mensch, der seine Hände ans Mauerwerk presste, weg, als hätten sie nie existiert.
  • Wie jetzt, steht die Kolonie nun um den Wassertum oder ist sie verschwunden. Hat mich irritiert? Du solltest den ersten Satz vielleicht so umformulieren, dass er davon ausging, dass die zweite Kolonie da steht.

Ich sag mal Schwups. Einfach so, Bauchentscheidung. Wahrscheinlich lasse ich mich nur von meinem Gedächtnis zu dieser Vermutung verführen, schließlich hatte er »Vorhölle« geschrieben. Da fähige Autoren nicht dauernd denselben Boden beackern ... aber muss nix heißen

 
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Hallo,

Es war abzusehen, dass es in Kürze zu regnen beginnen würde.
Bald würde es regnen.
Erstaunlich, wie kompliziert man das ausdrücken kann. Natürlich hat das eine andere Aussage so, aber … na ja.

Die unnatürliche Stille in den Straßen, die letzten Endes doch nur natürlich war, das vollkommene Fehlen von Lärm, die Abwesenheit jeglicher von Menschen verursachter Geräusche, schufen eine Atmosphäre
Das Komma vor „schufen“ ist zu viel. Der clevere Gedanke hier ist „unnatürlich – natürlich“, wie viele Leser werden den Gedanken in dem Satz überhaupt erkennen, wenn da immer weiter noch drauf gelagert wird?

Dann trat ein Mann auf die Bühne, der sich von den Artgenossen unterschied. Er war kräftig gebaut und hatte einen offenen Blick. Auch er schaute sich um, aber vorsichtig und auf der Hut.
Das ist erzählperspektivisch so, als beschreibt jemand das, was er in einem Film sieht. Als wäre der Perspektivträger der Zuschauer, der Bilder einer Kamera gezeigt bekommt.
Da trat ein Mann auf die Bühne – da durchstreifen die Menschenähnliche das – hier ist ein scheues Reh.
Wer sieht das denn? Warum zeigt er gerade das? Also diese Erzählperspektive des „unsichtbaren Auges“, dass in einer literarischen Geschichte ein Kameraschwenk gemacht wird – ich bin da kein Freund von. Generell ist die Stärke der Literatur, des Erzäöhlens in einem Text, die Perspektive – eine Imitation in der Erzählperspektive … für mich liest sich das echt so wie: Ja, jetzt stell dir mal den Anfang von I am Legend vor oder „Jetzt stell dir mal die Eingangsbilder von 12 Monkeys vor“. Natürlich ist das ein starkes Szenario, aber es ist eins, für das ich die Bilder schon im Kopf habe. Ich würd mich da als Texteinstieg nicht so drauf verlassen.

Die Mauern des Hauses waren verwittert und von der Flora eingenommen wie die seiner Nachbarn. Doch unterschied es sich in einem wesentlichen Punkt von ihnen: Die Fenster waren samt und sonders mit Brettern vernagelt.
Da ist ein seltsamer Stil. So umständlich und dann diese Phrasen drin „samt und sonders“. Hier bei den zwei Sätzen, das Problem ist hier, dass die sprachliche Besonderheit von benachbarten Häusern als „Nachbarn“ zu reden, und nicht als „Nachbarhäusern“ - das müsste einem schon auffallen, dass es da irgendwo juckt, dass es da nicht glatt ist. Aber statt dagegen zu arbeiten, wird das hier noch mal betont durch „Es“ und „ihnen“.
Auch diese Art zu beschreiben und zu beziehen, das ist so schwierig. Die Mauern des Hauses waren verwittert (alles okay) und von der Flora eingenommen (Flora eingenommen – das ist bisschen wischi-waschi) wie die seiner Nachbarn. „Seiner“ bezieht sich auf „des Hauses“ und „die“ auf „die Mauern. Doch unterschied es sich (wieder „das Haus“) in einem wesentlichen Punkt (das ist geschwätzig) von ihnen (die Nachbarn der Mauern des Hauses … oder wie? Also das ist grammatikalisch vielleicht alles noch okay und im Rahmen und korrekt, aber es ist doch nicht schön und klar). Diese Bezüge mit „die“, „sie“, „ihnen“: Die killen jede Atmosphäre und jedes Bild. In literarischen Texten gehören die Substantive und Hauptsachen wiederholt und wiederholt, und es dann so hinzukriegen, dass es den Leser nicht stört, ist die Aufgabe des Autors. Aber mit „diese“ und „hier“ und „ebenjene“ - das ist ein Stimmungskiller.

Er lauschte auf Geräusche, hub erneut an zu schlagen und versuchte, so wenig Lärm wie möglich zu machen.
Nee … „hub“? „Hob“ vielleicht.
Edit: Okay, im Duden nachgeguckt: "hub" geht, gilt aber als veraltet ... wenn man so Wendungen verwendet, müssen die auch im Textkontext passen.

Irgendwann nach einer Ewigkeit, regte sich etwas. Der Mann unterbrach, atmete schwer.
Kommafehler - und diese Perspektive – wenn da einer werten will, dann muss man eine Perspektive haben. Aber das sind auch so Versatzteile, was da passiert und die Sprache … und es sind noch so viele kleine Fehlerchen bei den Kommas drin und die Geschichte -

Der Mann wurde wütend.
Ja … ich find – das ist schon dann immer so ein Schulterzucken des Autors. Der Mann wurde wütend. Das ist genau das, wofür der Satz „Show, don't teill“ erfunden würde.

Auch hier dieser Dialog:

„Lasst mich rein, verdammt noch mal“, wiederholte er. „Ich bin ein Mensch wie ihr!“
Was soll man dazu sagen? Ich find das schon unfreiwillig komisch. „Ich bin ein Mensch wie ihr.“ Wär es nicht besser zu rufen: „Ich bin clean“, „Mich hat keiner gebissen“, „Habt doch Erbarmen“ - irgendwie sowas? „Ich bin ein Mensch wie ihr“ und so „Lasst mich rein, verdammt noch mal“ - und dann „wiederholte er“ - also … da wird was emotional geschrien und als Verb des Sagens kriegt es „wiederholte er“.

Minuten nachdem der Mann in dem Bau verschwunden war, begann es zu regnen.
Das ist auch grammatikalisch irgendwie daneben. Ich glaub das Komma muss nach „Minuten“ oder so.

Auch so Sätze wie „Mauern waren eingestürzt oder kurz davor“ - das ist doch kein grammatikalisch richtiger Satz. Gut, dann kann man sagen: Er ist halt verständlich, aber er ist doch nicht schön, oder? Das ist ja keine grammatikalische Lösung, um irgendwas zu erreichen, sondern das ist einfach nur: Hmpf. So lieblos bisschen Atmosphäre gemacht.

Und ebenso unvermittelt und still, wie gekommen, verschwanden sie wieder in den Häuserschluchten, auf der Jagd wonach auch immer.
Das ist auch von der Komma-Einteilung her alles unklar. Und ebenso unvermittelt und still, wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch wieder in den Häuserschlachten auf der Jagd nach, was es auch immer es sein mochte.
Wie lange hast du darüber nachgedacht, wo in diesem Satz Kommas hingehören? Ich sitz nämlich drei Minuten davor und hab keine Ahnung, aber so wie sie da stehen – ja, ich glaube nicht. Wenn man da anfängt mit Ellipsen und so Kram – dann muss man sich verdammt viel Mühe mit der Kommasetzung geben.

Dann trat ein Mann auf die Bühne, der sich von den Artgenossen unterschied.
„Artgenossen“ - das sagt Sielmann, wenn er Schimpansen beobachtet. „Artgenossen“ - also … wer ist der Erzähler überhaupt hier? Das ist doch das Problem. „Artgenossen“ - was der Text sagen will, ist: Das andere sind Zombies und der hier ist ein „Artgenosse“, aber er ist kein Zombie. Also sind Zombies und Menschen von derselben Art. Was soll ich mit der Information hier?

Er war kräftig gebaut und hatte einen offenen Blick.
„Offener Blick“ - in welcher Situation kann man das bewerten? Wenn man vor einem im Café sitzt und ihm in die Augen schaut, oder wenn man wen dabei beobachtet, wie er andere Leute beobachtet. „offener Blick“ - ist damit „wach“ gemeint?

Auch er schaute sich um, aber vorsichtig und auf der Hut.
Ich find's echt nicht gut. So richtig überhaupt nicht.

Sprachlich bitte mehr Mühe geben und mehr Sorgfalt walten lassen.
Die Erzählperspektive klären.
Und andere Bilder finden, nicht welche, die schon so prominent im Mainstream verankert sind – in genau der Form.

Also der Text ist überhaupt nix für mich.

Gruß
Quinn

 

Hallo Maske

Die Geschichte ist eloquent geschrieben, ohne dass sich die Ereignisse überschlagen, erzeugt sie von Sprache und Handlung her mir Spannung. Auch wurde auf unnötige Übertreibungen verzichtet, die Erscheinungsformen der Verwilderung, wie es eine solche Katastrophe nach sich ziehen würde, wirken durchaus real. Dies gibt der Fiktion eine starke Komponente von Plausibilität.

Dass sich Ursache und Wirkung der Katastrophe auf die Überlebenden nicht klärt, ist ein gut gewählter Schachzug. In gewisser Weise bleibt alles in einem Rahmen, für den es annähernd logische Erklärungen geben könnte. Dies ist das Element, welches die Unheimlichkeit dieser Erzählung auch ausmacht.

Nicht restlos überzeugend ist der Ausgang der Geschichte, es lässt zu vieles offen, doch man verlässt den Stoff nicht mit einem unguten Gefühl.

Im Kern des Geschehens steht die Frage der Ethik, wie Menschen in einer derartigen Ausnahmesituation reagieren. Nun dies ist einschätzbar aufgrund der Charaktere, der erfahrenen Sozialisation oder ihrer Einschätzung von wichtigen Lebensfragen in ausgeglichenen Zeiten. Diese Aspekte erscheinen mir hier geschickt adaptiert, nicht direkt ausgekostet, aber gut einbezogen.

Unser Gast lag, so wie er hingesunken war, auf dem großen Doppelbett, das wir in aller Eile heruntergewuchtet hatten,. Bäuchlings,

Bevor ich es wieder vergesse, hier hat sich ein Punkt nach dem Komma eingeschlichen.

Ein paar von diesen …Zombies, und wusste, ich muss mich fernhalten von denen.

Und hier fiel der Leerschlag wohl dem Hunger zum Opfer. Dieses Symptom tritt auch weiter unten mehrmals auf.

Doch es war mir spannende Unterhaltung, trotz der Länge die die Geschichte aufweist.

Schöne Grüsse

Anakreon


Das Spektrum an Zombie-Autoren ist nicht direkt klein, so haben Hanniball, Maeuser, Proof, Schwups, Hacke, Salem u. a. eine Affinität dafür. Die Sprache lässt sich ebenso wenig präzis nur einer bestimmten Person zuordnen, wie auch andere Indizien. Aufgefallen war mir im Text der Name eines lokal Prominenten, den nur einer der Evaluierten kennen dürfte. Ich setze dennoch eher auf zufällige Namensgleichheit. Die Chance, dass es einer der Obenerwähnten ist, halte ich jedoch für hoch.

 

Hallo Maske

Thema, Setting und Spannungsbogen haben mir gut gefallen in der Geschichte. Die Dynamik zwischen dem Oberst, dem Erzähler und Frey, das hat was. Im Grunde, und das haben die anderen ja auch schon erwähnt, erfindest du das Rad hier nicht neu. Es geht um die Frage, ob unter gewissen Umständen grausame Entscheidungen (wie die Folterung von Frey) eine moralische Berechtigung bekommen, auch darum, ob Menschlichkeit absolut ist - oder ob es Situationen gibt, in denen man sich, um das Richtige zu tun, unmenschlich verhalten muss.

Mir kommt der Oberst an einigen Stellen zu bösartig vor - ich denke, die Figur wäre interessanter, wenn sie weniger Vergnügen an den Folterungen hätte. Sadisten, die foltern, sind nichts besonderes - aber wenn ein Mensch foltert, weil er meint, damit die Menschheit zu retten, das ist interessanter, dann kommt eben auch das moralische Dilemma deutlicher zutage. Gerade am Ende verkommt dir der Oberst fast ein wenig zur Karikatur, wenn er den Erzähler zusammenschlägt. Ich hätte mir gewünscht, dass die beiden von ihrer Veranlagung ähnlicher dargestellt gewesen wären, ich denke, das hätte auch ihren Konflikt intensiviert. Also wenn der Oberst gesagt hätte, ich will den Frey eigentlich auch nicht foltern, aber ich muss das jetzt machen, weil ich uns alle retten muss ... irgendwie so.

Pecho und Kinky bleiben mir für die Länge des Textes ein wenig zu blass, gerade Kinky. Am Ende, die Information mit seinem Freund, der zum Zombie wurde - das kam ein wenig plötzlich, als sei der einzige Zweck dieser Information, sein Verhalten zu erklären. Vielleicht hätte man das früher in den Text einstreuen können. Ganz nachvollziehen konnte ich auch nicht, weshalb er Frey losgekettet hat, wo er sich doch für die Folterung ausgesprochen hat - na ja, ich habe das Gefühl, Kinky ist eigentlich die Figur, als die ich den Oberst gerne gehabt hätte. Er ist hin- und hergerissen, er hat die Gewissensbisse und sieht doch die Notwendigkeit, aber er steht halt zu wenig im Rampenlicht, als dass das wirklich deutlich wird - im Zentrum stehen ganz klar der Erzähler, der Oberst und Frey.

Die Spannung im Mittelteil, während der Befragungen, finde ich beachtlich. Das hat mich an den Film Five Fingers erinnert, der auf ähnliche Art und Weise Spannung aufbaut. Man fragt sich als Leser wirklich, was ist denn dieser Frey nun - ein Infizierter oder nicht? Zunächst zweifelt man, aber die Argumente des Oberst sind gut, das hast du wirklich geschickt eingestreut - ja, am Ende wird es nicht aufgelöst. Ich bin damit auch nicht so glücklich, aber ich bin generell kein Freund von "leisen" Enden bei Kurzgeschichten (gerade im Bereich Horror). Ich mag es, wenn man nach dem letzten Satz nochmal schlucken muss - bei dir, da hab ich mich wie Achillus auch gefragt, warum der Oberst denn einfach abzieht. Klar, er kommt wieder, aber etwas unbefriedigend fand ich es doch auch. Ich hab mich beim Lesen immer gefragt, ob nicht jemand von den anderen vier ein Infizierter ist - auch das hat mich die Geschichte mit Interesse lesen lassen, weil die Frage - mehr oder weniger explizit - gerade zum Ende hin im Raum schwebt. Aber auch das lässt du offen. Ich denke, du hast dir schon was beim Ende gedacht und es absichtlich so konzipiert, aber etwas abgeschlossener hätte es mir vermutlich besser gefallen.

Trotz der doch überdurchschnittlichen Länge (für Geschichten in diesem Forum) fand ich es nie langweilig. Einzig die Tour des Erzählers durch die Nacht, die Begegnung mit dem Hund, da hatte ich das Gefühl, da hätte man etwas kürzen können. Aber vermutlich hast du diese Szene absichtlich ruhiger gestaltet, um die Spannung auf das Ende noch ein wenig hinauszuzögern. Die Teile jedenfalls, wo der Erzähler an den "Stehern" vorbeikommt, die fand ich von der Atmosphäre her toll beschrieben. Das ist eine wirklich unheimliche Szene.

Also unterm Strich, vieles finde ich hast du richtig gemacht in der Geschichte, aber leider leider finde ich auch, dass du handwerklich zu sehr geschludert hast.

Bis auf alles was grünte, zeichneten sich die schalen Überbleibsel der Menschheit durch Nutzlosigkeit aus.

Der Satz ist schrecklich. Erstmal musste ich ihn 3x lesen, um zu verstehen, was du damit sagen willst, aber er ist mMn auch nicht korrekt. "Bis auf alles, was grünte" beschreibt doch schon eine Menge (alles, was nicht grünt), warum wird das durch "die schalen Überbleibsel der Menschheit" weiter eingegrenzt? Heißt das, etwas, das grünt, ist ein schales Überbleibsel der Menschheit? Also ein Baum oder so? Leuchtet mir nicht ein.

Unser Gast lag, so wie er hingesunken war, auf dem großen Doppelbett, das wir in aller Eile heruntergewuchtet hatten,.

Falsches Komma am Ende.

Er sah aus, als hätte ein Bär ihn ausgeschissen und seiner Miene nach fühlte er sich auch so.

Also entweder sagst du hier 2x dasselbe, oder du musst beschreiben, was es denn bedeutet, wenn man aussieht, "als hätte ein Bär ihn ausgeschissen". Dann kommt kurze Zeit später:

Er sah wirklich furchtbar aus, das heißt noch furchtbarer als sonst.

Was genau bedeutet das? Ich hab da kein Bild vor Augen.

Kinky war in seinem früheren Leben Buchhändler gewesen, ich glaube, er hatte ein inzestuöses Verhältnis zu den Schinken gehabt.

"inzestuöses Verhältnis" zu Büchern?

Dann einige Schreibfehler, "beiden" und "anderen" wird klein geschrieben, irgendwo fehlt ein Punkt, lauter so unnötige Kleinigkeiten eben. Das finde ich schade, die Überarbeitung des Textes wird der Qualität des Inhalts nicht gerecht. Wobei ich sagen muss, dass es zum Ende hin besser wurde, so kam es mir vor, ich hab mir jetzt nicht alles notiert, aber zu Beginn bin ich über mehr Dinge gestolpert, und gerade am Anfang ist das halt ärgerlich, weil man manche Leser dann schon verliert.

Ok - also, wenn du enttarnt bist solltest du da nochmal drübergehen und die Fehler ausmerzen, ich finde, der Text hat das verdient, weil ich ihn inhaltlich wirklich toll und spannend fand.

Einen Tipp gebe ich diesmal nicht ab, weil ich dieses Mal glaub eine Insider-Information habe, da wäre es unfair (und nein, das ist keine umständliche Beschreibung dafür, dass ich den Text geschrieben habe, ich war es nicht ;) )

Grüsse,
Schwups

 

Hey XY,

ich weiß nicht ... ich bin hier nicht Zielgruppe. Stünde der Text mit entsprechenden Tags unter Kurzgeschichten, ich hätte ihn nicht gelesen. Und wenn doch, wäre ich spätestens bei der Folter ausgestiegen. Ich kann mit so was ganz schlecht um. Ist nicht meins.

Nun habe ich ihn aber gelesen und ich denke auch, dass das Thema an sich ganz spannend ist. Ich geh da aber eigentlich auch schon ein Stück weiter und frag mich, ob Hierarchien in solchen Zeiten tatsächlich bestehen können. Also, Oberst und Vizepräsident, das denke ich, ist echt albern. Wer braucht Titel? Was die Leute brauchen, sind Nahrung und Medizin etc. und daher kommt für mich die Macht des Oberst, die Macht des Zentralbunkers, aus der Abhängigkeit heraus. Und dafür ist mir der Prot. dann ein bisschen zu forsch oder zu wenig im Dilemma, wenn er dem Oberst entgegenredet. Ich frag mich auch, warum der Oberst sich das von ihm gefallen lässt und wenn er am Ende denkt, Mac hätte ihn niedergeschlagen, spätestens da hätte er ihn doch auch für einen "infizierten" oder "Spion" oder was weiß ich halten müssen. Also, eigentlich finde ich, der Oberst hat viel mehr Gründe an Mac zu zweifeln, als an Walter.

Zweites Ding was mich beschäftigt, ist die Einheit von infiziert und "Allien". Infiziert sind für mich die Zombies, die der Regen erwischt hat und die Bedrohung (die man nicht benennen kann) geht laut Oberst von Alliens aus. Aber der redet ständig von - Walter ist infiziert. Mich hat das verwirrt, dass das eins ist irgendwie. Walter ist ja nicht irre und man hat auch keine wirkliche Angst vor Ansteckung, wenn die da munter Streife laufen.

Drittes Ding, die Fauna scheint in Ordnung zu sein und wuchert da fröhlich vor sich hin. Warum sind dann Obst und Gemüse Mangelware? Manche Dinge gibt es im Überfluss (Nahrung scheint noch nicht wirklich ein Problem zu sein) Diesel und Kerzen aber schon. Die Drei im Supermarkt dürfen scheinbar auch alles für sich behalten und müssen keine Abgaben an den Zentralbunker machen, der weiterverteilt und so eine Art Ausgleich zwischen den Außenlagern schafft. Ich finde das schwierig, für mich da eine Logik in die Gesellschaftsform zu bringen, die hier aufgestellt wird. Wasser ist Mangel - der Satz wird nur einmal erwähnt, erscheint mir aber ein sehr zentrales Problem in der Dystopie zu sein, den der Regen ist vergiftet. Wo kommt es also her? Oder ist es im Grundwasser angekommen wieder gefiltert, dann ist es aber kein Mangel mehr. Und kein Wasser, da hätte man nach einem Jahr ein echtes Problem. Duschen wäre da sicher nicht drin.
Dann steht da Milch gibt es, Käse aber nicht ... Warum?

Nicht zuletzt die Tiere, die sich hier in der Stadt einen neuen Lebensraum erobert hatten, ...

Wir haben Milch, wir haben Tiere in der Stadt, ich sehe also nicht, dass Tiere gefährdet sind. Dann verstehe ich noch weniger, warum es keinen Käse und nur wenig Milch gibt.
Eine Seite weiter:

Es war ein Hund ... Einer der wenigen, die überlebt hatten?

Und nun sind sie doch gefährdet? Ich krieg das nicht logisch zusammen.

Zu Stil und Personal wurde schon einiges gesagt und ich denke auch, der Oberst und Mac, die hätten viel mehr in Schwarz und Weiß gezeichnet werden können, das hätte der Spannung und der Geschichte sicher gut getan. Obwohl, unspannend war es ja eigentlich nicht :).
Also, Thema hat was für mich, leider konnte die Geschichte mich nicht ganz überzeugen.

Sorry, bei Blut-Hirn-Schranke musste ich an JuJu denken :) Ansonsten lese ich zu wenig in den entsprechenden Rubriken, um hier einen wirklichen Tipp abgeben zu können.

 

Einmal werden wir noch wach ...
Wer noch Mitraten möchte, heute ist der letzte Tag. :)

 

Hallo allerseits!
Glaube, dass die Überraschung nicht allzu groß ausfällt.
Das Posten ohne Namen hat unzweifelhaft seine Vorteile, allerdings unübersehbar auch Nachteile.

Hallo Achillus!
Dass du den Text mit Spannung gelesen hast, freut mich. Natürlich war das erste Anliegen dieses Stückes, Unterhaltung zu bieten. Andererseits wollte ich mich selbst damit auch ein wenig zum Nachdenken anregen, auch andere Positionen beleuchten.
Dabei ging es mir weniger um das Zurückfallen der Zivilisation in die Barbarei. Ein Zurückfallen bedeutet ja immer auch, dass man eine Stufe höher steht, nicht wahr.
Die Story ist um einiges alt, sagen wir sechs, sieben Jahre (und ja, ich habe sie überarbeitet, mehrfach!) Damals ging - und auch heute noch - es mir schon um das Verhalten des Individuums in der Gemeinschaft, die einzelnen Versatzstücke, die notwendig sind, um so etwas Grauenhaftes zustande zu bringen, wie die systematische Ausrottung ganzer Volksgruppen.
Gut, in erster Linie geht es darum hier nicht. Wann ist man berechtigt, einem anderen Menschen Gewalt anzutun, ohne eine »höhere« Berechtigung zu erhalten.

Mit den Figuren hast du sicher Recht, altbekannt, aber auch sicher in der Handhabung. Ich denke nicht, dass ich in der Lage wäre, differenzierte Charaktere plastisch zu erschaffen.

Die Logikfehler, die du anführst sind tatsächlich vorhanden. Bei der Waffengeschichte war ich mir dessen bewusst und ich hatte vor, diesen einen betreffenden Absatz zu löschen. Ich habs nicht getan, weil ich Waffen drin haben wollte, sie sind überflüssig, denke ich. Vielleicht werde ich einen kurzen Passus reinnehmen, dass der Zentralbunker keine Waffen ausgibt, weil man fürchtet, bei einer Infektion könnte Missbrauch damit getrieben werden.

Den zweiten Fehler habe ich bis jetzt so noch nicht gesehen, ich fand die Reaktion nicht falsch, der Oberst hat sich gehen lassen, im Kampf wurde er verletzt. Wenn jemand anders ihn niedergeschlagen hätte, wäre das für ihn viel schlimmer gewesen.
So dachte ich zumindest bis zu deiner Kritik.

Ich finde deinen Satz zu den unaufgelösten Enden als Ermutigung. Obwohl das natürlich auch immer ein Drahtseilakt ist. Wir kennen ja alle diesen Ausspruch (ist der von Hitchcock?), dass, wenn ich eine Waffe einführe, sie auch abgefeuert werden muss. Da sind kleine Dinge vielleicht wichtiger als solche gewaltigen wie eine Weltverschwörung.

Zur Dramaturgie: Ja, die erste Szene. Ich war immer noch gefangen von Alan Weismans »Die Welt ohne uns«, fand diesen Einstieg adäquat.
Jetzt, nach deiner und vor allem Quinns Kritik sehe ich ein wenig anders drauf.
Ja, eigentlich ist der Absatz sinnlos, er erklärt nichts, er beschreibt nur, was wenig später eh klar wird. Ich werde ihn wahrscheinlich löschen. Und dabei weinen.

Die Verhörtechniken übrigens sind samt und sonders abgekupfert von den chinesischen Behörden.

Die Sprache, ja. An der Überarbeitung kann es nicht liegen, ich hab dran gearbeitet! Vielleicht liegts an den Voraussetzungen. Der erste Absatz ist eigenlich gewollt gewesen in dieser antiquierten, sich Zeit lassenden Sprache. Es gibt da noch die Streife des Protagonisten, die ähnlich abgefasst ist. Eigentlich sollte es ein bisschen so wirken wie gute alte Zeit. Na, das scheint nicht zu wirken.

Ich danke dir für die Kritik, deine Bemühungen und die lobenden Worte.

Hallo floritiv!

Die Spannung aufzubauen, war ja nicht allzu schwer, wie du schon erwähnst, ist das wirklich herausfordernde ist. Und nein, ich habs wohl nicht ganz geschafft, die relevanten Enden zu verknüpfen. Ein bisschen sollte das schon so aussehen, wie das Fragment eines längeren Berichtes. Wenn man sein Augenmerk auf die »Zombies« richtet oder die angebliche Invasion, dann kann man entäuscht sein. Und auch der Faden des Menschlichen/ Unmenschlichen kann nicht aufgedröselt werden, wie auch, kein Happpy End!

Die Figuren sind mir sicher holzschnittartig geraten, das ist ein Gutteil Absicht, ich arbeite wirklich dran, differenziertere Charaktere zu erschaffen.

Das Verhältnis Prot - Katastrophe: Ich habe so meine Schwierigkeiten, die Perspektive der Ich-Form rigoros durchzuziehen. Ich müsste, um dabei zu bleiben, wirklich mit den Gedanken arbeiten, und insofern hätte ich das angesprochene Verhältnis sicher besser beleuchtet. Das ist ein Hinweis, den ich mitnehme, allerdings weiß ich schon länger drum.

Der Feinschliff, ja. Ich habe überarbeitet, überarbeitet, überarbeitet. Die erste Fassung war, na ja, sehr holprig.
Der erste Abschnitt, wie gesagt, ist unter der Maßgabe entstanden, etwas gediegener daherzukommen. Was wohl ein Fehler war.


Als unser Gast erwachte (der, dessen Anwesenheit uns so viel Aufregung brachte), bat ich ihn, nachdem er sich etwas frisch gemacht hatte, in ein leeres Zimmer ganz am Ende des Flures. •Klammern sind fast immer aua, hier ist der Einschub außerdem unnötig, da ich ja gelesen habe, dass die Bewohner den Dazugestoßenen als Gast betrachten.

Ja, es gibt zwei Gäste, ich wollte die Beziehung zu Walter ein wenig darstellen und natürlich vermeiden, dass Morx in Bewusstsein kommt.

Alle Hinweise werden abgewogen (oder abgewägt?), die meisten scheinen mir schlüssig.

Danke dir!

Hi Quinn,

Wenn ich das richtig interpretiert habe, hast du den Text nach dem ersten Absatz angwidert beiseite gepackt. Das ist schade, aber ich kann es nicht ändern.

Du hast das Bild vom Restaurant aufgebracht, das sich Mühe geben muss mit dem ersten Eindruck, dass der Gast bleibt. Da bin ich immer noch bei dir. Doch wie weit muss die Geschichte verbogen werden, um diesem Grundsatz treu zu bleiben. Andersherum, muss sich ein Text nicht auch selbst treu bleiben?
Versteh mich nicht falsch, ich bin mir nicht sicher, dass der Text diese Einstieg wirklich braucht (nicht mehr), aber wenn ich als Autor jetzt überzeugt bin, dass das Stück ohne die ersten Absätze nicht mehr das Stück wäre, wo ist dann die Auflösung dieses Dilemmas?

Eigentlich sollte dieser Einstieg genauso funktionieren (!), wie du es beschrieben hast. Ein Bühnenbild, die Ausstattung, das Ambiente, Auftrittt des Protagonisten. Dann abwärts in den Bunker - gerne auch mit einer vernünftigen Perspektive.

Ich muss akzeptieren, dass dies nicht deins ist (um ehrlich zu sein, scheint dieser Abschnitt niemandes außer mir zu sein [gram. völlig holprig, ich weiß]), aber ich habs versucht, auf diese Weise darzustellen, auch wenn es handwerklich nicht besonders gelungen scheint.

Ich danke auch dir für deine Mühe und die Worte.

Hallo Anakreon!
Mit dir hat einer der Stammgäste des Horror-Forums geantwortet und eigentlich konnte die Story nicht an dir vorbei gehen. Folgerichtig erschien auch mein Name dann in der Liste deiner Verdächtigen. Dass der Stil nicht erkennbar war, na ja, ich dachte, dass du mich an Hand der Fehler zweifelsfrei würdest identifizieren können.

Offensichtlich hat dir die Story gefallen, das freut mich, ich hatte allerdings gehofft, dass sie auf den einen oder anderen in punkto Kernthema etwas mehr Eindruck macht. Dass sie das nicht tut, muss ich mir und meinen Fehlern zuschreiben.

Dank natürlich auch an dich, Anakreon!

Hi Schwups!
Als ich das Teil überarbeitet habe, und noch und noch, hatte ich dich und deinen hammerharten Kommentar zum »Labyrinth« im Kopf. Auch wenn mir immer wieder die Schludrigkeit des Textes angelastet wird, kann dies nicht an der aufgewendeten Mühe und Zeit liegen. Wahrscheinlich bin ich zu doof. Wenigstens, die Fehler und Schwächen eines Textes aufzuspüren.

Dass der Oberst weniger boshaft sein sollte, ist ein interessanter Gedanken, aber, wenn man genau nachdenkt, natürlich folgerichtig. Niemand auf der weiten Welt ist nur böse, insofern gerät der Charakter nur lebensechter, wenn er auch gute oder angenehme Seiten hat.
Je weiter ich deinen Kommentar lese, desto klarer wird es. Ja, ein Mann, der seine Pflicht tut und über Leichen geht, ist erheblich gruseliger als ein Psychopath.
Der Kampf Morx - Mac und des Oberstens Entgleisungen sollten eigentlich darauf hindeuten, dass Morx in seinem Inneren von Aggressionen zerrissen ist.

Kinky ist für den Konflikt zumindest insofern wichtig, als er eine Lösung darstellen kann, sich aber für seine eigenen Interessen entscheidet. Somit steht er für einen sehr großen Teil von uns, dass er sich später dagegen stemmt, ist vielleicht ein bisschen blauäugig gedacht.
Aber du hast natürlich Recht mit dem Einwand, dass Kinky ziemlich blass wirkt und letzten Endes nur Staffage ist.

Ich kenne den Film »Five Fingers« nicht, ich hatte tatsächlich »Der Mann, der niemals lebte« vor Augen und in Sachen Spannung (wer wagt es, sich mit dem zu vergleichen?!) »Inglourious Basterds« vor Augen. Die Szene in dem Lokal, ich weiß, dass ich da nie rankomme.


Trotz der doch überdurchschnittlichen Länge (für Geschichten in diesem Forum) fand ich es nie langweilig.

Das ist doch das beste Kompliment, danke.

Tatsächlich ist die Szene der Patrouille eine meiner Lieblinge. Eigentlich sollte sie den Rahmen bilden, zusammen mit der Einführungsszene. Hat aber wohl nicht recht geklappt.

Dank auch dir für die Mühe und die guten Tipps, natürlich gehe ich nochmal drüber.

Hallo Fliege!
Denkbar ungünstige Voraussetzungen, wenn du nicht die Zielgruppe bist. Aber ich hatte gehofft, dass der Text nicht unbedingt so eindimensional wirkt, dass er nur mit den Horror-Elementen punkten kann.

Ich geh da aber eigentlich auch schon ein Stück weiter und frag mich, ob Hierarchien in solchen Zeiten tatsächlich bestehen können.

Eine Kernaussage des Textes ist ja, dass in solchen Extremsituationen das Bestreben darauf liegt, zwingend eine Hierarchie zu schaffen, dass dieses Konstrukt für das Überleben wichtig ist.

Also, Oberst und Vizepräsident, das denke ich, ist echt albern. Wer braucht Titel?

Genau darauf zielt ja der Text. Meine Meinung, dass die Menschen (ein Großteil zumindest) Hierarchien brauchen, Titel, Stellungen. (Der Vizepräsident übrigens ist aus der Zeit vor der Katastrophe).

Ich frag mich auch, warum der Oberst sich das von ihm gefallen lässt und wenn er am Ende denkt, Mac hätte ihn niedergeschlagen,

Ja, ich glaube, das ist ein berechtigter Einwand, der vorher schon gefallen ist. Das kratzt an der Nachvollziehbarkeit.

Wir haben Milch, wir haben Tiere in der Stadt, ich sehe also nicht, dass Tiere gefährdet sind. Dann verstehe ich noch weniger, warum es keinen Käse und nur wenig Milch

Weil Milch und Käse natürlich produziert werden müssen, das bedarf immer Menschen dazu, die in dieser Situation knapp sind.

Es war ein Hund ... Einer der wenigen, die überlebt hatten?

Und nun sind sie doch gefährdet? Ich krieg das nicht logisch zusammen.

Nun ja, Hunde, glaube ich, sind ohne den Menschen nichts. Kaum einer dieser Vierbeiner ist in der Lage, sein Fressen selbst zu beschaffen, das glaube ich zumindest.
Das ist natürlich alles Spekulation, niemand weiß genau, was in solch einer Situation passiert.

Wenn du schreibst, ich sollte mehr Schwarz - Weiß zeichnen, dann weiß ich nicht, ob das nicht zulasten der Glaubwürdigkeit der Charaktere geht. Zumal sie ja in dieser Form noch nicht mal recht glaubwürdig sind.
Oder meintest du, Schwarz und Weiß in einer Person?

Schade, nochmals, dass das nicht dein Thema ist.

Ich bedanke mich darum um so mehr bei dir, dass du trotzdem durchgehalten und Tipps gegeben hast.

Soweit erstmal von mir, hat Spaß gemacht.

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Die Sprache, ja. An der Überarbeitung kann es nicht liegen, ich hab dran gearbeitet!

Hallo Hanniball,

also es fällt mir schwer, Dir das so abzukaufen. Jemand, der um die siebzig Geschichten ins Forum gestellt hat, wird doch wohl erkennen, dass

Die Sonne war noch zu erkennen, doch die ersten schweren Wolken türmten sich über der Skyline auf. Es war abzusehen, dass es in Kürze zu regnen beginnen würde.
Die unnatürliche Stille in den Straßen, die letzten Endes doch nur natürlich war, das vollkommene Fehlen von Lärm, die Abwesenheit jeglicher von Menschen verursachter Geräusche, schufen eine Atmosphäre, die für eine Großstadt wie diese surreal und ohnegleichen war.

es so nicht geht. Nach Lautähnlichkeiten und Wortdopplungen zu suchen und diese solange zu eliminieren, bis das Problem behoben ist, stellt ja im Grunde eine reine Fleißarbeit dar.

Meinem Eindruck nach hast Du bei der häufigen Verwendung von "war" oder "ist" oder "hat" gleich zwei Probleme. Neben der Lautwiederholung, die immer unangenehm klingt, sind das auch Verben, die kein Bild ergeben im Gegensatz zu beispielsweise tanzen, schwimmen, lachen, stehlen. "Sein" ist eben keine sichtbare Handlung.

Also das in Summe spricht dafür, die Anzahl von "war"/ "ist" etc. so radikal wie möglich zu reduzieren.

Beste Grüße
Achillus

 

Hey Hanniball,

Aber ich hatte gehofft, dass der Text nicht unbedingt so eindimensional wirkt, dass er nur mit den Horror-Elementen punkten kann.

Nein, er hat ja auch noch diese Dystopie-Elemente, die aber auch nicht unbedingt meins sind :).

Eine Kernaussage des Textes ist ja, dass in solchen Extremsituationen das Bestreben darauf liegt, zwingend eine Hierarchie zu schaffen, dass dieses Konstrukt für das Überleben wichtig ist.

Darauf bin ich gar nicht gekommen, dass das die Kernaussage des Textes sein soll. Also, da muss ich ganz klar sagen, davon hat mich der Text nicht überzeugt. Da müsste viel mehr in den Text, wo es eben diese Hierarchien benötigt, wie sie Ordnung und Überleben ermöglicht und das tut der Text für mich nicht. Da kommt ein Oberst und foltert einen unschuldigen Menschen, weil er sagt, von ihm gehe eine Gefahr aus, die aber nicht besteht, und dass soll mich davon überzeugen, Hierachien sind wichtig? Wenn die Übriggebliebenen sich alle gegenseitig an die Wäsche gehen würden, wegen Mangel an und Kampf um und das es dann eine ordnende Hand braucht, so aufgezogen, würde ich es als Kernthema auch begreifen. Wie ich aber aus der Folter heraus darauf schließen soll, dass so Typen wie der Oberst wichtig sind ... ich weiß nicht. Vielleicht wenn sich am Ende rausgestellt hätte, dass der Oberst doch Recht hatte und der Gefangene tatsächlich eine Bedrohung darstellte, schon eher.

Genau darauf zielt ja der Text. Meine Meinung, dass die Menschen (ein Großteil zumindest) Hierarchien brauchen, Titel, Stellungen. (Der Vizepräsident übrigens ist aus der Zeit vor der Katastrophe).

Ich gehe ja mit, dass der Mensch ein gewisses Bedürfnis nach Ordnung hat und so, und das Hierarchien vieles auch erleichtern bzw. ermöglichen können. Sie sind ja überall auch im Alltag vertreten, in Wirtschaft und Politik, wahrscheinlich auch in vielen Familien. Aber vor dem Bedürfnis nach Ordnung, kommt das Bedürfnis nach Überleben, und ich denke, in Zeiten eines akuten Mangels, steht das ganz weit vorn. Klar ist da eine Hierarchie sinnvoll, damit sich nicht alle gegenseitig die Schädel einschlagen, aber ich denke, die durchzusetzen, da bräuchte es schon eine starke Armee dahinter und entsprechende Strafen bei Nichtachtung, da reichen Titel nicht aus, schon gar keine die aus einer anderen "Zeitrechnung" stammen.

Weil Milch und Käse natürlich produziert werden müssen, das bedarf immer Menschen dazu, die in dieser Situation knapp sind.

Das wäre doch ein schöner Moment die "neue Ordnung" auch darzustellen. Arbeitstunden. Das Wachelaufen empfand ich irgendwie bealanglos. Und es ist ja auch zeitmäßig relativ wenig, was sie da ableisten müssen, wenn es einen solchen Mangel an Arbeitskräften gibt. Ich denke, da hätte schön jeden Morgen ein LKW kommen können und alle einsammeln und abends wieder ausschütten und dann muss noch Nachtwache geschoben werden. Die haben da je eigentlich ein ziemlich entspanntes Leben in ihrem Bunker für die Umstände, die da herrschen. Und in solchen Momenten, wenn sich dann wer auflehnt, da kann man Hierachie zeigen und warum sie in dieser zeit wichtig ist, weil, wenn die alle Meutern, gibts halt keine Milch, keinen Käse, so zwei Tage Arbeitsverweigerung und die Euter der Kühe sind entzündet und dann haben wir auch ein Problem ...
Nun ja, Hunde, glaube ich, sind ohne den Menschen nichts. Kaum einer dieser Vierbeiner ist in der Lage, sein Fressen selbst zu beschaffen, das glaube ich zumindest.

Okay, das kaufe ich. Bin ich beim Lesen selbst nur nicht drauf gekommen, weil ich so von, es gibt Tiere, es gibt keine Tiere verwirrt war.
Oder meintest du, Schwarz und Weiß in einer Person?

Unbedingt!

Schade, nochmals, dass das nicht dein Thema ist.

Dafür kannst Du ja nichts. Deshalb treffen wir uns auch erst jetzt, nach wie vielen gemeinsamen Jahren KG? Aber schön, dass wir es dann mal taten. Maskenball machts möglich ... ach schön.

Beste Grüße, Fliege

 

Hallo Hannibal,

also ich hab die Geschichte insgesamt gern gelesen. Gehöre zu denen, die immer wieder von Dystopien »angezogen« werden. Das hat schon was pervers-faszinierendes, so ein Endzeit-Szenario, die Zivilisation ist flöten und damit regiert wieder das Recht des Stärkeren. Ich denke, hier wird beim Leser die Frage getriggert: WIe würde ich mich in einer solchen Extrem-Situation verhalten?
Dafür muss das natürlich alles in sich stimmig angeboten werden. Das empfinde ich hier zu große Teilen auch so, aber einige Sachen, die zum Teil auch schon genannt wurden, wirken nicht ganz rund auf mich. Bspw die Rationierungs-Frage. Kaffee gehört ja nun wirklich zu Luxus, massenweise Zucker dazu. Dann der Käse, die Milch. Hä, wie jetzt genau? Naja, das sind so schiefe Bilder für mich.
Auch der Rundgang. Also, da wird sich vor einem gewöhnlich wirkenden Menschen gefürchtet, weil das ja ein angepasster Infizierter sein könnte, aber die Steher, die kann man sogar streicheln, wenn man möchte, weil die stehen da ja imme nur rum, von dene geht keine Gefahr aus. Und was tun eigentlich die Schwärmer? Wie infizieren die einen? Davon habe ich gar kein Bild bekommen. Und dann also insgesamt unbewaffnet raus. Nee, das passt irgendwie nicht.
Dann der Morx. Ich weiß nicht. Für mich kam der Ausbruch schon sehr plötzlich. Ich nehm da jetzt keine Steigerung wahr. Bin mir auch nicht sicher, dass es den Ausbruch braucht, die wahre Spannung entsteht ja durch dieses ganze Unterschwelige. Potentiell ist da jeder gefährlich. Aber der Ausbruch, naja, der bietet jetzt ja keine Erkenntnis und ich fand dieses Hysterische Rumgebrülle mit den "Säuen" nicht überzeugend. Vor allem auch nicht den Abgang. So, jetzt ist gut, der Höhepunkt war da, wir gehen wieder. Und kann der einfach so gehen? Also würde er? Vielleicht hat ihn der Schlag auf den Kopf wieder aus seinem Wahnzustand rausgeklopft. Aber an sich ist doch nun auch der Ich-Erzähler (einmal als Held betitelt - das hab ich nicht begriffen) ein Verräter in dessen Augen.
Von der Besetzung her ist die kg sehr klassisch angelegt. Aber das finde ich nicht dramatisch. Die üblichen Verdächtigen halt nach der Invasion ;)
Auch, dass das ganze eine ziemlich Mischung aus diversen Hollywood-Verfilmngen ist, das will ich den Text nicht anlasten. Das ist ja so deutlich angelehnt, dass man das auch so augenzwinkernd liest. I am legend, twelve monkeys zum Einstieg, später hat es was von The thing und zwischenzeitlich erinnert es mich stark an Puls von King, also wo die Zombies da so "sinnlos" um die Gebäude versammelt sind. (Gut, wurde noch nicht verfilmt). Der Sadisten-Oberst, da spielte sich Postman in den Vordergrund.
Die Auflösung, die keine ist, mja, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Was die Infizierung anbelangt: Ich find das ganz gut so, du zeigst hier einige Möglichkeiten auf. Vielleicht stimmt eine davon, vielleicht gar keine.
Ob sich der Walter jetzt wirklich selbst umgebracht hat? In meiner Lesart könnte es auch Kinky gewesen sein. Oder der Oberst. Ein Wiedersehen gibt es sicherlich.
Wie einstiegs gesagt, habe ich den Text gerne gelesen, ganz rund ist er aber noch nicht. Sind auch noch einige Schnitzer drin was Vertipper angeht.
In jedem Fall hast du mich hiermit angezeckt, mal meine eigene Dystopie-Geschichte aus der Schublade zu kramen und daran weiterzufeilen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hi Achillus, nochmal!

also es fällt mir schwer, Dir das so abzukaufen. Jemand, der um die siebzig Geschichten ins Forum gestellt hat, wird doch wohl erkennen,

Nach Lautähnlichkeiten und Wortdopplungen zu suchen und diese solange zu eliminieren, bis das Problem behoben ist, stellt ja im Grunde eine reine Fleißarbeit dar.

Da hast du wohl Recht, ich bin ja selbst immer ein penetranter Kritiker solcher Unsauberkeiten. Und so,wie du es siehst, ist es absolut nachvollziehbar.
Allerdings möchte ich zu bedenken geben, dass erstens, dieser Abschnitt in einem anderen Tempo, einem anderen Stil daherkommt (en soll), als es der übrige Text tut. Mag sein, dass es nicht gelungen ist (was heißt, mag sein, fast jeder hat diesen Abschnitt kritisiert), ich werde dieses Stück auch noch einmal - mit neuer Sichtweise - überarbeiten.
Zweitens gibt es doch auch verschiedene Arten zu überarbeiten. Man hat Zeit, man hat keine Zeit (objektiv!), da hat vieles nichts mit Nichtkönnen zu tun.
Aber natürlich, ich geh nochmal drüber.


Also das in Summe spricht dafür, die Anzahl von "war"/ "ist" etc. so radikal wie möglich zu reduzieren.

Das ist der springende Punkt: Ich wollte nicht reduzieren. Wie gesagt, vielleicht eine falsche Entscheidung.

Trotzdem, oder gerade deshalb, hat es mich gefreut, nochmal von dir zu hören!

Und hallo Fliege!

Eine Kernaussage des Textes ist ja, dass in solchen Extremsituationen das Bestreben darauf liegt, zwingend eine Hierarchie zu schaffen, dass dieses Konstrukt für das Überleben wichtig ist.

Darauf bin ich gar nicht gekommen, dass das die Kernaussage des Textes sein soll.

Nun ja, die gewollte Aussage war eigentlich, dass Folter Scheiße ist.:D
Während des Schreibens (ich weiß, das sind denkbar schlechte Vorraussetzungen), hat sich dann mehr und mehr diese Intention herauskristallisiert. Vielleicht ist das auch das Manko des Stückes, wenn ich das so sagen darf: Dass hier mehrere Felder beackert werden, zur Zufriedenheit keines Themas, weiß nicht.

In jedem Fall ist es natürlich so, dass bei diesem Thema, was wäre, wenn, immer ein Haufen Fakten zu beachten sind, Eventualitäten, die in die eine oder andere Richtung schwingen können. Dafür ist ja nun dieses Forum hier bestens geeignet.

Ich gehe ja mit, dass der Mensch ein gewisses Bedürfnis nach Ordnung hat und so, ... Aber vor dem Bedürfnis nach Ordnung, kommt das Bedürfnis nach Überleben.

Womit wir mitten drin sind in solch einer philosophisch angehauchten Diskussion. Ich denke schon, dass der Mensch angelegt ist, in Hierarschien, in Gruppen zu agieren. Meine Gruppe ist die richtige, hier ist es heimelig, wir sind die Guten, die andern sind die Bösen. Mein Gott, das kann man auf jedem Schritt in unserer jetzigen Gesellschaft sehen. Und innerhalb einer Gruppe muss es zwingend eine Hierarchie geben. Ich muss zugeben, mich damit noch nicht intensiv beschäftigt zu haben (Hierarchien), aber das ist meine feste Überzeugung.

Das wäre doch ein schöner Moment die "neue Ordnung" auch darzustellen.

Da gebe ich dir uneingeschränkt Recht.

Oder meintest du, Schwarz und Weiß in einer Person?

Unbedingt!

Da sind wir dann in derselben Bahn.

Deshalb treffen wir uns auch erst jetzt, nach wie vielen gemeinsamen Jahren KG? Aber schön, dass wir es dann mal taten.

Hoffe mal, dass es nicht eintäglich war. Eigentlich kann man dieselben Themen, die ich seit Jahren im weggesperrten Horror-Bereich beackere genauso gut in Gesellschaft oder Alltag abarbeiten.

Schönen Dank für deine Meinung!

Hallo weltenläufer!

WIe würde ich mich in einer solchen Extrem-Situation verhalten?

Wahrscheinlich ist das sogar die Essenz aus dem Stück. Ich habe versucht, so wenig wie möglich Argumente für die eine oder die andere Seite zu liefern.

Die Argumente wegen der Rationierungen kann ich nachvollziehen, wohl weil die Darstellung schlecht nachvollziehbar ist. :shy: Ich war aber bestrebt, so wenig wie möglich zu erklären. Das kommt dann doch immer ein wenig oberlehrerhaft daher. Denn die Perspektive ist ja eher der Bericht als ein Tagebuch. Wenn ich in die Schiene geraten wäre, zu erklären, dass Milch sich erheblich länger hält als Käse, dass Kaffee sehr gern gestreckt werden kann, das hätte dem Ganzen einen Anstrich gegeben, den es nicht haben sollte. Weiß nicht, ob es da ein Mittelding gibt, es liegt wirklich viel im Dunkel.

Dann der Morx. ... Ich nehm da jetzt keine Steigerung wahr.

Auch das ist natürlich richtig. Ich hatte versucht, die Aggressivität unter der Oberfläche Morx' darzustellen, die eigentlich nur einen kleinen Auslöser braucht, um sich Bahn zu brechen. Sicher bin ich damit nicht deutlich genug geworden. Schade. Noch ein Punkt für die Überarbeitung.

die wahre Spannung entsteht ja durch dieses ganze Unterschwelige.

Ganz genau.

Und kann der einfach so gehen? Also würde er?

Ja, das wurde schon angesprochen, das ist interessant. Würde ja bedeuten, dass der Text gar nicht zu Ende ist.

Von den angesprochenen Filmen/ Romanen kenne ich eigentlich nur The Thing von Carpenter und Puls von King.
Puls, ja, da ist wohl Ähnlichkeit. Aber die "Zombies" sind hier wirklich nur Beiwerk, hat mich ehrlich gesagt nicht sehr interessiert.
Und Thing, ja, da gibt es Stücke von mir, die sind wirklich kackdreiste Abkupferungen. Äh... Huldigungen.:hmm:

In jedem Fall hast du mich hiermit angezeckt, mal meine eigene Dystopie-Geschichte aus der Schublade zu kramen und daran weiterzufeilen.

Na dann! Ich bin gespannt.

In jedem Falle danke ich dir. Für die kritischen Worte, fürs Lob und die hilfreichen Anregungen!

Schöne Grüße von meiner Seite!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hanniball,

ich will dir schon ganz lang schreiben. Also seitdem ich weiß, dass die Geschichte hier von dir ist, und ich sie dann auch vollständig gelesen habe. Aus Zeitgründen heute nur kurz.

Nachdem ich deine Geschichte vollständig gelesen hatte, fand ich sie spannend.
Dystopien, Gruppenpsychologie, das alles entfaltet ja immer wieder seinen eigenen Reiz, wenn man es schafft, es mit menschlichen Grundkonflikten zu verknüpfen, ich finde, dass dir das gelungen ist.

Interessant fand ich, was Fliege schrieb.
Ich bin unsicher, ich kann mir trotzdem vorstellen, dass (wenn Leute auf sich gestellt sind) schnell
eine Gruppenordnung entsteht. Ich will das extra mal nicht Hierarchie nennen, ich denke einfach, der Mensch ist sehr daran gewöhnt, solche Ordnungen aufzustellen. Entweder weil es eine Naturkonstante ist oder weil der Mensch an gesellschaftliche Zusammenhänge von Oben und Unten sehr gewöhnt ist.
Ob man sich allerdings immer automatisch dem Typen mit den fettesten Eiern und dem größten Maul unterordnen würde, das will ich nicht hoffen. Und das glaube ich auch nicht. Ich denke mir, in solchen Szenarien spielen schon auch das Wissen oder eine logistische Kompetenz oder medizinische oder technische Kenntnisse eine Rolle. Von daher ist mir der Oberst hier ein bisschen zu vordergründig gezeichnet.
Aber wie auch immer, solche Fragen wie z. B., wie verhält man sich eigentlich in so einer Situation, ordnet man sich unter aus Angst, widerspricht man? Schert man aus einer Gruppe aus? Liegt man mit seinen Entscheidungen richtig oder hat nicht doch der Oberst mit seinem Misstrauen gegen Walter Recht? Das macht eine Geschichte schon interessant.
Das alles stellst du gelungen dar, die Grundkonflikte stellen die Folterszenen außerdem in einen angemessenen Rahmen. Also den größten Teil habe ich sehr gerne gelesen.

Ich sage aber auch, dass ich die Geschichte überhaupt erst dann ganz gelesen habe, als ich deinen Namen sah, da habe ich mich dann doch durch den Anfang durchgewurschtelt.
Also ich will nicht schimpfen, aber den Beginn, diesen Schwenk über die Szenerie, das musst du echt überarbeiten. Es hat mich richtig rausgehauen und wie gesagt vom weiteren Lesen abgehalten. Ich weiß schon, es soll extra in einer anderen Sprache sein und in einer anderen Perspektive, ich weiß aber gar nicht, was diese Draufschau bringen soll. Die gesamte Atmosphäre könnte man auch anders darstellen.
Du hast dich halt für diesen Panoramaschwenk entschieden und durch deine Sprache distanziert halten wollen. So eine Draufsicht, die alles von oben zeigt. Man kann das ja machen, aber du hast dich sehr in die Idee versteift, dass die Sprache da völlig anders klingen muss als sonst bei dir. Als hättest du sie künstlich aufpathetisieren wollen. Und das ist dir dann halt nicht geungen, weil du dich für umständliche Formulierungen entschieden hast. Also wenn du dieses Panorama am Anfang beibehältst, dann muss die Sprache aus meiner Sicht ganz klar und sehr flüssig und rhythmisch sein, da darf echt nichts holpern. Von daher auch von mir der Rat, den Beginn tierisch zu überarbeiten.

Also, lieber Hanniball, von der Einstiegsszene abgesehen habe ich mich gefreut, mal wieder was von dir zu lesen.
Lass es dir gut gehen, viele liebe Grüße von Novak

 

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