Lack
Mühsam griff sie nach dem Taschentuch um ihr Nase zu schnauben.
Jetzt war sie schon fast eine Woche krank und fühlte sich immer noch nicht besser. Eher sogar noch schlechter. Das Fieber war erst am vorherigem Abend ausgebrochen und hatte sie samtweich in eine andere Welt gedrängt...
Vorsichtig erhob sie sich, um die Fernbedienung zu holen. Langsam bewegte sie ihren Kopf, bei jedem Zentimeter rächte dieser sich mit einem ziehendem Schmerz. Sie lief ein paar Schritte, aber die Fernbedienung war immer noch nicht in Sicht. Sie stolperte über die Wärmflasche, die sie am vorherigem Abend wegen der Hitzewallungen wieder aus dem Bett geworfen hatte. Sie stürzte auf ihre Knie, wobei sich der Tipsi schmerzhaft in ihr linkes bohrte.
Gefunden...
Die Fernsehzeitung hatte quer darüber gelegen, sodass er verborgen gewesen war.
Eigentlich mochte sie ihre Wohnung, die größtenteils mit hellen Farben eingerichtet war, doch in diesem Augenblick verfluchte sie diese, soweit ihr das mit dem brummendem Schädel möglich war.
Nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte, griff sie die Fernbedienung, humpelte zum Fenster und öffnete es. Draußen sah es aus wie in einem Bilderbuch. Die Sonne schien durch die Blätter der Bäume und ihre strahlen mahlten helle Bilder auf den Waldboden, eine leichte Brise wehte. Schlagartig fühlte sie sich besser. Sie öffnete die Tür, die sich neben dem Fenster befand und trat Barfuß nach draußen auf den aufgewärmten Waldboden. Sie blinzelte einige male, da die Sonne sie blendete und fing dann an zu laufen. Frische Luft durchflutete ihre Lunge und ihr Haar wehte im Wind. Tanzend bewegte sie sich fort, bis sie an einer Lichtung ruckartig stehen blieb. Ein Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht.
„Ein Reh... und noch eins“, murmelte sie. Langsam ging sie auf eines zu und streckte behutsam ihre Hand aus. Mit schönen Augen und langen Wimpern beobachtete sie das Reh, auf das sie zuging.
„Isabell...“, flüsterte dieses leise. Verstört zuckte sie zusammen und starrte dem Reh in die Augen.
Hat es gerade meinen Namen genannt?
Sie spürte, wie die Sonne auf ihrer Haut anfing zu brennen, am liebsten hätte sie sich das dünne Kleidchen vom Leib gerissen und wäre in einen eiskalten Fluß gesprungen.
„Isabell!“, wiederholte das Reh jetzt lauter...
Verschwommen tauchte das Gesicht ihres Freundes vor ihr auf: „Isabell...?“ Sie wollte sich bewegen, doch ihr Decke hatte sie wie ein Paket eingeschnürt. Vorsichtig half ihr Freund ihr aus der Verknotung. Ihr war heiß und einige Tropfen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet.
Sie setzte sich mit ein wenig Hilfe auf und starrte aus dem Fenster. Ihr Freund hatte es einen Spalt breit geöffnet. Es regnete in Strömen.
Nur der Lack von den Autos die vorbei fuhren blinkte einen kurzen Moment im Schein einer Straßenlaterne auf.
Samtweich, Lack, Bilderbuch, Fernbedienung, Taschentuch