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Serie Orte - Das Sonnenhaus

Seniors
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31.07.2001
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Orte - Das Sonnenhaus

Die Wörter waren: Kilometer, Gegenwind, Sekunde, ausgebrannt, Stadtrand

1. Hell
Wir müssen zurück.
Um zu verstehen.

Es war ein ganz besonderes Konstrukt.
Einsam erhob sich der Korpus gegen die absteigende Sonne und golden wanderten die warmen Strahlen über die stille Fläche des Meeres. Zwischen dem Abbruch der Steilküste und den westlichen Fenstern waren es nicht mehr als zwei Meter wild wachsenden Grases und die dahinterliegenden Zimmer erstrahlten wahrhaftig in dem spätabendlichen Licht. Es durchdrang Wand um Wand, hinterließ auf jedem Körper ein wenig seiner Energie, um auf der Ostseite auf die Ausläufer einer lichten Ansammlung von Bäumen zu treffen. Das Haus leuchtete.
Es war vollkommen aus Glas.
Es war das Sonnenhaus und die Absicht, in der es erdacht wurde, wollte schattige Ecken, wollte dunkle Flure und zwielichtige Nischen vergessen machen.
Es stand auf einer Insel inmitten der See. Hier lebte Adis und rang mit diversen Welten um deren Untergang, während die Wellen sich sanft im Sand der Ufer um ihn herum verliefen.
Um zu verstehen, wie es dazu kam, wollen wir um Jahre zurückgehen - und Jahre sind nötig, denn Adis traf die Entscheidung, die letztendlich dazu führte, dass sein Sonnenhaus gebaut wurde, bereits in seiner Kindheit.

Einst saß er eines Abends vor einem alten, schwarz verbrannten Schreibtisch, der in einem dunklen Verschlag am nördlichen Ende eines alten Bauernhofes stand.

2. Dunkel
Sie macht es.
Sie macht es tatsächlich.

Es war ein weiterer heißer Sommertag auf dem Hof der Familie gewesen und Adis hatte die letzen Nächte mit nacktem Körper unter leichten Laken verbracht.
Geschlafen hatte er diese Nacht indes noch nicht – vielmehr war er hinter einer Spinne her, die sich eine Ecke unter seinem Bett als Wohnort erwählt hatte.
Es hatte ihm Mut abgefordert, sich mit der Dunkelheit unter seiner Lagerstätte einzulassen – mit seinen elf Jahren fürchtete er eine Unzahl lauernder Ungewissheiten, die sich naturgemäß an diesem Ort verbargen. Nun, diesen Mut hatte er aufgebracht und etwas Erstaunliches, Faszinierendes entdeckt: Die Spinne, kaum, dass er sie in eine Ecke neben dem zur Seite geschobenen Bett gedrängt hatte, bewegte sich nicht ein Stück, wenn er es nicht zuließ. Ein absurder Vorgang, aber vollkommen wahr.
Adis lächelte vergnügt und ließ seine hellblauen Augen langsam nach links wandern. Seine Gedanken
mir nach, nur mir nach
folgten und ebenso tat es die Spinne. Langsam setzte sie eines ihrer acht langen Beine neben das andere, tastete vorsichtig den Weg ab, als wolle sie aus eigenem Willen entscheiden, wann und wohin sie ginge.
Adis ließ den Blick schnell die Wand nach oben gleiten. Die Spinne beeilte sich, im selben Maße wieder auf seine Augenhöhe zu gelangen.
Sie war ein Spielzeug. Er könnte sie Spaß haben lassen. Gemeinsam könnten sie eine der vielen Fliegen fangen, die sich jeden Sommer zu Dutzenden an dem Vorhang des kleinen Fensters sammelten.
Ob er ihren Jagdtrieb würde spüren können? Es war kein wissenschaftlich ausgewogener Gedanke, vielmehr das intuitive Gefühl des Überlegenen, die reine Faszination eines Elfjährigen.
Vorsichtig, um keinen Lärm zu verursachen, kam Adis vom Boden empor und setzte sich auf den Schemel neben dem großen Schreibtisch, den sein Vater ihm in sein Zimmer gestellt hatte. Dieser Tisch hatte schon in seines Großvaters Kammer gestanden und auf ihm hatte Großvater Geschichten geschrieben – wenig erfolgreich, aber bedeutsam, wie er bereits mehrere Male zu hören bekam. Als eines schlimmen Tages vor nicht mehr als vier Wochen der Alte mit brennender Zigarette eingeschlafen war, waren die vorderen Wohnräume komplett ausgebrannt – nur der Tisch hatte den Flammen mehr oder minder erfolgreich Widerstand geleistet.
Genau erklären konnte es tatsächlich niemand; das Holz hatte zwar an der Oberfläche schwer gelitten, in seinen Grundfesten war das gute Stück jedoch erhalten geblieben und sein Vater hatte dies als Zeichen verstanden, dass es noch weiterhin gebraucht werden würde. Er selbst sah sich nicht in der Lage, Erfundenes auf vernünftige Art und Weise zu Papier zu bringen, aber für seinen einzigen Sohn befand er diesen Tisch als Quelle des noch an den Tag zu bringenden Talents. Daher waren hier neben der großen Kerze stets ein volles Tintenglas, ein Federkiel und ein kleiner Stapel recht guten Schreibpapiers zu finden.
Benutzt hatte Adis noch nichts davon (man sehe von der Kerze ab, die eben in diesem Moment brannte) und auch fand er weder das tiefe Gefühl, noch das Bedürfnis, Träume oder anderes zu Papier zu bringen.
Er senkte seinen Blick wieder auf die Spinne, die still auf ihn gewartet hatte. Sie zuckte leicht mit ihren Beinen und Adis spürte diese Bewegung leicht in den Nervenenden seiner eigenen vier Extremitäten, es war elektrisierend und auf seine Weise ... nun, erhebend, wäre ein passendes Wort, welches aber in seinem Sprachgebrauch noch nie Verwendung gefunden hatte.
Er gab dem Tier einen leichten Schubs mit den Augen und es krabbelte eifrig die Wand empor, wartete am Rand des kleinen Fenstersims, bis der Wind die Gardine über den rauen Stein wandern ließ und kletterte dann im hellen Licht des Mondscheins daran empor.
Fliegen gab es hier genug, bei Gott, Adis konnte ein Lied davon singen. Fliegen, Mücken und jene seltsamen Geschöpfe mit den langen, zweigartigen Körpern - es gab eine Vielzahl von ihnen und im Sommer waren sie überall. Die Familie war noch immer dabei, den Schaden, den Großvater mit seiner Schläfrigkeit und seiner Pfeife angerichtet hatte, mühsam wieder in Ordnung zu bringen und daher gab es kein Fensterglas diesen Sommer (Adis’ Vater hatte Gott in seinen Gebeten dafür gedankt, dass der alte – wenn auch gutherzige und talentierte - Knilch nicht im Spätherbst mit seiner brennenden Pfeife eingeschlafen war).
Somit gab es diese Nacht reichlich Beuteauswahl und nichts hielt Adis davon ab, eine Auswahl zu treffen.
Er saß mit angewinkelten Beinen auf dem Schemel vor dem Schreibtisch und wartete zitternd auf das fremde Gefühl der Jagd und des Tötens.
Doch es kam nicht.
Wohl, er spürte die physische Kraft der Spinne, konnte die Geschicklichkeit ihrer acht Beine erahnen, aber das war auch alles und als er die Augen enttäuscht öffnete, sah er sie bereits über ihrem Opfer unter dem im Wind tanzenden Stoff der Gardine.
Nun schlagen in jungen Jahren Gefühle wahrlich schnell um. Trauer mag Freude werden, Ernst Spaß oder Enttäuschung Wut. Unkontrollierte Wut eines Elfjährigen, der das Gefühl hatte, nicht das bekommen zu haben, was ihm zugesagt worden war.
Mit forschem Blick ließ Adis die Spinne ihr Opfer vergessen und den schnellsten Weg zu sich auf den Tisch finden. Er nahm den Stapel leeren Papiers und rollte ihn zusammen; die Spinne ließ er mitten vor sich stehen. Dann, als er die Waffe schon erhoben hatte, kam ihm ein anderer Gedanke. Der Tisch brachte ihn darauf. Er war so schwarz.
Lächelnd entrollte er das Papier und legte es zurück auf die Platte. Er gab dem Tier vor sich einen kurzen, verspielten Stoß und ließ es langsam den dicken, runden Körper der Kerze emporsteigen. Wieder spürte er, wie seine eigenen Nervenbahnen reagierten und er fand der Spinne einen Weg heißen Wachses; ihr Weg wurde unsteter und ihre langen Beine zuckten, aber scheinbar unbeirrbar brachte sie die Strecke hinter sich. Adis selbst fühlte seine Beine leicht gegen den Tisch schlagen, aber er beachtete es kaum.
Zu sehr war er erregt.
Als die Spinne schließlich am oberen Ende der Kerze angelangt war und vor dem See aus flüssigem Wachs kauerte, beugte er sich vor und hielt die Luft an.
Für einen Augenblick schien ihre gemeinsame Welt stillzustehen. Beinahe glaubte er, in ihren vielen kleinen Augen das Gefühl zu sehen, das er am ehesten empfand, wenn er ins Bett geschickt wurde, doch noch lange nicht wollte. Ein Schauder lief ihm über den Rücken; im nächsten Moment spannte er alle Muskeln an, die Spinne duckte sich - ein Läufer vor dem Start – und dann schickte er sie los.
Sie taumelte über den heißen See, ihre Beine verbrannten, ihr Körper fiel, wurde wieder nach oben gezogen, heißes Wachs brannte sich in den Chitinkörper und immer weiter ging der lange Weg zu der Flamme.
Augenblicke bevor sie schließlich erreicht war, sah Adis in ihren Augen den Feuerschein gespiegelt, erfasste ein archaisches und für ihn nicht zu beschreibendes Gefühl aus Terror, Leid und Hass und dann brannte der kleine Körper und zog sich knisternd in sich zusammen.
Es war fürwahr nicht das letzte Mal, dass der junge Adis mit seiner Macht spielte und tötete – seien es nun Spinnen oder anderes mehrbeiniges Getier, seien es Katzen, Hunde oder Vieh auf dem Hof.
Es war der Anfang.
Der Tod der Spinne hatte ihm eine schlaflose Nacht beschert, eine Nacht, in der er sich zitternd seiner Macht bewusst geworden war. In welcher er aufgeregt dem Machtgefühl nachgab. Es war ein kurzer und schmerzloser Vorgang und am nächsten Tag setzte ein anderer Mensch die Füße auf den Boden.

3. Hell
Sie stürzen durch mich.
Hunderte.

Adis saß inmitten des Zimmers auf einem gläsernen Tisch und spürte die Strahlen der frühen Abendsonne auf seiner Haut ruhen.
Er saß hier stets den ganzen Tag und er stellte sich seinen Körper als Nadel einer der großen Sonnenuhren vor, die er als Kind einmal irgendwo gesehen hatte.
Sein wandernder Schatten – der einzige in diesem Haus – zählte die Stunden von Welten. Heute am frühen Morgen, als die Arbeit begann und die Sonne kaum ein flüchtiger Hauch auf der glatt rasierten Decke seines Schädels gewesen war, hatte er an den letzten Pfeilern der Welt mit den unsagbar vielen Wäldern zu rütteln begonnen und nun, gegen Abend, fielen sie in sich zusammen als wären sie Papier und die Welt stürzte. Die richtigen Leute begingen die entscheidenden Fehler. Er spürte sanft das Entsetzen und die Energie von Millionen von Leben in Sekunden aufflammen.
Es war ein einzigartiges Werk, das er vollbrachte. Selbst, da nun die Welten, die er vernichtet hatte, in die Hunderte gehen mussten, schenkte ihm eben dieser Moment, in dem er seine Marionetten die letzten fatalen Befehle unterschreiben, Schalter umlegen oder Worte sprechen ließ, wieder ein starkes, ein mächtiges Gefühl – und es bestätigte ihm, dass nicht er, sondern stets nur diejenigen, die diese Entwicklung zu unterdrücken versucht hatten, im Unrecht gewesen waren. Dass er aus diesem Grund heraus existierte.
Adis drückte sich aus dem Schneidersitz empor und schwang die Beine neben den Tisch. Seine schiefen Glieder schmerzten. Er streckte sich, verteilte die Müdigkeit gleichmäßig auf seinen Körper. Dann verließ er den Raum, und er warf auf der vom Meer abgewandten Seite des Hauses einen langen Schatten. Den Weg kannte er genau, eigentlich bedurfte es keiner Lichtquelle, die ihn zu seinem Schlafplatz leitete, war das Haus doch so gebaut, wie er es sich in der langen Dunkelheit stets vorgestellt hatte. Damals.
Adis lag auf seinem Bett und seine Glieder zitterten leicht, während die Sonne sich langsam unter den Riss der Steilküste schlich und bald darauf verschwunden war.
Ja, damals.
Zu der Zeit, als er aus seinem dunklen Gefängnis befreit worden war.

4. Dunkel
Töten.

Adis hielt seine Augen bedeckt, als sein Vater die Tür am oberen Ende der Treppe öffnete, um ihm etwas Essbares hinzustellen.
Er hatte ihn kommen gespürt.
Es war nicht immer so gewesen. Zu Beginn, als er so oft geweint und gebettelt hatte, da hatte ihn das plötzliche Öffnen der Tür und das gleißende Licht, welches in die Dunkelheit seines fensterlosen Kellers hereinbrach, erschrocken und seine Augen, die irgendwann nicht mehr an Helligkeit gewohnt waren, schmerzten in diesen Momenten zusehends mehr und mehr.
Damals hatte er noch stets auf der oberen Treppenstufe gekauert, Stunde um Stunde, nur, um den Moment nicht zu verpassen, in dem er seinen Vater anbetteln konnte, ihn um Verständnis anflehen und um Licht bitten konnte.
Bis zu dem Tag, an dem ihm sein Vater mit dem derben Arbeitsschuh direkt in das Gesicht getreten hatte und er nach dem Sturz die Treppe hinunter tagelang nur unter Schmerzen zu einer Bewegung fähig gewesen war.
Dieser Tag hatte ihm klar gemacht, dass er nicht zu betteln hatte.
Es war der Moment, in dem er erkannt hatte, dass er nicht erwarten konnte, diesen Keller zu verlassen, weil die dort oben es nicht für gut hießen.
Sie würden es nie tun. Obwohl Adis damals gerade zwölf Jahre alt gewesen war, hatte er bereits verstanden, dass sie ihn am Leben hindern wollten, als sie gesehen hatten, wozu er fähig war - und ihn doch nicht töten konnten.
Und daher begann Adis, seine Kunst zu verfeinern.
In seinem Keller beherrschte er irgendwann alle Insekten, die er erspüren konnte. Er ließ sie sich gegenseitig töten und wer überlebte, fraß sich in die Körper der Toten. Und langsam, ganz langsam konnte er es spüren.
Das Gefühl des Tötens.
Das Gefühl, auf den Toten zu tanzen.
Und während er so seinen Zirkus betrieb und zwischen dumpfer Hoffnungslosigkeit und aufkeimender Wut schwankte, fand ihn das Andere.

Das Andere war auf der Suche nach Passendem lediglich über Adis gestolpert. Es sah sich an, wie er da saß: In der Dunkelheit, im Dreck, vor sich Hunderte von Insekten, einige Mäuse und Ratten, in eine gigantische Schlacht vertieft.
Und es befand für gut, was es sah.
Nachdem es nachvollzogen hatte, was auf dieser Welt vor sich ging und was dieses energiegeladene Wesen dort hielt, griff es ein und zog das Adis-Ding hoch, um es zu holen.

Adis hatte den ersten Kontakt nie vergessen.
Die vielbeinige Schlacht vor ihm verlief sich schlagartig, als seine Gedanken sich in dem Sog des Anderen verloren. Er fühlte sich aus seinem Keller gehoben, fühlte sich betrachtet und analysiert und dann – ein Glück, war sein letzter klarer Gedanke – für gut befunden. Im nächsten Moment rannte er die Treppe empor und sein Körper zerschmetterte die Tür, die ihm mit den Jahren als eine Art göttlicher Begrenzung erschienen war. Nun war ein anderer Gott gekommen, der ihn herausholte. Der ihm dabei Schulter und Arme brach, aber er holte ihn heraus.
Blutend lag er für Sekunden zwischen den zersplitterten Resten der Tür und spürte den Schmerz, doch nur kurz. Wieder auf die Beine geholt, riss er die gebrochenen Hände vor die Augen, denn es war heller Tag, sonniger Tag, seit Jahren wieder Tag und der Schmerz, den seine Augen darüber empfanden, ließ ihn aufschreien und er spürte nur wenig von den zitternden Knochen seiner Finger, wie sie sich aneinander rieben und unablässig Nachrichten seine Nervenbahnen hinauf schickten.

Des Anderen Geduld war nur kurz.
Da es nicht viel von der Physiologie des Adis-Dings verstand, entfernte es die Quelle dessen, was es aufhielt.

5. Dunkler
Die Flucht.
Das Opfer.

In dem kleinen Ort hatte es eigentlich nie große Ereignisse gegeben.
Über Jahrzehnte hinweg erinnerten sich die Leute an eine besonders gute Ernte, an einen mehr als zwei Tage andauernden Sturm oder – und vor allem daran recht gern – an den alten Griemsmann, der (und keiner weiß genau, wann) von seiner Frau gesehen wurde, als er die Arbeit des Zuchtbullen im Stall tat.
An dem Tag, an dem Adis von dem Anderen aus seiner Gefangenschaft befreit wurde, änderte sich dies schlagartig. In den schläfrigen Ortschaften der näheren Umgebung war das Massaker des weggesperrten Kindes der Wachmacher des Jahrzehnts und wahrlich viele wußten eine Menge zu berichten - von den wenigen jedoch, die tatsächlich dabei gewesen waren (lediglich die dreiköpfige Familie von nebenan während eines Kaffeebesuches), war Linnea die einzige, die etwas wirklich Berichtenswertes zu erzählen hätte. Nicht von dem verzweifelten Kampf ihrer und Adis’ Eltern, nicht von den zackigen Holzstücken der Tür, die deren Sohn ihnen mit seinen gebrochenen Händen in die Leiber rammte, als sie ihn aufzuhalten suchten; sie erlebte ein Stück von dem, was hinter Adis die Fäden zog.
Linnea hatte auf dem Sofa der Nachbarn gesessen und sich gelangweilt. Der Kuchen war ganz gut gewesen, die ersten, netten Scherze des Nachbarn auch, aber das Gespräch verlief - wie immer – in die unglaublich uninteressante Richtung der Probleme und Ansichten erwachsender Menschen. Zudem war dies eines der Häuser, in denen sie dieses nervöse Ziehen spürte.
Linnea hatte niemals versucht, ihren Eltern davon zu erzählen – sie hatten ihr nie das Gefühl vermittelt, dass sie damit etwas hätten anfangen können.
Wenn sie an zwei frisch verliebten Menschen vorbeikam, durchfloss sie ein wunderbares Gefühl, eine Portion Glück und oft, wenn der Tag nicht schön gewesen war, verpasste sie nach der Schule den Bus mit Absicht. Im Park neben der Schule hielt sie dann Ausschau nach einem Paar. Sie setzte sich in der Nähe auf eine Bank, versteckte ihre Nase hinter einem Buch und schloss die Augen. Es war, als würde jemand beständig und mit großer Hingabe gefühlvolle Zeichnungen von Zwischenmenschlichkeit auf ihren Rücken malen, leicht ihre Wirbelsäule nachziehen, ruhig liebevolle Worte in ihr Ohr flüstern. Eine beständige Gänsehaut, all ihre Nerven sprangen auf die positive Energie um sie herum an und manchmal nahm sie im äußersten Winkel ihrer Augen ein sanftes Leuchten wahr, das von den beiden Verliebten ausging. Diese Momente gaben ihr Kraft, ließen sie aufrecht stehen, denn ebenso erlebte sie auch die andere Seite: die dunklen Gedanken der Menschen um sie herum. Einsame Gefühle im Bus auf dem Platz neben ihr, vermisste Verstorbene, heimliche Tränen um unerreichbare Ziele, um vergeblich geschenkte Liebe - und einfacher, menschlicher Hass.
Dieser Hass war das Schlimmste von allem. Linnea hatte ihm zumeist ausweichen können, aber in den Momenten, in denen sie ihm ausgeliefert war, reagierte sie darauf. Wenn er nur unbestimmt und nicht zu tief verwurzelt war, erlebte sie es als ein Ziehen an ihren Zähnen, als Druck hinter ihrer Stirn oder als Schauder, so dass ihr Körper sich ob der Gefühlskälte um sie herum in sich zusammen zog. Doch hatte es auch immer wieder Momente gegeben, in denen der Hass sehr schlimm gewesen war. Dies waren Augenblicke, in denen saure Tränen an ihrer Seele hinabrannen und dabei Spuren zogen, die sich hineinbrannten und sie für ihr Leben zeichneten. Verzweifelter Hass anderer Menschen, der sich in die Grundfeste ihres Fühlens fraß. Wenn ihr Körper sie trug, war sie in diesen wenigen Augenblicken davongerannt; tat er es nicht, so fiel sie in sich zusammen, während ihr Geist versuchte, durch Abtrennung von der Außenwelt das Überleben zu garantieren, bis die Quelle des Schmerzes außer Reichweite war.
Hier auf dem Sofa der Nachbarn hatte sie das unangenehme Ziehen in ihren Zähnen schon früher gespürt und es auf das scheinbar lieblose Zusammensein der beiden Bewohner bezogen. Nur war es mit der Zeit immer schlimmer geworden. Als mit einem Schlag die gesamte Welt zusammenbrach
(Das Andere war auf der Suche nach Passendem lediglich über Adis gestolpert)
und sie unter ihren Trümmern begrub, hatte Linnea noch nicht einmal die Kraft, zu warnen. Sie fiel in sich zusammen und konnte nur mehr fühlen, was sich unter den derben Bohlen des Wohnzimmers eingefunden hatte. Ein unvorstellbarer Wille, zu zerstören.
Die Erwachsenen waren aufgesprungen und bemühten sich um sie, doch sie spürte bereits den Körper des Eingesperrten die Treppe hinaufschnellen. Als die Tür unter dem wüsten Aufprall zersprang und Adis Körper auf die kalten Kacheln des Flures schlug, drang ein Schrei tief vom Grunde ihrer Seele.
Als sich Adis’ Finger in seine Augen bohrten und sie herausdrückten, sah sie zu. Als er, vorangetrieben, aufgestachelt, die vier Menschen um sie herum tötete, sah sie zu. Sie sah den Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters, als Adis seiner Frau die zackigen Ränder der zerstörten Tür in den Bauch trieb. Sie sah auch ihren Vater und die Nachbarn sterben, doch begriff sie es kaum. Denn da war dieser vollkommen reine, sich seiner Selbst bis in die letzte Faser bewusste Hass; von dem Jungen ausgehend, überzog er ihre Welt und lähmte ihren Geist.
Adis indes verließ taumelnd das Haus seiner Eltern, verließ die Welt seiner Eltern und seines Blutes für immer; er trat hinter die Bühne, er bezog sein Sonnenhaus, um fortan die Geschicke aller Wesen zum Verderb zu leiten.

6. Hell
Sand auf der Haut.

Auf dieser Insel zu sein war wunderbar.
Um sie herum nichts als weites, ruhiges Meer und obwohl es seit vielen Jahren keine Liebenden mehr in ihrer Nähe gegeben hatte, war die Empfindung der Stille, diese perfekte Verbindung zwischen dem flachen Strand und der ihn umgebenden blauen Fläche ein ganz ähnliches Gefühl wie damals. Es war lediglich irgendwie – abgeklärter.
Sie legte den Kopf wieder auf den warmen Sand und grub die Hände neben sich in den Boden. Jedes einzelne der sanft-rauen Körner schien spürbar, als sie in ihrer Gesamtheit von den erhobenen Handflächen auf Linneas Körper herabrieselten. Sie schloss die Augen und genoss den goldenen Glanz ihrer sonnendurchfluteten Lider.
Alles war gut.
Eine sich plötzlich öffnende Tür brachte Wind und die Sandkörner verloren sich auf dem Weg hinunter zu ihrer Haut. Sie öffnete die Augen und stützte sich auf ihre Ellenbogen.
„Linny, es gibt Essen.“
Sie sah Areks Gesicht über sich. Hinter ihm war der Sand in der Luft in Bewegung geraten und umspielte den Türrahmen, der sich gegen den blauen Horizont erhob.
Sie sah ihn an und seufzte. „Nicht jetzt“, sagte sie.
Nachdem er sie einen Moment angeschaut hatte, zog er die Augenbrauen hoch und wie immer erschien diese kleine Falte um sein linkes Auge, die – das musste sie zugeben – sehr niedlich war.
„Wieder auf der Insel?“, fragte er.
„Ich komme schon, okay?“
Linnea hatte geahnt, dass er von ihrer Insel wusste. Aber trotzdem war es ihr lieber, dass niemand sie dabei fand, wenn sie dort war.
Mit einer Hand wischte sie die letzten Sandkörner von ihrem Körper und schwang ihre Beine aus dem Bett.

Die Anstalt lag verborgen inmitten eines großen Industriegebiets am Stadtrand, knapp zwölf Kilometer und ein Leben entfernt von der nächsten Wohnsiedlung.
Die Gebäude auf den verschiedenen Firmengeländen waren allesamt "funktional durchdacht und so auch errichtet", wie Arek es gerne ausdrückte. Zwischen den vielen grauen Beton- und Wellblechwänden gab es eine Unmenge an asphaltierten Park- und Müllplätzen, an Zäunen, Schranken und engen Abflussgräben, die alle in den einen Fluss mündeten, der zu seinem Leidwesen diesen Teil der Welt durchzog.
Vor dem dunklen Grau des Abendhimmels bemühten sich schwere Schneeflocken um einen einigermaßen eleganten Tanz; zumeist jedoch trieben sie eher ermattet um die eine Gaslaterne, welche an der Einfahrt zum Hof der Anstalt stand.
Linnea saß im matten Schein dieser Lampe an einem Fenster im Flur, direkt neben der Tür zu ihrem Zimmer und sah hinaus.
Sie hatte schon lange aufgehört, die Tage zu zählen, die sie hier verbrachte, seit sie nach dem Mord an ihren Eltern und ihren Nachbarn hierher gebracht worden war. Irgendwann waren auch die Monate verschwommen und seit vielleicht letztem Sommer waren ihr auch die Jahre egal geworden. Mit der Zeit hatte sie die langen Flure, ihr eigenes Zimmer und auch die Menschen hier als Zuhause akzeptiert. Sie hatte nicht viel Kontakt zu den anderen Bewohnern. Es gab viele, die – wie sie selbst – nur aufgrund eines traumatischen Erlebnisses hier angespült worden waren und denen seit dem einfach nicht mehr zugetraut worden war, selbständig leben zu können. Die meisten hätten kein großes Problem damit, in dem Punkt war Linnea sich sicher. Es war lediglich einfacher, hier zu sein, in den Momenten nicht allein zu sein, in denen die ursprünglichen Geister von damals wieder auftauchen. Was immer passieren konnte, egal, ob man in der Klapse war oder nicht.
„Hey, wird Zeit fürs Bett, meinst du nicht?“
Arek stand hinter ihr und jetzt, da er sich bemerkbar gemacht hatte, legte er eine Hand auf ihre Schulter und sie wandte sich ihm zu.
„Sag mal, war man so nachlässig mit dir als Kind, dass du meinst, es bei jedem, den du kennst , besser machen zu müssen?“
Noch während sie sprach, musste sie grinsen und sie beide lachten.
„Komm“, sagte er und sie ergriff seine Hand und schob sich von dem Fensterbrett hinunter. Gemeinsam gingen sie in ihr Zimmer und Linnea setzte sich auf ihr Bett und öffnete ihre Schuhe.
Arek hatte sich an ihren Schrank gelehnt und sah ihr zu.
„Was ich nicht verstehe“, begann er, „warum gehst du immer noch auf diese Insel, nach dem, was du dort die letzten Male erlebt hast?“
Sie sah auf, während sie den Schuh von ihrem linken Fuß zog. „Was meinst du damit?“
„Ach, komm.“ Er zögerte; seine Finger spielten am Ärmel seines Hemdes. Das hatte sie schon öfter gesehen und auch diese Macke an ihm gefiel ihr sehr gut. Es wirkte irgendwie so unbeholfen.
„Du weißt doch“, fuhr er fort, „du bist fast durchgedreht, zweimal hintereinander.“
„Nur, weil ich den Fehler gemacht habe, mich umzudrehen“, sagte sie. „Ich muss nur am Strand bleiben, dann ist alles okay.“
„Alles okay - was für ein Scheiß.“ Er lachte.
Die Insel war ihr Rückhalt, ja, klar – und doch war es gefährlich geworden. Seit dieser extreme, kaum abzuschlagende Wunsch aufgekommen war, sich umzudrehen. Heute Mittag hatte er sie in einem Moment angetroffen, als alles gut war. Als sie einfach nur den Strand, den Sand, die Sonne und das Meer genossen hatte und sich von all den grauen Einzelheiten der Anstalt und deren Umgebung losgelöst gefühlt hatte. Doch irgendwann wäre der Druck wieder aufgetaucht, irgendwann hätte etwas sie wieder zum Zentrum dieser Insel gedrängt. Wie es immer geschehen war, die ganzen letzen Male, als sie die Insel länger besucht hatte.
Sie hasste das.
Es nahm ihr den Ort.
Es nahm ihr die Sicherheit.
Und doch, wenn auch so erschreckend, war das Zentrum der Insel seltsam interessant. Denn da war etwas, obwohl sie es in der hochstehenden Sonne nie sehen konnte, nur Schatten und Schemen, die in der flimmernden Luft des hellen Tages schwammen.
Was war es?
Arek hatte Recht – sie hatte Probleme gehabt, wenn sie zu lange an diesem Ort gewesen war, sich dem Inneren zugewandt hatte. Das waren Momente, in denen sie schreiend in seinen Armen wieder zu sich gekommen war; Augenblicke, in denen der Tod unzähliger Leben in ihrem Herz brannte und jedes Denken unmöglich machte. Sie konnte verstehen, dass er besorgt und verstört reagierte und es schmerzte sie, der Grund dafür zu sein.
„Hör zu, Arek, es kommt nicht von mir, dieses ... Problem drängt sich da rein, aber ich werde mir diesen Ort nicht nehmen lassen.“
Sie hatte sich gerade aufgesetzt und sah ihn wütend an. „Und die paar Male - ich beachte es nicht mehr, okay? Ich sehe mich einfach nicht mehr danach um.“ Das war eine Lüge und sie wussten es.
„Okay“, sagte er. „Sag es mir einfach, wenn du Hilfe brauchst, okay?“
Sie nickte müde und er ging.

7. Heller
Eine neue Hoffnung.

Wieder war der Sand warm und jedes einzelne Korn sanft.
Die Sonne, der Strand, die Wellen, all das vereinte sich erneut in einem perfekten, vollkommenen Moment. Sie spürte die scharfen Kanten der kleinen Muscheln unter ihrem Rücken, vernahm das leichte Rauschen zwischen den einzelnen Strandgräsern und fühlte den Wind auf ihrer Haut.
Linnea lag dort und wieder spürte sie den Drang mächtiger werden. Den Wunsch, das Innere der Insel zu erforschen, diesen seltsamen, schmerzhaften und strahlenden Ort.
Es gab keine Bilder, keine Erinnerungen in ihrem Kopf, die Linnea zeigten, was damals in jenem Haus geschehen war, als etwas über sie gekommen und gegangen war. Da war nur Dunkelheit und ein kaltes Gefühl, das über die Jahre geblieben war und an dem sie mit der Zeit verzweifelte, denn es gab ihr keine Antworten. Keine Hoffnung, dass etwas gewesen war oder etwas kommen mochte. Aber die beiden Male, in denen sie sich dem Inselinneren zugewandt hatte und weiter gegangen war, waren Bilder vor ihrem Auge entstanden. Die Sonne hatte geblendet, erschien beide Male viel intensiver als dort hinter ihr, am Strand, und es hatten sich Umrisse ergeben. Umrisse, welche inkonsequente Formen eines Hauses, einer Vielzahl von Räumen annahmen, die mit dem nächsten Flackern der Sonne schon wieder an Konturen verloren. Sie erahnte Gestalten, erhaschte das vorbeiziehende Verderben von Millionen, hatte den bitteren Nachgeschmack des Todestanzes ihrer Eltern auf der Zunge und war schreiend geflohen – über den Strand, in ihr Zimmer, direkt in Areks Arme hinein. Er war da gewesen, als hätte er gefühlt, dass sie jemanden brauchte. Mehr als alles erschreckte sie die Mitte dieser Insel; aber genau dorthin führte der Weg, der sie aus ihrer empfindungslosen Starre führen mochte. Der Weg, an dessen Ende Antworten warteten.
Nur allein konnte sie nicht gehen. Allein würde sie es nie schaffen.
Sie drehte sich in der Sonne und sah Arek neben sich auf dem Bett liegen. Er musste sich neben sie gelegt haben, als sie ihre Aufmerksamkeit ganz der Schönheit des Strandes und diesem drängenden Zwang gewidmet hatte.
Sie lächelte und als er dies sah und es als Zeichen der Zustimmung und des Willkommens deutete, wurde auch sein Lächeln warm und sehr schön. Nur in seinen Augen konnte sie noch die Sorge sehen, die ihn in den letzten Wochen nie losgelassen hatte.
„Ich möchte mit dir dorthin gehen“, sagte er.
Er unterbrach sie, noch bevor sie ihren Widerspruch erst formuliert hatte: „Ich habe die Sonne eben auch gespürt – ganz kurz - und ich glaube, ich habe auch den Sand beinahe gesehen.“ Arek lachte nun nicht mehr. In seinem Gesicht lag eine Art von Verzweiflung, eine Art Endgültigkeit und Linnea begann zu denken, dass sie vielleicht genau darauf gewartet hatte.
„Ich weiß“, fuhr er fort, „dass du nicht zurecht kommst, wenn Du die Insel nicht mehr betreten kannst. Dann wirst du vielleicht nie hier rauskommen und das würde ich nicht ertragen, weil wir dann ...“ Er brach ab und sah sie auf eine hilflose Weise an, dass ihr Herz schmerzte und es sich gleichzeitig für diesen Moment weit für ihn öffnete. Er nahm ihre Hand und sagte: „Linnea, ich möchte eines Tages mit dir weg, nicht mehr unsere gemeinsame Zeit hier verbringen, sondern zusammen irgendwo leben und ...“ Und dann sagte er ihr, dass er sie liebet. Sagte es ihr mit seiner Hand, mit der er ihre ergriffen hatte. Sagte es mit seinen Augen, die glücklich Tränen vergossen, weil er endlich den Weg und den Mut gefunden hatte. Und weil er spürte, dass er bereit war, für sie durch die Hölle zu gehen, um ihr Glück zu sichern.

„Spürst Du ihn wieder?“
„Ja. Alles.“ Arek ließ den Sand von einer Hand in die andere rieseln. Noch immer faszinierte ihn die reale Beschaffenheit seiner Umgebung: das Wasser, das er fühlen und dessen Salz er schmecken konnte; die Sonne, die ihn wärmte; die Bäume, die Muscheln und eben der Strand.
In den letzten Tagen hatten sie gemeinsam daran gearbeitet, Arek den Zugang zur Insel zu ermöglichen. Sie hatten genug Zeit gefunden, Arek hatte dazu oft die Nachtschicht übernommen und war manchmal nach Ende seiner Tagesschichten in ihrem Zimmer geblieben und so konnten sie in diesen Stunden weitermachen, immer darauf bedacht, dass ihre Verbundenheit niemandem auffiel.
Ob es nur aufgrund seiner tiefen Gefühle für sie möglich war, dass Arek sich tatsächlich Schritt für Schritt auf den Strand vorgekämpft hatte, dass er diese Fähigkeit, die Linnea bis dahin für einzigartig gehalten hatte, nach und nach adaptierte, konnten sie nicht sagen. Er tat es einfach. Linnea hatte an ihm seit jener Nacht auch eine Willenskraft bemerkt, die ihr zuvor nie aufgefallen war und die sie sehr bewunderte. Und war die Fähigkeit, die Insel zu betreten etwas, das er von ihr übernahm, so war es diese Willensstärke, die sie nach seinem Bild in sich wachsen ließ. Sie gab ihr die Hoffnung, mit ihm gemeinsam das Zentrum der Insel erforschen zu können und so die starre Dunkelheit ihrer Vergangenheit durch Bilder und Erinnerungen zu ersetzen.
Arek stand auf. Linnea tat es ihm nach.
„Wollen wir gehen?“, fragte er.
Linnea spürte die Anspannung in sich wachsen. Er hatte Recht, realer würde es für Arek auch nicht mehr werden. Inzwischen bewegte er sich auf der Insel genau so sicher wie sie selbst, er brauchte einfach nur noch etwas länger, um sie zu erreichen.
Sie nahm seine Hand und er drückte sie fest.
„Lass uns gehen.“
Sie wandten sich der Inselmitte zu und gingen gemeinsam durch den weißen Sand.

8. Sonnenfinsternis
Das Wiedersehen.

Erschöpft lag Adis auf dem Tisch und lauschte dem hektischen Treiben auf den Blutbahnen in seinem Kopf.
Die Sonne strahlte ihre Hitze von oben durch die gläserne Decke und er lächelte. Eben war ihm ein großer Schlag gelungen.
Lange war es nur die simple Befriedigung, die ihn Tag um Tag auf seinem gläsernen Thron sitzen und Leben zerstören ließ. Er war nicht mehr länger dazu verdammt gewesen, in der Dunkelheit gefühlslose Insektenarmeen aufeinander loszulassen, er konnte Schicksale lenken, von verstandenem Leid kosten - und vor allem konnte ihn niemand mehr daran hindern.
Nachdem der erste Triumph, die ersten mit Freiheit gefüllten Becher getrunken waren und er – wie jeder Mensch – nach einem Sinn für sein Tun zu suchen begann, fand er ein Muster - Stück für Stück. Und es war mit jedem Tod deutlicher geworden. Es waren wahrhaftig nicht immer Welten gewesen, die es zu zerstören galt; oft waren es einzelne Menschen, die aus seinen Träumen blieben, wenn die Wärme der Morgensonne ihn weckte. Diese Menschen waren Feinde. So immens kleiner und leichter zu zerstören als eine ganze Welt, doch hatten sie Macht und sie standen auf der falschen Seite. Er war der Problemlöser, der Killer, der intergalaktische Kammerjäger und er tilgte sie, warf sie aus dem Spiel.
Es hatte ihn lange Zeit stolz gemacht, dass er derjenige war, der auserwählt wurde, diese Dinge zu tun. In einem viel weiteren System, einem System, welches er nicht annähernd überschauen konnte, hatte ihn das Andere erwählt. Hatte ihm in der Familie einen besonderen Platz eingeräumt, der ihm und seinen Fähigkeiten gerecht wurde.
Heute war es ihm wieder gelungen, sich zu beweisen und seine Stellung zu behaupten.
Vor der Konkurrenz.
Er war sich inzwischen recht sicher, dass es sie gab. Dass er nicht, wie damals geglaubt, als Einziger besonders war. Das System war zu groß. Die Arbeit war hart und – wie heute – manchmal lebensbedrohlich, denn er war nur Sekunden vor dem Aufprall aus dem Körper seiner Marionette gesprungen – und hatte den Gegner
Zacharias hieß er
noch am Boden zerschmettern sehen; letztendlich war er unterlegen gewesen, der bisher beständigste Kontrahent. Aber ob Konkurrenz oder nicht - Adis gefiel dieses Spiel in seiner Gesamtheit mit jedem Sieg mehr. Es war wie ein Schachspiel – zerstöre die Figuren des Gegners, bevor er sie in Stellung bringen kann.
Zerstöre.
Adis hing inmitten dieser Gedanken, als er Linnea und Arek den Strand heraufkommen spürte.

Geht es?
Sie hatte die Hände in den Sand gegraben und zitterte. Um sie herum wogten Impressionen von Leid und Tod. Es war ein stetiger Strom, der von allen Seiten auf das Zentrum der Insel zufloss – und doch litt sie viel mehr unter dem leichten, nur eben wahrzunehmenden Strom, welcher sich direkt aus dem Zentrum herausquälte - sie wie geronnenes Blut umgab und lähmte.
Nein, dachte sie, lass mich!
Wird es gehen?, fragte wer von außerhalb. Jemand hob ihren Kopf und hielt sie. Streichelte sie und die Berührung half irgendwann. Es war, als würden die liebkosenden Hände ihren Geist abschirmen, einen Wall errichten, als würde das dunkle Leiden umgelenkt. Linnea öffnete die Augen und sah Arek an. Seine Sorge und der Schmerz, den er nicht fühlen, aber erahnen konnte, waren offen in seinem Gesicht zu lesen.
Sie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen und nickte. „Lass mich nur aufstehen.“
Arek ließ von ihr ab, es war ihr wichtig, dass sie allein auf die Beine kam und er wusste es. Wie er so vieles von ihr gewusst hatte.
Lange hatte sie sich seine Gefühle nicht eingestehen wollen, aber doch immer gewusst, dass er sie hegte. Dass er sich mit jeder seiner unbeholfenen Gesten ihr genähert und schlussendlich ihr Herz geöffnet hatte, als er mit Tränen in den Augen neben ihr auf dem Bett, neben ihr am Strand der Insel gelegen hatte.
Als sie wieder auf den Beinen stand und nach vorne sah (eine Hand über ihren Augen), fasste sie neuen Mut. So weit war sie nie gelangt und mit Arek an ihrer Seite fand sie die Hoffnung, endlich an den Ort zu gelangen, an dem sie Antworten zu finden glaubte. Um endlich loslassen und Frieden mit der Dunkelheit ihrer Erinnerungen schließen zu können.

Sie standen Arm in Arm unter den letzten Palmen des Strandes. Von hier an gab es nichts Wachsendes mehr und auch jenseits des Gebildes, welches sich vielleicht zweihundert Meter vor ihnen erhob, beherrschte Sand die Ebene, die sich bis hinab zu einer Felskante erstreckte.
Es war Abend und die Sonne hing müde vor ihnen über dem Wasser. Das Haus erstrahlte dennoch.
Es war ein Haus, auch wenn Linnea noch nie etwas Vergleichbares gesehen hatte – und es schien tatsächlich nur aus Glas zu bestehen; die untergehende Sonne verfing sich in jeder Ecke, in jedem Winkel und an allen Kanten. Innen wie außen verzweifelten die Strahlen auf den glatten Flächen, die keinen Schatten und keine Flucht boten. Das Haus war ein filigraner Magnet, wie es dort stand und die sterbende Schönheit des Tages festhielt – doch mehr ein rostiger Nagel, an dem sich die Sonne wieder und wieder blutig riss.
Sie ließ Areks Hand nicht los, als sie weitergingen. Die sich im Glas brechenden Sonnenstrahlen blendeten und die von Leid schwangere Luft trübte ihre Sinne und vielleicht deshalb überraschte sie die Stimme des Bewohners
Adis ist sein Name
so sehr, als er zu ihnen sprach.
Wer
„seid ihr? Und wie seid ihr hierher gekommen?“
Es war ein seltsames Gefühl als er gleichzeitig in ihrem Kopf und von dort sprach, wo er so plötzlich vor ihnen erschienen war.
„Was macht ihr hier?“

Adis betastete seine Besucher und der Mann zwang seine Aufmerksamkeit zuerst auf sich. Ein Gefühlssturm tobte in ihm, der nichts verbarg; mächtig und ausgelassen tanzte die Liebe, die er für die Frau empfand. Liebe war nur ein mäßig interessantes Gefühl und so wandte sich Adis der Frau zu.
Linnea
war ihr Name und einen Lidschlag darauf überrollte Adis eine Flut aus langer Dunkelheit und Angst, dann ein kurzer Windstoß von Schmerz, dann Licht und gerechter Hass, den er einst empfunden hatte.

Linnea sah zu Arek hinüber, als er unter dem Blick des Fremden aufkeuchte.
Sie spürte, wie der - Adis! - in sie hineingriff und hörte in der nächsten Sekunde den Fremden aufkeuchen.
Dann erkannte sie, dass er kein Fremder war.
Sie sah ihn an und als er seine verkrümmten, so schief zusammengewachsenen Hände an die Augen hob und Linnea gegen die Sonne die lichtlosen Höhlen in seinem Gesicht sah, rissen sie Grauen und Angst zurück auf die Bohlen des Raumes, in dem ihre Eltern von diesem – Adis heißt er! schrie eine Stimme in ihrem Kopf – getötet worden waren.

Seine Hände kamen auf ihn zu und dieses eine Mal war da nicht die Helligkeit, die ihm für die wenigen Sekunden den Verstand geraubt und den Schmerz zurück in den Keller verbannt hatte.
Dieses Mal sah er – langsam, ganz langsam - zwei Finger jeder Hand sich nach vorne strecken, die anderen sich zurückziehen. Er fühlte einen kantigen Nagel, der die Haut an seiner Nasenwurzel spaltete und er sah kurz das helle Rot seines Blutes, aber wirklich nur noch ganz kurz.
Viel zu spät riss ihn etwas mit sich und ab da war die wohlvertraute Dunkelheit wieder Teil von ihm.
Dieses Mal waren da Tränen und sie hatten viel Platz.

Linnea sah sich auf dem Boden sitzen.
Sah den Teufel, der dort aus dem Keller auferstanden zu sein schien, seine Arbeit verrichten.
Zu genau sah sie, wie menschlich und verletzlich sie alle waren. Ihre Eltern flehten, kreischten und wälzten sich in ihrem Blut und Adis stand über ihnen und tötete sie, mit jedem Hieb etwas mehr. Sie hörte seine gebrochenen Hände, Arme, seine zerschmetterte Schulter, hörte die Knochen aufeinander stoßen und sich aneinander reiben – aber er hörte nicht auf.
Er hörte nicht auf.
Sie schlotterte, sie keuchte und stotterte, während sie um etwas Dunkelheit bat, damit sie Adis in seiner Raserei nicht weiter ansehen musste.
Dann fand ihr Geist eine Erinnerung, einen Unterschlupf und wie ein Rausch zog es sie aus diesem Raum.
Sie ging zurück zu dem, was sie hier verloren hatte; von ihm ging mit, was lange zuvor in dem Keller darunter verschlossen worden war.

9. Taghell
Und sie gingen.

„Linnea?“
Langsam hob sie den Kopf und sah in die schönen blauen Augen eines Jungen.
„Adis?“, fragte sie.
Er sah sie an und warf dann einen unsicheren Blick um sich.
„Wo sind wir?“
„Ich ...“ – weiß es nicht, wollte sie sagen. Doch dann sah sie die dunkelgrünen, dickblättrigen Büsche hinter der Bank, auf der sie saßen. Sie verstummte und ließ den Blick schweifen.
Oh mein Gott, dachte sie. Wie lange, wie lange ist das her!
Es war ein Park.
Es war ihr Park.
Grün schimmerten die weiten Rasenflächen in der Mittagssonne und ganz sanft wogen die tiefroten Blätter der mittherbstlichen Buchen und Ahornbäume im Wind eines warmen Oktobers. Beinahe genauso warm erschienen ihr die Backsteine ihrer Schule, die sie zwischen den Ästen am Ende des Parks noch erahnen konnte.
„Ja?“, fragte er.
Der Wind spielte mit einigen frisch gefallenen Blättern zu ihren Füßen.
Linnea sah sich um. „Warte“, sagte sie und hielt Ausschau nach einem Paar.
„Warte!“
Sie fühlte nach einem Paar, denn das hatte sie immer getan, wenn sie hier gesessen hatte. Inmitten des Parks, direkt im Zentrum, wo die alten Parkbänke von alten, eingeritzten Liebesschwüren verziert waren. Wo es Kieselsteinwüsten vor den Bänken gab; dort, wo sich Liebende trafen, um ihre Gemeinsamkeit inmitten der Stadt in einer langen Umarmung zu zelebrieren.
Es war der Platz, an dem sie als Kind all die verborgene Energie gefunden hatte, um weiterzumachen in einer Welt, die zu sehr aus Neid, aus Missgunst, Angst und Hass bestand.
„Spürst du das?“, fragte sie, als sie das nächste Paar auf der anderen Seite der Büsche fand. Sie schloss die Augen, ließ das Gefühl in sich strömen, mit aller Gewalt, mit aller Macht und es erfüllte sie mit Freude und Energie.
Wie hatte sie das vermisst!
Kurz spürte sie Hoffnung für ihn.
„Was ist?“ Er fühlte es nicht.
„Fühle mich“, sagte sie. „Fühle, was ich spüre.“
Er griff in sie, wie er es auf der Insel getan hatte. Kalte, dunkle Finger, die unbehänd nach dem langten, was er selbst nicht mehr empfangen konnte. Seine Kälte nagte an ihr und sie stöhnte. Er ließ nicht los und sie öffnete die Augen und den Mund, um ihm zu sagen, dass er von ihr lassen möge. Dann sah sie die Tränen in seinen Augen und wusste, dass er sah, dass er erkannte, was er nie mehr erfahren würde.
Sie sonnte sich in den Gefühlen, die sie berührten, sie konnte einfach nicht anders. Er litt, denn er sah die Oberfläche und hatte schon lange verlernt, hinabzutauchen.
Es war nicht erst an dem Tag verloren gegangen, als er ihre Eltern getötet hatte. Es war nicht Tage, nicht Wochen zuvor verloren gegangen. Es waren Jahre gewesen, es war jene eine, jene erste Nacht mit der Spinne gewesen und es war nichts mehr zu retten. Denn in diesem Moment weinte er nicht um sie, nicht um das, was er ihr angetan hatte oder um das, was er Tag für Tag ganzen Welten antat. Er weinte um sich selbst und die Tränen flossen aus Augen, die er nicht mehr besaß.
„Ich, ich ...“, begann er, nachdem lange niemand etwas gesagt hatte. Er sah sie an und schluckte seine Tränen hinunter: „Für mich bist du nicht mehr als ein Tier.“

„Geht.“
Linnea hasste Adis. Aber was hätte sie tun können?
Du hast etwas getan, sagte ihr eine Stimme.
Sie war froh, dass er sie gehen ließ. Sie hatte gefühlt, wozu er fähig war und es wäre ihm ein Kleines gewesen, sie beide auf der Stelle von seiner Insel zu wischen.
„Was musst du erst fühlen, wenn dich jemand so liebt, wie er es tut.“
Linnea sah verwirrt auf und die blutende Sonne blendete ihre Augen.
Sie hob schützend die Hand und sah Adis auf Arek zeigen.
Arek stand dort im tiefen Rot des Abends und die letzten Strahlen der Sonne spielten auf dem scharfkantigen Stein, den er in den erhobenen Händen hielt.
Seine Muskeln zitterten. Wie in Zeitlupe sah Linnea eine winzige Träne Blut von seinem rechtem Auge herabrinnen.
Sie erinnerte sich an ihn, wie er sich an den Rahmen ihrer Tür lehnte und mit den Händen an den Ärmeln seines Hemdes spielte, während er redete.
„Ich kriege ihn nicht dazu, Linnea. Es geht nicht.“ Es klang bedauernd.
„Lass ihn los!“, schrie sie und er tat es. Der Stein fiel und im nächsten Moment auch Arek.
Sie kniete neben ihrem Freund und hielt seinen Kopf, wischte die Träne aus seinem Auge. „Was ist nur, dass du nicht anders kannst, Adis?“, fragte sie weinend.
„Was ist?“, fragte er und lachte. „Was ist? Du beschissene Fotze fragst mich, was ist? Was erwartest du denn?“
Adis kam auf sie zu, stützte sich auf seine Knie und seine Augenhöhlen hingen leer vor ihr. Sie ließ ab von Arek und fiel nach hinten.
„Was zur Hölle erwartest du denn?“
Er griff sie bei ihrem Haar und zog sie zu sich heran. Sie schrie auf. Mit leisen, zischenden Worten schnitt seine Stimme in ihr Ohr als er flüsterte: „Das hier“ – und seine Hand beschrieb einen Kreis – „ ist alles, was ich habe - ist alles was ich brauche! Und du bist nicht einmal – bist nicht einmal ansatzweise eine Figur in dem Spiel, das ich spiele.“ Er ließ von ihr ab und erhob sich. „Also geht.“

Und sie gingen.
Als Arek wieder bei Bewusstsein war - lange, nachdem Adis sich in sein Sonnenhaus zurückgezogen hatte - gingen sie und sie kehrten nie wieder auf diese Insel zurück.

Linnea und Arek verbrachten noch einige Zeit in der Anstalt. Sie füllten eine Menge Formulare aus, standen zusammen und allein den verschiedensten Leuten Rede und Antwort.
Eines Tages dann zogen sie aus. Sie verließen die Anstalt und verließen die Stadt, auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Arek war glücklich und Linnea war zufrieden. Sie würde daran arbeiten, ihre Gefühle für ihn der Intensität seiner Gefühle für sie anzugleichen.

Adis indes fand für die nächste Zeit nicht mehr zu seinem alten Arbeitspensum zurück. Er arbeitete wohl weiter, doch weder ging es ihm leicht von der Hand, noch erfüllte es ihn in dem Maße, welches er gewohnt gewesen war.
Wind war aufgekommen - Gegenwind.
Er machte das Atmen schwer und drang durch Risse, welche die beiden Besucher seiner Insel hinterlassen hatten. Innen wehte er lange Zeit durch leeren Raum und schließlich nur noch schwach um ein vernarbtes, knotiges Herz in der Mitte.


Zum Serienthread

 

Hi baddax,

im Grunde ein düsterer Ort, dein Sonnenhaus, auch wenn es so lichtdurchflutet ist. Aber Linnea kann Adis ja nur ein bisschen seiner dunklen Energie nehmen.
gut an dieser Geschichte fand ich die Welt, in die du entführst, die Verbindungen zur Realität deiner Prots und die Schwebe, in der die Welten zu betreten sind.
Ab dem Mittelteil wird es mir manchmal zu abstrakt, den Anfang bis zum Mord finde ich deutlich stärker. Vielleicht, weil ich mir nicht so ganz vorstellen kann, auf welche Weise Adis später die Bahnen von Existenzen lenkt und vernichtet. Bei der Spinne ist es so schön plastisch.
Alles in allem habe ich es aber gern gelesen.
Details:

Es war kein wissenschaftlich ausgewogener Gedanke, vielmehr das intuitive Gefühl des Überlegenden, die reine Faszination eines Elfjährigen.
Ich frage sicherheitshalber noch mal nach, ob du wirklich den "Überlegenden" im Sinne von "Nachdenkenden" meinst oder ob du "Überlegenen" im Sinne von "Stärkeren" meinst.
und er fand der Spinne einen Weg voll heißem Wachs
voll mit/von heißem Wachs, sonst mE Genitiv.
Adis saß inmitten des Zimmers auf einem gläsernen Tisch und spürte, wie die Strahlen der frühen Abendsonne auf seiner Haut ruhten.
selbst wenn ich ein Freund dieser "wie" Einleitungen wäre, zu deiner Sprache für diese Geschichte passt es nicht. Da wäre und spürte die Strahlen der frühen Abendsonne auf seiner Haut (ruhen) viel passender.
Den Weg kannte er genau, eigentlich bedurfte es keiner Lichtquelle, die ihn zu seinem Schlafplatz leitete, denn war das Haus doch so gebaut, wie er es sich in der langen Dunkelheit stets vorgestellt hatte.
"denn" ist überflüssig und klingt auch irgendwie falsch.
Es sah ihn sich an, wie er da saß: In der Dunkelheit, im Dreck, vor sich Hunderte von Insekten, einige Mäuse und Ratten, in eine gigantische Schlacht vertieft
auf "ihn" würde ich hier zugunsten des Satzklangs verzichten.
denn genauso ebenso erlebte sie auch die andere Seite:
diese Folge von "genauso ebenso" liest sich sehr komisch.
Ein unvorstellbare Willen, zu zerstören.
müsste "ein unvorstellbarer Wille" heißen.
Linnea wusste, dass er wusste, dass es diese Insel gab.
Der Satz liest sich mehr als ungeschickt. Vorschlag: Linnea wusste, er wusste von der (Existenz der) Insel.
Sie konnte verstehen, dass er besorgt und verstört reagierte und es schmerzte ihr, dass sie den Grund dafür gab.
es schmerzte sie, der Grund dafür zu sein. (dieses "sie" ist bindend, den Grund geben kenne ich nur in anderem Zusammenhang, bei der Fülle deiner "dass" habe ich die Gelegenheit gleich genutzt, mal eines zu entfernen.
Linnea lag dort und wieder spürte sie mit jedem Moment, wie der Drang intensiver wurde. Der Wunsch, das Innere der Insel zu erforschen, diesen seltsamen, schmerzhaften und strahlenden Ort.
Auch hier finde ich es sprachlich ungelenk, du kannst es mehr verdichten. Vorschlag: ... mit jedem Moment den Drang intensiver werden, das Innere der Insel ...
nach einem Sinn für sein Tun zu suchen begann, hatte er langsam, Stück für Stück, Welt für Welt und Tod für Tod, ein Muster zu erkennen begonnen
dieses doppelte beginnen finde ich auch nicht sehr glücklich.
So weit war nie gelangt und mit Arek an ihrer Seite fand sie die Hoffnung
da fehlt ein "sie"
Sie ließ Areks Hand nicht los, als sie weitergingen.
Da zuvor von der Sonne die Rede ist, würde ich hier mit Linnea anfangen.
Adis kam auf sie zu, stützte er sich auf seine Knie und seine Augenhöhlen hingen leer vor ihr
"er" nach "stützte" ist zu viel.
bist nicht einmal ansatzweise eine Figur in dem Spiel, dass ich spiele.
Spiel, das (nur mit einem s)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo baddax,

deine Geschichte beginnt fulminant, baut aber dann ab.
Zumindest ist es mir so gegangen. Ich habe sims Kritik gelesen und muss ihm zustimmen, dass mir der zweite Teil abstrakter ist als der erste. Und ich kam damit nicht so gut klar.
Das ist Geschmacksache, aber ich bin mir sicher, dass ich nicht alles verstanden habe. Ich kapiere zB nicht, wie es Linnea gelingt, Adis einen Teil seiner Macht zu rauben - und das ist ja essentiell... das bleibt mir ein bisschen zu schwammig. Vielleicht habe ich da aber auch was überlesen - der erste Teil ist auch wesentlich fesselnder als der zweite, gut möglich also, dass ich etwas übersehen habe.
Damit möchte ich nun freilich nicht andeuten, dass ich den rest nur überflogen habe, aber es wurde mir einfach nicht klar genug. Vielleicht kannst du ein bisschen Licht ins Dunkle bringen.

Die Idee an sich - vor allem das Sonnenhaus, fand ich Klasse, da der Name ja ganz andere Assoziationen weckt. Gerade dieser Widerspruch gefällt mir. Ebenso wie dein Stil, der sehr fesselnd ist und sehr sicher.
Insgesamt habe ich die Geschichte gern gelesen.

Ein paar Dinge:

heißer Wachs
heißes

Adis lächelte vergnügt und ließ seine hellblauen Augen langsam nach links wandern. Seine Gedanken
mir nach, nur mir nach
folgten und ebenso tat
Aus deinen früheren Geschichten weiß ich ja, dass du ein Fan dieser eingeschobenen, kursiven Gedanken bist. Und du kennst mich als Gegner dieser Form.
Hier gefällt es mir aber außerordentlich. Bekehrst du mich noch? ;)

Dieses zweite Kapitel mit der Spinne ist exzellent geschreiben, nebenbei.

Und es befand für gut, was es sah.
Das liest sich irgendwie nach Bibel ("und er sah, dass es gut war...") - Absicht?

schläfrigen Medienwelt der näheren Umgebung war das Massaker des weggesperrten Kindes der Wachmacher des Jahrzehnts und sogar landesweit wurden Debatten abgehalten, sprachen Fachleute, berichteten viele Augenzeugen und noch mehr Ortsansässige.
Mit Medien verbinde ich Zeitung, Radio, Fernsehen, nicht Debatten und sprechende Fachleute - das finde ich irgendwie widersprüchlich, wird klar was ich meine? Das Wort "Medien" passt nicht so ganz in den Kontext.

Kompliment für deine Beschreibung der Linnea - großartig!

nur aufgrund eines traumatischen Erlebnisses durchgedreht waren
"durchgedreht" finde ich unpassend

In diesem Sinne
c

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi ihr beiden,

erst einmal vielen Dank für das Lesen und Kommentieren meiner Geschichte. Hab schon lange nichts mehr gepostet (und an dieser Geschichte seit letztem Januar rumgebastelt - im Abstand von vielleicht immer drei Monaten oder so...) - daher freue ich mich über jeden positiven Kommentar. Und da ihr beide die Geschichte gern gelesen habt, bin ich schon zufrieden. :shy:

Das Problem der Abstraktheit einzelner Passagen ist ein besonders nerviges Ding und das Grundproblem liegt darin, dass mir selbst noch immer nicht besonders klar ist, wie letztendlich diese Mächte, welche da gegeneinander spielen, real zu fassen sind. Daher rührte auch die meiste Problematik in dem "Zacharias fällt"-Teil der Serie. Die Geschichten handeln von Leuten, die mehr oder weniger ohne ihr Wissen Teil des 'Spiels' sind - und ich habe etwas Angst davor, die wirklichen Spieler (das Gute und das Böse) plastisch darzustellen, denn das könnte relativ schnell banal wirken (so nach dem Götter spielen mit Menschen Prinzip). Naja, wie auch immer, was es nebenher schwer macht, ist, dass laut der Serien-Regel ja alle Geschichten für sich selbst lesbar sein müssen, daher versuche ich immer, einen herausgeschnittenen Teil des Ganzen in den Geschichten darzustellen - und dabei laufe ich zwangsläufig in Problematiken wie Abstraktheit. Denn da, wo diese Mächte (in dieser Geschichte das Andere genannt) auftreten, ist es in dem Teil der Gesamtgeschichte schwer, diese plausibel darzustellen.

Weiterhin beantworte ich Eure Kommentare mal separat, aber den Inhalt betreffend gehen sicher beide Antworten ab und an ineinander über....

@sim:
"Aber Linnea kann Adis ja nur ein bisschen seiner dunklen Energie nehmen."
Eigentlich nimmt sie ihm gar nichts. Durch das gemeinsame Erlebnis in diesem Park hat Adis erfahren, dass er eine Grenze überschritten hat, die ihn von dem trennt, was ihre (und auch Areks) Motivation ausmacht. Durch die negativen Erfahrungen seiner Kindheit - kombiniert mit seiner Fähigkeit, andere Leute quasi wie Marionetten zu führen - hat er sich auf seiner Insel zu einhundert Prozent auf sich selbst konzentriert. Diese Erkenntnis soll es letzentlich sein, die es ihm unmöglich macht, seine 'Arbeit' fortan so zu genießen, wie es zuvor war.
Schön, dass Dir die Koexistenz der verschiedenen Realitäten gefällt, denn das hat für mich einen Grundstein der Geschichte ausgemacht - Adis auf seiner Insel, die für ihn die Ausgangsbasis seiner Macht ist - und gleichzeitig ist sie für Linnea ein Ort, an dem sie Zuflucht vor der grauen Realiät findet - ohne, dass sie weiß, dass der Strand ihr letztendlich Zugang zu dem gewährt, dem sie die Notwendigkeit dieses Ortes erst 'verdankt'.

Abstraktheit: siehe oben ;)

"...auf welche Weise Adis später die Bahnen von Existenzen lenkt und vernichtet. Bei der Spinne ist es so schön plastisch."
Stimmt, der Tod der Spinne war auch so ein plötzlicher Gedanke, als ich darüber nachdachte, wie ich seine Macht (mit der er auch den Fallschirmspringer in der 'Zacharias fällt' - Episode kontrolliert) darstellen kann. Weil die Situation so eindeutig ist, konnte ich sie auch gut darstellen - in den späteren Teilen der Geschichte ist es mir leider nicht so gut gelungen. Grundsätzlich kann er die Aktionen von Lebewesen kontrollieren, wenn er ihre Gedanken einfangen kann - was nicht immer so einfach ist, daher habe ich es auch als alltägliche Arbeit dargestellt. Adis hat Träume, anhand derer er weiß, an wem er als nächstes arbeiten soll. Dieses Prinzip wollte ich den beiden Einschüben darstellen:

"...schenkte ihm eben dieser Moment, in dem er seine Marionetten die letzten fatalen Befehle unterschreiben, Schalter umlegen oder Worte sprechen ließ, wieder ein starkes, ein mächtiges Gefühl..."

und

"...oft waren es einzelne Menschen, die aus seinen Träumen blieben, wenn die Wärme der Morgensonne ihn weckte."

Er 'erhält' seine 'Aufträge' in seinen Träumen. Das 'Böse' versorgt ihn damit und lässt ihn und andere daran arbeiten, dass dieses Spiel gewonnen wird (daher auch der Einschub, in dem Adis über das Schachspielen sinniert - wobei er nicht tatsächlich weiß, dass es ein Spiel ist...das es tatsächlich ein Machtspiel ist, darüber bin ich mir inzwischen recht sicher).

Ich freue mich, dass Du die Geschichte insgesamt gern gelesen hast - wobei ich sagen muss, dass mir persönlich beim Schreiben gerade auch der zweite Part der Geschichte (ab dem Linnea auftaucht) sehr gefallen hat. Ich mochte die Darstellung der Anstaltszenerie beinahe mehr als den Keller, in dem Adis gefangen war. Das muss ich auch gleich nochmal bei chazar schreiben ;) - blöd nur, dass da diese abstrakten Teile so stören. Wenn Du eine Idee hast, wie ich das beheben kann, dann sage es mir bitte. :)

Vielen Dank in jedem Fall noch einmal für das Lesen und kommentieren. Deine Korrekturen werden dankend übernommen!

Liebe Grüße, baddax


@chazar:

Abstraktheit: siehe oben ;)

"Ich kapiere zB nicht, wie es Linnea gelingt, Adis einen Teil seiner Macht zu rauben - und das ist ja essentiell..."
Stimmt, es ist essentiell für das, was noch passieren wird mit Adis, denn die tägliche Arbeit ist für ihn nicht mehr das, was sie mal war. Aber - wie auch schon bei @sim erwähnt - ist es nicht Linnea (zumindest nicht aktiv), die ihm dieses Gefühl raubt, es ist Adis selbst (siehe dazu den ersten Absatz, den ich sim geschrieben habe). Er erkennt, dass er bestimmte Grenzen unwiderruflich überschritten hat. Diese Erkenntnis macht ihm das Arbeiten schwer - denn unterbewusst erkennt er sich selbst als Ursache dessen (Leid, Hass, Tod), was ihn als Kind selbst getroffen und geprägt hat - und trotzdem kann er nur um sich selbst weinen. Man stelle sich seine Situation vor: Ohne Augen, schief zusammengewachsene Schulter, Arme und Hände und nichts anderes zu tun, als in einem ständigen Konkurrenzglauben Leben zu vernichten. Und anhand Linneas (und indirekt auch Areks) Beispiel erahnt er die Lüge, die er lebt (denn naturgemäß wünscht er sich eine Besserung dessen, was er als Kind erlebte).

Ich freue mich, dass Dir die Grundidee gefällt - neben der Idee der nebeneinander existierenden, miteinander verbundenen Welten war mir auch das Bild des Hauses sehr wichtig. Neben der Anstalt ist es genauso ein Ort - wenn nicht der Ort - welcher der Serie den Namen gibt.

Wie ich schon zum Ende bei @sim schrieb - mir persönlich gefiel der zweite Part der Geschichte (ab dem Linnea auftaucht) beim Schreiben sehr gut - ich mochte einfach diese Atmosphäre der Anstalt im Winter mit den tanzenden Schneeflocken und der hofnnungslosen Industriewelt um sie herum.
Wie ich auch sim gebeten habe - sag mir alle Ideen, die Dir vielleicht gekommen sind, um diesea Abstraktheits-Problem zu mildern.

Vielen Dank auch Dir fürs Lesen und Deine Gedanken! Deine Korrekturen werden dankend übernommen!

Liebe Grüße, baddax

 

:shy: Die Korrekturen folgen - gerade ist Besuch gekommen und der Browser hat meine bisherigen Änderungen gefressen ... *nein*

Naja, morgen!

Grüße und nochmal danke für das Lesen!
baddax

 

Hi,

so, die Korrekturen habe ich dankend übernommen. :)

@sim:
"...bei der Fülle deiner "dass" habe ich die Gelegenheit gleich genutzt..." - sind es echt so viele? Dann muss ich mal verstärkt probieren, mich dieser Angewohnheit zu entledigen. (und schon einmal geschafft ... :D )

@chazar:
"Hier gefällt es mir aber außerordentlich. Bekehrst du mich noch?..." :D Das wäre ein Traum. :D

"Das liest sich irgendwie nach Bibel ..." Ja stimmt schon, sollte dadurch irgendwie 'erhabener' klingen, monumentaler halt (Nur, weil diese kleine Entscheidung 'zugunsten' Adis' fällt, ändert sich dessen gesamte Existenz elementar). Ist es zu dick aufgetragen?

"Mit Medien verbinde ich Zeitung, Radio..." - Stimmt, ich habe den Satz mal umgebaut und diesen Medien-Bezug rausgenommen.

Danke für die Lobe zwischen den Zitaten - freut mich sehr! :)

Liebe Grüße Euch beiden,

baddax

 

Lieber baddax!

Spät aber doch. ;) Wieder eine spannende Geschichte und ein weiterer Puzzlestein zum Ganzen, sehr schön erzählt und mit interessanten Details. Hast Du eigentlich eine Zeichnung von dem Sonnenhaus gemacht, wie Du es Dir so vorstellst? Wenn ja, würd ich die gerne sehen, per Mail oder Link (hast ja eine HP).
Sprachlich hat mir diese Geschichte besonders gefallen – mittlerweile verwendest Du viel weniger »hatte« als früher, das liest sich sehr gut so. :)

Die Idee, die Kräfte über die Spinne zu entdecken, gefällt mir ganz besonders, auch das mit der Kerze (sowas von böse … :D).

Aber wir stürzen uns jetzt nicht ins heiße Wachs, sondern in den Text: ;)


1.

»Zwischen dem Abbruch der Steilküste und den westlichen Fenstern waren es nicht mehr als zwei Meter wild wachsendes Grases und die ganzen dahinterliegenden Zimmer erstrahlten wahrhaftig in dem spätabendlichen Licht.«
– entweder »wild wachsendes Gras« oder »wild wachsenden Grases«
– »ganzen« würde ich streichen

»Es war das Sonnenhaus und die Absicht, die es erdacht hatte, wollte schattige Ecken, wollte dunkle Flure und zwielichtige Nischen vergessen machen.«
– kann die Absicht denken, oder müßte es nicht heißen »die Absicht, mit der es erdacht wurde« oder so?

»Es stand auf einer Insel inmitten der See, auf einem kleinen und nie gesehenen Eiland; und hier lebte Adis und rang mit diversen Welten um deren Untergang, während die Wellen sich sanft im Sand der Ufer um ihn herum verliefen.«
– nach »Eiland« würde ich einen Punkt machen und das »und« streichen, und das »ungesehen« … hm, ich weiß nicht, das klingt so übertrieben. ;-)

2.

»Ein absurder Vorgang, aber vollkommen wahr.

…, tastete vorsichtig den Weg ab, als wolle sie aus vollkommen eigenem Willen entscheiden, wann und wohin sie ginge.«
– zweimal »vollkommen«

»Als eines schlimmen Tages vor nicht mehr als vier Wochen der Alte mit brennender Pfeife eingeschlafen war,«
– Ich würde da eine Zigarette draus machen, da das Feuer in dem Fall wahrscheinlicher ist. Pfeifen sind dahingehend relativ sicher, weil die Glut erstens recht schnell ausgeht (jedenfalls schneller als er nach seinem letzten Zug einschlafen kann) und zweitens nicht so leicht herausfällt, daß sie etwas in Brand setzen kann, was bei einer Zigarette recht schnell der Fall ist. Eine Pfeife muß man schon ganz herumkippen, daß die Glut rausfällt, von selbst kippt sie nicht soweit, da sie den Schwerpunkt unten hat. Und bevor ihm das passiert, glüht da nichts mehr … ;)

»in seinen Grundfesten war war das gute Stück jedoch erhalten geblieben«
– ein »war« zuviel

»wartete am Rand des kleinen Fenstersims, bis der Wind den Stofffetzen der Gardine über den rauen Stein wandern ließ und kletterte dann«
– des kleinen Fenstersimses
– den Stofffetzen der Gardine? Die Gardine hat also einen Stofffetzen? Oder meintest Du »bis der Wind die Gardine wie einen Stofffetzen über den rauen Stein …«? (Oder »die Gardine, diesen Stofffetzen, …« :D)

»Adis konnte ein langes Lied davon singen. Fliegen, Mücken und jenes komische Getier mit den langen, zweigartigen Körpern - es gab eine Vielzahl von ihnen«
– das lange Lied würde ich nur ein Lied sein lassen, damit Du »lange(s/n)« nicht wiederholst
– meinst Du »jenes komische Getier mit dem langen, zweigartigen Körper« (ein spezielles) oder »jene (alle) komischen Getiere mit langen, zweigartigen Körpern«?

»Als die Spinne schließlich am oberen Ende der Kerze angelangt war und vor dem (aus ihrer Perspektive) nicht unbeträchtlichem See aus flüssigem Wachs kauerte,«
– den Klammerhinweis würde ich streichen und »nicht unbeträchtlichem« ebenfalls, dann kann der Leser schon nachvollziehen, wie der See gemeint ist. ;-)

»Der Tod der einen Spinne hatte ihm eine schlaflose Nacht beschert,«
– »einen« würde ich streichen, »Der Tod der Spinne« reicht. :-)

3.

»als die Arbeit begann und die Sonne kaum ein flüchtiger Hauch auf der glatt rasierten Decke seines Schädels gewesen war, hatten er an den letzten Pfeilern …«
– Einzahl: hatte er

»verteilte die Müdigkeit gleichmäßig auf seinen Körper. Dann verließ er den Raum, und er warf auf der vom Meer abgewandten Seite des Hauses einen langen Schatten auf den Sand.«
– dreimal »auf«, würde schreiben »in seinem Körper« und/oder »in den Sand«

4.

»Dieser Tag hatte ihm klar gemacht, dass er nicht zu Betteln hatte.«
– zu betteln

»dass sie ihn am Leben hindern wollten, als sie gesehen hatte, wozu er fähig war«
– gesehen hatten

»Nachdem es nachvollzogen hatte, was dort auf dieser Welt vor sich ging und was dieses energiegeladene Wesen dort hielt,«
– das erste »dort« würde ich streichen

5.

»und manchmal nahm sie im äußersten Winkel ihrer Augen ein sanftes Leuchten war,«
– wahr

»denn ebenso erlebte sie auch die andere Seite: Die dunklen Gedanken der Menschen um sie herum.«
– da nach dem Doppelpunkt kein ganzer Satz folgt, klein: die dunklen …

»und einfacher menschlicher Hass.«
– einfacher, menschlicher Hass

»Die Erwachsenden waren aufgesprungen und bemühten sich um sie,«
– ein d in Erwachsenen, das da nicht hingehört

»drang ein Schrei, tief vom Grunde ihrer Seele.«
– ohne Beistrich

»Sie sah den Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vater, als Adis seiner Frau die zackigen Ränder«
– ihres Vaters

»Denn da war dieser vollkommen reine, sich seiner selbst bis in die letzte Faser bewusste Hass; von dem Junge ausgehend,«
– seiner Selbst … von dem Jungen ausgehend

6.

»Sie sah Areks Gesicht auf sich herabsehen.«
– vielleicht, um die Wiederholung von sah/sehen zu vermeiden, »herabblicken/-schauen«?

»Linnea wusste, dass er von ihrer Insel wusste.«
– und vielleicht geht auch noch ein »wusste« weg? Evtl. »Linnea hatte geahnt, dass …«?

»waren allesamt ‚funktional durchdacht und so auch errichtet’, wie Arek es gerne ausdrückte.«
– würde normale Anführungszeichen machen

»In dem herannahenden Abend bemühten sich schwere Schneeflocken vor dem dunklen Grau des Himmels «
– »In dem … Abend« klingt irgendwie komisch, Vorschlag: Schwere Schneeflocken bemühten sich vor dem dunklen Grau des Abendhimmels …

»welche an der Einfahrt zum Hof der Anstalt direkt unter ihr stand.«
– welche direkt unter/vor/neben der Einfahrt zum Hof der Anstalt stand.

»„Hey, wird Zeit fürs Bett, meinst Du nicht?“«
du

»„Sag mal, war man so nachlässig mit Dir als Kind, dass Du meinst,«
dir, du

»„Sag’ mal“, begann er, „warum gehst du immer noch auf diese Insel, nachdem, was du dort die letzten Male erlebt hast.“«
– Wiederholung »Sag mal«
– auseinander: nach dem
– erlebt hast?

»„Ach, komm“, er zögerte; seine Finger spielten am Ärmel seines Hemdes.«
– „Ach, komm.“ Er …

»„Ich muss nur am Strand bleiben, dann ist alles okay“.«
– okay.“

»„Und die paar Male - ich beachte es nicht mehr, okay?«
– normal hast Du die langen Gedankenstriche – hier aber einen kurzen
– und dann kommt noch zwei Mal »okay«, das ist ein bisserl viel

7.

»und wieder spürte sie den Drang mächtiger werden. Der Wunsch, das Innere der Insel zu erforschen, diesen seltsamen, schmerzhaften und strahlenden Ort.«
– wäre hier für »Den Wunsch, …«

»Keine Hoffnung, das etwas gewesen war oder etwas kommen mochte.«
– dass

»Aber die beiden Male, in denen sie sich dem Inselinneren zugewandt hatte, weiter gegangen war, waren Bilder vor ihrem Auge entstanden.«
– würde hier schreiben »zugewandt hatte und weiter gegangen war«

»viel intensiver als dort hinter ihr, am Strand und es hatten sich Umrisse ergeben.«
– Strand, und

»der Weg, der sie aus ihrer empfindlosen Starre führen mochte.«
– empfindungslosen

»Sie lächelte und als er dies sah«
– die dies-Formulierung sparst Du Dir z. B. durch »Als er sie lächeln sah«

»„Ich möchte mit Dir dorthin gehen“, sagte er.«
dir – im restlichen Absatz sind noch eine ganze Menge groß geschriebener »Du« und »Dir« (bis »Spürst Du ihn wieder?«), die alle klein gehören

»sah sie auf eine hilflose Weise an, dass ihr Herz schmerzte«
– vielleicht besser »bei der ihr Herz schmerzte«

»mit Dir irgendwo leben und ....“ Und dann sagte er ihr, dass er sie liebe.«
– ein Punkt zuviel
– dass er sie liebte

»und so konnten sie in diesem Stunden weitermachen,«
– in diesen Stunden

»dass Arek sich tatsächlich langsam und Schritt für Schritt auf den Strand vorgekämpft hatte,«
– »Schritt für Schritt« würde reichen, daß das langsam ist, weiß man

»Er hatte recht, realer würde es für Arek auch nicht mehr werden.«
Recht

8.

»und lauschte dem hektischen Treiben auf den Blutbahnen in seinem Kopf.«
– nicht eher »dem hektischen Treiben der Blutbahnen in seinem Kopf«?

»von verstandenem Leid kosten - und vor allem konnte ihn niemand mehr daran hindern
– wieder ein kurzer Gedankenstrich

»hatte er langsam ein Muster zu erkennen begonnen.«
– eine »hatte«-freie Formulierung wäre »zeichnete sich langsam ein Muster ab« ;-)

»Vor der Konkurrenz.
Er war sich inzwischen recht sicher, dass es welche gab.«
– da es sich auf die Konkurrenz bezieht, müßte es »dass es sie/eine gab«, oder »dass es Konkurrenten gab«

»Dass er nicht, wie damals geglaubt, als Einziger besonders war. Das System war zu groß und er glaubte nicht daran, dass«
– Wiederholung geglaubt/glaubte, Vorschlag: wie damals vermutet/angenommen

»letztendlich war er untelegen gewesen, der bisher beständigste Kontrahent.«
– unterlegen

»welcher sich direkt aus dem Zentrum heraus quälte und sie wie geronnenes Blut umgab und lähmte.«
– zusammen: herausquälte
– ich würde das erste »und« durch einen Beistrich ersetzen

»als er mit Tränen in den Augen neben ihr auf dem Bett, neben ihr am Strand der Insel gelegen hatte.«
– würde ein »oder« statt dem Beistrich schreiben

»und es schien tatsächlich nur aus Glas zu bestehen, denn die untergehende Sonne verfing sich in jeder Ecke, …«
– würde das »denn« streichen und stattdessen einen Punkt oder Strichpunkt ( ; ) machen

»Viel zu spät riss ihn wer mit sich«
– das »wer« ist nicht schön, und wäre nicht »etwas« richtiger?

»Ein Rest seiner Augen liefen an seinen eckigen Wangenknochen herab«
– »Ein Rest … lief« – Einzahl

9.

»die tiefroten Blätter der mitherbstlichen Buchen und Ahornbäume«
– mittherbstlichen (kommt von Mitte, wie Mittdreißiger, Mittsommer, …)

»„Spürst Du das?“, fragte sie,«
– du klein

»mit aller Gewalt, mit aller Macht und es erfüllte sie mit Freude und Energie.
Wie hatte sie das vermisst!
Und sie spürte kurze Hoffnung für ihn.«
– nach »und es erfüllte« hört sich »Und sie spürte« nicht so gut an, würde deshalb das Satzanfangs-Und streichen, vielleicht den Satz auf »Kurz spürte sie Hoffnung für ihn« ändern.

»„Ich, ich...“, begann er, nachdem lange niemand etwas gesagt hatte.«
– Leertaste vor die drei Punkte

»„Was musst Du erst fühlen, wenn Dich jemand so liebt, wie er es tut.“«
– du, dich

»Arek stand dort in im tiefen Rot des Abends und die letzten adaptierten Strahlen der Sonne spielten auf dem scharfkantigen Stein«
– dort im tiefen Rot
– »adaptierten« würde ich streichen, das Fremdwort paßt nicht so ganz in die Geschichte und es paßt ja ohne genausogut. ;-)

»„ ist alles, was ich habe - ist alles was ich brauche!«
– Leertaste vor »ist«, wieder ein kurzer Gedankenstrich (auch im »Als Arek wieder bei Bewusstsein war«-Satz sind noch zwei und vor »Gegenwind« ist auch ein kurzer.


Und das wars wieder einmal,

liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Susi,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren! Und natürlich freue ich mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat (vor allem, weil zeitlich so weit von den vorigen entfernt ist).

Eine Zeichnung habe ich nicht gemacht, das Haus war für mich auch die ganze Zeit über recht abstrakt - beinahe so, wie es Linnea lange Zeit gesehen hat. Schwer zu fassen, lediglich der Tisch, auf welchem Adis sitzt, stand deutlich vor mir (wahrscheinlich weil Tische aus Glas nicht so selten sind...;).

Das mit der Spinne ist mir persönlich übrigens auch ziemlich schwer gefallen. Auf der einen Seite gehöre ich zu den Loosern, die ihre Freundin rufen, wenn sie in der Wohnung eine Spinne entdecken (was hier in der Stadt zum Glück selten ist - ganz im Gegensatz zu dem Bauernhof ihrer Eltern ... da habe ich schon so manches Trauma in Form von handtellergroßen Kellerspinnen aufgesammelt, wie sie nachts direkt an meine Füßen vorbei über das Bett wanderten...). Auf der anderen Seite kann ich es auch nicht ertragen, wenn sie die Tiere dann umbringen will - daher bringe ich ihr dann immer ein Glas, in dem sie die Spinne einfangen und draussen auf dem Flur unserem Nachbarn vor die Tür setzen kann.... Es wäre einfach nicht fair, dass die Spinne sterben muss, weil ich sie nicht in der Wohnung haben kann. Vielleicht ist dieses Trauma der Ursprung für die Abrechnung durch die Kerze... :D

Jetzt aber zum Textlichen - wie immer gibt es keinen Kommentar zu allem, was ich dankend übernehme:

"meinst Du »jenes komische Getier mit dem langen, zweigartigen Körper« (ein spezielles) oder »jene (alle) komischen Getiere mit langen, zweigartigen Körpern«?"

Ich meinte alle. ;)


"»In dem herannahenden Abend bemühten sich schwere Schneeflocken vor dem dunklen Grau des Himmels «
– »In dem … Abend« klingt irgendwie komisch, Vorschlag: Schwere Schneeflocken bemühten sich vor dem dunklen Grau des Abendhimmels …"

... hab mal eine Mischung aus beidem kreiert.


"»„Hey, wird Zeit fürs Bett, meinst Du nicht?“«
– du"

Oh Mann, ich sollte mich daran gewöhnen, das 'Du' auch im normalen Schriftverkehr klein zu schreiben - das soll doch inzwischen eh korrekt sein? Naja, dieses Groß-Klein-Chaos ist echt nervig... :shy:


– normal hast Du die langen Gedankenstriche – hier aber einen kurzen

Wie mach ich das in Word? Ich habe immer nur auf die '-' gedrückt?

"»Sie lächelte und als er dies sah«
– die dies-Formulierung sparst Du Dir z. B. durch »Als er sie lächeln sah«"

Ich weiß nicht - im Flow der Geschichte finde ich den Satz so ganz gut, weil es für den Leser ja eine Überraschung ist, dass er neben ihr liegt. In allen anderen Versionen, die ich aus dem Satz gemacht habe, gelang mir dieser Übergang nicht so, daher würde ich diesen Satz erst einmal so lassen.

"nicht eher »dem hektischen Treiben der Blutbahnen in seinem Kopf«?"

Ich weiß nicht - ist es nicht eher ein Treiben auf einer Bahn - wie z.B. der Stau auf der Autobahn und nicht der Stau der Autobahn?

"»als er mit Tränen in den Augen neben ihr auf dem Bett, neben ihr am Strand der Insel gelegen hatte.«
– würde ein »oder« statt dem Beistrich schreiben"

An dieser Stelle gefällt mir der Beistrich besser, weil er intensiver (auch in Hinblick auf seine Gefühle) wirkt

– »adaptierten« würde ich streichen,

okay, das ist sicher stimmig :shy:


Wie gesagt, das mit den Gedankenstrichen habe ich einfach noch nicht raus - ich copy and paste einfach den gesamten Text in das kg.de-Fenster; keine Ahnung, warum da verschiedene Striche rauskommen (oder mache ich was in Word falsch?)

Auf jeden Fall muss ich mal wieder bewundern, wie scharf Deine Augen sind und daher vielen lieben Dank fürs Lesen, Loben, die Kritik und Korrektur! :)

Lieb Grüße, baddax

 

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