elisabeth
Die ordentlich und schlicht, aber doch sehr auffallend
gekleidete Dame mit dem prächtig schwarzem, zusammen-
gebundenem Haar spaziert durch den Park und genießt die
Ruhe der Natur, alleine, denn sie möchte genießen:
Den vertrauten Duft von frisch gemähtem Rasen, umhüllt von der Süße der Frühlingsblumen, die Wärme der Sonne und vor allem die herrliche, formlose Einsamkeit.
Sie bewegt sich langsam in einer aufrichtigen eleganten Haltung zur Melodie der Vogellieder.
Doch so wie die fleischfressenden Krähen, die krächzenden pechschwarzen Kreaturen ächzend inmitten der Alleen
lauern, so leuchten auch die großen Augen der Frau tief
und düster, inmitten eines galanten, zart weißen Gesichts, auf wie bei einer Sonnenfinsternis.
Doch sobald man sich von dem frech wissenden, für manche als zu hart empfundenen Blick abwendet, verzaubern einen der sanft lächelnde Mund und die leidenschaftlich roten Lippen, die ein großes, offenes Herz verraten.
Das wird wohl auch der Grund sein, warum sich Kinder von dieser mütterlichen, herzlichen Frau angezogen fühlen. Auch zahlreiche Hunde folgen ihrem interessanten und sehr absonderlichen Duft, um dann von einer wohltuenden Wärme empfangen zu werden, um sich von weißen, fast kindlichen Händen streicheln zu lassen.
Dieses Bild von der bezaubernden, spazierenden Frau im Park mag wohl sehr harmonisch und friedlich aussehen, doch die Magie ist zeitbedingt und von der Schönheit ihrer Umgebung abhängig. Der Schein der Sonne ist nicht die Sonne selbst.
Aus einer unbeschwerten Glückseeligkeit kann schnell eine selbstverachtende Melancholie heranwachsen die sich oft in dem Gasthaus in dem sie kellnert breit macht. In den ärmlichen Verhältnissen einer fünfköpfigen Bäckerfamilie eines kleinen Dorfes war es für sie unmöglich, eine vernünftige Ausbildung zu machen. Nach der Mittelschule musste sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern und im Haushalt helfen, während sie von etwas anderem träumte und sich in Büchern verlor.
Nun war sie in die Stadt gezogen um Arbeit zu finden, und musste sich in einem Gasthaus als Kellnerin zufrieden geben. Sie ist doch erst Anfang zwanzig, und fühlt sich schon ausgesogen von den grauen Mauern der Mittelmäßigkeit, von der ukrainischen Gesellschaft, der Gesellschaft, der Gesellschaft und der Leere in den Augen ihrer Mitmenschen, die sie mit sich bringt. Oft hat sie das Bedürfnis, ihren verstaubten Lederkoffer aus dem Schrank zu holen, die wenigen ihr wichtigen Sachen einzupacken, und vor all dem zu fliehen, um vor sich zu fliegen, um das hinter sich zu lassen was sie nicht mehr sehen will: Die traurigen Gesichter der Säufer im Gasthof, die Frauen, die auf ihre Rechte verzichten, die vielen, vielen Bettler am Straßenrand und die in Pelzmäntel gewickelten Botoxgesichter, die blind an ihnen vorbei schreiten um immer mehr zu kaufen, immer mehr zu bekommen, immer mehr, immer mehr.
Aber auch wenn sie das Bedürfnis hat zu verreisen, tut sie es doch nicht, hat sich es doch noch nicht getan, steht sie noch immer an der Theke und lebt Tag ein Tag aus. Wegen dem Park, wegen dem Duft, wegen den Kindern, wegen den Vögeln, wegen ihrer nächtlichen von Euphorie erfüllten Spaziergänge durch die ältesten, verlassensten Teile ihrer Stadt, wegen der Liebschaften, wegen dem wunderschönem Marmorboden der nur stellenweise unter der Staubschicht hervor lugt.
Wegen der Erdbeeren im Sommer, wegen dem Eislaufen am See im Winter und dem herrlichem herzerwärmendem Glühwein danach, wegen der Kastanien in der Jackentasche im Herbst und der lang ersehnten Blumen und Knospen im Frühling. Ihr größter Kindheitstraum war es, später mal Geschichtenerzählerin zu werden, und den Kindern und den erwachsenen Kindern der Erde mit ihren Geschichten zu bereichern, die mit den Pinseln der Fantasie aus Banalitäten entstanden und immer noch entstehen.
Auch heute, wenn sie aufmerksame Zuhörer findet, die noch die Pinsel der Fantasie besitzen, erzählt sie Märchen, erzählt sie Abenteuer, erzählt sie von fremdern Welten, die so nahe scheinen.
Und der Zuhörer, die Augen im Erzählbann weit geöffnet, fühlt sich wie damals am Schoß der Großmutter, wie sie die Gutenachtgeschichten aus dem dicksten Märchenbuch vorlas. Nur die Frau, oder sollte ich sagen das Mädchen auf dem Bild braucht kein Buch um daraus vorzulesen, sie hat ihre eigenen Bücher in ihrem Kopf. Eine Fähigkeit die sie liebt und schätzt, aber auch als Auslöser ihrer Isoliertheit, ihrer oft geistigen Abwesenheit sieht.
Sie ist ein Mädchen, wie man es auf schönen Gemälden berühmter Künstler wiederfindet. Ein Mädchen, das den Blick ihres Betrachters auf ihren dunklen Augen haften lässt und ihn für einen kurzen Moment in eine Traumwelt, in die Dämmerung seiner selbst versetzt.
Ihre Augen, ihr geschlossener lachender Mund erzählen Geschichten, ganz ohne Worte.