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Die letzte Blume

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06.04.2006
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Die letzte Blume

Wieso fehlt mir eigentlich diese Fähigkeit, nach dem ersten Klingeln des Weckers sofort aufzustehen? Es kann doch nicht sein, daß ich schon das dritte Mal in dieser Woche verschlafe. Wütend betrachte ich mich selbst beim Zähne putzen im Bad und verfluche den kommenden Tag. Es verbleiben noch 8 Minuten bis der Bus fährt. Wie soll ich das bloß noch schaffen? Das Frühstück werde ich weglassen, das kann nachgeholt werden. Also habe ich für alle anderen Dinge inklusive Rasieren noch 5 Minuten übrig. Den Rest brauche ich für den Fußweg bis zur Haltestelle.

Diese verdammte Eile vermiest mir die sowieso schon schlechte Laune. Ich mag es nicht, wenn ich so Hetzen muß. Für die Rasur fehlt nun auch noch die Zeit. Ich beschränke mich im Bad auf die grundlegendsten Dinge. Der Rest ist im Moment schlicht und ergreifend egal. Die Arbeit lenkt mich ja wenigstens ab, also werde ich auch nicht zu spät kommen.

Gleich im Bus sitzen dann die gleichen Visagen wie immer. Ich nenne sie seit kurzem die Zombies. Die sehen immer gleich aus. So richtig ist mir das erst in letzter Zeit aufgefallen. Die sitzen auf den gleichen Plätzen und zeigen jeden Tag das gleiche tumbe Gesicht. Sie haben kein ich mehr. Die funktionieren nur noch wie Maschinen - wie am Reißbrett geplant und entsprechend gefertigt. Sie sprechen nicht. Sie sitzen nur da wie immer und warten regungslos auf den Tod.

Während mir diese Gedanken durch den Kopf geistern ziehe ich mich überhastet an. Irgendwie geht mir das alles so fürchterlich auf die Nerven. Mittlerweile hasse ich sogar diese Mitfahrer. Es dauert nicht mehr lang und ich werde wieder kurz Teil dieser lebend verwesenden Gruppe sein. Es ödet mich einfach nur an.

Ich stehe vor der Außentür und werfe einen hastigen Blick zurück. Das Haus ist so leer und so kalt ohne Renate. Kein Leben darin, keine Liebe und keine Zukunft. Die Diagnose Krebs kam viel zu spät. Alles stirbt in meiner Nähe. Ich bemerke, daß die letzte Blume nun auch verreckt ist. Nur ich bin scheinbar das Immergrün.

Ich schaue kurz auf die Armbanduhr und gehe schnell los. Es ist windig und es regnet stark. Auf halber Strecke fällt mir ein, daß ich meine Tabletten nicht genommen habe. Für was soll ich die eigentlich noch nehmen?

Der Hausarzt will mich zum Psychologen schicken, wenn ich so weitermache. Dieser arrogante Quacksalber! Anfangs gab er mir eine CD mit Entspannungsmusik. So ein Gedudel mit Xylophon, gezupfter Guitarre und Meeresrauschen.

Ich brauche aber keine Entspannung, sondern ein Leben zurück! Bis dahin betäube ich mich. Jeden Morgen und jeden Abend nochmal. Wenn das nun Trauer ist, dann bitte schön.

Ich steige in den Bus und kenne plötzlich die Lösung. Nichts erwartet mich zurück. Gleich bin ich bei ihr. Zwei Haltestellen weiter, wo die Straße so abschüssig ist, verlasse ich den Bus. Die viel befahrene Straße wird nun mein Schicksal sein. Den nächsten Lastzug werde ich nehmen. Es ist still. Tropfen prasseln auf mein Regencape. Ich renne auf die Straße. Der Fahrer hat keine Chance. Mein Leib wird durch die Wucht zerschmettert.

Ich sehe die Stelle von oben, das ganze Ausmaß. Der Lastzug steht im Gegenverkehr und hat zwei PKW zermalmt. Ich spüre die Anwesenheit anderer Seelen, hier gestorben wie ich. Getötet durch meine Schuld. Ich möchte weinen und um Vergebung bitten, doch die anderen Seelen sind fort. Ich werde wohl auch gleich geholt.

 

Die Worte:

Regencape
Xylophon
immergrün
Reißbrett
hetzen

Guten Abend! Vorstehend mein erster Versuch. Mit Kritik muß sich niemand zurückhalten, und es würde mich freuen, falls andere Leser und Autoren einem "Newbie", also mir, ein Feedback schenken.

 

Vielen Dank für deine Beurteilung. Wenn ich jetzt mit ein wenig
zeitlichem Abstand dies noch einmal lese gebe ich dir in allen Punkten
recht. Es ist alles überhastet und der Leser wird mit der
Geschwindigkeit der Ereignisse überfordert. Bevor man sich in den Prot
hineindenken kann ist die Story schon vorbei.

Als ich den Text schrieb wollte ich in jedem Falle, daß der Leser am
Ende ins Grübeln kommt. Beim Schreiben sollte meinerseits die zentrale
Aussage in der Story sein: "Getötet durch meine Schuld. Ich möchte
weinen und um Vergebung bitten, doch die anderen Seelen sind fort. Ich
werde wohl auch gleich geholt."

An der Stelle dachte ich, daß Leute darüber nachdenken würden, wie daß
mit dem Thema aussehen würde "die Verantwortung eines Selbstmörders".
Der Prot entscheidet sich fast spontan zum Selbstmord und mißachtet
dabei die Möglichkeit, daß andere Menschen / Familien durch seine
selbstgewählte Hinrichtungsart in ein ähnliches oder fast gleiches
Schicksal gedrängt werden. Es ist ja arrogant und selbstverliebt sich
auf einer Landstraße vor einen LKW zu werfen.

Ich war der Ansicht, daß es evtl. ganz spannend wäre sich beim lesen zu fragen: wer holt denn nun die Seele ab (unter Berücksichtigung der Spiels "Wörterbörse")?

Eine Frage grundlegender Natur habe ich auch noch: als "Rookie" und
Anfänger sehe ich mich nicht in der Position andere Beiträge mit einer
kompetenten Kritik bewerten zu können. Wie geht man am besten vor?

 

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