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Thema des Monats Lasten

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01.08.2008
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Lasten

Weru erwachte aus unruhigem Schlaf. Wie immer umgab sie Düsternis; seit einer Ewigkeit war es nicht mehr richtig hell geworden. Sie wischte sich das lange, struppige Haar aus dem Gesicht und sah, dass der Rest des Klans noch schlief. Sie kroch auf allen Vieren zum Brunnen, ihr Bauch schleifte dabei über den Boden.
Mit drei ihrer mächtigen Gliedmaßen hielt sie zitternd das Gleichgewicht und ergriff mit der rechten Hand den bereit gestellten Stock. Mit einiger Mühe schaffte sie es, damit den weit oben angebrachten Hebel zu erreichen. Braunes Brackwasser lief in ihren Mund. Sie spuckte es angeekelt wieder aus. Weru hatte sich längst an ein gewisses Maß an Dreck im Wasser gewöhnt, doch langsam wurde es unerträglich. Aber auch die anderen Klans hatten kein sauberes Wasser mehr. Der Moloch gewährte es ihnen nicht.

“Weru”, ertönte es so plötzlich neben ihr, dass sie erschrak. Eritus unterschied sich in Vielem von den anderen des Klans. Sein Fleisch war fester, die Haut rosiger, und seine Arme im Vergleich zu den baumstammdicken Beinen geradezu zierlich. Weru wusste natürlich, woran das lag, und ihr schauderte bei dem Gedanken an das bevorstehende Ritual.
Zuerst erhob sich Eritus wie alle Daunders auf seine vier Gliedmaßen. Doch dann kippte er nach hinten um, packte einen an der Wand befestigten Griff und zog sich daran hoch, immer weiter, bis er schließlich auf den beiden gewaltigen Beinen stand. Wenn auch etwas wackelig. Weru musste den Kopf tief in den Nacken legen, um ihn in seiner ganzen Größe zu betrachten. Er lachte sie an.
“Jedes Mal erschrecke ich dich damit, nicht wahr?”
Ihr riesigen Augen trafen die seinen. “Verrate mir eines: Was hast du da oben verloren? Wir Daunders gehören auf den Boden. Lass die Eindschel auf zwei Beinen laufen.”
Statt einer Antwort stapfte Eritus zum Brunnen. Er sah sie wissend an, während er mühelos den Hebel betätigte. Erneut kam nur braune Brühe heraus. Eritus ließ sie durch seine zierliche Hand gleiten. “Unsere Welt verfällt, Weru. Mit dem Licht hat es begonnen, und mit dem Wasser geht es weiter.”
Sie nickte. “Ich weiß. Irgendwann wird der Eine vielleicht entscheiden, uns wieder Licht und frisches Wasser zu geben.”
Eritus schüttelt den Kopf. “Könnte der Eine etwas unternehmen, hätte er es schon getan. Er ist genau so hilflos wie wir. Ich habe lange überlegt, und sehe nur eine Möglichkeit. Ich werde zu den Eindschel gehen und sie um Rat fragen. Sie können Dinge, die keiner von uns tun kann. Und ich will, dass du mich begleitest.”
Weru blieb der Mund offen stehen. “Zu den Eindschel? Seit dem Krieg haben wir keinen von ihnen gesehen! Wir wissen nicht einmal, wie man zu ihrer Welt gelangen kann!”
Eritus sah sie lange an. Sie war noch sehr jung, doch auch er selbst, dessen ewige Reise bald zu Ende sein würde, war lange Zeit nach dem Krieg geboren worden. Dennoch hatte er Dinge gesehen, die sie noch lernen musste.

“Du musst... langsamer… gehen”, keuchte Weru, während sie hinter dem voraus schreitenden Eritus herkrabbelte. Gehen. Was für ein merkwürdiges Wort.
Seit Stunden waren sie schon gewandert. Ihre Arme, Beine und Eingeweide quälten sie. Weru war es nicht gewohnt, so weite Strecken zurückzulegen.
Endlich blieb Eritus unter einem gewaltigen Torbogen stehen. “Hast du eigentlich verstanden, was ich dir vorhin am Brunnen zeigen wollte?” Weru, froh um die Verschnaufpause, antwortete: “Du hast mir wieder einmal gezeigt, dass die Welt für die Eindschel gemacht ist, und deshalb für uns Daunders zu groß ist. Das habe ich schon als Kind gewusst.”
“Für die Eindschel ist aber alles zu klein. Sie müssen sich bücken, um durch die Tore zu gehen.”
“Das heißt, du hast schon einmal einen von ihnen gesehen?” fragte Weru. Sie war gespannt drauf, selbst einen Blick auf die Wesen zu werfen, die in den alten Geschichten zwar als gefährlich, aber auch als erhaben und wunderschön geschildert wurden.
“Einen? Hunderte!”, lachte Eritus. “Du erfährst jetzt etwas sehr wichtiges, Weru, etwas, das nicht mehr viele Daunders wissen, oder wissen wollen.” Sie starrte ihn an. “Vor sehr langer Zeit waren die Eindschel und wir noch gleich. Doch dann ist etwas passiert, das unsere beiden Völker verwandelt hat. Und es hat auch den Krieg ausgelöst.”
Weru war darüber so aufgewühlt, dass sie schweigend neben Eritus herkrabbelte.
Sie wanderten durch lange Gänge, höhlenartige Gewölbe und riesige Tore. Manchmal war es stockdunkel, dann wieder hell genug, dass sie gut sehen konnten, aber eine gewisse Düsternis blieb ihr ständiger Begleiter. Viele Daunders begegneten ihnen, jeder von ihnen auf allen Vieren, und sie alle starrten Eritus an. Doch nach einiger Zeit wurden es weniger, bis die Beiden schließlich ganz alleine waren. Weru verspürte Angst. Noch nie war sie so weit von zu Hause weg gewesen. Doch zur Angst und der Müdigkeit gesellte sich ein neues, aufregendes Gefühl: Die Neugierde.
Nach langer Zeit kamen sie in eine riesige Halle, in der es wärmer war als überall sonst. Gerätschaften, die Weru noch nie gesehen hatte, säumten die Wände. Doch die Spuren des Krieges, die sie auf der Reise immer wieder entdeckt hatte, waren hier besonders schlimm. Große Teile der Wand waren geschwärzt und wellig. Kaum ein Gerät schien unbeschädigt zu sein.
Es lag ein beständiges Brummen in der Luft, das sich von einem wütenden Brüllen zu einem Säuseln abschwächte, um gleich darauf wieder anzuschwellen.
In der Mitte der Halle war eine runde Platte, etwa dreimal so groß wie Weru selbst. Eritus ging darauf zu, und sie folgte ihm. "Ich bin der einzige, der dieses Gerät bedienen kann", rief ihr Eritus über das Brüllen des Molochs hinweg zu. "Ich habe vor langer Zeit herausgefunden, wie der Mechanismus funktioniert, und es nie jemanden verraten.
Hör mir jetzt genau zu. Das Gerät bringt uns zur Welt der Eindschel, macht aber vorher noch eine Zwischenstation. Dort wirst du dich komisch fühlen, und etwas sehen, das dich vielleicht erschreckt. Aber hab keine Angst, es kann nichts passieren.”
Weru zitterte, während Eritus mit seinen feingliedrigen Fingern einige Knöpfe betätigte. Knirschend setzte sich die Platte in Bewegung, und die beiden fuhren in den Boden. Staunend sah Weru, dass sie sich in einer Röhre befanden, die kein Ende zu nehmen schien.
Auf einmal geschah etwas ganz Unglaubliches: Es gab kein oben und kein unten mehr. All die Schwere, die Weru sonst nach unten zog, ihre Arme, Beine, den Kopf, die Eingeweide - all die Schwere war zur Gänze verschwunden. Es war unheimlich und sie glaubte, ihr Magen würde sich umdrehen. Aber zugleich spürte sie ein Gefühl der Befreiung, das sie noch nie gespürt hatte. Sie merkte, dass ihr Körper sich ein wenig von der Platte hob, und musste sich am Griff festhalten, um nicht davon zu schweben. Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass Weru lachte.
Der Lift wurde langsamer, und die matte Dunkelheit im Inneren der Röhre wich einem so hellen Lichtschein, dass sie sich die Augen zuhalten musste.
Nach einigen Minuten wagte sie es, in Richtung des Lichtes zu blicken, und fühlte sich plötzlich, als wäre die übliche Schwere mit zehnfacher Wirkung zurück gekehrt.
An vielen Stellen ihrer Welt konnte sie durch ein Glas in der Wand den Sternenhimmel betrachten, und normalerweise beruhigte sie dieser Anblick. Auch hier konnte sie nach draußen sehen, doch diesmal glaubte sie, direkt in die Hölle zu blicken. Der Glanz der Sterne wurde überdeckt von vier lodernden Infernos. Die gigantischen Feuerbälle hingen an gegenüber liegenden Rändern des Himmels. Und zwischen diesen Höllenfeuern war ein Koloss, eine Sphäre, ein Stein von immensen Ausmaßen.
Eritus wollte ihr etwas sagen, doch es dauerte eine Weile, bis sie fähig war, ihm zuzuhören. “Die Eindschel haben mir erklärt, dass es diese Feuer sind, die dem Einen die ewige Reise ermöglichen. Die Sphäre in der Mitte nährt die Feuer. Aber sie ist auch die Quelle für alles, was uns der Eine schenkt. Sogar von dem, was wir täglich essen und trinken. Ich habe nicht verstanden wie, aber er hat die Fähigkeit, die Elemente der Sphäre in jedes andere Material zu verwandeln. Doch wie du weißt, scheint er diese Fähigkeit langsam zu verlieren.”
Werus Augen hatten sich inzwischen so weit an das Licht gewöhnt, dass sie nun noch mehr erkennen konnte. Die Feuerbälle hingen nicht einfach im Himmel, sondern gingen von vier gewaltigen Röhren aus, deren anderes Ende außerhalb ihres Blickfeldes lag. Die Sphäre selbst war an einem Gewirr von mächtigen Metallstreben befestigt, und sie bemerkte, dass ein beträchtlicher Teil des Kolosses bereits abgetragen war.
Ohne es zu merken, war Weru ein wenig vom Glas weggeschwebt, und sie zog sich wieder ganz nahe heran. Das Licht von draußen gab ihrem Gesicht einen rötlichen Schimmer.
"Eritus”, fragte sie bedächtig, immer noch gebannt das Spektakel betrachtend, “du hast gesagt, dass unsere Völker früher einmal gleich waren. Das, was uns verwandelt und den Krieg ausgelöst hat - war es die Schwere?"
“Du bist ziemlich klug, und darum habe ich dich auch mitgenommen", sagte Eritus. "Das ist die Fähigkeit, die der Eine zuerst verloren hat - den Dingen das richtige Gewicht zu geben. Es war plötzlich falsch verteilt - zuwenig Gewicht bei den Eindschel, zuviel bei uns. Die neue Last war unerträglich für die Daunders, und sie wollten auch auf der Seite der Eindschel leben. Doch das haben sie nicht zugelassen."
Weru verspürte plötzlich Trauer, und auch Wut. Viele ihres Volkes waren damals gestorben, und die anderen mussten ihr Leben lang mit der Schwere leben. Sie dachte an ihre Vorfahren, die nie die Chance gehabt hatten, dieses Gefühl der Leichtigkeit zu erfahren, das sie im Moment spürte.
“Warum hast du uns das hier niemals gezeigt?”, fragte sie.
“Es war die Bedingung. Die Eindschel dulden mich, stehen unserem Volk aber immer noch sehr misstrauisch gegenüber. Sie würden jeden anderen Daunder töten.” Weru erschrak. “Keine Angst, ich habe für dich eine Ausnahme ausgehandelt. Niemand tut dir etwas.”

Es war an der Zeit, die andere Seite des Liftes zu betreten. Es fühlte sich für Weru komisch an, dass ihre Hände und Füße nun in die andere Richtung zeigten als zuvor. Noch komischer war es, als sich die Platte in Bewegung setzte und plötzlich das, was früher eindeutig unten gewesen war, nun oben war. Sie empfand es trotzdem als angenehm, wieder etwas Gewicht zu haben, und noch angenehmer, dass es viel leichter war als früher.
Nach einigen Minuten stoppte der Lift erneut. Sie befanden sich in einer ganz ähnlichen Halle wie der, in der ihre Reise begonnen hatte, auch wenn Weru wusste, dass sie gewissermaßen auf dem Kopf stand - eine Tatsache, die sie faszinierte. Doch es gab noch andere Unterschiede. Hier war es hell, sauber, es roch nicht, und es sah so aus, als wären die Kriegsschäden alle repariert worden.

Weru sah Eritus an. Er stand jetzt ganz aufrecht und entspannt. Sie fühlte sich noch kleiner als sonst. Und da begann sie, sich auf ihre Beine zu erheben. Mit den astdicken Armen drückte sie sich so weit wie möglich nach oben, dann verlagerte sie das Gewicht nach hinten und streckte die Beine. Auf halber Höhe wackelte sie und drohte umzufallen, doch Eritus stützte sie. So konzentriert war Weru, dass sie die beiden Gestalten nicht bemerkte, die sich ihnen von hinten näherten. Und dann hatte sie es geschafft, stand zum ersten Mal in ihrem Leben auf zwei Beinen. “So fühlt es sich also an, die Welt unter sich zu haben”, lachte sie.
Eine hohe Stimme hinter ihr ließ sie zusammenzucken. Sie drehten sich um, und zum dritten Mal an diesem Tag sah Weru etwas, das sie erschreckte. Die knochigen Gestalten mit den eingefallenen Gesichtern vor ihr waren weder schön noch erhaben, trotz ihrer Größe von fast drei Metern. Sie wirkten schwach und kränklich, als könnte der geringste Stoß sie zerbrechen lassen. In ihren Händen trugen sie längliche Gegenstände, die Waffen sein mussten. Eritus begann, mit ihnen zu sprechen. Obwohl Weru zuerst kein Wort verstand, merkte sie schnell, dass Daunders und Eindschel noch dieselbe Sprache verwendeten, nur mit verschiedenen Dialekten. Bald konnte sie immer mehr verstehen. Eritus erklärte offenbar die Probleme der Daunders, und es klang so, als hätten die Eindschel dieselben. Auch bei ihnen kam schmutziges Wasser aus den Rohren, aber sie hatten Filter gebaut. Weru staunte. Auf ihrer Welt konnte niemand etwas bauen; jeder hatte sich immer auf den Einen verlassen.
Eine Frage brannte ihr den Lippen, doch wagte sie nicht, den Mund zu öffnen. Sie betrachtete die Eindschel. Der größere und wahrscheinlich ältere der beiden hatte eine hohe Stirn mit eingefallenen, stechenden Augen. Er wirkte kalt, fast feindselig. Der jüngere dagegen hatte trotz der ekelhaft kleinen Augen eine gewisse Wärme in seinem Blick. Gelegentlich entkam ihm sogar ein Lächeln in Werus Richtung. Er wirkte nicht wie ein Feind. Sie beschloss, es zu riskieren.
“Ich möchte etwas fragen”, sagte sie vorsichtig, so gut wie möglich den Dialekt der Eindschel imitierend. Die beiden sahen sie an. Im Blick des jüngeren lag Vertrauen, und Weru fasste neuen Mut. “Könnt ihr gegen die falsche Schwere nichts unternehmen?”
Statt dem jungen antwortete der größere Eindschel, und er benutzte viele Worte, mit denen Weru nichts anfangen konnte. “Glaubst du nicht, dass wir es schon vor Generationen getan hätten, wenn es möglich wäre? Der Gravitationsgenerator ist ein zu elementarer Bestandteil des Schiffes. Genau so gut hätten wir versuchen können, den Antrieb auszutauschen. Eigentlich sollten alle Schiffsysteme für die Ewigkeit gebaut werden, oder zumindest für die viertausend Jahre, bis wir Rigel Sechs erreichen. Doch schon nach der Hälfte der Zeit gab es Probleme. Kein Wunder, wenn beim wichtigsten Projekt der Menschheit ein paar Billionen eingespart werden sollen."
Er blickte auf die verwirrte Weru herab. "Du weißt wahrscheinlich nicht, was Geld ist - das macht aber nichts, weil es hundert Jahre, nachdem das Schiff gestartet ist, sowieso keines mehr gab. Genauso wenig wie Menschen auf der Erde. Die Supernova hat sie erwischt, auch wenn es viele bis zuletzt nicht wahrhaben wollten.” Weru blickte auf Eritus, der ebenso erstaunt wirkte. Scheinbar waren ihm diese Dinge, die sie nicht richtig verstand, ebenfalls unbekannt gewesen.
Der Eindschel fuhr fort: “Nach dem Defekt der Schwerkrafteinheit erlaubten wir dem D-Deck, eine Weile hier auf E zu leben, aber es war auf Dauer unmöglich. Hunderttausend Menschen auf so engem Raum… Leider wollten eure Vorfahren nicht zurück, so mussten wir sie zwingen. Keine schöne Sache. Aber wir waren eben zuerst da.
Natürlich haben wir euch nach dem Krieg weiterhin beobachtet, schon um auszuschließen, dass ihr uns je wieder gefährlich werden könntet. Im Laufe der Zeit stellten wir fest, dass ihr euch, nunja" - er betrachtete die grotesken Beine von Eritus - "an die Situation angepasst hattet. Ihr konntet sogar wieder Kinder zeugen. Aber das Leben, das reine Existieren an sich, war so hart, dass vieles Wissen und alles Können verloren ging. Das Schiff kümmerte sich ja um sowieso um euch. Leider seid ihr dadurch auf eine... primitivere Entwicklungsstufe zurück gefallen.”
“Warum habt ihr das alles zugelassen?” fragte Eritus.
“Nun, wir wussten nicht, wie feindselig ihr noch sein würdet. Und außerdem hatten wir unsere eigenen Probleme. Durch die niedrige Schwerkraft fällt uns das Leben zwar leichter, doch das Skelett leidet. Sieh uns an: Glasknochen. Und die Organe schrumpfen. Da helfen auch Medikamente und Training nicht. Keiner von uns ist wirklich gesund.”
Alle vier schwiegen für ein Weile. "Ich denke", sagte Weru schließlich, "wenn ihr eine Zeit lang bei uns leben würdet, wärt ihr bestimmt schon bald wieder kräftiger". Wie zum Beweis spannte sie ihre mächtigen Muskeln an.
Der Eindschel schüttelte so energisch den Kopf, dass Weru fürchtete, sein dünner Hals würde brechen. "Unsinn. Schon alleine deshalb, weil, wie gesagt, ein einziges Deck für uns alle zu klein ist."
Eritus musste lächeln. "Wir Daunders könnten ja währenddessen hier wohnen."
Die Eindschel blickten sich an und sagten lange kein Wort.


Viel Zeit war vergangen. Weru und Eritus spazierten aufrecht durch ihr neues, temporäres Zuhause, und sie fühlten sich nicht nur wegen der geringen Gravitation unbeschwerter denn je. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser war auf beiden Decks wieder sicher gestellt.
Viele Eindschel hatten zuerst gegen ihre Verlegung auf das D-Deck protestiert, und tatsächlich war es anfangs sehr hart für sie - trotz mechanischer Prothesen hatte es unzählige Knochenbrüche gegeben, und die Organe ächzten unter der extremen Belastung. Deshalb waren die Zyklen des Deck-Tausches noch sehr kurz gehalten. Doch schon jetzt waren die ersten positiven Auswirkungen auf ihre Gesundheit spürbar. Langsam, aber sicher, schrumpften die Eindschel auch wieder auf ein normales Maß zusammen, während immer mehr Daunders die zweibeinige Art der Fortbewegung neu entdeckten.
Das gegenseitige Misstrauen war noch groß, und deshalb blieben die beiden Völker meist unter sich. Doch in diesem Moment sahen Weru und Eritus zu ihrem Erstaunen ein Eindschel-Kind, das mit einem Daunder spielte.
“Vielleicht werden unsere Großenkel wieder einfach nur Menschen sein, und es wird eine echte Einheit auf diesem Schiff geben”, sinnierte Eritus.
“Wieso Schiff”, lachte Weru, “unsere Großenkel werden schon auf Rigel Sechs leben, Eritus.” Er nickte und umarmte sie mit Tränen in den Augen.

 

Für mein Empfinden legst du hier eine gelungene Dystopie vor, die sich aufgrund des eingegangenen Kompromisses schließlich in eine Utopie verwandelt. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, mir eine Mischung aus "The Time Machine" und "Brave New World" zu Gemüte zu führen. Hätte man ersten Roman fortgeführt, wäre deine Lösung wohl die naheliegendste gewesen.

Dennoch soll eine kleine Verständnisfrage meinerseits erlaubt sein: Was genau repräsentiert "der Eine"? Ist er ein mythologisierter Mechanismus im Schiffsinneren, der Schöpfer dieses gesellschaftlichen Schwebezustandes oder tatsächlich eine Art mystischer Erlösergestalt?

Stilistisch ist mir kaum etwas übel aufgestoßen. Bis auf ein überflüssiges 'Oxford Comma' und die dreifache Verwendung von "gewohnt" statt "gewöhnt". Mag aber auch an der Uhrzeit liegen. Vielleicht komme ich ja noch rechtzeitig auf Details zu sprechen. Oder es kommt mir eben jemand zuvor.^^

P.S. Nutzt du eigentlich einen Fantasy Name Generator oder zermarterst du dir selbst das Hirn, um dir solche Namen einfallen zu lassen? ;)

 

Thema des Monats April/Mai '11: Weltenbau

So, hab's noch rechtzeitig geschafft. Ist nicht ganz das heraus gekommen, was ich gehofft hab, aber nach einigen Ansätzen die Idee in eine Geschichte zu verpacken, bleib ich mal bei dieser hier.

Hier noch ein kleines "Glossary" oder Namen-auseinanderklauben :)
Daunders = Down There's
Eindschels = Angels
Weru = sollte irgendwie von "schwer" abgeleitet sein
Eritus = fiel nix besseres ein

 
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Für mein Empfinden legst du hier eine gelungene Dystopie vor, die sich aufgrund des eingegangenen Kompromisses schließlich in eine Utopie verwandelt. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, mir eine Mischung aus "The Time Machine" und "Brave New World" zu Gemüte zu führen. Hätte man ersten Roman fortgeführt, wäre deine Lösung wohl die naheliegendste gewesen.

Dennoch soll eine kleine Verständnisfrage meinerseits erlaubt sein: Was genau repräsentiert "der Eine"? Ist er ein mythologisierter Mechanismus im Schiffsinneren, der Schöpfer dieses gesellschaftlichen Schwebezustandes oder tatsächlich eine Art mystischer Erlösergestalt?

Stilistisch ist mir kaum etwas übel aufgestoßen. Bis auf ein überflüssiges 'Oxford Comma' und die dreifache Verwendung von "gewohnt" statt "gewöhnt". Mag aber auch an der Uhrzeit liegen. Vielleicht komme ich ja noch rechtzeitig auf Details zu sprechen. Oder es kommt mir eben jemand zuvor.^^

P.S. Nutzt du eigentlich einen Fantasy Name Generator oder zermarterst du dir selbst das Hirn, um dir solche Namen einfallen zu lassen? ;)


Oh, ich sollte öfter mal den Browsercache aktualisieren... danke für den Komentar tutorialslave!

Ja die Time Machine hab ich wohl gelesen und kann die Inspiration nicht leugnen. Allerdings halt mit vertauschtem Blickwinkel. Und die Grundidee war einfach ein Generationenschiff, auf dem irgendwas schiefläuft... so kam eines zum anderen. Der Eine bzw. Moloch ist einfach das Schiff selber. Die Daunders sind so weit von der Technolgie entfremdet, dass sie darin eine Art Gottheit sehen (nicht besonders originell, I admit it)
Ob sie überhaupt wissen, was ihre Welt eigentlich ist, hab ich mal offen gelassen. Das Ziel der "ewigen Reise" ist jedenfalls mit den Generationen verloren gegangen.

Wegen der Fehler werd ich noch mal drüberblicken. Das "Gewohnt" könnte an meiner Ösi-Herkunft liegen *g* Vielen Dank noch mal.

P.S. Es gab übrigens fast 100 Jahre später eine Fortsetzung von Time Machine mit dem Titel "The Time Ships". Hab's nie gelesen, soll aber ziemlich gut sein.

 
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Das ist eine durchdachte und sauber inszenierte Weltenbau-Geschichte. Um uns Lesern die Welt zu vermitteln, wählst Du den Kniff der Reise ins Unbekannte und den informierten Führer. Das ist schlau eingefädelt und funktioniert prima.
Das Ende kommt etwas schnell, aber das ist zu verzeihen.

Ein paar kleinere Fehler:

lies -> ließ

Es war das erste Mal, dass Eritus sie lachen hörte. -> einziger und unnötiger Perspektivwechsel zu Eritus.

Ferner musst Du an ein paar Stellen eine neue Zeile anfangen, bevor die jeweils andere Figur spricht, sonst kommt der Leser durcheinander.

Der Titel ist zu allgemein und erzeugt zu wenig Neugier. Da würde ich versuchen, etwas kreativeres zu wählen.

Fazit: Sehr ordentliche Umsetzung des Themas des Monats.

 
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Hi Uwe!

Hast Recht mit dem Perspekivwechsel, kommt raus.
Fehler werden korrigiert, danke.

Über das Ende sollte ich vielleicht noch mal drüber gehen. Es gibt keine Erklärung, warum die Typen plötzlich so mitteilungsfreudig sein sollen, und die Sprache könnte man sicher verbessern. (Als kleiner Gag hat der Eindschel vorher sogar noch mehr Alltag geredet ("das ganze Geld für'n Arsch") aber das hat doch nicht so gut gepasst, einige tausend Jahre in der Zukunft *g*

Besten Dank für den Kommentar.

Übrigens, an die bisherigen Leser: Mich würde interessieren, an welcher Stelle ihr gemerkt habt, wo die Handlung stattfindet. Am Lift, als sie nach draußen schaut, oder schon vorher?

 

Hallo Irony,

eine interessante Welt hast du da gebaut und eine gute Geschichte geschrieben. Ich kann mich Uwe anschließen, dass dir die schwierige Aufgabe der Wissensvermittlung gut gelungen ist.

Wobei ich mich ihm auch anschließen kann, ist dass beim Wechsel des Sprechers auf jeden Fall ein Absatz gemacht werden muss, damit man als Leser folgen kann.

Ansonsten handwerklich saubere Arbeit.

Dennoch ein paar Punkte, an denen noch eine kleine Optimierung möglich wäre:

Dennoch hatte er Dinge gesehen, die sie noch lernen musste. Heute, so entschied er, war ein guter Tag dafür.
Das klingt nach einer eher spontanen Entscheidung Eritus. Aber trotzdem
“Keine Angst, ich habe für dich eine Ausnahme ausgehandelt. Niemand tut dir etwas.”
Also muss er ja schon vor zweihundert Zyklen gewusst haben, dass er Weru beim nächsten Mal mitnehmen will. Dann wäre es doch etwas, worauf er schon lange wartet, und nichts Spontanes, oder?
Und warum nimmt er eigentlich gerade Weru mit? Was ist das Verhältnis der beiden zueinander? Hegt er die Hoffnung, dass sie irgendwie helfen kann? Oder ist sie sowieso eine Vertraute?

Die Schwerelosigkeit am Mittelpunkt der Reise steckt Weru für meinen Geschmack sehr gelassen weg. Nach dem, was man so liest, soll das Gefühl des Fallens ja am Anfang recht unangenehm sein.
Ebenso merkwürdig finde ich, dass sie sich noch Gedanken über "oben" und "unten" macht, als sie schon in dem anderen Geräteraum steht. Da sie den anderen Raum ja gar nicht mehr sehen kann, kann ich mir nicht vorstellen, dass ihr der andere Raum wirklich "kopfüber" vorkommt.

Dann hält einer der Eindschels einen recht langen Monolog. Das ist die einzige Stelle, an der die Wissensvermittlung etwas überdeutlich wird. Das kannst du bestimmt noch geschickter formulieren, indem du die anderen Figuren in der Szene auch noch agieren / diskutieren lässt.

Und schließlich stutzte ich ein wenig, als Weru einfach so die Lösung für das Problem aus dem Ärmel schüttelte. Sie hat gerade so viel Fremdes kennengelernt, dass es mir unwahrscheinlich erscheint, dass sie einen so schlüssigen Vorschlag macht. Es sei denn, sie ist bei den Daunders bekannt für schnelle Auffassungsgabe und unkonventionelle Problemlösungen (siehe oben: warum nimm Eritus sie mit). Dann sollte das allerdings auch schon vorher in der Geschichte eingeführt worden sein.
Eine andere Möglichkeit wäre, dass sie gar nicht den konkreten Vorschlag macht, sondern wirklich ganz naiv so etwas sagt wie:
"Schade, dass ihr nicht bei uns lebt, da hättet ihr auch so starke Muskeln wie ich." Sprach sie und deutete auf ihre Beine, mit denen sie sich abstieß und fast bis zur Decke segelte. "Hui, ich bin so leicht hier. Das macht Spaß."
Daraufhin schauen sich dann die Eindschels und Eritus an und ein Plan beginnt sich zu entwickeln.

Das Ergebnis dieses Plans - den regelmäßigen Decktausch - könntest du dann in deiner Schlussszene zeigen. (Vielleicht sogar kein kompletter Austausch, sondern eine Vermischung, damit die angepassten den unangepassten helfen können, sich einzuleben?)
Deine jetzige Schlussszene finde ich nämlich etwas antiklimatisch. Die ist eigentlich für die Geschichte völlig entbehrlich, da wir den Plan mit dem Deckstausch ja schon kennen und der Schluss eigentlich nur noch lautet: "Und so geschah es."

Soweit meine Anmerkungen zu deiner Geschichte. Mag jetzt vielleicht kritisch klingen, aber grundlegend hast du auf jeden Fall erst einmal eine gute Geschichte geliefert. Das hier sind nur Stellen, die mir beim Lesen aufgefallen sind und von denen ich meine, dass du noch mehr aus deiner Geschichte herausholen könntest.

Meine Kommentare beruhen übrigens auf der Fassung von gestern. Änderungen aufgrund deines Edits heute morgen habe ich nicht berücksichtigt.

Mich würde interessieren, an welcher Stelle ihr gemerkt habt, dass das ganze auf einem Raumschiff spielt. Am Lift, als sie nach draußen schaut, oder schon vorher?
Vorher. Als ich diese Frage las. (Ich sollte mir abgewöhnen, Kommentare vor der Geschichte zu lesen ;) .)

Gruß,
Teetrinker.

P.S.: Mit dem Titel hat Uwe auch recht. Spontan kommt mir "Gezeitenwechsel" in den Sinn. Der lässt sich vielfältig im Hinblick auf die Geschichte interpretieren.

 

Wow, Teetrinker, ich muss sagen du hast die absolut richtigen Beobachtungen gemacht. Da merkt man, wie aufmerksam du die Geschichte gelesen hast.

Also muss er ja schon vor zweihundert Zyklen gewusst haben, dass er Weru beim nächsten Mal mitnehmen will. Dann wäre es doch etwas, worauf er schon lange wartet, und nichts Spontanes, oder?
Und warum nimmt er eigentlich gerade Weru mit? Was ist das Verhältnis der beiden zueinander? Hegt er die Hoffnung, dass sie irgendwie helfen kann? Oder ist sie sowieso eine Vertraute?
Das gehört definitiv besser erklärt. Um ganz ehrlich zu sein, kamen mir genau dieselben Fragen kurz nach dem Überarbeiten, hab aber vermutet, dass es dem Leser nicht groß auffällt. *Finger hinhalt und auf den Schlag mit dem Rohrstock wart*
Die Schwerelosigkeit am Mittelpunkt der Reise steckt Weru für meinen Geschmack sehr gelassen weg. Nach dem, was man so liest, soll das Gefühl des Fallens ja am Anfang recht unangenehm sein.

Wollte den Kontrast zu ihrem sonstigen "schweren" Leben positiv darstellen. Außerdem erschreckt sie sich sonst schon oft genug *g*
Aber du hast Recht.

Ebenso merkwürdig finde ich, dass sie sich noch Gedanken über "oben" und "unten" macht, als sie schon in dem anderen Geräteraum steht. Da sie den anderen Raum ja gar nicht mehr sehen kann, kann ich mir nicht vorstellen, dass ihr der andere Raum wirklich "kopfüber" vorkommt.
Das ist eine reine Kopfsache von Weru.
Das ganze könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie so klug ist, über ihr aktuelles Befinden hinauszudenken, was der Rest des Volkes wahrscheinlich verlernt hat. Vielleicht sollte ich noch mehr Hinweise auf ihr kluges Köpchen einbauen und das als Begründung einbauen, warum sie als Mitbringsel für die Eindschel mitdarf und schließlich auf die Lösung kommt.

Dann hält einer der Eindschels einen recht langen Monolog. Das ist die einzige Stelle, an der die Wissensvermittlung etwas überdeutlich wird. Das kannst du bestimmt noch geschickter formulieren, indem du die anderen Figuren in der Szene auch noch agieren / diskutieren lässt.
Auf alle Fälle.

Das Ergebnis dieses Plans - den regelmäßigen Decktausch - könntest du dann in deiner Schlussszene zeigen. (Vielleicht sogar kein kompletter Austausch, sondern eine Vermischung, damit die angepassten den unangepassten helfen können, sich einzuleben?)
Deine jetzige Schlussszene finde ich nämlich etwas antiklimatisch. Die ist eigentlich für die Geschichte völlig entbehrlich, da wir den Plan mit dem Deckstausch ja schon kennen und der Schluss eigentlich nur noch lautet: "Und so geschah es."

Super Anregungen. Genau so werde ich es machen.

Über deinen Titel werd ich nachdenken.


Besten Dank Teetrinker. Eine solch intensive Beschäftigung mit der eigenen Geschichte ist viel mehr, als man erhoffen kann (das gilt auch für tutorialslave und und den Uwe)

 

Gefällt mir gut. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, eine altbekannte Story zu lesen. Das Ende kam wirklich zu kurz .
Gut gefiel mir, das du den Infodump elegant vermieden hast.

 

Eine solch intensive Beschäftigung mit der eigenen Geschichte ist viel mehr, als man erhoffen kann (das gilt auch für tutorialslave und und den Uwe)

Eine solche Beschäftigung mit Texten ist das, was diese Seite in ihren besten Momenten leisten kann. Ich als Kritiker lerne dabei wahrscheinlich mindestens soviel, wie du als Autor. Allerdings lohnt sich eine solche Auseinandersetzung nur, wenn sowohl Geschichte als Autor auch das nötige Potential erkennen lassen. Oftmals reagieren Autoren ja entweder gar nicht oder beleidigt auf Kritik. Natürlich ist es hart, seine Geschichte kritisiert zu bekommen, aber ohne wird man nicht besser.
Daher freue ich mich, dass du die Kritik so offen aufgenommen hast.

Deine Überarbeitung habe ich jetzt nicht noch einmal komplett gelesen, sondern nur überflogen, aber ich hatte schon den Eindruck, dass sie noch ein Stück runder geworden ist.

 

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