Und hier sind die Gewinner...
Und hier, ganz unweihnachtlich, präsentieren wir die Ergebnisse des “Bewusstseinsstrom-Challenge”. Es hat nun doch etwas länger gedauert, bis es zu diesem Abschluß kommen konnte, die Gründe sind hauptsächlich bei mir als Moderator zu suchen: mit verschämter Bitte um Nachsicht.
Die Jury bestand aus Anea, Angua, Blackwood, Existence, Juschi und Kristin. Vielen Dank von meiner Seite an die Juroren, deren intensive Auseinandersetzung mit den Texten zu ernsthaften und durchdachten Kritiken führte.
Mit einundzwanzig eingereichten Texten bewegt sich dieser Challenge eher in einem Mittelfeld, was die Aufnahme angeht. Das mag an der von vielen Teilnehmern als anspruchsvoll gesehenen Vorgabe gelegen haben. Die Geschichte eines Antihelden im Stil des Bewusstseinsstroms.
Wie in den Vorgaben ja auch deutlich gemacht wurde, haben wir den Begriff “Bewusstseinsstrom” sehr weit gefasst, darunter durchaus auch “Innerer Monolog” und “Erlebte Rede” verstanden. Kaum verwunderlich — hatten wir doch alle unsere unterschiedliche Ansichten, worin sich ein vorbildlicher SoC auszeichnet. In jedem Fall: die Ergebnisse waren erstaunlich. Fast überall sieht man die intensive Auseinandersetzung mit der Vorgabe; mit dem Stil wurde experimentiert, wir hoffen, ihr hattet eure Freude daran und habt (nicht zuletzt) die Möglichkeit genutzt, einmal ganz anders zu schreiben.
Mehr Sorgen bereitete uns der Antiheld, der vielleicht manchmal in einen Bereich des negativen Helden abzudriften drohte, einem Helden der bösen Sache sozusagen.
Erstaunt waren wir, daß keine Science-Fiction-Geschichte Eingang gefunden hat, auch andere Sparten waren auffallend unterrepräsentiert, namentlich eine Western-Geschichte wurde deutlich vermisst.
Uns hat es Freude bereitet, die Texte zu lesen, wir hoffen, auch ihr hattet beim Schreiben und Überarbeiten eurer Texte viel Vergnügen.
Gratulation an die Gewinner, und frohe Weihnachten an alle!
Und hiermit präsentieren wir sie, die (unserem komplizierten Wertungssystem nach) sieben besten Texte:
7. Platz: “Ratten” von Sturek
Mit einer der interessantesten Texte, was die Technik des Bewusstseinsstrom angeht: ein assoziatives Spiel hohler Phrasen, das letztlich in halluzinative Überreizung mündet, und einen Quasi-Untergang des Protagonisten vermuten läßt.
Dass es sich bei diesem jedoch eher um einen psychisch Kranken, denn einen mustergültigen Antihelden handelt, hat die Wertung dann doch etwas gedrückt. Von jemandem, der hauptsächlich auf den eigenen Vorteil bedacht ist, ist weniger zu spüren; einer älteren Dame gegen den Fuß zu treten, macht nun einmal keinen Antihelden aus.
Auch die Wahrnehmung der Umwelt und die Reaktion auf diese ist eher der Psychose, denn dem Charakter eines Antihelden zuzuschreiben.
Weitere Stimmen der Jury:
- Klassischer innerer Monolog, teilweise schöne Wort-/Themenüberleitungen. Von der Charakterisierung her etwas zu einfach.
- Deutliche SoC-Elemente sind ebenfalls gestreut, der Verfasser spielt stilistisch. Die sprachliche Umsetzung ist angemessen flapsig (eine Gratwanderung).
- Für mich eine der besten Geschichten dieses Challenges, sprachlich hebt sie sich deutlich von den meisten anderen ab […].
- Teilweise sehr schöne Wortspiele und Themenüberleitungen innerhalb des SoC. Eine etwas einfache Charakterisierung und ein im Horror-Genre eher gewöhnlicher Plot schmälern die Gesamtleistung.
- Stilistisch sehr gut, der etwas flach charakterisierte Protagonist verliert jedoch zunehmend an Antiheldcharakter und endet in seinen Wahnvorstellungen - wohl eher die Darstsellung eines Krankheitsbilds. Handlung ist leider kaum vorhalten, das schmälert jedoch nicht das Lesevergnügen. Ansonsten amüsant, unterhaltsam, schöner SOC.
6. Platz: “Eingekreist” von Antonia
Der Protagonist dieser Geschichte schlendert durch einen zunächst idyllischen Park. Zunehmend entdeckt er Ähnlichkeiten zwischen den Parkbesucherinnen und Frauen aus seiner - nicht gerade rühmlichen - Vergangenheit, bis er schließlich erkennen muss, dass es sich tatsächlich um diese Frauen handelt, die sich zusammengetan haben, um sich zu rächen. Das offene Ende läßt Schlimmes für den Protagonisten ahnen.
Die Charakterisierung des Antihelden gelingt gut, hier wird schnell klar, dass das Verhalten des Protagonisten nur auf den eigenen Lustgewinn abzielt, völlig rücksichtslos gegenüber dem Willen seiner jeweiligen Partnerinnen - besser: Opfer. Körperliche Mißhandlung und Vergewaltigung sieht er gar nicht als solche an, sondern als sein gutes Recht, der ebenfalls mit eingebrachte Rassismus reicht allerdings im vorhandenen Ausmaß nicht dazu aus, die Charakterisierung zu verbessern, sondern weist eine gefährliche Klischeenähe auf.
Auch der Bewusstseinsstrom ist größtenteils gut umgesetzt. Schöne Assoziationen ahmen den natürlichen Gedankenfluss nach (öliges Shampoo - Ölpest - Greenpeace; Segelohren - Matrosenhemd; …). Einige der vollständigen Sätze wirken allerdings noch etwas zu schriftsprachlich.
Insgesamt eine gute Geschichte, der es allerdings nicht schaden würde, noch etwas länger zu werden.
Weitere Stimmen der Jury:
- Die Geschichte ist die Aufnahme eines kurzen, eigentlich unspektakulären Zeitabschnitts; leider bricht sie vor ihrem Höhepunkt ab- Schade! Das offene Ende ist hier völlig unangemessen.
- Diese Geschichte fand ich erzähltechnisch sehr ansprechend. Insbesondere die assoziativen Gedankenketten sind nett — vom Duschgel zu Greenpeace, vom Radfahren zum Radler.
- Stilistisch eine der herausragenden Geschichten, nur erscheint sie kaum vollständig. Man kann sich die Zusammenhänge zwar denken, ein wenig mehr hätte aber nicht geschadet. Schade!
- Herausragender Stil, erfüllte Vorgaben, schön zu lesen. Und dann hört es auf, bevor es angefangen hat… als Anfang schön, als vollständige Geschichte leider zu unfertig.
5. Platz: “Nix wie weg” von Häferl
Sowohl die Vorgabe des Antihelden als auch des Stream of Consciousness hält die Jury in dieser Geschichte für gut umgesetzt.
Beim Protagonisten handelt es sich um einen alltäglichen Vater und Ehemann, der erst durch die Situation des Unfalls und das Begehen der Fahrerflucht zum Antihelden wird — ein großes Plus dieser Geschichte. In das Lob mischt sich ein kleines Quäntchen Kritik an der Person des Antihelden deshalb, weil nicht allein egoistische Motive ihn zur Tat motivieren, sondern das Wohlergehen anderer Menschen eine Rolle spielt (”Du hast Familie, Verantwortung”, “Wenn du dich meldest, ziehst du Ingrid, Florian und Jasmin mit ins Unglück.”).
Insbesondere im Vergleich zu den anderen Challenge-Beiträgen ist die Länge der Geschichte positiv hervorzuheben. Sie ermöglicht, unterschiedliche Stationen des Scheiterns ihres Antiheldens als Konsequenz seiner Flucht darzustellen und an ihnen entlang den Handlungsstrang zu entwickeln. Dass die Spannung aufgrund der Länge der Geschichte leidet, ist aufgrund der guten Lesbarkeit der Geschichte durchaus zu vernachlässigen.
Das Ende ist konsequent, wenn auch etwas drastisch. Gerade der Schluss der Geschichte liefert allerdings einen Kritikpunkt, der sich innerhalb der Geschichte mehrfach formulieren lässt: Der Text vermittelt an vielen Stellen moralische Hinweise, macht dem Leser zu sehr deutlich, dass das Handeln des Protagonisten falsch ist.
Der versuchte Bewusstseinsstrom wird von der Jury ebenfalls positiv bewertet, auch wenn er nicht an allen Stellen konsequent durchgehalten wird. Gelungen sind insbesondere die Stellen, in denen er eingesetzt wird, um die zwiespältigen Gedanken des Protagonisten zum Ausdruck zu bringen. Erwähnenswert ist hier die Passage, nachdem der Protagonist das Mädchen entdeckt hat und sein Schrecken sich mit seinem Verstand, sein Impuls zur Flucht sich mit seinem Verantwortungsgewühl abwechselt, aber auch die folgende Autofahrt beim Hören der Musik ist überzeugend dargestellt.
Ganz unabhängig von der guten Erfüllung der Vorgaben sind uns inhaltlich einige Elemente aufgefallen, die wir als zu konstruiert und wenig wahrscheinlich bewertet haben. Beispielsweise die Angst des Antihelden, im Schlaf zu reden, und die prompte Bewahrheitung dieser Sorge.
Irritationen haben außerdem die sehr aufbrausenden und letztendlich gewalttätigen Verhaltensweisen des Protagonisten gegenüber seiner Frau ausgelöst, die nicht allein durch seine Angst zu erklären sind. Offen bleibt die Frage, warum das Mädchen nach dem Unfall keine große Rolle mehr in den Gedanken und Befürchtungen des Protagonisten spielt (Ist es gefunden worden? Wie geht es ihm?). Es passt in das Bild eines herkömmlichen Antihelden, sich nur um sein eigenes Wohl zu kümmern, nicht aber zu seiner realistischen, moralischen Variante, die in dieser Geschichte so gut dargestellt ist. All diese inhaltlichen Einwände ließen sich — falls gewollt — durch kleine Überarbeitungen ausräumen und schmälern kaum das positive Gesamtbild dieser Geschichte.
Weitere Stimmen der Jury:
- Überdeutliche Moral, in der Regel durchgängiger SOC, fraglicher Antiheldcharakter. Die Länge der Geschichte nimmt ihr leider einiges an Spannung. Stilistisch sauber.
- Sehr moralsauer, aber solide.
- Ein Protagonist, der durch ein Erlebnis und eine feige Entscheidung zugrunde geht. Durch ein schlechtes Gewissen, das ein Antiheld nicht haben sollte.
- Leider wird am Schluss die Dramatik des Geschehens über ihren Höhepunkt hinaus überzogen und endet im Nichts. Eine unerwartete Auflösung, eine plötzliche Konklusion hätten dem Geschehen absoluten Feinschliff gegeben, aber dieses Ende bedeutet das Gegenteil.
- Die Anspannung des Prot durch den zu vertuschenden und die Übertragung auf sein Umfeld werden konsequent gesteigert und sprachlich gelungen umgesetzt.
- Eine routiniert gestrickte Demontage eines eigentlich ganz normalen Menschen bis hin zu seinem Entgleisen in die Aggression.
4. Platz: “Himmel nur zu dienen” von lukas_iskariot
Bei kaum einer Geschichte war sich die Jury so uneins wie bei dieser. Top Drei? Alternativpreis? Völlig unverständlich? Rigoroses ’Thema verfehlt’? Und dies bleibt die für die Jury relevante Frage: Sind die Vorgaben erfüllt?
Elemente des Stream of Consciousness sind zweifellos vorhanden: Die Gleichzeitigkeit von Eindrücken und Erinnerungen, das ungewöhnliche Visualisieren von Wahrnehmungen, formale Spielereien wie unvollendete Sätze, wechselnde Tempora, Verwendung von anderen Kunstformen (Lied, Coda). Und dennoch ist der Text kaum aus der Bewusstseinssicht des Protagonisten gegeben. In wiefern dies gewollt ist — um z.B. aufzuzeigen, dass der Protagonist seine Sicht (sein Bewusstsein) über alles inklusive seiner selbst erhebt — geht nicht immer eindeutig aus dem Text hervor.
Ebenso fragwürdig bleibt die Vorgabe des Antihelden. Definiert er sich durch den Wunsch, sich zu entmenschlichen, sich über Mensch und Tod und Religion stellen zu wollen? Ist die Situation, mit der er sich konfrontiert sieht, das Leben selbst oder der Tod seiner Liebe? Wird er Antiheld, wenn er in seiner Trauer scheitert und in seinem Wunsch nach Entmenschlichung zu bewusstseinserweiternden Drogen greift, Ekel allem Fleischlichen gegenüber äußert und letztlich beim Vanitas-Motiv hängen bleibt?
In dem Charakter, insofern er in seiner Motivation überhaupt fassbar ist, erkennt man einen Misanthropen, der weniger die Menschheit hasst, sondern vielmehr das Mensch-Sein als solches. Den Antihelden wird man nur mit Mühe und viel Wohlwollen darin erkennen.
Somit wird die Frage nach der Erfüllung der Vorgaben eine rein formale bleiben.
Das (große!) Plus der Geschichte zweifellos die reine sprachliche Eleganz und das ambitionierte Bemühen, etwas Ungewöhnliches zu schaffen. Dass das Verständnis bei den meisten Lesern dabei auf der Strecke blieb, mag der Leser dem Autoren ankreiden, der Autor hingegen dem Leser. Darüber zu urteilen, fühlt sich die Jury nicht berufen.
Weitere Stimmen der Jury:
- Die Geschichte zeichnet ein gigantisches Vanitas-Bild. Ohne dem Detail gerecht zu werden kann man ihr somit einen globalen Anspruch unterstellen, eine Aufzeichnung der Agitation des Antihelden “Mensch”. Damit sprengt sie den gesetzten Rahmen, und leider an mancher Stelle, sei dies auch erwünscht, ihren eigenen.
- Die Assoziationsstränge erschlagen beinahe in ihrer Bildgewalt und entziehen sich mir bisweilen der Zuordnung zum Konkreten. Stellenweise grandiose Verknüpfungen und Sprachbilder.
- Sprachlich überragend, Vorgaben sehr frei umgesetzt und zur Unkenntlichkeit überspitzt. Die mit Abstand innovativste, aber auch schwierigste Geschichte des Challenges.
- Meinem beschränkten Verständnis vollkommen unzugänglich. Vorgaben erfüllt? Keine Ahnung.
- Die Vorgaben (”Bewusstseinsstrom” und “Antiheld”) werden nicht nur erfüllt, es findet eine spielerische Auseinandersetzung mit ihnen statt, ihre Grenzen werden ausgedehnt und möglicherweise auch überschritten. Allein der Versuch hebt die Geschichte, die sich zudem durch ihre Dichte und ihre sprachliche Qualität auszeichnet, positiv von allen anderen ab.
- Meiner Meinung nach hätte diese Geschichte gar nicht erst diskutiert werden dürfen, da sie nicht einmal ansatzweise auf eine Umsetzung des Bewusstseinsstroms zielt - schon formal ist sie ungenügend.
3. Platz: “Winterstarre” von Goldene Dame
Diese Geschichte spielt in Echtzeit — ein schöner Effekt, der dem angenehm umgesetzten SOC zuzuschreiben ist. Dieser bröckelt zwar bei genauem Hinschauen an einzelnen Stellen, ist aber ansonsten gut umgesetzt und schön in die Geschichte eingeflochten; werden so doch kunstvoll nötige Informationen transportiert. Der Text an sich ist sehr kompakt und vermittelt dem Leser in wenigen Zeilen alles Nötige, die Protagonistin wirkt plastisch und glaubhaft.
Der (immer auf seinen Vorteil bedachte, uneinsichtige) Antiheld-Charakter kommt hingegen weniger zur Geltung. Der Text ist leider zu kurz, um zwischen der wahren Antiheldin oder einer überforderten suchtkranken Mutter unterscheiden zu können. Aufkeimende, aber noch unterdrückte Gewissensbisse weisen darauf hin, dass die Protagonistin ihr Antiheld-Sein bald erkennen und verurteilen könnte. Dies wird im Text jedoch nicht mehr behandelt; mit den Vorgaben wird daher nicht gebrochen.
Thematisch weiß die Geschichte zu überzeugen. Der selbstverschuldete Tod des eigenen, in vieler Hinsicht missbrauchten Kindes stellt einen interessanten Ansatz für die Umsetzung der Challengevorgaben dar. Flüssig, konsequent und glaubhaft verfasst, Vorgaben angenehm neu umgesetzt — ein wohlverdienter dritter Platz.
Weitere Stimmen der Jury:
- Teilweise holperige Formulierungen, die störend herausstechen, ansonsten: ein sehr kompakter, eindringlicher Text.
- Eine sehr dichte Geschichte, die trotz der Kürze keine Lücken lässt. Sicher eingesetzter Stil mit sehr schönen Visualisierungen. Als Antiheldin aber war mir die Protagonistin der Erkenntnis viel zu nahe.
- Eine Geschichte, die mit jedem Lesen mehr Tiefe gewinnt, Schichten freilegt, eigentlich alles beinhaltet, was man in den Sensationsgeschichten der Presse über vernachlässigte Kinder liest, aber unglaublich viel subtiler.
2. Platz: “Ausgebrannt” von dotslash
Diese Geschichte zeigt vorbildlich, dass ein Charakter, der in einer reinen Erzählung hart am Rande des Klischees agieren würde, im gekonnt eingesetzten Bewusstseinsstrom an Lebendigkeit und Plastizität gewinnt. Es macht Spaß, dem Protagonisten durch seine kleinen wie großen Alltags- und Berufssorgen zu folgen. Kleine Ausrutscher wie das viel zu deutliche “Was ist aus dem Feuer für die Sache geworden, der Begeisterung für den Menschen und dessen Psyche?” sind neben den beispielhaft eingesetzten Leitmotiven (das Weiß der Wände) leicht zu verkraften. Auch vor unschönen Stilblüten wie ’—Örps—’ verschlossen wir wohlwollend die Augen.
Der Antiheld zeigt sich viel deutlicher im beruflichen Scheitern als in der eigentlichen Handlung. Hier war sich die Jury (fast) einig, dass der Schluss, das Entsorgen der Leiche, ins leider zu Gewöhnlich-Lächerliche abdriftet. Damit wirkt die saubere Charakterisierung eines Menschen, der sich längst nicht mehr den therapeutischen Pflichten am Mitmenschen berufen fühlt, etwas verschenkt. Der reine Handlungsverlauf der Geschichte bleibt hinter den (hohen) Erwartungen zurück.
Ein Manko, das die Gesamtsicht auf die Geschichte nicht schmälern darf, und die intuitiv sichere Umsetzung der Vorgaben rechtfertigt die hohe Platzierung allemal.
Weitere Stimmen der Jury:
- Bildlich sind die “Fleckreferenzen” und die Reinlichkeitsbezüge gelungen, inklusive dem Umschwung zu Schmutz, Verwesung und Übelkeit.
- Gelungen, dass im Bewusstseinsstrom innerhalb des Settings rigide Elemente schwimmen, zwischen denen sich der Protagonist versteckt. Die Maske des scheinbar peniblen Antihelden zerbricht, als eines seiner Opfer den Schlamm auf dem Grund aufwühlt, wird jedoch notdürftig wieder zusammengesetzt.
- Sehr schöner und sicherer SOC. Abzug wegen anfänglichen Klischeebeschreibungen, im Laufe des Texts entwickelt der Prot jedoch mehr Persönlichkeit.
- Stilistisch ist die Geschichte gelungen. Schade, dass auch diese Handlung sich überzieht und damit ins Klischeehafte abdriftet; die Leiche im Teppich hat es gar zu oft schon gegeben.
- Redewendungen werden gekonnt in flüssigen Text eingebettet, die sonst nur im mündlichen Sprachgebrauch verwendet werden.
1. Platz: “Aus dem Kalender gestrichen” von bernadette
Die Wahl des ersten Platzes fiel der Jury auffallend leicht. Hier wurden die Vorgaben gut umgesetzt und in eine unspektakuläre, unterhaltsame Geschichte verpackt.
Die Protagonistin befindet sich an einem nebligen Morgen auf dem Weg zur Weinlese. Daß die Schülerin darauf keine wirkliche Lust hat, versteht sich (beinahe) von selbst, weshalb sie das Unternehmen auch recht bald wieder verwirft. Trampend arbeitet sie sich voran, begegnet Menschen, vor allem mit Unfreundlichkeit und kann am Ende ihrem Freund, dem Retter in der Not, nur noch eine saftige Abfuhr erteilen. Nachdem er sie nach Hause gebracht hat, natürlich.
Unnachgiebig sieht die Protagonistin in ihrer Umgebung nur die negativen Seiten. Solange es ihrer eigenen Situation nützt, gibt sie sich freundlich, hat sich der Nutzen allerdings verbraucht, verhüllt sie ihre eigentlichen Gefühle nicht mehr länger.
Der gut funktionierende Bewusstseinsstrom arbeitet mit vielen Assoziationen, reißt Gedanken an und liefert so ein stimmiges Gesamtbild der Protagonistin.
Die Dialoge heben sich durch eigene Sprache hervor und bilden einen deutlichen und aufschlussreichen Kontrast zu den Gedanken der Protagonistin. In diesem Kontrast offenbart sich der (kaum ungewöhnliche, aber extreme und lebendige und nahe) Egoismus dieser Antiheldin.
Herzlichen Glückwunsch!
Weitere Stimmen der Jury:
- Nach einem etwas zähen Einstieg eine sehr schön zu lesende Geschichte mit Sinn für Atmosphäre, Details und vor allem Charakter. Eine leichte Entscheidung für Platz eins.
- Diese Geschichte hat mir gefallen. Sie ist schön erzählt, die assoziativen Gedankensprünge haben mich überzeugt.
- Spannend durch die anfängliche Unklarheit, ob der Handlungsverlauf die Protagistin auch über einen Tag hinaus als Antiheldin rechtfertigen kann — und er kann!
- Vorgaben ungewöhnlich alltäglich umgesetzt, gut charakterisierte Prot, angenehm konsequente Geschichte. Und nicht langweilig!