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Die Keksdose

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02.02.2004
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Die Keksdose

Die drei Freunde sitzen im Baumhaus und starren auf das verbeulte Ding vor ihnen auf dem Boden.

„Und? Wer macht sie auf?"
„Ich ganz bestimmt nicht, wer weiss, ob da eine Kröte rausspringt?“
„Mädchen!“
„Wo hast du das alte Blechding eigentlich gefunden?“
„In einem alten Holzschuppen im Wald.“
„Vielleicht ist es ja ein verwunschenes Schmuckkästchen?“
„Oder nur die Brotdose eines Holzfällers.“
„Mach schon auf.“
„Ich bin ganz aufgeregt.“
„Mist, das Ding klemmt.“
„Vielleicht ist eine Kette drin? Von einer alten Gräfin ...“
„Goldmünzen! Das wär cool. Davon kaufen wir uns dann Eis und Schokolade.“
„Oder vielleicht ein blutiger Finger, vom letzten Holzfäller, harhar ...“
„Igitt, Du spinnst ja.“
„Probier es mal mit meinem Taschenmesser."
Er nimmt das Messer und fummelt mit der Klinge am Deckelansatz herum.
„Mach sie nicht kaputt.“
Die Klinge rutscht ab und bohrt sich in seine Hand.
„Autsch, Scheisse!“
Die Dose fällt zu Boden und springt auf.
Staub weht durch den Raum und kleine Knochen kullern über die Holzplanken.
„Whää?“
„Was zum ..."
„Wahnsinn!“

„Oh, deine Hand tropft.“
„Du verblutest!“
„Ist doch nur ein Kratzer.“
Er zieht ein schmutziges Taschentuch aus der Hose und wickelt es um seine Hand.
„Hm, war das mal ein Vogel?“
„Eher eine Ratte. Oder ein kleines Kätzchen ...“
„Ein Käuzchen? Ach wie süss.“
„Das ist eine verweste Leiche, was ist daran süss?“
„Die Frage ist doch, wie kam das Tier da rein?“
„Ja, wie konnte das Käuzchen die Dose öffnen …“
„Sonnenklar, die Keksdose ist so was wie eine Urne.“
„Du meinst, da hat jemand sein Haustier begraben?“
„Zu Weihnachten wünsche ich mir auch ein Käuzchen.“
Blut tropft aus dem Taschentuch und trifft den kleinen Schädelknochen.
„So'n Mist, Blutet doch wie Sau.“
„Und wer macht jetzt den Dreck weg?“
„ES HAT SICH BEWEGT“
„Boah, das Ding setzt sich zusammen.“
„Seht ihr das? Wie geht so was?“
„Ich will nach Hause …“
„Kacke, es wächst, ah, meine Hand ...“
„Es wird immer grösser, raus hier …“
„Mama …“

Da man in der Baumhütte Blutspuren fand, ging die Polizei von einem Verbrechen aus. In einer alten Holzfäller-Hütte ganz in der Nähe der Baumhütte fand man eine Keksdose mit DNA Spuren eines der vermissten Kinder.
Nach einer Woche wurde die erfolglose Suche mit Spürhunden eingestellt. Die Dose landete in der Asservatenkammer. Es gibt Gerüchte, man höre ab und zu das Maunzen einer Katze. Gesehen hat das Vieh aber noch niemand …

 

Dieser kleine Text aus dem bereits vertrauten Baumhaus (von boy-scouts seligen Angedenkens),

lieber dot,

ist – da drei oder mehr Meter abgehoben überm festen Boden – Hochliteratur bar excellence mit einer heiteren und einer tragischen Seite, finden die drei Freunde (man glaubt, sie aus der Weltliteratur bereits zu kennen) ein verbeultes Ding – wie sich nach näherer Forschung durch die Spusi als blecherne Keksdose herausstellt – mit Resten eines vermeintlichen (in alphabetischer Reihenfolge) „Kätzchens“ oder „Käuzchens“ (der klangliche Unterschied besteht allein in der Umlautung der betonten ersten Silben, also zwischen ’kætz- und ’koitz-, die Auslautung ist bei beiden das verniedlichende, wenn auch unbetonte -chen), was ein kauziges, aber doch wundervolles Wortspiel ist. Ich erhalte vom Pfuisikprofessor X. Perri Mental und aus den Psychoanalen des Vroidenreich Weinsteg folgenden Deutungsversuch:

Mit Knöchelchen und auch unwesenden Kadavern ward in der Vergangenheit die Zukunft - also heute - erkannt – dass wir getrost die Knochen als Moiren, Parzen oder Nornen bezeichnen können (je nach Sichtweise), welche, wie die Darstellung uns vorgaukeln will, die drei Freunde verschlingen, nicht ohne vorher eine DNA Spur zu hinterlassen, welche sicherlich sorgfältig in der DNA-Bibliothek zu Weinma' aufgenommen werden wird, wie ja auch das berühmtere Parisurteil bis heute in der Weltliteratur herumgeistert.

Paris (cookie tin auf Neusprech) gibt es immer noch als (H)Ort der Liebe, schöner und vor allem größer denn das zwölffache Troia je gewesen - wer wüsste aber heutigentags noch um die drei Göttinen, wäre nicht Athen ständig in den Schlagzahlen …

Tatsächlich handelt es sich um eine traum(un)artige Umkehrung der realen Vorfälle, da wir den Vorfall als tin-napping auffassen müssen durch die Bande auf dem Baumhaus, um an die cookies zu kommen.

Mental Weinsteg

Soweit der Rat der Waisen.

 

Na gut, wenn die Geschichte unter Horror gestanden hätte, hätte ich sie nimmer gelesen und einen gruselnden Lacher verpasst.
Ich vermute mal, die textformatliche Differenzierung der Sprechenden ist als Experiment ausgegeben. Bei diesem kurzen Text geht es für mich so gerade. Längere Texte wären vielleicht per se ein Horror, weil ich die Formatierungen schwer zuordnen kann (wohl ein mentaler Fehler von mir).

Ansonsten nette Geschichte

Jo

 

@Friedrichard
Schön, konnte ich dich anscheinend erneut ins persönliche Fotoalbum der Pfadifinderzeit versetzen. Bis zum Koitzchen konnte ich einigermassen folgen, bei den Ausführungen Weinstegs musste ich mental passen. ;)

@jobär

Ich vermute mal, die textformatliche Differenzierung der Sprechenden ist als Experiment ausgegeben.
Genau, das war die Intention.

Ansonsten nette Geschichte
Danke, die stand dabei ja nicht im Vordergrund.

Hier noch der Arbeitstitel

Boldi, Kurtsiv und Underline - oder Horror mit Format.​
den ich jedoch durch das Experiment selber auflösen wollte.

Was mich dabei interessieren würde, funktioniert die Zuweisung zum Sprecher ohne Bezugsverben 'sagt', 'meint', 'schreit' und dergleichen?

Danke euch Beiden fürs Kommentieren,
Gruss dot

 

Hallo dot!

Schließe mich Friedrichard an; da ist mehr Inhalt als Text! Kompliment!

Was mich dabei interessieren würde, funktioniert die Zuweisung zum Sprecher ohne Bezugsverben 'sagt', 'meint', 'schreit' und dergleichen?
Ich hatte kein Problem.

Interessant fand ich am Schluss, da musste ich ein wenig drüber nachdenken, die Keksdose . ;)

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix

Schließe mich Friedrichard an; da ist mehr Inhalt als Text! Kompliment!
Danke! Das freut mich ungemein, wollte ich doch nebst der "wer spricht gerade"-Formatierung den Text tatsächlich "reduce to the max" rüberbringen.

Interessant fand ich am Schluss, da musste ich ein wenig drüber nachdenken, die Keksdose.
Es ist sogar die Keksdose, denn es sind ja alle drei Freunde verschwunden.

Danke fürs Lesen und Nachdenken,
Gruss dot/

 

Was mich dabei interessieren würde, funktioniert die Zuweisung zum Sprecher ohne Bezugsverben 'sagt', 'meint', 'schreit' und dergleichen?

Null problemo, würden selbst AußerirdischeLebensFormen meinen.

Was die Herren Vroidenreich und Perri auf dem Steinweg betrifft, so seh ich sie erst nächstes Mal. Derweil könnte man die Zukunft auch aus Innereien oder dem Vogelflug erkennen, sofern man die richtige Brille trüge.

Trefflich wäre eigentlich der Arbeitstitel

Boldi, Kurtsiv und Underline - oder Horror mit Format
oder - nach dem samstägl. Spiele das weiche B durchs harte P zu ersetzen. Aber Horror - ob ernstlich betrieben (siehe Libyen) oder "nur" literarisch - ist allemal ein Horror.

Gruß

Friedel

 

Danke Friedel,
inzwischen ist mein Geist auch etwas wacher und Athen(e) rüttelte mich wach (oder war's der Kaffee?)

wie die Darstellung uns vorgaukeln will, die drei Freunde verschlingen
Miau!

wie ja auch das berühmtere Parisurteil
Das Urteil des Paris, ich Dödel. Nicht die Stadt der Liebe und seinem ollen Eisenturm zu Babel, oder aus der Eifel? Wäre da nicht noch ein f ... :bonk:

 

Hallo dot,

da bin ich denn doch noch’ma’, denn nach einer heutigen Meldung wird „derzeit die Velberter Polizei“ durch „eine außergewöhnliche Entführung“ beschäftigt:
Ein Tag vor Deiner Veröffentlichung (!) wurde „das Opfer … verschleppt und ist bislang nicht wieder aufgetaucht. / Es saß friedlich vor einer Bäckerei auf einem weißen Plastikstuhl. Plötzlich hielt ein weißer Kastenwagen“ – gelegentlich wird man an Blechkisten erinnert – „an, ein junger Mann sprang vom Beifahrersitz auf die Straße und ging direkt zum Eingang des Ladens. Er schnappte sich sein wehrloses Opfer und schleuderte es ins Fahrzeug.“

Aber ernster als dieser verfrühte potenzielle Aprilscherz -

selbst nach einer heut noch gebräuchlichen, wenn auch (be)müthische(re)n Variante, wäre die Büchse der Pandora zu nennen. Die „Allgeberin“ (so die Bedeutung des gr. Namens) gilt den alten Griechen als erste Frau (analog Eva [hebr. „Mutter allen Lebens“]). Die wurde i. A. des Zeus durch Hephaistos (Feuer!) „geschmiedet“ (wie sähe heute die Schöpfung eines Schmiedes aus?), dass man getrost von der Büx’ auf deren Besitzerin schließen darf (heute wär’s natürlich 'ne Wundertüte oder ein Überraschungsei). Der blöde Bruder des Prometheus hat die Büxe nicht nur geheiratet (so weit sind die drei Freunde wahrscheinlich noch lange nicht),

„Ich ganz bestimmt nicht, wer weiss, ob da eine Kröte rausspringt?“
„Mädchen!“,
sondern ist auch eingedrungen (fuck & die!).
In diesem Fall bleibt nicht mal die Hoffnung zurück, obwohl die Sage danach geht …

Gruß

Friedel

Ach so:
„Bei dem brutal verschleppten ‚Entführungsopfer’ handelt es sich um einen etwa 1,50 Meter großen, braunen, sehr kräftigen Stoffbären … / Über Hinweise zu Täter und Fahrer oder zum Tatfahrzeug … freut sich die Velberter Polizei.“ [WAZ vom 26.10.2011]

 

Hallo Friedel,

habe fast deinen Nachtrag übersehen.
Damit bringst du eine sexuelle Komponente mit ins Spiel, die eigentlich so nicht gedacht war, aber bei heranwachsenden Jugentlichen natürlich immer leise mitschwingt.
Bei Stephen Kings "ES" wurde sie sogar überlebenswichtig, als Beverly Marsh sich den anderen Jungs hingab.

Bei "die Velberter Polizei" habe ich zuerst veralberte gelesen. Hach, Dr.Freud ist schon ein lustiger Vogel ...

Gruss dot

 
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„Und? Wer macht es auf?"
Wer ist das? Warum ist der nur einen Satz lang da? Oder kann Kurtsiv auch Dialekte? ;)

War nett zu lesen, wenn ich auch zugegen muss, dass ich das Experiment nur dank der Keksdose gelungen finde, sonst wäre es mir zu einfach gewesen. Die habe ich als Clou erkannt ;).

LG svg

P.S.: Gerade noch gesehen. Diese Stelle mag ich nicht:

- Hust, Würg –

Finde ich zu sehr comic-like.
- Ich auch!
- Echt?
- Ja, echt!
- Ihr spinnt ja!
- Nicht böse gemeint! Passt nur nicht zum restlichen Text!
- Hmmm!
- Wieder Freunde?
- Klar!

Macht nicht nur Spaß zu lesen, sondern auch zu schreiben! :D

P.P.S.: Und noch mal ich; die Geschichte geht mir nicht aus dem Sinn. Wäre der Titel "die Keksdose" nicht passender? Immerhin wird sie so im Text genannt!

 
Zuletzt bearbeitet:

Oder kann Kurtsiv auch Dialekte?
:lol:
Nein, nein, der redet nur einen Dialekt, danke!
Ist mir auch nach dem x-ten mal Durchlesen nicht aufgefallen.

Die habe ich als Clou erkannt
Cool, verblüffte mich sogar selber, welche Wirkung die Keksdose erzielte, ist doch die ganze Tragweite des Dramas darin versteckt.

- Hust, Würg –
Finde ich zu sehr comic-like.

Finde ich zu sehr comic-like.
- Ich auch!
- Echt?
- Ja, echt!
- Ihr spinnt ja!
- Nicht böse gemeint! Passt nur nicht zum restlichen Text!
- Hmmm!
- Wieder Freunde?
- Klar!

- Aber ich kann doch da nix für!
- Na ja, Kurtsiv sollte halt mal was dazu sagen.
- Was zum ...
- Das ist gut! Das nehmen wir!
;)

Danke svg fürs Lesen und Auseinanderklamüsern.
dot

P.P.S

Wäre der Titel "die Keksdose" nicht passender? Immerhin wird sie so im Text genannt!
Jo, warum eigentlich nicht, dann wirds runder.
Erledigt.

 

Er redet immer noch Dialekt!!!
Gruselig!

Wäre es eigentlich besser, wenn's hiesse:
- Und, wer macht SIE auf? oder - Und, wer macht's auf?

 

Jetzt wo du es schreibst... ja fände ich besser...

aber diesbezüglich ist es kritteln auf hohem Niveau ;)

 

- Und wer macht es auf?
- Sie!
- Ich?
- Nein, es heisst: "wer macht sie auf" !
- Ach so!
:p

 

Hallo dotslash

Bei Experimenten tu ich mich ja immer etwas schwer. Doch jetzt nach erneutem Lesen, nachdem ich es vor einigen Wochen schon mal inspizierte, entblättert es sich meiner Begriffsstutzigkeit.

„Hach, ist das aufregend.“

Nur hier rätsle ich nun wieder, wieso dieser Satz mir so vertraut erscheint. Bei Loriot, nein, da hatte ich es kaum gehört. Bei Didi Hallervorden, da lief ich immer weg. Oder bei Heinz Rühmann, bevor er in die Seifendynastie eintrat, vielleicht, oder doch eher nicht, es ist zu lange her. Denkbar wäre ja auch, dass diese Markierung mir vom ersten Lesen haften blieb. Zu dumm, jetzt bleibt es mir wie ein Ohrwurm erhalten, da ich die Antwort nicht weiss.

Das Schöne, es nochmals angesehen zu haben ist, die Erkenntnis, erstmals ein Horror-Experiment gelesen zu haben, dazu ein gelungenes.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Sälü Anakreon

Bei Experimenten tu ich mich ja immer etwas schwer. Doch jetzt [...] entblättert es sich meiner Begriffsstutzigkeit.
Klasse, der Text hat dich doch noch erreicht.

"Hach, ist das aufregend! Hühühühüh ---"
Jetzt wo du's sagst, menno, Didi Hallervorden, ganz klar, ouu, ich schreib das um, nix gegen Hallervorden, aber diese Assoziation passt hier gar nicht!

Das Schöne, es nochmals angesehen zu haben ist, die Erkenntnis, erstmals ein Horror-Experiment gelesen zu haben, dazu ein gelungenes.
Hach, das druck' ich mir aus!

Danke fürs (erneute) Lesen und Gutfinden.
Gruss dot

 

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