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Heribert Illig - Das erfundene Mittelalter

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10.11.2003
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Heribert Illig - Das erfundene Mittelalter

Das Buch Heribert Illigs „Das erfundene Mittelalter“ (Ullstein, 2004) kommt ganz leise daher, obwohl seine These, in unserem Kalender gäbe es 297 Jahre zu viel, schon sensationell ist. Konkret geht es um die Jahre 614 bis 911 in unserem Kalender, die seiner Meinung nach nie existiert haben.

Auf die Idee, dass da was nicht stimmen könnte, kam er, als er die gregorianische Kalenderreform vom 1582 nachrechnete und feststellte, dass die aufgrund der Ungenauigkeit des julianischen Kalenders seit Julius Cesar aufgelaufene Differenz zum astronomischen Sonnenjahr nicht 10 Tage betrug, wie vom Papst verfügt (auf den 4. Oktober folgte in dem Jahr 15. Oktober), sondern 12,7 Tage, was eigentlich eine Verschiebung um 13 Tage notwendig machte. Eine mögliche Erklärung für diese Differenz: Man habe irgendwo zwischen Julius Cesar (44 v.Chr.) und 1582 Jahrhunderte eingeschoben, die es in der Wirklichkeit gar nicht gab, denn die Verschiebung um 10 Tage war richtig, um den Kalender wieder mit der Sonne zu synchronisieren.

Das zweite Argument waren die sogenannten antizipatorischen Fälschungen, also Fälschungen, die zu ihrer Entstehungszeit nicht gewirkt haben, sondern offenbar für eine kommende Zukunft bestimmt waren. Das ist natürlich Unsinn, denn niemand kann Zukunft kennen, d.h. wissen, was Jahrhunderte später „gebraucht“ würde. Der Verdacht liegt also nahe, dass eine Fälschung genau zu dem Zeitpunkt hergestellt wird, zu der sie gebraucht wird: Sie wird einfach rückdatiert, am besten in eine Zeit, die nicht wirklich existierte, denn da kann man kaum mit widersprechenden Dokumenten rechnen. So gibt es eine Menge Urkunden, die angeblich aus der Zeit des Karl des Großen stammen sollen, allerdings sind das allesamt keine Originale, sondern „Kopien“ aus der späteren Zeit.

Beides, Kalender und diese antizipatorischen Fälschungen waren für Illig der Anlass, sich mit dem Mittelalter näher zu beschäftigen. Er hat sich dann auf die Gebiete Architektur und der Kunst begeben und da Dinge festgestellt, die seine Theorie zu stützend scheinen. Dabei argumentiert Illig sehr zurückhaltend, d.h. er sagt nur Dinge, die er beweisen kann, und wenn nicht, dann sagt er auch, dies oder jenes ist nur eine Hypothese und kein Fakt.

Trotzdem hat er Schwierigkeiten, gehört zu werden, denn er ist weder Archäologe noch Historiker, und Quereinsteiger werden nirgendwo gern gesehen, dies vor allem dann nicht, wenn sie so Abenteuerliches von sich geben wie Illig – man hat aus dem Fall Schliemann oder auch Bernstorf* wohl nichts gelernt.

Damit will ich keineswegs sagen, dass ich die Theorie Illigs teile, aber sie hat mich zum Nachdenken gebracht, liefert sie doch eine schlüssige Theorie, warum es die dunklen Jahrhunderte gibt (so genannt, weil da kaum wissenschaftlich, technologischer oder gesellschaftlicher Fortschritt zu erkennen ist).

Natürlich habe ich ein wenig im Internet recherchiert und festgestellt, dass da Kämpfe um Wikipedia-Artikel ausgefochten werden: Phantomzeitbefürworter gegen klassische Historiker. Diese letzten zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie auf Argumente Illigs nicht eingehen, weil sie eine Theorie zu stützen scheinen, die sie absurd nennen.

Dazu kann ich folgende Links empfehlen: Karl der Große - Fehlanzeige und Phantomzeit – Diskussionen.

* Grabungen von Archäologen haben ergeben, dass sich auf dem Bernstorfer Hügel um 1360 v. Chr. eine etwa 15 Hektar große Siedlung befand, die bei einem Großbrand zerstört wurde. Doch dass Archäologen überhaupt dort anfingen zu graben, ist einem Arzt aus der Gegend zu verdanken, der Erzählungen seiner Patienten glaubte: „Es geht eine Sage, dass zwischen Tünzhausen, Bernstorf und Kranzberg eine versunkene Stadt liegt.“

Der Arzt hat versucht die Archäologen in München zu interessieren, doch die winkten ab: „Eine keltische Stadt in der Nähe von München? Unmöglich, wir wüssten sonst davon.“ Erst als der Arzt auf eigene Faust zu graben anfing und dort ein Gold-Diadem und Bernsteinschmuck fand, wurde auch die Archäologen aufmerksam und übernahmen die Ausgrabungen. In dem Wikipedia-Artikel steht von der einstigen Ignoranz der Fachleute nichts (selbst der Hinweis auf die Sage wurde in der Zwischenzeit gelöscht), lediglich Süddeutsche Zeitung hat seinerzeit davon berichtet (Süddeutsche Zeitung vom 4. August 2001 - Troja im Ampertal.)

 

Ist nun Herr Illig zu einem Ergebnis gekommen? Damit meine ich: Wer hat etwas von den erfundenen Jahren? Und WARUM das ganze? Und wehe du kommst jetzt mit Illuminati. :D

 

Cui bono?

Ist nun Herr Illig zu einem Ergebnis gekommen? Damit meine ich: Wer hat etwas von den erfundenen Jahren? Und WARUM das ganze?
Eine berechtigte Frage, die allerdings nicht so leicht zu beantworten ist.

Als erstes kann man anführen, dass Menschen jener Zeit kein historisches Bewusstsein hatten. Das kann man am besten an den Bildern sehen, die das Leben Christi veranschaulichten: Sie malten dieses Leben bis in die Renaissance hinein immer wie ihr eigenes, d.h. mit Gebäuden, Kleidung und Gegenständen, die sie selbst benutzten. Sie hatten offenbar keine Ahnung, wie die Römer lebten – für sie war die Zeit bzw. das Leben ein sich nie oder nur wenig änderbares Kontinuum. Mit anderen Worten: Ihr Gedächtnis reichte gerade ein paar Generationen zurück, ein Zeitenfälscher hätte ein leichtes Spiel.

Dazu kam, dass die heute übliche Zeitrechnung nach Christi Geburt erst im 6. Jahrhundert erfunden wurde und sich erst langsam verbreitete. Es ist auch denkbar, dass bei der Umstellung auf diese neue Zeitrechnung schlicht Fehler passiert sind, denn in jener Zeit war der Westen Europas auf dem wissenschaftlichen Gebiet so gut wie nicht vorhanden, die erste Geige im Frühmittelalter spielte Konstantinopel. Und da gab es einen Kaiser (Konstantin VII. Porphyrogennetos), der ein Interesse und auch die Möglichkeit hätte, die Zeitläufe zu verschleiern – ich zitiere dazu aus fantomzeit.de:

„Hauptverdächtiger der Zeitfälschung bleibt nach wie vor Konstantin VII., der Gelehrte auf dem Kaiserthron des kultiviertesten Staates der damaligen Welt. Dass er wie kein anderer über die Mittel zu einer solchen Aktion verfügte, ist bekannt. [siehe Frage 17 und 27] Warum also erfand er drei Jahrhunderte Leerzeit und füllte sie mit fiktiver Geschichte?
Illig gibt zwei denkbare Hauptmotive an. Zum einen mag Konstantin persönliche bzw. dynastische Gründe gehabt haben, indem er mit Hilfe der verlängerten Chronologie seine mutmaßliche Abstammung vom Kaisermörder Phokas zu verheimlichen suchte. Zum anderen war es auf dem Weg der Geschichtserfindung möglich, den Verlust des Heiligen Kreuzes an die Perser [siehe Frage 12] durch Verschiebung in eine ferne Vergangenheit erfolgreich zu verdrängen. [WU 157-184]

Neben diesen von Illig genannten Motiven könnten weitere Gründe im Spiel gewesen sein. So wurde durch Konstantins Chronologiemanipulation die religiöse Reform des Kaisers Justinian (gest. 565) um drei Jahrhunderte zurückdatiert. Über diese allem Anschein nach tiefgreifende Reform gibt es kaum verlässliche Informationen, dafür aber viele offensichtlich verzerrende Darstellungen. Justinian hatte den orthodoxen Katholizismus zur einzigen Reichsreligion erhoben und unnachsichtig durchgesetzt. Dabei verbot er unter anderem die arianische Kirche [siehe Frage 21] und konfiszierte ihre Güter. Auf Justinian geht vermutlich die Neuerung zurück, die gemeinsame Mahlzeit der Urchristen durch die hinter einer Ikonostase aufgeführte Messe zu ersetzen. Möglicherweise verfolgte die konstantinische Geschichtsfälschung das Ziel, den Eindruck zu verstärken, den schon Justinian selbst zu erwecken versuchte: dass nämlich der Katholizismus die christliche Urreligion war. [siehe Beaufort (2004) und (2008) zu einer Hypothese über den wirklichen Umfang der justinianischen Reform]

Der neueste Erklärungsversuch geht aus von Andreas Birkens These, nach der Dionysius Exiguus [siehe Frage 23] dem Fälschungskomplex Synkellos-Theophanes-Konstantin VII. zuzuordnen ist. [Birken (2006)] Wenn die These zutrifft, lagen der Chronologiereform des Kaisers Konstantin komputistische Interessen zu Grunde. Dann aber drängt sich die Vermutung auf, dass es Konstantin um die reichseinheitliche Regelung der Osterfestberechnung und die Beilegung des antiken Osterstreits ging. [Beaufort (2007)]

Im Westen ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass der Kalendersprung nicht erkannt wurde. Illig nimmt an, dass es Otto III. und der von ihm ernannte Papst Sylvester II. (= der Gelehrte Gerbert von Aurillac) waren, die unsere christliche Zeitrechnung und zugleich damit die Chronologieverlängerung einführten. [WU 125-216]

Gerbert kannte Theophanes: Byzantinische Bildung wurde ihm über den Kaiserhof vermittelt. Außerdem hat er während eines Spanienaufenthalts islamische Gelehrsamkeit und wohl auch die islamische Zeitrechung kennen gelernt. [Lausser] Von zwei Seiten wurde die lange Chronologie also bestätigt. Da ein kontinuierliches historisches Bewusstsein im Westen fehlte [siehe Frage 18], blieb keine andere Wahl, als den historischen Fehler der anderen zu übernehmen.

Sollte dieses Szenario stimmen, erübrigt sich für den Westen die Suche nach einem Motiv. Sollte es aber nicht zutreffen und Otto und Gerbert bewusst manipuliert haben, dürfte neben dem auch im Westen anzunehmenden Interesse an einer Beilegung des Osterstreits das von Illig angegebene Motiv das plausibelste sein: Otto wollte als Endzeitkaiser und Servus Jesu Christi das Reich in ein neues Millennium führen (wie sein Siegel für das Jahr 1000 belegt). [WU 250 ff.]“

 
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Als erstes kann man anführen, dass Menschen jener Zeit kein historisches Bewusstsein hatten. Das kann man am besten an den Bildern sehen, die das Leben Christi veranschaulichten: Sie malten dieses Leben bis in die Renaissance hinein immer wie ihr eigenes, d.h. mit Gebäuden, Kleidung und Gegenständen, die sie selbst benutzten. Sie hatten offenbar keine Ahnung, wie die Römer lebten – für sie war die Zeit bzw. das Leben ein sich nie oder nur wenig änderbares Kontinuum. Mit anderen Worten: Ihr Gedächtnis reichte gerade ein paar Generationen zurück, ein Zeitenfälscher hätte ein leichtes Spiel.
Lieber Dion,
das kann man so nicht sagen, das ist auf so vielen Ebenen falsch, daß ich wie Jynx gar nicht weiß, wo ich ansetzen soll. Wer hat denn sowas behauptet?

Die Menschen hatten vor ca. 1100, nämlich bevor Christen alles (verfälscht) niederschrieben, ein wesentlich trainierteres Gedächtnis als wir heute. (Der These oben widerspricht ganz ganz ganz unter anderem z.B. sowas wie Beowulf, was zu sicher einem Viertel reine Aufzählung von wer was wo mit wem gemacht hat - bis zu den Großvätern frag nicht wieviele Linien zurück.) Die Handels-/Kulturverbindungen zwischen den Reichen und Provinzen waren sehr weitreichend, dabei wurden mit Sicherheit auch Eindrücke und 'historisches' Wissen ausgetauscht. Das läßt sich nachweisen an Handswerkstechniken, u.a., oder Moden.

Heute allerdings sagt ein Teenager bei einer Testvorführung von Hostel zum Regisseur: "Das haben Sie sich ausgedacht, oder? Ich meine, Tschechien, das Land gibt es doch nicht wirklich." Tja, historisches Bewußtsein, my ass, denn man kann diese Ignoranz ja auf ganze Epochen und Kontinente beziehen, inclusive derer, in denen die Leute leben.

Die meisten US-Amerikaner, die ich kenne (sonst nicht grenzdebil & keine Kreationisten), glauben jedenfalls, daß Urmensch und Dinosaurier zur gleichen Zeit existierten. Und das, wo Deine Quellen auch sicher behauptet hätten, der Zugang zu Wissen sei heute quasi grenzenlos für alle und jeden.

Daß die Darstellung von Regionalbezogenem in der bildenden Kunst nix mit einem Mangel zu tun hat, zeigen Entwicklungen in der gleichen Gegend zur gleichen Zeit - Vgl mal die Ikonen aus Karelien (Volkskulturanleihen, lokale Landschaften & Farben) mit denen aus anderen russischen Regionen (> angelehnt an byzantinischen Stil). Alle Künstler waren weitgereist, es ist also nicht alles unfreiwillig, was geschaffen wurde. Oder sagt man heute, Picasso hätte nicht photorealistisch gemalt, weil er nur krakeln konnte? Dieses massive Unverständnis und in nichts begründete Annahmen, was Leute "des Mittelalters" so getan haben oder nicht ist jedenfalls haarsträubend.

Die Theorie in Deinem Buch mag ja ganz geckig sein, aber man sollte hier ein bissl aufpassen, daran nicht weitere aus der Luft gegriffene "Theorien" anzuschließen. ;)

 

Mir fällt dazu ehrlich gesagt nur eine Frage ein: Ja, und? Was hat das bitte für irgendeine Relevanz?
Keine, da hast du schon Recht. Aber ich erwarte von der Forschung, dass sie nicht nur Tradiertes widerkäut, sondern dass sie den Gegenstand ihrer Forschung auseinandernimmt und auf Wahrheitsgehalt untersucht, und wenn dabei Ungereimtes auftritt, dies auch sagt. Dass dem nicht so ist, muss niemand verwundern, der weiß, wie es Einstein ergangen ist, als er seine epochale Entdeckung machte: 30 Jahre danach fanden sich 100 Wissenschaftler zusammen und schrieben in einem Buch, dass und warum er sich irrte. Dabei war das ein Fall aus den Naturwissenschaften, wo eine Theorie in der Regel überprüfbar ist, und nicht wie hier aus Geisteswissenschaften, wo es nicht so sehr aufs Beobachten als viel mehr aufs Interpretieren ankommt.

Wer hat denn sowas behauptet?
Historisches Bewusstsein ist das bewusste oder rationale Wissen über Vergangenes, das sowohl in seiner Eigenwirklichkeit als auch unter der Perspektive der Vorgeschichte der Gegenwart wahrgenommen wird. Das umfasst sowohl die politischen Geschichte als auch die Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte. Man besitzt umfangreiche Kenntnisse über historische Ereignisse, Personen, ideengeschichtliche Vorstellungen, Prozesse und Strukturen sowie vom Leben der Menschen in unterschiedlichen Gesellschaften und zu unterschiedlichen Zeiten.

In einem Artikel des Spiegels wird dieser Begriff so verwendet:

„Dieses Wechselspiel aus Kritik des bisher Gedachten und nachkritischer Neugründung des Denkens bleibt vorbildlich für alle Kulturen dieser Welt - und ist jeder Kultur des Selbstlobs, auch der islamischen, allein schon durch ihre Dynamik überlegen. Selbstlob macht geistig träge.

Eine wesentliche Voraussetzung für diese kritische Kultur des Westens ist auch das historische Bewusstsein. Nur wer die Vergangenheit kennt, ist zur Relativierung der Gegenwart im Ernst fähig. Erst das historische Bewusstsein hat auch das Christentum liberalisiert ...“

Die Menschen hatten vor ca. 1100, nämlich bevor Christen alles (verfälscht) niederschrieben, ein wesentlich trainierteres Gedächtnis als wir heute. (Der These oben widerspricht ganz ganz ganz unter anderem z.B. sowas wie Beowulf, was zu sicher einem Viertel reine Aufzählung von wer was wo mit wem gemacht hat - bis zu den Großvätern frag nicht wieviele Linien zurück.) Die Handels-/Kulturverbindungen zwischen den Reichen und Provinzen waren sehr weitreichend, dabei wurden mit Sicherheit auch Eindrücke und 'historisches' Wissen ausgetauscht. Das läßt sich nachweisen an Handswerkstechniken, u.a., oder Moden.
Sicher gab es das, schließlich haben schon die Griechen und Römer namhafte Dichter und Historiker gehabt, wobei das bis zur Renaissance gar nicht getrennt gesehen wurde - was uns Heutige wiederum schwer macht, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden.

Zu Beowulf: Das Epos entstand vermutlich nach dem Jahr 700 und spielt in der Zeit vor 600 n. Chr. in Skandinavien. Es beschreibt eine Zeit, die es wirklich gab – deswegen kann es hier nicht als Beweis gegen die Phantomzeittheorie verwendet werden. Im Übrigen gilt auch für Beowulf: die Grenzen von Dichtung und historischer Wahrheit sind in ihm fliesend.


Daß die Darstellung von Regionalbezogenem in der bildenden Kunst nix mit einem Mangel zu tun hat, zeigen Entwicklungen in der gleichen Gegend zur gleichen Zeit - Vgl mal die Ikonen aus Karelien (Volkskulturanleihen, lokale Landschaften & Farben) mit denen aus anderen russischen Regionen (> angelehnt an byzantinischen Stil). Alle Künstler waren weitgereist, es ist also nicht alles unfreiwillig, was geschaffen wurde. Oder sagt man heute, Picasso hätte nicht photorealistisch gemalt, weil er nur krakeln konnte? Dieses massive Unverständnis und in nichts begründete Annahmen, was Leute "des Mittelalters" so getan haben oder nicht ist jedenfalls haarsträubend.
Es geht nicht darum, was Leute "des Mittelalters" so getan haben oder nicht, sondern um deren Verständnis der vergangenen Jahrhunderte bzw. Epochen. Dabei ist die östliche Welt, von der du hier sprichst, dank Konstantinopel sicher besser dran gewesen als die westliche, wo die römische Kultur nur in den byzantinischen Enklaven (Ravenna) weiter existierte. Insofern muss ich meinen Einwurf, Menschen des Mittelalters hätten kein historisches Bewusstsein, auf die westliche Welt außerhalb des byzantinischen Reiches einschränken.

 
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Dann nochmal anders - ich fasse das Problem damit mal so zusammen:
Heute haben nur sehr wenige Leute - und auch von Experten sind das nicht alle - ein Begriff dessen, in welchem Wissen und "Geist" Informationen weitergegeben wurden.

Es geht um eine bestimmte Codierung von Information, die bereits nicht mehr verstanden wird. Da braucht man bei einem Text schonmal das Original, in diesem Bsp. Beowulf halt Altenglisch. Und selbst dann muß man eine Ahnung haben, was Runen bedeuten, und auch das ist nicht unumstritten selbst unter Fachleuten (damit schließe ich selbstverständlich alle Esospinner aus).

Es bedeutet eine völlig andere Weltsicht, die um ein vielfaches vielschichtiger ist, als Information (Zeichen > Bezeichnetes), die wir heute aus einem Wort oder einem Buchstaben lesen können.

Ich geb Dir ein Bsp, weil sich das sehr abstrakt anhört (hoffe, ich erinnere das richtig!): Der neuenglische Satz in der Übersetzung sagt z.B.: Ein Schiff auf See.
Im Altenglischen Text (der erstmal augenscheinlich das gleiche sagt) trägt jeder Buchstabe aber zusätzlich die Bedeutung / das Konzept der Rune, aus der er abgeleitet wurde. Jedes Wort also hat bereits so viele Bilder/Bedeutungen, wie es Zeichen hat. Und jedes Wort in jedem Satz ... usw.
Im Altenglischen stehen da zwar nur die Worte mit dem Schiff und der See, aber es wird über die Herkunft der einzelnen, dabei verwendeten Buchstaben (= Runen) etwas zweites gesagt: Ein schwarzes Pferd, das über Gewitterwolken galoppiert. Damit sind in einem Satz beide wichtigsten Fortbewegungsmittel erfaßt, zu Wasser und auf Land, aber gleichzeitig tragen diese Begriffe Schiff, Pferd, Wasser etc. ins sich extrem komplexe Konzepte, die schon ins Weltanschauliche, Religiöse, Gesellschaftsherstellende fallen. Und diese Kombinationen im Text sind kein Zufall - das sind drei absichtlich verknüpfte Ebenen, und ich will tot umfallen, wenn das die einzigen sind.

Und das kannst Du jetzt bitte für jeden der was weiß ich tausend Sätze so machen. Da wird also nicht nur was von König bla und Speerträger bla dann und dort gesagt - und daher ist es hanebüchen, ohne so ein Grundsatzwissen irgendwelche Schlüsse zu ziehen, wer was in anderen Zeiten gedacht hat, oder was da wirklich passiert ist. Denn der Schreiber konnte nur davon ausgehen, daß alle Bedeutungen seiner Sätze miterfaßt werden - dem ist aber nicht mehr so, wir verstehen heute nur noch eine Ebene.

Und gleiches gilt selbstverständlich auch für Kunst, Ornamentik, Handwerk etc.

Es wird heute ein Text gelesen (ein Bild angeschaut, ein Musikstück gehört ...), nicht verstanden, und das Nichtverständnis übertragen auf die Verfasser - die hätten es halt nicht besser gewußt. Das ist das Problem. So geht das einfach nicht - da ist schon das echte erfundene Mittelalter, ganz ohne Verschwörungstheorien. Wir heutigen Leute müssen einfach mit der Übertragung unserer eigenen Eingeschränktheit / Beschränktheit auf frühere Zeiten aufhören, das ist alles.

Das ist der Weg des Laien, und wie gesagt, mag das lustig sein, daran rumzuspinnen. Aber von so einer Position kann einfach keine Aussage über die Informations- und Historienvermittlung eines Menschen um 600-1100 getroffen werden.

Aber hey, wen juckts, was wir nobodys hier über ein Buch sagen, von daher: Macht ruhig weiter, ist ja ganz unterhaltsam. Vllt nur nicht alles so bierernst belegen wollen und so, das paßt halt nicht zusammen. ;)

P.S. OT
Vor diesem Hintergrund sollte eigentlich keiner von uns rumheulen, wie schwer es ist, sich in einer modernen KG auszudrücken - wir verwenden die allersimpleste Ebene, die Sprache haben kann, und müssen nichtmal nebenbei auf Alliteration achten. :p

 

Es wird heute ein Text gelesen (ein Bild angeschaut, ein Musikstück gehört ...), nicht verstanden, und das Nichtverständnis übertragen auf die Verfasser - die hätten es halt nicht besser gewußt. Das ist das Problem. So geht das einfach nicht - da ist schon das echte erfundene Mittelalter, ganz ohne Verschwörungstheorien. Wir heutigen Leute müssen einfach mit der Übertragung unserer eigenen Eingeschränktheit / Beschränktheit auf frühere Zeiten aufhören, das ist alles.
Das ist richtig. Aber das Problem in diesem Zusammenhang ist auch, dass erstmals alles geglaubt wird, was geschrieben ist, vor allem wenn es alt ist. Erst wenn ein zweites Dokument auftaucht, das dem ersten widerspricht, kommen Zweifel auf. Dabei weiß man inzwischen, dass 60% der mittelalterlichen Urkunden Fälschungen sind, also praktisch bei mehr als jeder zweiten Urkunde Zweifel von vorne herein angebracht wären.

Dennoch sind Historiker nach wie vor Schriften fixiert. Sie glauben Urkunden ohnehin mehr als archäologischen Funden, und wenn, wie aus diesem "erfundenen" Mittelalter, es weder archäologischen Funde noch Originalurkunden gibt, dann arbeitet man halt mit Kopien von Kopien und hält eine Historie für wahr, die von Historiker hergestellt wurde, die noch an die Echtheit der Dokumente glaubten, die später als Fälschungen entlarvt wurden.

Aber hey, wen juckts, was wir nobodys hier über ein Buch sagen, von daher: Macht ruhig weiter, ist ja ganz unterhaltsam. Vllt nur nicht alles so bierernst belegen wollen und so, das paßt halt nicht zusammen. ;)
Das sehe ich anders. Weil ich unsicher bin, bin ich um jeden belegten Widerspruch froh. Das gibt mir die Gelegenheit, mich mit dem Gegenargument auseinander zu setzen. Dabei lerne ich und werde sicherer in meinem Urteil. Ich will wissen, was wahr ist. Natürlich ist das nie mit letzter Sicherheit zu erreichen, aber es würde mir schon reichen, wenn ich irgendwann sagen könnte: So könnte es damals gewesen sein.

 
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Hups, das ist Dir wirklich wichtig. :)

Da Klugscheißen mein zweiter Vorname ist, sag ich nochmal was. :D Mit Sicherheit etwas belegen wird man nicht können, sondern nur sich annähern, bereit, das auch wieder sausen zu lassen. Dann wird man da einige Jahre, Jahrzehnte, mit verbringen müssen. Und vor allem (auch Illig, der erscheint mir wie ein moderner Ranke-Graves): Alles Populärwissenschaftliche, Zeitungen und vor allem sowas wie Wikipedia links liegen lassen.

Die aktuellsten und interessantesten Beiträge wirst Du in wissenschaftlichen Festschriften und Habilitationen finden. Die stehen in jeder Institutsbibliothek, die - zumindest zum Lesen - auch jedem Nicht-Studi zugänglich sind. Dann erfährt man in (Freilicht)Museen meist vieles, das nicht in Büchern zu finden ist. Mal rumfahren, und Informationen/Ausstellungsstücke vergleichen.
Die meisten Vorlesungen und viele Symposien sind frei zugänglich.


Mit den Verträgen wäre jetzt die Frage, was hier gefälscht heißt. Das ist ja nicht wie heute: gilt nur ab Datum & Unterschrift. Wurde das Beschlossene damals praktiziert und erst später festgehalten, quasi nur rückdatiert? Oder sind das Verträge, die nie Gültigkeit hatten? Davon hab ich keinen Blassen, das wäre aber sicher rauszufinden. Die Antwort kann sein, daß ein gefakter Vertrag nix zu bedeuten hat, sondern bis dahin das Wort, die Vereinbarung galt. Das kann wichtiger gewesen sein, als ein Wisch Papier. Oder sind es zu einem damaligen Zweck gefälschte Verträge, die aktuell einen Vorteil brachten? (Wie die, die der Deutsche Ritterorden gefakt hat: Die ihnen 'heidnisches' Land im Osten zuschrieben, das ihnen nie zugeschrieben worden war - also eine Besatzung "legitimierten".) Oder sind das spätere Fälschungen, wie die Eiserne Jungfrau und der Keuschheitsgürtel, die im 18. Jahrhundert erfunden/hergestellt, aber ins Mittelalter 'verlegt' wurden? Wenn man darauf eine wahrscheinliche Antwort hat, kann man überlegen, was die Fälschung dann für wen einen Zweck hatte, so sie hatte.

Wenn Du dieses Bsp nimmst von irgendwelchen Herrschern, die sich auf dem Sterbebett plötzlich taufen liessen, bzw. dort wieder 'entchristianisiert' haben, soll das auch meist nicht stimmen. Letztlich ist es egal, ob das tatsächlich geschah oder nicht, und ohne Augenzeugen wird sich das auch nicht mehr sagen lassen. Aber es hat eine gesellschaftliche/politische Funktion, das von einem Herrscher zu behaupten. Es wäre nur wichtig herauszufinden, ob der Mythos bereits zur gleichen Zeit oder erst Jahrhunderte später aufkam. Daran sieht man dann, wem es zu was diente. Sowas muß also nicht eine bewußte Fälschung im Sinne von Verdrehung von Tatsachen sein, sondern kann vllt nur ein Symbol für was gewesen sein.

Dann müßtest Du ein bißchen interdisziplinär gucken. Und auch mal gesunden Menschenverstand dazunehmen (nicht, daß Du den nicht hast, aber man sollte sich manchmal kurz von Interpretationen freimachen können, und den eigenen Augen trauen - daher auch die Museen).

Und da wird es schwer. Nimm Beowulf (vergiß kurz die Runen und die vierzig Ebenen): Erdacht von 'Heiden', geschrieben von Christen. Was ist was, bei den Motiven? Manche überschneiden sich zufällig.
Nimm das Motiv von Hroðgars Halle: Es wird behauptet, es sei christlich verfälscht/reingedichtet und wird auf Habgier/Hochmut gemünzt. Der König habe sich mit diesem Prunkbau versündigt und würde gerecht bestraft. Der Text solle Bescheidenheit lehren. Möglich, daß es im mündlich-'heidnischen' Original nicht so vorkam.
Andererseits: Im Buch wird bemerkt, daß die Halle nicht nur extrem prunkvoll sei, sondern vor allem unbefestigt. Ein Herrscher (und sei es nur ein Heerführer etc), der seinen Untergebenen keinen Schutz bietet, sondern nur auf Deko achtet, ist der Würde nicht wert, verspielt damit seine Ehre, wenn nicht seinen Herrschaftsanspruch oder sein Leben. Grendel wäre so nur die Instanz, die das soziale Gefüge wiederherstellt. (Und Beowulf bringt es wieder durcheinander, wie bei dem Drachenkampf am Schluß, bei dem er daher auch endlich draufgehen muß). Das Motiv der Halle kann also sehr gut rein 'heidnisch', und im Lied genauso vorgekommen sein - den christlichen Schreibern hat es in den Kram gepaßt, sie haben es so verwendet, und spätere christliche Historiker haben dazu noch entsprechend uminterpretiert. Und nu?

Das wird sich nie mehr feststellen lassen. Das einzige, was wir tun können ist, uns die Gesellschaftsform anzuschauen, wie sie aus der Archäologie "belegt" (auch das ändert sich) wird, und so viele Querverweise wie möglich suchen. Und sich seinen Teil denken. Da wirst Du sicher bei den Verträgen auch zwei oder mehr Wege finden, die Du zurückgehen kannst, und irgendwann zu einem (wie ich bei Beowulf) laienhaften Ergebnis kommen, welches Du für Dich wahrscheinlich findest.

 
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Hallo Dion,
ich habe mich immer gefragt, was man eigentlich erfüllen muß, um in der Sparte "Rezensionen" einmal Kommentare zu bekommen. Glückwunsch! Ich werde Deinen Wink in Zukunft beherzigen. Vielleicht mit einer Rezension über die Bielefeld-Verschwörung?
Ich bin ja, wie Du sicher weißt, nicht gegen Verschwörungstheorien. Wie Geschichte gefälscht wird, ist durch historisches Studium nur mühsam zu erforschen. Viele leichter ist es in der Gegenwart: wir brauchen ja bloß zu sehen, wie uns die Realität präsentiert wird, und was passiert, wenn mal einer hinter die Kulissen sieht. Mal im Ernst: in den Geschichtsbüchern des Jahres 2100 hat Marinus van der Lubbe den Reichstag angezündet, hat Salvador Allende sich aus Kummer über die mißlungene kommunistische Revolution die Kugel gegeben und Osama bin Laden die Welt mit hundert Bomben fast in die Luft gesprengt. Im Jahr 3500 werden die Geschichtsschreiber mal wieder ein Problem mit dem Kalender haben, nicht wegen Karl dem Großen, sondern wegen Adolf dem Großen: wie bringen sie nur die tausend Jahre des Deutschen Reiches im 20. Jahrhundert unter? Da werden sie ein bißchen schieben müssen, reine Routinesache. Man wird das genauso selbstverständlich nehmen wie wir heute glauben, Kolumbus habe Amerika entdeckt (was ja auch nicht stimmt, hi hi).
Aber die Zeit? Ich habe ratlos ins Regal gegriffen und den Ploetz herausgezogen, mehr als ein Kilo Geschichte, nach Illig zumeist erfundene Geschichte. Dort finde ich keine Lücken. Nun lerne ich, die Lücken seien mit Phantasien gefüllt. Das wird malerisch illustriert, aber nur für den Bereich der klassischen Geschichte, die mich am wenigsten interessiert. Es gibt ausser der römischen noch mehr Hochkulturen mit sorgsamer schriftlicher Überlieferung, die Gegenstand der historischen Forschung sind. Blättere ich in der Geschichte Chinas, um nur ein Beispiel zu nennen, finde ich ebenfalls eine lückenlose Geschichte. Ich glaube ja, daß das alles manipuliert ist. Die Guten sind gut und die Bösen sind böse, wie es sich gehört und wie die Herrscher es brauchen. Aber frei phantasiert? Chinesische Dynastien erfunden und in chinesische Bibliotheken geschmuggelt? Wenn der Vatikan soviel Geschick hätte, wäre heute die ganze Welt katholisch.
Nichts für ungut, Set

 

Tja, Katla, das mit den Fälschungen ist nicht so einfach. Die meisten Dokumente aus dem Mittelalter sind nicht Dichtungen wie Beowulf, sondern Besitz- und Rechtsurkunden, ausgestellt vom Königs- oder Kaiserhof. Bei jedem Herrscherwechsel mussten die alten Vasalen nicht nur auf den neuen König schwören, sondern die alten Urkunden mussten bestätigt werden, gegen Entgelt, versteht sich, was eine der Haupteinnahmequellen des neuen Herrschers bildete, weil ja Marktrechte, Gerichtsbarkeiten, etc. von Städten auch dazu gehörten. Noch mehr kostete die Neuvergabe des Besitzes bzw. der Rechte, die selbstverständlich eine Neuausstellung solcher Dokumente erforderten.

Daher verwundert es nicht, wenn manches gefälscht wurde. Da es am Königshof kein Archiv gab, war die vorgelegte Urkunde das einzige Dokument, was die Sache natürlich erleichterte, und zwar umso mehr, je älter man diese Urkunde machte, denn damit hatte man im Streitfall automatisch die älteren Rechte. Das Risiko war gering, denn nur in Ausnahmefällen flog eine Fälschung schon damals auf, z.B. wenn zwei Urkunden zugleich zur Bestätigung vorgelegt wurden und beide ungefähr das gleiche Datum trugen, aber an verschiedenen weit voneinander entfernten Orte ausgestellt wurden. Nebenbei gesagt: Diese Fälschungen haben wahrscheinlich auch das Mythos von ständig umher reisenden Kaisern begründet.

Erst in neuerer Zeit jedoch wurde manche früher als echt angesehene Urkunde als Fälschung entlarvt, weil die Fälscher in den Urkunden Dinge erwähnten, die es zwar zu ihrer Zeit gab, aber (noch) nicht zu dem zurückdatierten Zeitpunkt. – u.a. weil ihnen das historische Bewusstsein fehlte. Nur so ist auch zu erklären, dass 60% der schriftlichen Quellen aus dem Mittelalter Fälschungen sind – nach konservativen Schätzungen klassischer Historiker.

Ja, Setnemides, weil die reale Geschichte keine Lücken hat, hat auch die geschriebene Geschichte keine Lücken zu haben – falls vorhanden, werden diese Lücken mit Fantasie ausgefüllt. Selbst wenn man über eine bestimmte Periode eines bestimmten Landes nichts weiß, wird in den Geschichtsbüchern das nicht drin stehen – man nimmt einfach an, die vorherige Herrscherdynastie hätte bis zur neuen fortgedauert. Beispiel: In den letzten 100 Jahren hat sich der Begin der ägyptischen Kultur um 2500 Jahre (1. Dynastie wanderte vom 6. Jahrtausend ins 3. Jahrtausend) verschoben, was natürlich auch die ägyptische Chronologie zusammenschrumpfen ließ. Das ist kein Werk einer Verschwörung, sondern das Ergebnis neuerer Daten und/oder besserer Analytik.

Das gleiche gilt auch für Illig: Er sagt nicht, er sei auf die Spur einer Verschwörung gekommen, sondern sagt nur, dass mit der Chronologie im frühen Mittelalter etwas nicht stimme. Dafür gibt es Indizien, keine Beweise.

Auf China bin ich nicht eingegangen, weil ich davon so gut wie nichts weiß. Falls es dir nichts ausmacht, würde ich vorschlagen, dass wir bei einer weiteren Diskussion in Europa, Mittelmeer und angrenzenden Gebieten bleiben (Russland, Persien, Ägypten, Nordafrika) und weiter entfernte Gebiete nur im Ausnahmefall betrachten.

 
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Diese Fälschungen haben wahrscheinlich auch das Mythos von ständig umher reisenden Kaisern begründet.
:lol: Die rumreisenden Herrscher sollen stimmen, hab ich gelernt (auch Grafen und kleineres Kröppzeug): Die hatten's ja selbst oft nicht so dicke, und haben sich nämlich so durchgefressen, denn die unfreiwilligen Gastgeber mußten die Bewirtung zahlen. Dabei durften die auch nix ablehnen oder nur Minimalbewirtung fahren. Da gab es mal Hilferufe und Erlasse an die Obrigkeiten, damit nicht alles querbeet am Hungertuch nagen muß, weil ein Fürst mit gesamtem Gefolge mal wieder eingekehrt war - das ging ja wohl durchaus Wochen so.

Klar ist eine Urkunde nicht ein Lied, aber das war auch nur ein Bsp. um zu zeigen, daß es mit der Interpretation aus heutiger Sicht nicht leicht ist - weil das Weltbild nicht keins, sondern ein einfach unterschiedliches war. Klar wußten die Künstler auch, daß Menschen alle ähnlich groß sind, und haben mit den extremen Größenunterschieden halt Wichtigkeit/Unwichtigkeit ausgedrückt.

Es mag gut sein, daß es einfach ein anderes Geschichtsbewußtsein ist, das Ereignisse in Urkunden auftauchen läßt, zu deren "Datierung" sie nicht paßten. Außerdem kann man mal seine Nase in neue Physiktheorien zu "Zeit" stecken, das soll eh alles gar nicht chronologisch/ungleichzeitig laufen. Wer weiß, vielleicht sind wir die Doofen? Und die im MA hatten's kapiert? ;)

 

Solange wir beim Thema bleiben, Katla, kann es kein Gespamme geben. Und bisher ist alles im Rahmen geblieben, denke ich, nur ob diese Diskussion an sich sinnvoll ist, kann man natürlich geteilter Meinung sein – das Rad neu erfinden werden wir hier sicher nicht. :D

Das Buch, das für mich das Ganze ins Rollen gebracht hat, habe ich von einem Freund bekommen als ich einmal erwähnte, ich schreibe an einem Roman, die im Mittelalter und im Heute spielt mit dem Hintergedanken, zu zeigen, dass der heutige Mensch sich in seinem Handeln nicht viel von einem mittelalterlichen unterscheidet.

Illig hat mit diesem hier besprochenen Buch nicht einer Verschwörungstheorie das Wort reden wollen, er hat lediglich die allgemein bekannten Daten anders interpretiert als fast alle Forscher vor ihm. Er war auch ziemlich der erste, der Daten aus verschiedenen Wissensbereichen (schriftliche Quellen, Archäologie, Astronomie, Architektur, Kunstgeschichte, Kalendersysteme) benutzte, um die sogenannten dunklen Jahrhunderte des frühen Mittelalters zu erhellen. Beim Vergleich dieser Daten ist ihm aufgefallen, dass archäologischen Befunde fast nie mit schriftlichen Quellen übereinstimmen: von tausenden Bauten, die laut Quellen in der karolingischen oder vorkarolingischen Zeit gebaut wurden, fand er so gut wie nichts, und wenn es welche gab, so stammten sie laut Archäologie- und Architekturbefund nicht aus der Epoche, sondern wurden ihr anhand Quellen nur zugeschrieben.

Es scheint hier wieder etwas eingetreten zu sein, das ich als Fluch der Wissenschaften bezeichne: Die Trennung in einzelne, immer enger werdende Wissensgebiete, die auf diesen Gebieten zwar hervorragende Ergebnisse liefern, dabei aber das Ganze aus den Augen verlieren. Es braucht also Generalisten wie Illig, die sich nicht scheuen, auf verschiedenen Wissensgebeiten zu forschen, selbst auf die Gefahr hin, von den Spezialisten in diesen Gebieten als Amateure verspottet zu werden.

Um Widersprüche, die es zum Beispiel zwischen schriftlichen und archäologischen Befunden gibt, aufzuklären bedarf es jemand, der auf beiden Gebieten bewandert ist: So einen Forscher scheint es nicht zu geben, jedenfalls blieben Illigs diesbezüglichen Fragen bisher unbeantwortet und seine Thesen nicht widerlegt.

Die rumreisenden Herrscher sollen stimmen, hab ich gelernt
Ja, das habe ich auch so gelernt, und es mag in Teilen sogar stimmen, aber bei näheren Betrachtung kommen einem schon Zweifel, wie sie das bei dem damaligen Zustand der „Straßen“ bewerkstelligt haben – Zitat aus Wikipedia:

Im Laufe eines Jahres wurden dabei erstaunliche Strecken zurückgelegt. Historiker errechneten anhand von Urkunden, dass z. B. Kaiser Heinrich VI. und sein Gefolge zwischen dem 28. Januar und dem 20. Dezember 1193 mehr als 4.000 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland reisten. Die Rekonstruktion der Reisestationen ergab hierbei folgende chronologische Abfolge: Regensburg - Würzburg - Speyer - Hagenau - Straßburg - Hagenau - Boppard - Mosbach - Würzburg - Gelnhausen - Koblenz - Worms - Kaiserslautern - Worms - Haßloch - Straßburg - Kaiserslautern - Würzburg - Sinzig - Aachen - Kaiserswerth - Gelnhausen - Frankfurt a. M. - Gelnhausen.

Wenn man Sonn- und Feiertage abzieht, in denen nicht gereist wurde, und dem Kaiser in den 24 Orten jeweils nur eine Woche Aufenthalt zubilligt, dann blieben fürs Reisen gerade noch genug Tage übrig, aber die wären bei damaligen Reisegeschwindigkeit so knapp bemessen, dass unterwegs keine Schwierigkeiten (Schneefall, Regen, Unwetter, nicht passierbare Flüsse, etc.) auftreten dürften; dies nach meiner persönlichen amateurhaften Rechnung. :)

 
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Hatte der Kaiser ein Double?

Auf der Website der Vereinigten Chronologiekritiker fand ich die These, in den fraglichen drei Jahrhunderten sei einfach zu wenig zu finden, besonders an Bauten. Das überzeugt mich nun gar nicht, denn Phasen der Stagnation gab es immer. Und daß die hinterher ein bißchen angereichert werden, gehört zu diesen Zeiten der geistigen Leere ja dazu. Vielleicht war es damals trotzdem besser als in den Zeiten des Dunkels, die danach kamen. Ich bleibe dabei, daß dies eine abendländische Nabelschau ist, so als wäre der römisch geprägte Raum die ganze Welt.

 

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