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[Kinder] Amira, die einsame Ameise

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02.02.2005
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[Kinder] Amira, die einsame Ameise

Hier ist der Anfang einer Weiterschreibgeschichte, die ausschließlich eine Kindergeschichte werden soll.

al-dente hat uns diesen Teil zur Verfügung gestellt.


Amira, die einsame Ameise

Amira Ameise war anders als die anderen Ameisen im Ameisenhügel. Alle Ameisen arbeiteten tagsüber emsig. Sie schleppten Tannennadeln und Hölzer herbei oder fütterten die Ameisenbabys. Amira fand das langweilig. Sie wünschte sich einen Freund oder einen Freundin zum Spielen.
„Spielst du mit mir auf der Wiese Verstecken?“, fragte Amira die Ameise Agathe.
„Verstecken?“, kreischte Agathe. „Ich habe zu tun! Für solchen Kinderkram habe ich keine Zeit!“
Und sie schleppte die hunderste Tannennadel zum Ameisenhaufen.
„Wollen wir Fangen spielen?“, fragte Amira die Ameise Amalie, die eine Blattlaus zwischen ihren Vorderbeinen trug.
„Spielen? Fangen?“, schnaubte Amalie. „Wozu soll das gut sein?“
Ohne sich noch einmal umzuschauen, ließ sie Amira stehen und verschwand im Ameisenbau.
Amira wurde sehr, sehr traurig. Dicke Tränen tropften aus ihren Ameisenaugen auf den Waldweg. Die anderen lachten sie aus.
„Seht nur! Amira, das Baby! Die Heulsuse!“, riefen sie. „Die will nur spielen! Sie ist keine fleißige Ameise! Sie gehört gar nicht zu uns!“
Und sie gingen Amira aus dem Weg. Amira wurde immer verzweifelter. Eines Tages hielt sie die Einsamkeit nicht länger aus.
„Ich werde auswandern und mir einen Freund zum Spielen suchen!“, dachte sie. Gesagt getan, schon am nächsten Morgen packte sie ein wenig Proviant in ihren kleinen Ameisenrucksack und wanderte los, weg von dem langweiligen Ameisenhügel, hinein in die große weite Welt.

 

Aber die Welt ist für eine kleine Ameise unendlich, besonders, wenn man so winzig ist wie Amira.
Den ganzen Tag wanderte sie schon ziellos umher und gönnte sich kaum eine Pause. Erst als der Abend dämmerte, hielt sie Ausschau nach einem sicheren Schlafplatz. Müde und erschöpft legte sie sich auf das weiche Moos nieder. Als es schon fast dunkel war, beschlich sie eine ungeheure Furcht vor der Finsternis. Im Ameisenhügel war es auch dunkel, aber da war sie nie allein. Ganz heimlich wünschte sie sich selbst die zickige Agathe herbei, um bloß jetzt nicht allein zu sein. Doch nun saß sie hier, daran war nichts zu ändern. Ängstlich kauerte sie sich zusammen und starrte in die dunkle Nacht.
Plötzlich sah sie einen leuchtenden Punkt in der Luft umherschwirren, der geradewegs auf sie zuhielt. Amiras Herz klopfte vor Aufregung. Das leuchtende Pünktchen ließ sich neben sie nieder. Amira war erleichtert, als das Glühwürmchen sie freundlich ansprach:

 

„Wer bist du und was machst du hier?“
„Ich heiße Amira und bin auf der Suche nach einem Freund, der mit mir spielt?“, antwortete die kleine Ameise.
„Und warum bist du dann hier und nicht in deinem Ameisenbau? Dort muss es doch Unmengen von Freunden für dich geben.“
Das Glühwürmchen, das zum Schrecken von Amira sein Lichtchen gelöscht hatte, rückte näher an die Ameise heran.
„Die haben alle keine Zeit. Sie sagen, sie hätten wichtigere Sachen zu tun. Deshalb habe ich meinen Rucksack gepackt und den Bau verlassen. Kannst du mir nicht sagen, wo ich einen neuen Freund finde?“
„Was hättest du gern? Soll er groß sein oder klein, dick oder dünn, mit Flügeln oder ohne? Es gibt so viele Tiere auf der Welt, da ist es gar nicht so einfach, das passenden zu finden“, gab das Glühwürmchen zur Antwort.
„Hm, darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“ Amira setzte ihre Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. Dann schaute sie plötzlich auf und lachte. „Was hältst du davon, wenn du meine neue Freundin wirst?“
„Ja, ehm… Das wäre zwar eine Idee, aber keine gute. Denn schau mal dort vorn. Da kommt mein Freund Anton und der ist furchtbar eifersüchtig. Ich glaube, ich mache mich wieder vom Acker. Ich wünsche dir viel Glück bei deiner Suche. Adios.“
Im gleichen Moment knipste das Glühwürmchen seine Lampe wieder an und flog davon.
Traurig blickte ihm Amira nach. Wieder war sie allein.

 
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Unendlich müde suchte sie sich einen kuscheligen Schlafplatz in dem weichen, warmen Moos und schlief kurz darauf ein. Sie träumte vom Ameisenhügel, von einem Tag, als sie von Weitem die Königin gesehen hatte und vom Honigtau der Blattläuse. Die Erinnerung an den Geruch ihrer Lieblingsspeise weckte zuerst den Hunger in ihrem Bauch, dann sie selbst. Benommen hob sie den Kopf. Etwas Großes bewegte sich, ganz in ihrer Nähe. Ängstlich drückte sie sich weiter hinein in den Moosteppich.
„Na, was haben wir denn da?“, hörte sie eine Stimme über sich. Zitternd hob sie den Kopf und erkannte im Mondlicht die Umrisse einer Wolfspinne. „Ganz allein hier draußen, Kleines?“ Sie stupste Amira mit einem ihrer haarigen Beine an. „Nun, ICH werde mich ab sofort um dich kümmern,“ fuhr sie kichernd fort. Ihre acht Augen glänzten wie schwarze, polierte Steine, der massige Hinterleib bebte. Die Kiefer, an denen die Giftdrüsen saßen, zuckten nervös.
Amira hatte schreckliche Angst. Was konnte sie gegen eine solche Jägerin schon ausrichten? Wolfspinnen galten als erfahrene Kämpferinnen. Da kam selbst die kräftigste Ameise nicht dagegen an. Und davonrennen? Ach, was! An ein Entkommen war nicht im Mindesten zu denken. Die Spinne war wendig und gewiss mehr als doppelt so schnell mit ihren langen Beinen. Amiras Gedanken überschlugen sich. Wäre sie doch nur zuhause geblieben! Außerhalb der schützenden Ameisenburg warteten eben nicht nur freundliche Gestalten auf Ihresgleichen – es lauerten auch jede Menge Gefahren. Und eine davon stand direkt vor ihr. War hier ihr Ausflug bereits zu Ende? Amira begann zu weinen ...

 
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Die Spinne wollte gerade nach ihr greifen, da raschelte es in den Blättern hinter Amira.
„Lass´ sie in Ruhe!“, ertönte ein Unsichtbarer, der sich rasch näherte. Direkt hinter Amira tauchte ein flaches, matt glänzendes Krabbeltier auf. Es war kleiner als die Spinne und stank ziemlich eklig.
„Ah, ein ritterlicher Held!“, säuselte die Spinne. „Schaben wie dich verdaue ich zum Frühstück.“
„Du sollst sie in Ruhe lassen!“, rief der mutige Kerl noch einmal. „Sonst ...“
„Willst du mir etwa drohen, du Wicht?“ Die Spinne lachte. „Sonst - waaas?“ Herausfordernd kickte sie eine Erdkrume in seine Richtung.
„Sonst wird Wilbur mächtig sauer.“ Wie auf Kommando raschelte es erneut, doch diesmal noch viel lauter. Auch dieses Geräusch kam rasch näher.
„So, du heißt also Wilbur und redest Quark“, stellte die Spinne fest, wobei sie immer wieder in Richtung der raschelnden Blätter äugte.
„Nein, ICH heiße Rudi.“ Hinter ihm war jemand angekommen, der mindestens doppelt so hoch war wie er selbst. Und breiter und länger. Das Licht des Mondes reichte aus, um zu erkennen, dass er Rudi ähnlich sah. Nur eben viel größer.
„DAS ist Wilbur“, sagte Rudi grinsend. Solch ein riesiges Ungetüm hatte Amira noch nie gesehen.
„Wilbur ist ein entfernter Verwandter von mir“, erklärte er ihr. „Er kam vor langer Zeit mit einem Schiff aus Übersee.“
„Von Madagaskar,“ ergänzte der Riese. „In einem Sack voller Pfefferkörner. Das war vielleicht unbequem ...“

Die Spinne hatte genug von dem Gequatsche. Sie hob zwei Vorderbeine und trommelte damit gegen Wilburs Halsschild, der dessen gesamten Kopf bedeckte. Wilbur rollte mit den Augen. Dann atmete er gaaanz tief ein, presste seinen Hinterleib zusammen und stieß die Luft anschließend auf einen Schlag durch seine Atemöffnungen wieder aus. Dadurch brachte er ein zischendes Geräusch zustande, das wie das Fauchen eines Drachen erklang, woraufhin seine achtbeinige Gegnerin vor Schreck einen Satz nach hinten machte. Dann rannte sie in Panik davon. Auch Amira war sehr erschrocken und prallte gegen Rudis lederartige Deckflügel, die ihren Schwung abfederten.
„So, das wäre erledigt“, knurrte Wilbur zufrieden. Rudi nickte. „Ja, mein Lieber, haste prima gemacht!“
Amira starrte Wilbur fassungslos an. „So ein Geräusch habe ich noch nie gehört.“ Und an Rudi gewandt: „Kannst du das auch?“
„Nein“, gab dieser kleinlaut zu. „Das können nur die aus Übersee. Manchmal träume ich, ich könnte es!“ Er lächelte sie an. „Was machst du eigentlich hier in der Nacht so allein?“
Amira erzählte, weshalb sie unterwegs war. Sie fühlte sich wohl mit den beiden seltsamen Gestalten an ihrer Seite. Als sie zuende gesprochen hatte, meinte Rudi nach einer kurzen Pause: „Wir gehen zu Eddie. Willst du mitkommen?“
„Wer ist das?“, fragte Amira misstrauisch.
„Eddie ist ein Mensch. Genauer gesagt: ein Menschenkind. Wir Kakerlaken mögen Menschen. Zumindest die, die keinen Stress machen. Und Eddie ist ein toller Kerl. Er isst gerne alles, was wir auch mögen und räumt nie sein Zimmer auf. Und das, obwohl ihn seine Mutter immer wieder mit Hausarrest bestraft. Überall liegt etwas für uns herum. Echt nett, der Junge.“
Wilbur nickte. „Ja, außerdem gibt es in Eddies Zimmer unglaublich viele andere Tiere. Da sind sicherlich einige dabei, mit denen du spielen kannst. Wieselflinke Silberfischchen, gemütliche Maden und Mottenlarven und jede Menge neugieriger Fliegen, um nur ein paar davon zu nennen.“
„Ist es dort nicht gefährlich?“ Amira wollte nicht noch einmal solche Angst haben müssen. „Was passiert, wenn uns das Menschenkind entdeckt?“
„Keine Bange!“, warf die kleinere Schabe ein. „In seinem Durcheinander – seine Mutter nennt es Schweinestall - gibt es genug Verstecke. Außerdem gehen unsere Parties erst nachts los. Da schlafen die meisten Menschen.“
„Genug gefaselt“, wurde Rudi von dem Riesen unterbrochen. „Ich brauche nach der Anstrengung vorhin was zu essen.“ Er musterte Amira von oben bis unten. „Boah, bist du dünn! Hast du keinen Hunger?“
„Doch! Und ob!“ Amiras knurrender Magen hätte Wilburs Fauchen von vorhin locker übertönen können.
„Was magst du am Liebsten essen?“, fragte Rudi an Amira gewandt.
„Etwas Süßes!“, jauchzte diese voller Vorfreude.
„Also los! Auf zu Eddie!“, rief Wilbur vergnügt. Er fuhr mit einem Blick auf die kleine Ameise fort: „Du kannst gerne auf meinen Rücken klettern, dann trage ich dich. Musst dich nur gut festhalten.“

 

Das war leichter gesagt, als getan. Natürlich sind Ameisen sehr geschickte Kletterer. Sie können sogar ohne Probleme an glatten Oberflächen senkrecht hinauf- und hinunterlaufen. Allerdings tragen sie dabei meistens keinen schweren Ameisenrucksack auf dem Rücken, sind nicht todmüde und total hungrig und haben gerade eine schauerliche Begegnung mit einer widerlich haarigen Wolfsspinne hinter sich. Kurz - Amira hatte puddingweiche Wabbelbeine, Herzrasen, Ohrensausen und matschigen Quark in ihren dünnen Ameisenärmchen. Mühsam versuchte sie sich auf Wilburs Rücken zu ziehen, aber das Gewicht ihres kleinen Rucksacks riss sie immer wieder nach hinten.
„Dauert’s noch lange?“, wollte Wilbur wissen, als Amira gerade wieder einmal auf dem Rücken lag und keuchend mit allen Beinen in der Luft herumstrampelte.
„Mit ihrer Methode schon!“, bemerkte Rudi und schüttelte missbilligend sein Schabenhaupt.
„Wir versuchen das jetzt auf meine Art“, mit diesen Worten begann er Amira wie einen kleinen Fußball vorsichtig mit beiden Vorderbeinen vor sich her zu schieben und zu stupsen und langsam aber sicher auf Wilburs Rücken hinauf zu rollen.
„Danke“, keuchte Amira, als sie mit der Nase durchs Moos schleifte, „dass du mir hilfst“, fügte sie hinzu, als sie gegen Wilburs Seite rummste, „da hinauf“, krächzte sie, als sie wieder auf den Bauch knallte und der Rucksack unsanft gegen ihren Rücken schlug, „zu kommen!“, stöhnte sie, als Rudi sie über Wilburs Lederflügel schob. Mit letzter Kraft klammerte sie sich an einer kleinen Ausbuchtung von Wilburs Rückenpanzer fest. Voller Angst sah sie in die Tiefe und dachte: ‚Hoffentlich rennen Kakerlaken nicht so furchtbar schnell!’
„Na?“, erkundigte sich Wilbur. „Wie sieht’s aus, junge Dame?“
„Ich - chch - bin – chch – jetzt – chch – oben – chch – glaube – chch – ich – chch!“ Amira keuchte wie eine Miniaturdampflokomotive.
„Klar“, sagte Rudi. „Sie ist oben – aber das ist eine wackelige Angelegenheit, die Kleine ist ganz schön erschöpft, Wilbur. Ich glaube, du musst ganz vorsichtig laufen.“
„Klar,“, grummelte die Riesenkakerlake und setzte sich behutsam in Bewegung.
Amira gewöhnte sich schnell an das sanfte Schaukeln ihres riesigen Beschützers. Nach einer Weile kam sie wieder zu Atem und konnte die wunderbare Reise durch die sternenklare Nacht sogar ein wenig genießen ...

 
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Schlafend saß Amira auf Wilburs Rücken, neben ihnen lief Rudi, der ihnen immer wieder einen lächelnden Blick zuwarf, während sie zwischen den riesigen Grashalmen hindurchwanderten und Amira auf Wilburs Rücken schlief. Die Nacht war klar, die Sterne und der Mond wunderschön und Amira träumte von zwei Freunden, die sie endlich gefunden hatte: Rudi und Wilbur.

"Hey", weckte sie eine Stimme, die ihr sehr bekannt vorkam. "Hey, Amira."
"W-ahhhh-s denn?", gähnte sie.
Rudi sah sie ernst an. "Ich glaube, wir haben ein Problemchen."
"Ein Problemchen?", fragte sie und versuchte sich zu strecken, was ihr aber nicht gelang, da sie sonst vom Rücken ihres Beschützers gefallen wäre. "Ist Eddie nicht da?"
"Ich weiß nicht, aber wir haben ein anderes Problem", erklärte Rudi und sah kurz Wilbur an. Sein besorgter Blick machte Amira ein wenig Angst. Sie musste wieder an die Wolfspinne denken. "Siehst du, da vorne?" Er deutete mit seinem Vorderbeinchen in Richtung Norden. Dort war es heller als an anderen Stellen der Landschaft. Der Mond musste dort viel stärker scheinen, dachte Amira. Aber es war kein blasser Mondschein, sondern ein orangefarbenes Licht. "Dort brennt ein Feuer. Wo Feuer ist, sind Menschen. Wilbur meinte, er hätte einen Hund gehört, dann müssen dort Menschen sein. Wir müssen warten oder einen riesigen Umweg machen. Die Menschen könnten uns zertrampeln, die achten nicht auf so kleine Wesen wie uns."

"Hey!", rief eine hohe, piepsende Stimme links von ihnen wütend. "Hey! Was wollt ihr hier?!"
Amira, Wilbur und Rudi drehten die Köpfe. Eine Ameise stand mit in die Hüften gestützten Vorderbeinchen zwischen den Grashalmen. "Wir sind auf der Durchreise", antwortete Amira, die nicht glauben konnte, dass sie einer fremden Ameise, die wütend etwas gefragt hatte, so schroff geantwortet hatte.
"Auf der Durchreise, was?", keifte die Ameise. Die plötzlich aufgetauchte Ameise sah nicht aus wie Amira, sie war größer und rot wie ein reifer Apfel. Rudie sah zuerst Amira an, dann zur fremden Ameise.
"Ähm", begann er, "wir wollen keinen Ärger -"
"Ihr wollt keinen Ärger?!", rief die fremde Ameise aus. Wilbur, Rudi und Amira schwiegen und Wilbur sah zum Feuerschein in der Ferne. "Ihr habt schon richtig großen Ärger!"
"Warum?", wollte Rudi wissen.
"Dein Pappi ist hier und macht einen Riesenaufstand, weil ihr beiden einfach so, ohne was zu sagen, eure Kolonie verlassen habt!", erklärte die fremde Ameise und deutete auf Rudi. "Kommt mit!"
"Mein Papa?", fragte Rudi mürrisch.
"Ja, dein Papa!", antwortete die Ameise und schnaufte. Amira sah noch einmal zum Feuerschein. Dort würde sie ihr Weg hinführen, oder? Die zwei Schaben und die nun nicht mehr einsame Ameise gingen hinüber zu der keifenden Ameise. "Ich bin übrigens Nicki."
Amira sah sie an und sagte Nicki ihren Namen.
Die vier gingen durch einen dichten Wald aus Grashalmen und kamen zu einem Ameisenhügel, während über ihnen der Sternenhimmel Licht spendete und in der Ferne Menschen ein Fest feierten. Rudi fühlte sich schlecht.

 
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„Ja, wo treibst du dich denn wieder herum?“, empfing Rudis Vater die kleine Gruppe. „Ach, natürlich Wilbur, dieser ausländische Hallodri. Ich konnte mich ja noch nie für dich begeistern. Du übst nur einen schlechten Einfluss auf meinen Sohn aus. Und du kommst jetzt mit mir nach Hause.“ Er packt Rudi bei seinen Fühlern. „Für heute und morgen hast du Hausarrest.“
„Aber, Pappi ...“
„Keine Widerrede! Komm!“
„Bin spätesten in einer Stunde wieder bei euch“, raunte die kleine Schabe ihren Freunden zu und zwinkerte dabei mit dem Auge. Kurz darauf war Rudi mit seinem Vater verschwunden.
„Los, Leute! Machen wir uns auf den Weg zu Eddie“, entschied Wilbur. „Ich kann es kaum erwarten in sein Reich zu kommen.“
„Darf ich mich euch anschließen?“, fragte Nicki zaghaft.
„Na, klar doch!“, gab Wilbur sofort zur Antwort. „Steig einfach auch auf meinen Rücken. Ist genug Platz da oben.“ Er fühlte sich eindeutig als Anführer.
Amira war es nur Recht. Sie hatte schon Angst gehabt, dass die beiden Schaben sie mitten im Wald wieder allein lassen würden.
Kaum war Nicki auf seinen harten Panzer gekrabbelt, schlug Wilbur die Richtung zur menschlichen Siedlung ein.
Nicki rückte nahe an Amira heran. „Sag mal, was machst du hier in unserer Gegend? Ich habe dich noch nie gesehen.“
Da erzählte Amira ihrer Begleiterin ihre Geschichte.
In Eddies Garten brannte immer noch das Lagerfeuer, um das die Menschen ausgelassen tanzten. Keiner achtete darauf, wo er hintrat. So war es für Wilbur nicht einfach, ungeschadet zum Haus zu gelangen.
Die Drei hätten schon fast aufgeatmet, als ….

 
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… der Boden unter ihnen zu beben begann. Wilbur zuckte merklich zusammen und suchte Schutz unter einem Farn. Verächtlich schnaubte er: „Diese Trampel werden noch ewig hier herumstampfen! Ich glaube nicht, dass wir es riskieren sollten, an ihnen vorbeizukommen. Solange diese Ungetüme ihre Polka nicht beenden, haben wir keine Chance.“
„Heißt das, dass wir hier noch ewig herumsitzen werden?“, fragte Amira mit kläglicher Stimme.
„Kann ich nicht genau sagen. Wenn wir Glück haben, erwischen wir Kuno, dann haben wir es geschafft.“
„Wer ist Kuno?“, fragte Nicki verwundert.
„Kuno ist ein ziemlich alter, zottiger Hirtenhund. Der darf auch in Eddis Zimmer pennen, wenn ihn nicht gerade seine Mutter rausschmeißt.“
Amira horchte auf. „Die mag wohl keine Hunde?“
„Schon, aber keine die Flöhe, Zecken und Läuse einschleppen und davon hat Kuno genug.“
Nicki rutschte von Wilburs Rücken und hockte sich neben ihn. Sie warteten, jedoch blieb ihre Lage unverändert. Auch Kuno tauchte nirgendwo auf.
„Ist der Hund für uns nicht gefährlich?“, fragte Amira.
„Kuno? Keine Spur. Der Trottel ist taub und auf einem Auge blind. Einen sichereren Transport in Eddis Zimmer kannst du dir gar nicht vorstellen.“
„Ich habe Hunger - einen ganz fürchterlichen Hunger!“, begann Amira zu jammern.
„Ich auch, aber wir sollten lieber abwarten“, entschied Wilbur. „Vielleicht taucht Rudi doch wieder auf.“
Amira legte sich flach auf Wilburs Panzer. Das nagende Hungergefühl machte sich in ihrer Magengrube breit. Es rumorte und knurrte in ihrem Bauch und ihr wurde ganz schwarz vor Augen. Alles schien in Bewegung zu geraten. Nicht nur die tanzenden Ungetüme vor dem Haus wirbelten herum, sondern auch Nicki wackelte eigentümlich hin und her. Amiras Magen begann Purzelbäume zu schlagen und sich wie ein Kreisel zu drehen. Immer schneller und schneller.
„Wilbur?“, jammerte sie.
„Hmm.“
„Wilbur, mir ist furchtbar schlecht.“
„Dann ist es wohl besser, wenn du sofort herunterkommst!“
Amira rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Schlaff und kraftlos hingen ihre Arme herab, unfähig, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Wie ein nasser Sack blieb sie reglos liegen. Ihre Beine schienen nicht mehr zu ihr zugehören und versagten den Dienst. Ihr war schwindlig und elend, wie noch nie in ihrem Leben.
„Oooh, ist mir … schlecht!“, presste sie mühsam hervor.
Wilbur begann sich leicht zu schütteln, aber Amira lag wie ein Stein obenauf.
„Amira, du wirst doch nicht etwa …?“ Aber es war bereits zu spät!

 
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„Oh, je, das hört sich gar nicht gut an!“ Nicki kraxelte so schnell sie konnte wieder nach oben. Aufgeregt umkreiste sie Amira und betastete diese mit ihren Fühlern. Dann rief sie Wilbur zu: „Die Ärmste ist vor Hunger total geschwächt. Wir müssen ihr dringend etwas zu essen bringen!“
„Und was, bitte schön?“, entgegnete der Riese. „Was mir schmeckt, weiß ich, aber was ihr Winzlinge braucht, davon hab ich keinen Schimmer. Ich könnte zwar suchen gehen, aber ob es das richtige wäre, ... Außerdem fällt die Kleine womöglich runter, wenn ich mich jetzt bewege.“
„Okay, dann gehe ich!“, rief Nicki kurz entschlossen. Besorgt tätschelte sie Amiras Kopf. „Halte noch ein Weilchen durch!“ Für sich selbst Nahrung zu finden, war für eine rote Waldameise kein Problem, der Speisezettel von Wegameisen wie Amira jedoch erforderte größere Anstrengungen bei der Beschaffung. „Mal schauen, was ich auf die Schnelle auftreiben kann.“ Sie sah sich nach allen Seiten um und wuselte davon. Wilbur war nicht wohl bei dem Gedanken, sie angesichts der vielen lauernden Gefahren allein losziehen zu lassen. „Pass auf dich auf!“, rief er ihr hinterher.

Ein paar Minuten später tauchte Nicki unbeschadet wieder auf und wurde von Wilbur erleichtert wiederbegrüßt. Ohne weitere Zeit zu verlieren, erklomm sie fluchend seinen Rücken. „Mist! Diese runden, glatten Dinger kann man nicht richtig festhalten. Ständig rutschen sie hin und her. Und drücken darf man sie auch nicht unterwegs. Vielleicht hätte ich doch nur eine mitnehmen sollen ...“ Vor sich hingrummelnd bugsierte sie ihre Mitbringsel zu Amira, die immer noch bewegungslos dalag.
„Hast du was Leckeres aufgetrieben?“ Wilbur war nun doch neugierig geworden.
„Jahaaa! Zwei Blattläuse!“, jubelte Nicki, während sie begann, Amira mit Honigtau zu füttern. „Da vorne ist ein wunderschöner Trompetenbaum, auf dem die massenhaft rumhängen.“
„Wie hast du den im Dunkeln so schnell gefunden?“ Nicki lächelte, als Amira wieder zu sich kam und sich die letzten Tropfen von den Lippen leckte. „Ich habe unterwegs jemanden getroffen, der sich hier in der Gegend sehr gut auskennt ...“

 
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"Und wer war das?" fragte Wilbur, "wenn sich derjenige hier so gut auskennt, kann er uns bestimmt sagen wo wir Kuno finden."
"Ich.. äh, weiß nicht genau, es war ziemlich dunkel, ich konnte nur seine Stimme hören", druckste Nicki herum. "Aber ich kann die Stelle wiederfinden, da lag ein dicker weißer Kieselstein!", fügte sie hinzu.
"Hhmm", brummte Wilbur "gut, dann suchen wir mal den mysteriösen Fremden".
"Seid ihr sicher, dass das eine gute Idee ist?", fragte Amira, die wieder zu Kräften gekommen war.
"Sicher", meinte Nicki. "Nein", meinte Wilbur, "aber es ist unsere einzige Idee, oder? Außerdem, was soll schon passieren?", fragte er, stieß grinsend ein kurzes Fauchen aus, und trottete los.

"Da! Da hinten ist er!", rief Nicki, sprang von Wilburs Rücken und rannte auf den weißen Punkt in der Dunkelheit zu. Als Wilbur und Amira sie eingeholt hatten, war sie bereits hochgeklettert und sah sich mit ernster Miene nach ihrem Helfer um.
Plötzlich begann Wilbur zu lachen. Amira und Nicki blickten sich fragend an.
"Komm herunter, du musst nicht mehr weitersuchen. Ich weiß jetzt, wer dir geholfen hat, und er kann uns auch ganz bestimmt sagen wo Kuno ist", meinte er dann.
"Wirklich? Hier ist doch gar niemand", meinte Nicki ungläubig.
"Doch! Du stehst auf mir!", antwortete plötzlich eine dumpfe Stimme unter ihr. Nicki erschrak und fiel fast herunter.
"Hallo Humpty, altes Haus, wie geht es dir, was machst du hier draußen?", fragte Wilbur den Stein.
"Ich bin Dumpty, und was soll ich schon machen, wenn ich nicht an Kuno sauge, ich liege hier rum und spiele Auskunftsbüro!"

"Was...äh Wer ist das?", flüsterte Amira ängstlich.
"Das ist Hum.. äh, Dumpty, einer der Zeckenzwillinge, die auf Kuno wohnen. Er ist gerade vollgesogen und verdaut jetzt, deshalb liegt er nur so rum", erklärte Wilbur leise.
"Aha!", meinte Amira, der das alles ganz und gar nicht geheuer war.
"Humpty und Dumpty sind zwar manchmal ein bisschen griesgrämig, aber sie sind auch sehr schlau," flüsterte er.
"Sag mal, Dumpty, weißt du wo Kuno gerade ist?", fragte er schließlich laut.
"Nein!", brummte der als Antwort.
"Nein?" Wilbur klang enttäuscht.
"Ich weiß nicht, wo er gerade ist, aber ich weiß, wo er bald sein wird", ergänzte die Zecke nach einer kleinen Pause.
"Wirklich? Sag schon!", forderte die Schabe erfreut.
"Na, was glaubst du warum ich gerade hier rumliege? Kuno macht hier gern seine Schläfchen, und ich will ja wieder aufsitzen, nachdem ich verdaut habe."
"Das heißt, wir brauchen nur hier zu warten?", meldete sich jetzt Nicki wieder zu Wort, die anscheinend ihren Schreck überwunden hatte und von Dumpty wieder auf Wilbur geklettert war.

Nur eine kleine Weile später erschien tatsächlich Kuno, und während er gemütlich dösend im Gras lag, krochen die drei Freunde in sein zotteliges Fell und hielten sich fest.
Als Kuno sich dann anschickte ins Haus zu laufen, rief ihnen Dumpty noch nach: "Grüßt Humpty von mir, ich glaube er liegt drin, in Eddies Zimmer!"

 
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Kuno trottete gemächlich in Richtung Haus, wobei er immer wieder kleine Schnupperpausen einlegte. Nicki war ganz nahe zu Amira gekrabbelt und guckte diese besorgt an.
„Wie geht es dir?“, fragte sie.
„Dank deiner Hilfe wieder besser“, antwortete Amira. „Gut, dass ich endlich etwas im Magen habe. Obwohl der bei diesem Geschaukel ordentlich durchgeschüttelt wird.“ Sie schluckte dabei mehrmals.
Nicki wurde bei diesen Worten sogar im Dunkeln blass. „Au weia! An die Beiden habe ich gar nicht mehr gedacht!“
„An wen?“ Amira schaute sich erschrocken um.
„An die Blattläuse. Ich wollte sie doch wieder zu ihrer Herde zurückbringen. Aber an dem Trompetenbaum ist Kuno schon vorbei, und mit ins Haus nehmen sollten wir sie besser nicht. Ich glaube nicht, dass sie dort gut aufgehoben wären.“
„Wo sind die beiden denn jetzt?“
„Ich habe sie in eine Falte von Wilburs Panzer geklemmt.“
„Was nun?“ Amira runzelte die Stirn.
„Mal sehen.“ Nicki schaffte es mit einiger Mühe, den Kopf aus Kunos Fell zu strecken. Und tatsächlich: Auf dem Weg zu dem beleuchteten Eingang konnte sie an einem Engpass mehrere Rosensträucher erkennen.
„Glück muss man haben! Bin gleich wieder da“, murmelte sie und machte sich auf dem schwankenden Koloss ein Stück weit davon. Kurz darauf kam sie mit den beiden Blattläusen unter den Armen zurück.
„So, gleich kann´s losgehen. Magst du mitkommen und zuschauen?“
„Was hast du vor?“, fragte Amira neugierig.
„Ich will versuchen, den beiden Honigsüßen ein neues Heim zu verschaffen. Zumindest vorübergehend.“ Sie zwinkerte verschwörerisch.
„Und – hicks - wie willst du das – hicks - anstellen?“ Amira hatte von dem Gerüttel einen Schluckauf bekommen.
„Kuno muss auf den letzten Metern sehr knapp an ein paar Sträuchern vorbei. Wenn es mir gelänge, die Läuse in einen der großen Blütenkelche zu werfen, könnten sie unbeschadet dort landen.“
„Kann ich – hicks - dir dabei – hicks - helfen?“ Angestrengt hielt sie ein paar Sekunden lang die Luft an.
„Weiß nicht. Du bist kleiner als ich“, meinte Nicki zweifelnd.
„Aber – hicks - bestimmt genau – hicks - so stark!“, wandte Amira ein.
„Also gut! Wir stellen uns dort drüben an Kunos linker Seite in Position, warten auf einen günstigen Moment, dann wähle ich eine Blüte aus, zähle auf Drei – und Tschuhuiii.“
„Alles – hicks – klar!“, jauchzte Amira und klatschte vor Freude in die Hände.

Den beiden Ameisen gelang es tatsächlich, die Blattläuse in eine Rosenblüte zu werfen, wobei durch das kräftige Ausatmen beim Schwungholen auch gleich Amiras Schluckauf verschwand. Erschöpft und glücklich hingen sie in dem Hundefell ihren Gedanken nach.

Am Haus angekommen, bellte ihr Transportmittel mehrmals, woraufhin die Tür aufschwang und eine streng aussehende Frau erschien. Sie musterte den Hund von oben bis unten.
„Ihhh, Kuno, wie siehst du denn wieder aus! So schmutzig kommst du mir nicht in Eddies Zimmer!“ Mit gerümpfter Nase deutete ihr Zeigefinger auf eine Stelle direkt hinter dem Eingang. „Heute schläfst du hier unten. Platz!“ Kuno ließ schuldbewusst die Ohren hängen, legte sich in den Hundekorb und schlief kurz darauf ein. Die drei Mitreisenden verließen heimlich, still und leise Hund und Korb, um sich hinter einer Standvase zu beratschlagen. Ihr Plan war total danebengegangen. Wie sollten sie nun in Eddies Zimmer gelangen?

„Pssst!“, erklang eine Stimme neben dem Türrahmen. Wilbur hob lauschend den Kopf. „Rudi?“, fragte er ungläubig.
„Yep!“, erwiderte der Schatten, der langsam näher kam.
„Du – hier? So schnell?“, hakte Wilbur misstrauisch nach.
„Kein Problem. Ich hab Bodo den Nachtfalter getroffen, der hatte Dumpty getroffen, der ihm erzählte, dass ihr auf dem Weg hierher seid, worauf ich die Abkürzung genommen habe.“
„Und dein Hausarrest?“
„Papa hat mir den Hausarrest erlassen.“
„Wieso das denn?“
„Ich habe ihm einen unserer Geheimplätze gezeigt.“ Rudi stand nun breit grinsend vor ihm.
„Welchen? Etwa den ...?“, entfuhr es der großen Schabe.
„Nein“, entgegnete Rudi beschwichtigend, „den mit den vergorenen Zwetschgen.“
Nun hätte Wilbur beinahe laut losgelacht. „Hoffentlich isst er nicht wieder ein paar zuviel. Sonst hat er morgen Kopfschmerzen und liegt den ganzen Tag jammernd herum.“
Rudi nickte. Er wollte noch etwas sagen, wurde jedoch von Amira, die sich nervös umsah, unterbrochen: „Sag´ Rudi, wie kommen wir nun in Eddies Paradies?“

 
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„Womöglich gar nicht!“, sagte Nicki traurig und lugte vorsichtig aus ihrem Versteck, um die Lage zu peilen. „Wo ist denn Eddies Zimmer?“
„Im ersten Stock“, antwortete Rudi lässig. Nicki starrte die steile Treppe an, die nach oben führte.
„Da kommen wir NIEMALS hinauf!“, entfuhr es ihr. Etwas leiser fügte sie hinzu: „Nicht einmal Wilbur könnte das schaffen.“
„Braucht er auch nicht, weil es einen anderen Weg gibt.“ Rudis Worte ließen sie aufhorchen. „Und wie sieht der aus?“, fragte sie.
„Hauptsächlich dunkel und gruselig.“ Rudi wackelte mit seinen Fühlern. „Nein, Spaß“, fuhr er fort, „in allen Wänden gibt es jede Menge Schlupflöcher, die miteinander verbunden sind. So ähnlich wie ein Labyrinth in einem großen Schweizer Käse.“
„Und du kennst dich in dem Käse hier aus? Ähm, in dem Haus, meine ich.“ Nicki wurde noch röter als sie eh schon war.
„Wenn sich jemand in Häusern auskennt, dann doch wohl wir – die Könige des Schummers!“ Fröhlich knuffte er Wilbur in die Seite. „Auf geht´s, Großer! Lass` uns die Nacht zum Tag machen und losmarschieren!“ Er zwinkerte den beiden Ameisen aufmunternd zu. „Keine Bange, Mädels! Wir gehen durch Geheimgänge, die kaum einer kennt. Haltet euch an den Händen und bleibt zwischen mir und Wilbur, dann kann nix passieren.“
„Willst du etwa den Mäuseweg nehmen?“ So ganz wohl schien es Wilbur nicht zumute zu sein.
„Na klar! Wie willste denn sonst ...? Mit dem Bauch direkt auf dem Boden entlangschrabben, weil es für dich zu niedrig ist? Glaub mir, so kommste nicht weit.“ Er grinste. „Außerdem hören wir, wenn die rumtrippelt. Dann fauchste oder wir nehmen einen Nebenausgang. Kein Problem!“

Rudi ging zielstrebig auf eine Tapete zu und hob den eingerissenen unteren Rand an. Er duckte sich, dann verschwand er dahinter, als würde er verschluckt. Nicki folgte ihm, zog Amira mit sich und auch Wilbur fand, wegen seiner Größe nicht ganz so einfach, nach ihnen den Weg ins Innere der Wand. Während sich die Schaben in der Dunkelheit gut zurechtfanden, wurde es den Ameisen doch ziemlich mulmig. Wie gerne hätte Amira jetzt die Laterne des Glühwürmchens bei sich gehabt! Klar! Rudi und Wilbur waren es gewohnt, in lichtlosen Gebäuden hin- und herzulaufen, aber für Nicki und sie selbst war das eine sehr schwierige Übung, die ihren ganzen Mut erforderte. Zumal es in den tunnelähnlichen Gängen stockfinster war und muffig roch.

Plötzlich blieb Rudi stehen und deutete auf den Weg vor sich. „Psst! Da vorne bewegt sich was.“
Die Vier rückten so nah zusammen, dass sich beinahe ein paar Beine ineinander verhakten. Tatsächlich! Dem Lärm nach zu urteilen, der durch die verzweigten Gänge zu der Gruppe herüberhallte, kreuzte anscheinend demnächst ein gigantisches Trampeltier ihren Weg.
„Nur die Ruhe, Leute! Kein Grund zur Sorge!“ Rudis Stimme zitterte ein wenig, sodass er sich nicht wirklich cool anhörte. Darüber hinaus konnte sich Amira daran erinnern, auf der hinter ihnen liegenden Strecke keine Möglichkeit zum Verstecken ertastet zu haben. Nur glattes, festes Mauerwerk. Ihr wurde wieder übel.
„Ist das eine Maus?“, japste Nicki, die sich ganz dicht an Wilbur schmiegte. Der richtete seine Fühler aus, nickte und antwortete: „Riecht zumindest wie ein Nagetier. Könnte auch eine Ratte sein.“ Er rutschte näher an Rudi heran und flüsterte ihm ins Ohr, um die Ameisen nicht unnötig zu beunruhigen. „Zurück können wir nicht schnell genug. Vorwärts macht auch keinen Sinn. Das Biest kommt gleich um die Ecke.“ Rudi nickte nur und legte den Kopf schief. „Ja, ich weiß! Dumm gelaufen.!“ Das Geräusch kam rasch näher. „Wir müssen uns irgendwie wehren“, presste er noch heraus, dann war das Monstrum da.

Die Maus stand vor ihnen und füllte locker die halbe Höhe des Ganges aus. Wie auf ein geheimes Kommando hin, wurde die Dunkelheit schwächer. Wahrscheinlich hatte Eddies Mutter im Haus Licht angemacht, um nach Schmutz zu suchen, dachte Amira. Was für ein glücklicher Zufall! Sie konnte endlich wieder etwas erkennen! Das erste, was sie sah, waren schwarze Mäuseäuglein, die gespenstisch schimmerten, gleich danach eine graue Schnauze, aus der zwei lange Zähne ragten. Wilbur stellte sich schützend vor die Kleineren und richtete seinen Oberkörper auf. Er holte gaaanz tief Luft und fauchte, so laut, wie er noch nie in seinem Leben gefaucht hatte. Das hörte sich toll an, bewirkte jedoch nur, dass die Maus kehrt machte, ein paar Schritte zurückging und dann wieder nach vorne. „Warte mal, Freundchen“, schnaubte sie ihn an. „Du musst die größenwahnsinnige Kakerlake sein, von der ich schon gehört habe.“ Kichernd fuhr sie fort: „Machst Riesengedöns, bist aber total harmlos.“ Sie guckte über ihn hinweg, als wäre er gar nicht vorhanden. Ihr Zeigefinger, oder was auch immer das war, deutete auf Rudi. „Und der Stinker hinter dir kann mir auch nicht wirklich imponieren. Ihr Angeber!“ Nun lachte sie, dass die Wände wackelten. Schritt um Schritt trippelte sie vorwärts und hatte Wilbur beinahe erreicht.

„Wir müssen den Beiden helfen!“, raunte Nicki der kleineren Ameise zu.
„Aber wie denn nur?“ Amira fühlte sich noch winziger als sonst. Ihr Herz klopfte bis zum Hals und ihre Knie zitterten vor Aufregung. Nicki dachte angestrengt nach. Dann flüsterte sie Amira, die vor Schreck wie gelähmt war, etwas ins Ohr. Amira nickte. Sie schnaufte ein paar Mal tief durch, nahm allen Mut zusammen und streifte ihren Rucksack ab. Wie auf Kommando kletterten die beiden Ameisenmädchen links und rechts die Wände hoch, bis sie knapp unter der Decke hingen. Die Maus hatte ihnen verwundert dabei zugesehen und schnupperte interessiert in ihre Richtung. „Eins, zwei, drei! Feuer frei!“, rief Nicki. Aus ihrem und Amiras Hinterleib spritzten plötzlich feine Tröpfchen auf die empfindliche Mäusenase. „Hatschi!“ Niesend versuchte die Maus die Ameisensäure abzuwischen, was gar nicht so einfach war, weil sie sich das Zeugs dabei nur noch tiefer in die Nase und in die tränenden Augen rieb. „Hatschi! Hatschti! Haaatschi!“ Sie schniefte und tappte blind umher.
„Von wegen Angeber!“, schimpfte Wilbur los.
„Genau!“, pflichtete ihm Rudi bei. Er zeigte auf das knubbelige Fellbündel vor ihnen. „Weißt du, was mir grad einfällt?“ Wilbur nickte. „Los! Popozwicken ist angesagt!“ Sie stürmten vorwärts, bissen und kniffen die Maus immer wieder in ihren Hintern, bis sie davonrannte.
„Aua! Aua!“, hörte man sie noch eine ganze Weile in weiter Entfernung quietschen.

„Das ist nochmal gut gegangen“, sagte Wilbur erleichtert. „Ganz schön clever!“ Er klopfte den beiden Ameisen, die zurück auf den Boden gekrabbelt waren, anerkennend auf die Schultern.
„Tja, gemeinsam sind auch kleine Tiere stark!“, ergänzte ein glücklicher Rudi. „Ich bin stolz auf euch, Mädels!“ Amira nahm errötend ihren Rucksack und drückte wortlos Nickis Hand. Lautes Grummeln ertönte aus Wilburs Magen und hallte von den Wänden wider. „Ja, Wilbur, ich weiß. Du brauchst nach der Anstrengung vorhin was zu essen.“ Die Vier setzten vergnügt ihren Weg fort, wobei sie sich, um die Zeit zu verkürzen, Witze erzählten.

„So, wir sind da.“ Rudi hätte vor lauter Geplapper beinahe die richtige Stelle verpasst und war unvermittelt stehen geblieben. Er werkelte sekundenlang an einem Stück Holz herum, bis es endlich nachgab. Galant hielt er die so entstandene Tür auf und machte er eine einladende Handbewegung. „Bitte sehr, meine verehrten Herrschaften. Treten Sie ein in Eddies Reich.“

 
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Vorsichtig krabbelten Amira, Nicki und Wilbur hinter ihrem Freund Rudi her.
Amira schaute sich neugierig um.
„Das ist ja das reinste Paradies für Tiere wie uns!“, rief Wilbur erfreut und wäre fast über einen kleinen Legostein gestolpert. Mit seinem dicken Kopf kickte er ihn einfach zur Seite und setzte seine Entdeckungsreise fort.
Die beiden Ameisen hingegen saßen vor einem für sie riesigen Etwas und starrten in die Höhe.
„Was ist das?“, flüsterte Amira. Ängstlich betastete sie die glatte, steile Wand mit ihren Vorderbeinchen.
Rudi, der unweit von ihnen auf dem Teppichboden saß und an einem Krümel knabberte, kam herüber. „Keine Angst, meine Damen, das sind nur Bauklötzchen aus Plastik. Die liegen hier überall herum. Sie können uns nichts tun. Außerdem sind sie ungenießbar. Eddi baut damit hohe Türme und windschiefe Häuser, die er dann wieder zertrümmert oder durch seine Schusseligkeit umwirft. Dann spritzen die Teile nach allen Seiten weg. Seine Mutter ist immer furchtbar sauer, wenn sie in sein Zimmer kommt und über die Legosteine stolpert.“
Amira wirft noch einen letzten Blick auf den Stein und setzte dann zusammen mit Nicki ihren Weg fort.
Meine Güte, wie sah es hier aus!? Und was gab es hier alles zu entdecken!?
Dort auf dem Teppich war ein riesengroßer, schwarzer Fleck. Was das wohl sein mochte? Interessiert krabbelte Nicki zwischen den Legos hindurch. Amira zögerte noch. Sie fühlte sich sichtlich unwohl in dieser fremden Umgebung. Am liebsten wäre sie wieder im Loch in der Wand verschwunden und in den Wald zurückgekehrt. Aber das konnte sie ihren neuen Freunden nicht antun. Außerdem hatte sie schon wieder Hunger.
„Komm her, Amira!“, rief Nicki. Sie hatte inzwischen den dunklen Platz auf dem Boden erreicht. „Das schmeckt lecker! Probier mal, ist ganz süß!“
Amira gab sich einen Ruck und kroch zu ihrer Freundin hinüber. Plötzlich nahm sie eine huschende Bewegung wahr und sah sich gleich darauf einem grünen Grashüpfer gegenüber.
„Hui, wen haben wir denn da Hübsches?“ Er bückte sich zu Amira hinunter und sah ihr frech grinsend ins Gesicht. „Besuch und das zu so später Stunde. Aber wie sagen die Menschen so passend: Je später der Abend, desto schöner die Gäste!“
Die kleine Ameise hatte sich erschrocken geduckt und versuchte sich so klein wie möglich zu machen.
„Keine Angst, ich fresse dich schon nicht. Hier bei Eddie ist jeder willkommen, auch so kleine Krabbeltiere wie du. Übrigens ich bin Kasimir, der Heuhüpfer!“ Er deutete eine Verbeugung an und auf seinem Gesicht breitete sich ein freundliches Lächeln aus. Das flößte Amira etwas Vertrauen ein und sie sagte leise: „Ich bin Amira. Dort ist meine Freundin Nicki, die rote Waldameise und irgendwo krabbeln noch Rudi und Wilbur herum, zwei sehr charmante Schaben.“
„Was, Rudi ist schon wieder hier!“ Das hörte sich gar nicht mehr liebevoll an. Amira bereute es bereits, dass sie ihre Freunde erwähnte hatte.
„He, alter Haudegen! Wo hast du dich versteckt?“ Kasimir schaute sich suchend um. Doch von Rudi war weit und breit nichts zu sehen.
Wohin war die listige Schabe nur verschwunden?

 
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„Rudi treibt immer so einen Schabernack mit uns. Außerdem hab ich noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen!“, plusterte sich Kasimir auf. Dann sah er Amira in die Augen und seine Gesichtszüge wurden wieder freundlicher. Langsam beugte er sich zu Amira herunter und flüsterte ihr zu: „So ein hübsches Mädel sollte hier nicht so allein in Eddies Zimmer herumspazieren!“
„He, momentmal, ich bin auch noch da!“, entrüstete sich Nicki, die gelauscht hatte und sich dafür keineswegs schämte. Sie stemmte die Arme in die Hüften, baute sich vor Amira, so dass sie jetzt zwischen den beiden stand, und hoffte so, ihrer Freundin vor diesem aufgeblasenen „Möchtegern“ einen gewissen Schutz zu bieten. Mit blitzenden Augen funkelte sie den Heuhüpfer an.
Kasimir klopfte Nicki auf die Schulter und zwinkerte Amira zu. „Na ja, dann bleib vorerst bei deiner Freundin. Vielleicht sehen wir uns später.“ Dann setzte er zum Sprung an und war augenblicklich hinter einem Haufen Knüllpapier verschwunden.
Nicki atmete erleichtert auf und bemerkte erst jetzt, dass sie ganz weiche Knie bekommen hatte, die sich von ganz allein nach außen bogen.
„Danke!“, sagte Amira und drückte die Freundin sanft an sich.
„Das war doch selbstverständlich, Amira.“
Plötzlich vernahmen sie Wilburs Stimme.
„Alles in Ordnung?“
Amira und Nicki sahen sichtlich erleichtert aus und nickten Wilbur zu.
„Ja, sicher! Alles wieder okay.“
„Wirklich?“, fragte Wilbur, dem nicht entgangen war, dass Amira ziemlich blass aussah und Nicki vor Schreck einen Schluckauf bekommen hatte.
„Also gut. Wenn ihr Lust auf Süßes habt“, antwortete er und zeigte auf die dunkle Stelle im Teppich, „dann kann ich euch frischgekleckerten Rübensaft empfehlen. Oder habt ihr lieber Appetit auf etwas Herzhaftes? Dann müsst ihr hinüber zu Eddies Spieltisch kommen. Da findet ihr Ketschup, Krümmeln von Salzstangen und allerlei Köstlichkeiten vor. Rudi ist schon dort und wartet auf euch.“ Nicki fuhr sich über ihre kräftigen Kieferzangen und stupste Amira in die Seite. „Komm, wir gehen lieber mit Wilbur hinüber zum Tisch.“
„Dann folgt mir, Mädels! Aber passt auf, dass ihr nicht in die Kaugummis tretet und darin stecken bleibt!“
Wilbur trabte voraus und die beiden Ameisen folgten dicht hinter ihm.
Amira seufzte. So schwierig hatte sie es sich nicht vorgestellt. Ständig musste sie aufpassen und das Leben hier in Eddies Zimmer schien gewiss auch nicht einfach zu sein.
Plötzlich musste sie wieder an die zickige Agathe denken. Nein, zurück in den Ameisenhügel wollte sie auch nicht. Außerdem hatte sie jetzt Nicki, Wilbur und …
Schließlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen.
„Hey, wo bleibt ihr denn? Ich muss euch unbedingt etwas zeigen!“ Rudi stand auf einem kleinen Legotürmchen und ruderte den Freunden mit den Armen zu.
„Los kommt her und schaut euch das mal an!“

 
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Rudis Stimme klang so besorgt, dass die drei Freunde unverzüglich zu ihm rannten.
„Was ist denn los?“, wollte Wilbur wissen.
„Wieso schreist du so?“, fragte Nicki.
„Was – ach du meine Güte!“, kreischte Amira und starrte fassungslos auf eine riesige, gläserne Schale, in der sich eine dickliche, gelbe Masse befand.
„Amira! Was hast du?“ Nickis Augen folgten Amiras ausgestrecktem Vorderbeinchen und da sah sie es auch: In der Schüssel in der dicklichen, gelben Masse bewegte sich etwas. Sechs dünne Beinchen und zwei feine Fühler zuckten ab und zu aus dem klebrigen Matsch auf. Ein schwarz-gelb geringeltes, spitzes Hinterteil wippte schwach und hilflos auf und ab. Jemand wimmerte kläglich.
„Himmel!“, stöhnte Wilbur. „Walburga, die Wespe! Oh nein – das überlebt sie nicht!“
„Natürlich überlebt sie das nicht, wenn wir ihr nicht helfen!“, schrie Rudi. „Mensch, Leute! Hört auf zu glotzen und tut was!“
Etwas tun? Amira wurde es heiß und kalt. Etwas tun, das hieß, sie mussten Walburga retten. Eine Wespe retten! Ein gefährliches Raubtier, welchem man nie, nie, niemals allein gegenübertreten durfte! Das konnte sie nicht. Klar, sie hatte auch schon einmal eine Wespe besiegt – mit der Hilfe von Dutzenden anderer Ameisen. Aber hier und jetzt waren sie nur zu viert. Rudi war verrückt! Das war vollkommen klar! Die Wespe würde sie umbringen.
Doch weder Rudi noch Wilbur hatten offenbar eine Vorstellung davon, wie gefährlich Wespen waren. Beide arbeiteten bereits verbissen. Sie schleppten ein langes dünnes Band herbei, bugsierten es auf das Legotürmchen und übten sich anschließend damit im Lasso-Werfen. Schon beim dritten Wurfversuch hatten sie Glück. Das eine Ende ihres Schabenlassos blieb in der Glasschüssel auf der gelben Masse liegen.
Walburga hob mühsam den Kopf. Offenbar hatte sie trotz ihrer verzweifelten Erschöpfung den Aufprall des Schabenlassos registriert. Obwohl ihre großen Wespenaugen mit gelblichem Schleim verklebt waren, erkannte sie das Ende des rettenden Bandes. Sie versuchte, es mit einem ihrer Vorderbeine zu erreichen, doch sie schaffte es nicht. Unerreichbar für die arme Wespe, lag das Band vor ihr auf dem klebrig gelben Matsch.
„Los, ihr beiden!“, herrschte Rudi Nicki und Amira an. „Ihr müsst das Band zu Walburga ziehen! Wilbur und ich, wir sind zu schwer – aber ihr seid klein und leicht. Ihr könntet es schaffen, ohne im Vanillepudding zu versinken.“
„Kommt nicht in Frage!“, wehrte sich Amira voller Angst. „Ich rette keine Wespe! Auf keinen Fall! Ich nicht!“

 
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„Helft mir doch bitte!“ Die Stimme der Wespe klang schon recht verzweifelt. Als sie noch einmal versuchte mit den Beinen nach dem rettenden Band zu greifen, rutschte sie tiefer in den Pudding hinein. Jetzt waren nur noch ihr Kopf und die Vorderbeine zu sehen.
„Bitte, bitte! Ich verspreche auch, dass ich euch nie mehr in meinem Leben etwas tun werde.“
Mit riesigen Augen sah sie die beiden Ameisen flehend an.
„Amira, wir können sie nicht in dieser wabernden Masse ertrinken lassen. Komm, reiß dich zusammen! Wir schaffen das gemeinsam. Und du hast ja gehört, dass sie keine Gefahr mehr für uns sein wird“, sagte Nicki entschlossen zu ihrer Freundin.
„Also gut“, gab diese nach. „Versuchen wir es.“
Vorsichtig berührte Amira mit ihren Füßchen den Pudding, drückte etwas kräftiger hinein und siehe da, die Oberfläche hielt. Die kleine Ameise drehte sich zu den anderen um und grinste.
„Es hat doch etwas Gutes, wenn man so klein und leicht ist, wie wir. Komm, Nicki. Das gelbe Zeug hält.“
Langsam, immer ein Bein vor das andere setzend, krochen die beiden näher an die Wespe heran. Amira hatte das Gefühl, dass Walburga noch tiefer in die Masse eingesunken war.
„Los, Nicki, wir müssen uns beeilen, sonst war unsere Mühe umsonst und die Wespe geht doch noch unter!“
Es schien ewig zu dauern, bis Amira das Band erreicht hatte und es zwischen ihre Zangen nahm.
„Hilf mir!“, murmelte Amira kaum verständlich.
Nicki nahm ebenfalls das Schabenlasso in ihre Beißwerkzeuge und beide Ameisen zerrten kräftig an dem Band. Dabei drückten sie mit den Hinterbeinen in die Puddingmasse. Als sich Walburga in ihrer Vorfreude dann auch noch bewegte, blieb dies nicht ohne Folgen.
Die dünne Haut des Puddings platzte und es entstanden Risse, zu tief für die kleinen Ameisen.
Als Amira den nächsten Schritt machte, trat sie ins Leere. Da ihr die Sicht durch das Band genommen war, wusste sie zunächst nicht, was passiert war. Sie tastete mit dem Vorderbein in der Luft herum, verlor das Gleichgewicht und wäre in den tiefen Puddingspalt gerutscht, wenn sich ihre Beißzangen nicht in dem Lasso verheddert hätten.
Verzweifelt zappelte sie mit den Beinen und fand endlich Halt an der Wand. Nicki zog an dem Band, schaffte es aber nicht, ihre Freundin nach oben zu ziehen.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein lautes Brummen, als würde ein Hubschrauber über ihr schweben. Vorsichtig schielte sie nach oben und erblickt zu ihrer Verwunderung eine dicke Hummel, die sich ihr näherte. Vor Schreck hätte sie fast das Lasso losgelassen.
„Kann ich helfen?“, brummte die Hummel zu ihr hinunter.
Unentschlossen sah Nicki zwischen ihrer Freundin, die hilflos in der Spalte hing, und dem Ungetüm, das über ihr kreiste, hin und her.
Was sollte sie machen? Doch die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als sich die Zimmertür öffnete und Eddie das Zimmer betrat. Erschrocken drehte die Hummel eine Runde und flog brummend durch das geöffnete Fenster nach draußen.
„Angstschisser!“, rief Rudi, der die Szene aus sicherer Entfernung vom Legoturm aus beobachtet hatte. Doch vorsichtshalber verzog auch er sich auf den Boden und krabbelte unter ein Tempotaschentuch, das, wie sollte es anders sein, zerknüllt auf dem Teppich lag.
Eddie ging schnurstracks auf die Schale mit dem Pudding zu, hob sie auf und brüllte laut: „Blöde Viecher! Das war mein Nachtisch von heute Mittag! Raus mit euch aus meinem Essen!“
Erschrocken sahen ihn drei Augenpaare an.

 
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Plötzlich hörten sie ein lautes Geschrei.
„EDDIE! Hier steckst du also! Ich suche dich überall!“ Eddies Mutter stand breitbeinig im Türrahmen und funkelte ihren Sohnemann wütend an. „Du räumst sofort deinen Schweinestall auf, sonst kannst du was erleben! Und dann wird hier mal sauber gemacht. Aber gründlich!“
Eddie zuckte augenblicklich unter dem Gebrüll zusammen. Ruckartig drehte er sich zu seiner Mutter um und ließ die Schale langsam sinken, so dass der Pudding über den Rand lief, auf den Boden tropfte und die drei armen Geschöpfe gnadenlos mit sich riss.
Amira schrie auf. Langsam aber sicher, rutschte sie mit der klebrigen Masse abwärts. Ihre Hinterbeine baumelten bereits in der Luft. Sie versuchte sich mit letzter Kraft am Tellerrand festzuhalten. Gerade, als sie glaubte, ein wenig Halt gefunden zu haben, schob sich etwas Schweres und Großes gegen sie. Walburga! Die dicke, fette, zappelnde Walburga drückte mit ihrem Hinterteil gegen ihren Kopf und schob sie weiter. Amira wusste nicht, was ihr mehr Angst einflößte - der Sturz ins Ungewisse oder die dralle Wespe über ihr.
Sie versuchte nach oben zu blicken. Sie wollte schreien und das gefährliche Monster von sich schieben, doch die süße Masse glitt über sie hinweg und riss sie vollends nach unten.
Mit einem - PLATSCH! - landete sie neben Nicki auf dem Boden. Noch ganz benommen wischte Amira sich über die verklebten Augen und schaute nach oben. Dort baumelte Walburga und zappelte noch immer. Den Stachel kampfbereit ausgefahren, aber das würde ihr nichts nützen. Sie würde nun jeden Augenblick auf sie herabfallen und unter sich begraben. Amira begann zu weinen. Wehmütig dachte sie daran, dass ihr Leben nun in diesem blöden Zimmer, in dieser dämlichen Brühe, wegen dieser dämlichen Wespe, ein jähes Ende finden sollte! Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen. Verflucht! Amira sah sich um. Niemand war zu sehen. Wo waren bloß Rudi und Wilbur geblieben?
Natürlich, die waren vor Angst abgehauen. Blanke Wut stieg in ihr auf. Sie versuchte sich aus dem Brei zu befreien, was ihr aber nicht gelang. Nicki war entschieden größer als sie und hatte es inzwischen geschafft, sich auf den trockenen Boden zu retten. Heulend stand sie nun da und sah zu ihrer Freundin hinüber. Plötzlich spürte Amira, wie jemand um ihre schmale Taille griff und sie emporhob - gerade noch rechtzeitig, bevor Walburga vom Teller fiel und in den Pudding klatschte, dass es nur so spritzte.
Amira war vor Schreck wie gelähmt. Dann drehte sie sich um und sah genau in das grinsende Gesicht ihres Retters Kasimir.

 
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"Na, da haben wir ja noch einmal Glück gehabt, kleines Fräulein", sagte er und flog zur Fensterbank.
Dort ließ er Amira vorsichtig aus seinen Fängen. Noch ganz benommen schüttelte die Ameise ihren ganzen Körper, um die klebrige Puddingmasse los zu werden.
Auch Kasimir versuchte die Nachspeise von seinen Fängen zu lecken.
„Schmeckt gar nicht so schlecht, das gelbe Zeug“, meinte er und begann auch Amira abzuschlecken.
„Hihi, das kitzelt aber ganz gewaltig. Hihi, hör auf, Kasimir. Ich mach das schon alleine. Schau du lieber, ob du Walburga noch irgendwie aus dieser Pampe auf dem Boden retten kannst. Sie tut mir wirklich leid. Aber pass auf, sie hatte ihren Stachel bereits ausgefahren. Nicht, dass sie doch noch sticht.“
„Danke für den Hinweis. Ich werde mal sehen, was ich machen kann. Bis dann, Amira.“
Mit einem weiten Sprung landete der Grashüpfer auf den Teppich.
Dort versuchte Walburga sich krampfhaft aus dem Pudding zu befreien. Aber je mehr sie strampelte, umso weiter arbeitete sie sich in die gelbe Masse hinein. Kasimir hatte kaum eine Chance, sie irgendwie zu packen.

Während die drei Insekten mit sich selbst beschäftigt waren, achtete niemand auf die Menschen. Eddi hatte natürlich den Befehl seiner Mutter gehört, doch hatte er keineswegs die Absicht, irgendetwas in seinem Zimmer zu verändern.
Als seine Mutter den Raum wieder verlassen hatte, warf er sich auf sein Bett und begann den Rest des Puddings auszulöffeln.
„Hm, der schmeckt gut. Gott sei Dank sind die fiesen Viecher darauf verschwunden“, murmelte er.

„Mensch, der Kerl macht noch nicht einmal das klebrige Zeug vom Boden weg“, wisperte eine leise Stimme hinter dem Schreibtischbein hervor.
Ach, sieh mal einer an. Hierhin hatten sich Nicki, Rudi und Wilbur verzogen. In diesem Moment entdeckte sie auch Amira.
„Heh, ihr dort oben. Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?“, fragte Rudi gut gelaunt, so als hätte ihn die ganze Aufregung in Eddis Zimmer überhaupt nicht berührt.

 
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„Was wir jetzt machen? Das fragst du noch?“, entrüstete sich Amira genervt. „Wir sehen zu, dass wir hier schleunigst wieder hinauskommen! Mir reichst's, aber gewaltig!“
„Aber wieso ...?“, stammelte Wilbur, „uns geht’s doch richtig gut hier.“
Gut nennst du das? Hast du überhaupt eine Ahnung wie es mir geht? Todesängste habe ich wegen euch ausgestanden und du sagst, es geht uns gut.“ Dabei tippte sie sich an die Stirn und zeigte ihm einen Vogel. „Das ist doch wohl der Gipfel!“
„Nun reg dich nicht so auf! Es ist doch nichts weiter passiert“, mischte sich nun Rudi ein.
„Zum Glück ist mir nicht passiert. Trotzdem bleibe ich nicht eine Minute länger hier! Nicky, kommst du mit?“
Etwas unsicher sah Nicky erst zu Amira und dann zu den beiden Schaben. Zaghaft nickte sie Amira zu. „Aber wie kommen wir wieder hinaus?“
„Vertraut euch ruhig einem kühnen Recken an, meine Damen. Wenn sie gestatten, dass ich sie durchs Fenster bringe. Nichts leichter als das.“ Damit verbeugte sich Kasimir vor Nicky. Sanft nahm er sie unter die Arme, setzte zum Sprung an und landete augenblicklich neben Amira auf der Fensterbank.
Nicky beugte sich zu Amira und flüsterte: “So ein Angeber, der will uns bloß imponieren!“
„Egal“, hauchte ihre Freundin zurück, „Hauptsache, wir kommen hier unbeschadet wieder hinaus.“
„Also, was ist mir euch?“, fragte Kasimir.
Noch ehe Wilbur und Rudi protestieren konnten, entgegnete Amira: „Also gut. Immer noch besser als hier zu bleiben.“
„Auf geht’s. Bitte gut festhalten!“, mahnte Kasimir. Dann entschwand er mit Amira und Nicky durch das geöffnete Fenster.

 
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