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Ausgehen

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22.02.2007
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Ausgehen

„Warum gehst du nicht mal aus?“, fragt Paul bei einem ihrem gemeinsamen mittwöchlichen Abendessen.
„Nein“, sagt Rosa mit halbvollem Mund. „Ich geh nicht mehr aus, ich bin zu alt.“
Beide lachen. Rosa ist 26 Jahre alt und sieht aus wie 18.
„Du weisst, ich kann nicht mit dir ausgehen Rosi, sonst wird mein Liebelein eifersüchtig.“
Rosa nickt. Paul ist seit einem Jahr mit Amanda verheiratet. Rosa kann deren Eifersucht gut verstehen. „Ich wäre auch eifersüchtig, wenn mein Freund ständig bei einer Kollegin wäre“, erklärt sie.
Rosa hat aber keinen Freund und deshalb auch keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Ist sie aber doch, manchmal. Auf die hübsche Zahnarzthelferin mit den strahlend weissen Zähnen, und der süssen, lieblichen Stimme. Rosa ist nämlich in ihren Zahnarzt verliebt.
Aber davon weiss Paul nichts. Der muss auch nicht alles wissen, denkt sich Rosa. Er erzählt mir auch nie was von seiner Frau, ich habe sie nur ein einziges Mal kurz gesehen. Dabei würde mich schon interessieren, wie das läuft, zwischen den Beiden, ob sie Kinder planen zum Beispiel und ob sie guten Sex haben. Vielleicht sind sie gar nicht mehr glücklich zusammen.
Doch das würde Rosa Paul niemals fragen, und Paul schätzt das an ihr.
Manchmal, sehr selten, wenn sie beide viel getrunken haben, sehr viel getrunken und sie lustig sind und sogar ein wenig albern, gibt Paul Rosa einen Kuss mitten auf den Mund.
Ein einziges Mal haben sie auch zusammen geschlafen, Paul hat ihr einfach den Rock rauf- und die Unterhose runtergeschoben und sie erst lange gestreichelt. Danach ist er vorsichtig in sie eingedrungen. Bestimmt hat er gedacht, es sei ihr erstes Mal. War es aber nicht. Das hätte sie ihm gerne noch gesagt, aber er sah ihr kein einziges Mal in die Augen, und als es vorbei war, zog er seine Hose zu, räusperte sich und äusserte sich mindestens drei Mal darüber, wie gut der Braten in Morchelsosse geschmeckt hatte.
Seitdem ist nie mehr so was passiert und Rosa ist erleichtert darüber. Sie gehört nicht zum Typ Frau, der mit verheirateten Männern schläft.
Und ausserdem will sie ihren Zahnarzt nicht schon betrügen, bevor sie mit ihm zusammenkommt. Er würde nicht ihr Erster sein, aber sie würde ihm sagen „du bist mein Erster“, und sie würde es auch so meinen.
„Was machst du zum Beispiel morgen?“, reisst Paul sie aus ihren Gedanken.
„Ich geh zum Zahnarzt“, sagt Rosa mit einem Lächeln auf den Lippen.
Paul seufzt. „Ich meine doch am Abend.“
„Am Abend koch ich mir Ravioli, lese die Zeitung und geh schlafen“, zählt Rosa auf.
Paul druckst herum: „Warst du eigentlich schon mal, ich meine hattest du schon mal, du weisst schon, einen Freund?“
Rosa wird rot. „Natürlich hatte ich schon mal einen Freund“, sagt sie.
„Und?“
„Was und?“
„Ja, willst du mir von ihm erzählen?“
„Nein, ich will dir nichts von ihm erzählen“, antwortet Rosa, heftiger als beabsichtigt.
„Schliesslich erzählst du mir auch nichts von Amanda“, fügt sie kleinlaut hinzu.
„Was willst du denn wissen?“
Rosa zuckt mit den Schultern.
„Apropos Amanda“, Paul blickt auf die grosse Uhr über dem Küchenfenster, „ich sollte langsam gehen. Danke fürs Essen.“
„Nichts zu danken, ich habe doch Zeit.“
Rosa wendet viel Zeit auf, um Paul ein gutes Essen zuzubereiten, nicht nur weil Sie weiss, dass Amanda nicht kochen kann. Jede Woche kocht Sie ein neues extravagantes Menu, vorher wälzt Sie Kochbücher und ruft Paul ein paar Mal an, um Fragen zu stellen, wie: „Magst du gekochte Früchte zum Fleisch?“ oder „bist du allergisch gegen Muscheln?“
Diese Vorbereitungen kosten eine Menge Zeit und eine Menge Geld, aber von Beidem braucht Rosa nicht viel und hat darum mehr als genug.
Und schliesslich tut Paul auch eine Menge für sie, einmal hat er sogar ihren Rasenmäher repariert.
Paul stellt die obligatorische Frage, ob er noch abwaschen soll, was Rosa wie immer mit Nein beantwortet, dann verabschiedet er sich mit einem „Machs gut“ und drei Küsschen.
Rosa geht heute früh schlafen. Sie muss sich morgen noch auf ihren Zahnarztbesuch vorbereiten.

Die hübsche Zahnarzthelferin schreibt mit einem rosa Kugelschreiber etwas in ihr Büchlein, als Rosa reinkommt. „Guten Tag, ich habe einen Termin, Rosa Hintermann“.
Die hübsche Zahnarzthelferin lächelt steril und blättert in ihrem Büchlein herum. „Ja genau. Ich fürchte Sie müssen sich noch ein Momentchen gedulden“, zwitschert sie.
Die hübsche Zahnarzthelferin benutzt mit Vorliebe Diminutive.
Rosa setzt sich ins Wartezimmer. Fünf Minuten später kommt die Zahnarzthelferin wieder rein. „Fräulein Hintermann bitte“, säuselt Sie. Rosa kann den Ausdruck Fräulein nicht ausstehen.
Ihre Knie werden auf einmal ganz weich.
„Guten Tag, Herr Wolf“, begrüsst Sie den Zahnarzt. „Guten Tag Frau Hintermann.“
Frau! Er sagt Frau zu ihr.
„Was haben sie denn diesmal für ein Problem mit ihren Zähnen?“
„Also, der eine Zahn in meinem Mund tut mir wieder weh“, beginnt Rosa unsicher.
„Soso.“
Wie bescheuert, denkt Rosa. Der Zahnarzt weiss ja wohl bestens wo sich meine Zähne befinden.
„Setzen Sie sich doch.“ Rosa tut es und öffnet ihren Mund sperrangelweit. Der Zahnarzt nimmt seinen Spiegel hervor. „Sehr schöne Zähne haben Sie, Frau Hintermann, und sehr gut geputzt“.
Drei Mal hintereinander, denkt Rosa. Nur für dich.
Jedesmal, wenn sie vor dem Spiegel steht und ihre Zähne putzt, stellt Sie sich vor, wie ihr Zahnarzt in dem Moment das Gleiche tut.
Rosa zeigt dem Zahnarzt, welcher Zahn ihr angeblich wehtut. Sie kann seinen Atem auf ihrer Haut spüren, jedenfalls bildet sie sich das ein. So nah und doch so fern, denkt Rosa.
Leider entfernt sich der Zahnarzt bereits wieder von ihr. „Ich kann nichts finden, Frau Hintermann“, erklärt er.
Rosa hat sich so sehr auf ihre erfundenen Zahnschmerzen konzentriert, dass sie fast erstaunt ist über diese Antwort.
„Es gibt verschiedene Gründe für Zahnschmerzen ...“, beginnt der Zahnarzt. Rosa hört ihm nicht zu, sie schaut nur in seine grossen, braunen Augen und versucht zwischendurch ein aufmerksames Nicken.
„Ich gebe Ihnen eine Spülung mit“, beendet der Zahnarzt seinen Vortrag. Dann verschwindet er im Nebenzimmer.
Rosa schaut sich um. Auf dem kleinen Tischchen steht eine Blumenvase mit einer Orchidee drin. „Für meinen Schatz“ steht da auf einem Kärtchen, das um die Blume gebunden ist. Oh nein. Wer hat das geschrieben? Und vor allem für wen?
Der Zahnarzt ist zurück. Er macht sich durch ein Räuspern bemerkbar. „Von wem ist die Karte?“, fragt Rosa.
„Wie bitte?“
Rosa erschrickt über ihre eigene Kühnheit. „Nichts“, sagt sie, dreht sich mit einer hastigen Bewegung um und reisst dabei die Blumenvase vom Tisch.
„Entschuldigung, ich werde das aufwischen, das tut mir so leid“, stottert sie hilflos.
„Aber das macht doch nichts“. Der Zahnarzt legt eine Hand auf Rosas Schulter. „Beruhigen Sie sich. Scherben bringen doch Glück!“ Jetzt schmunzelt er sogar. Rosa kann es nicht fassen.
„Ich begleite Sie noch zur Tür.“

Als Rosa auf der Strasse steht, sieht sie alles, wie durch dichten Nebel hindurch. Das nächste Mal bringt er bestimmt alle Blumenvasen vor mir in Sicherheit, denkt sie.
Von Weitem kann Sie Paul und Amanda entdecken, die lachend durch die Strassen gehen und Händchen halten. Sie sind also doch glücklich, denkt Rosa, und ein beklemmendes Gefühl entwickelt sich in ihrer Brust.
„Was haben Sie gesagt?“, fragt eine ältere Frau neben ihr.
Wo kommt die auf einmal her?
„Geht es Ihnen nicht gut?“
„Nein, aber das macht doch nichts“, flüstert Rosa.
„Soll ich einen Arzt rufen?“
„Scherben bringen doch Glück.“
Kurz darauf verliert sie das Bewusstsein.

Die Wörter: ausgehen, Zahnarzt, rosa, reparieren, Kugelschreiber, gepostet von Tamlin

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo merettschen,

schön, dass du die Wörterbörse belebst :).
Du kannst diese Geschichte für zwei Wochen in eine andere Rubrik verschieben lassen, in der sie erfahrungsgemäß mehr beachtet wird. Ich würde dir Romantik/Erotik vorschlagen. Wenn du damit einverstanden bist, kannst du mir das auch per PN mitteilen.

Liebe Grüße
bernadette

Edit: Für zwei Wochen aus der Wörterbörse nach R/E verschoben.

 

Hallo merettchen,

ich finde es ganz schwer, bei dieser Geschichte über die ersten Zeilen zu kommen. Zwar nutzt du wörtliche Rede, aber irgendwie schleicht sich beim Lesen immer eine "Sendung mit der Maus" Betonung deiner Sätze in meinen Kopf. Das liegt vielleicht daran, dass du sehr uniform mit SPO-Sätzen beginnst. "fragt Paul", "sagt Rosa", "Beide lachen", "Rosa ist", "Rosa nickt", "Paul ist", "Rosa kann", "Rosa hat" ...
Dadurch wirkt der Beginn trotz wörtlicher Rede sehr statisch.
Zusätzliche Wendungen wie "Ist sie aber doch manchmal", "Aber davon weiß Paul nichts" oder "Der muss auch nicht alles wissen" und allgemein die häufige Verwendung von Vokabeln wie "aber", "doch" "nämlich" etc. tragen zum "Maus-Feeling" bei.
Vor allem aber erweckt es den Eindruck, du nimmst deine Figuren nicht ernst und willst sie in "vorführen". Man kann durchaus der Ansicht sein, ohne ironischen Abstand keine Liebesgeschichte dieser Art erzählen zu können, mir persönlich entsteht durch den Stil aber zu wenig Witz und der Abstand tötet jede Romantik oder die Sehnsucht danach. Zum Ende hin, wenn Rosa beim Zahnarzt ist, kommt die Sehnsucht besser durch, auch wenn du da immer noch diesen für eine solche Geschichte merkwürdigen Ton hast.

Lieben Gruß
sim

 

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