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Zeitgeber
Der Zeitgeber
von Wendel Schäfer
Dass die Zeiger grosser Uhren sich mehr beeilen müssen, also schneller drehen, um über die Runde zu kommen, ist einleuchtend.
Für Erdfried Uhrich wenigstens. Einen für Sonderheiten hellen, ansonsten sehr betulichen Kopf.
Er liebte die Langsamkeit, pflegte sie und gönnte sie seinen Mitmenschen. Schmähte die Eile, mied Drängeln und Unrast. Alles erledigte er mit Bedacht und aufreizender Behäbigkeit des Körpers vom Kopf bis zu den Füßen runter. Das `Faultier´ von Umtriebigen prallte an ihm ab. Faultiere haben Millionen Jahre überlebt. Sind beständiger als alle die kurzlebigen Schnellfüßler. Auch das mag einleuchten. Dem Uhrich sowieso.
Zunächst stieß die Idee mit den kleinen und kleinsten Uhren mit winzigen Zeigern auf wenig Verständnis und Gegenliebe. Erdfried ließ sich aber nicht beirren. Waren sie wegen ihrer Langsamkeit doch eher geeignet, den Menschen mehr Ruhe und Muße für das Eigentliche zu verschaffen.
In einem Heim mit älteren Mitbewohnern meist, konnte er seine gewiss zeitlose Idee der Uhrenverkleinerung und Zeitvergrößerung ohne Mühe verwirklichen..Bei seinen Zimmergenossen fing er an. Die waren schnell zu überzeugen, weil sie jetzt viel mehr Zeit brauchten für das und jenes. Erdfried besorgte von überall her Uhren so klein wie Briefmarken, ja 1 Cent Münzen.
Am Ende waren die Uhren so klein, dass sie niemand mehr lesen oder aufziehen konnte. Dann bastelte er Ührchen aus Spanholz oder Pappe mit Zeigerchen, die nur noch mit gespitzem Fingernagel oder einer Nadel weitergeschoben werden konnten. Die Insassen gewöhnten sich auch daran und gaben es endlich auf, nach der Zeit zu schauen. Fütterungen zwischen Licht an und Licht aus, oder Läden rauf und runter wahren ihnen Tageslauf genug. Sie alle schienen glücklich. Und Erdfried Uhrich ging mit geschwellter Brust.
Es war bei einem der nur noch seltenen Ausgänge.Quer durch den Park der Anstalt über den Marktplatz. Vorbei an einer großen Uhr auf gläsernem Sockel. Erdfied Uhrich überkam es, er griff den Papierkorb daneben und zerschlug das Machwerk. Als das wieder mal am Bahnhof passierte und später mit Drohungen hoch zum Kirchturm zu eskalieren drohte, blieb der Freigang für Erdfied Uhrich gesperrt.
Er blieb jetzt allein im Zimmer. Durch die Gitter seines Zellenfensters nur der Blick auf eine große Rathausuhr, die ihm den Rest des Lebens im Vierteltakt zerhackte.