Mitglied
- Beitritt
- 17.03.2005
- Beiträge
- 84
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Ein Wochenende bei Oma und Opa
Ein paar goldene Strahlen fielen schräg in den Raum, und kitzelten Paul an der Nase. Der kleine Junge öffnete blinzelnd die Augen, und nieste schläfrig.
Wo war er denn bloß? Er lag unter einer dicken, warmen Federdecke, die ihm bis unters Kinn ging und unter den Armen festgestopft war. Ihm war sehr heiß, er hatte einen dicken Wollschal um den Hals gewickelt, und sein Schlafanzug klebte an seinem Rücken. Langsam setzte er sich auf.
Plötzlich wehte ihm der köstliche Duft von frisch gekochter Himbeergrütze in die Nase. Er war bei seinen Großeltern! Seine Mutter musste wegen ihrer Arbeit verreisen, und hatte ihn wie immer zu Oma und Opa gebracht. Paul war jedes Mal ein bisschen traurig, wenn seine Mutter verreiste, aber er freute auch, denn sie fotografierte immer eine Menge und bracht ihm viele Bilder von fremden Städten mit. Außerdem war er sehr gerne bei seinen Großeltern. Diesmal hatte sie sich ein bisschen Sorgen gemacht, weil es Paul nicht gut ging. Aber Oma war früher einmal Krankenschwester gewesen und war mit Leidenschaft dabei, wenn es darum ging eine Grippe zu vertreiben. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es später Nachmittag war. Die paar Stunden Schlaf hatten ihm gut getan, und er fühlte sich schon ein bisschen besser als am Vormittag.
„Oma!“, rief Paul, „ich bin wach!“ Paul hörte, wie in der Küche mit Töpfen und Bratpfannen hantiert wurde, dann vernahm er die kleinen Schritte seiner Großmutter auf dem alten Holzfußboden des Flurs. Die Dielen knarrten unter ihren Füßen, und Paul war froh, dass es nicht dunkel war, denn dann hätte er sich gefürchtet.
Heute aber musste er lachen, als seine Oma durch die Tür trat. Sie trug einen wild gemusterten Morgenrock, einen maisgelben Strohhut und hatte ihre riesige Lesebrille mit den dicken Gläsern auf. Irgendwie sah sie aus wie ein fröhlicher, rundlicher, Käfer fand Paul. Sie hatte große rote Topflappen an den Händen, und trug eine kleine Schüssel, aus der es sehr verführerisch roch.
„Na, kleiner Mann, was gibt es denn da über deine alte Oma zu lachen?!“, brummelte sie gutmütig, „wenn du nicht lieb bist, dann bekommst du keine Grütze, sondern Lebertran, so wie ich früher.“ Sofort war Paul still. Er konnte es gar nicht erwarten, endlich an sein Lieblingsessen zu kommen, denn gerade erst hatte er bemerkt, wie hungrig er war.
Leider musste er mit ansehen, wie seine Oma den Topf samt Löffel auf den Nachtisch stellte, und ein Fieberthermometer aus ihrer Kitteltasche zog.
„Hey“, protestierte Paul, „ich habe Hunger!“
„Nichts da, erst wird Fieber gemessen. Mit so einer Erkältung ist nicht zu spaßen Paulchen! Was soll deine Mama sagen wenn sie dich Montag abholt, und du bist nicht mehr erkältet, sondern todkrank? Das wäre ja noch schöner. Und jetzt keine Widerrede, Mund auf!“
Widerwillig ließ Paul die Prozedur über sich ergehen, schielte aber immer wieder sehnsüchtig zum Nachttisch herüber.
„Aha!“, lächelte Pauls Oma zufrieden, als es endlich gepiept hatte, „Dein Fieber ist ein bisschen gesunken, tut dir der Hals noch weh?“ „Ein bisschen“, gab Paul zu, „aber kann ich jetzt essen, bitte?“
Seine Oma half ihm aus dem Bett, und wickelte ihn sorgfältig in einen Bademantel, bevor sie den Topf mit der Grütze vor ihn stellte. Fast feierlich drückte sie ihm den Löffel in die Hand.
Ein paar Minuten war nichts außer dem regelmäßigen Ticken der Uhr und dem gelegentlichen Kläffen von Omas und Opas Dackel Felix zu hören, der draußen im Garten Mäuse jagte.
Schließlich fragte Oma stolz: „Schmeckt’s dir? Die Himbeeren sind aus Opas Garten, die letzten dieses Jahr.“ Was für eine Frage, natürlich schmeckte es, und wie!
Als er fertig war, lehnte sich Paul seufzend in seine Kissen zurück. Nachdem er eine Kleinigkeit gegessen hatte, fühlte er sich schrecklich schläfrig. Oma deckte ihn erneut sorgfältig zu, nahm den leeren Topf, und wollte gerade wieder in die Küche gehen, als Paul fragte: „Oma, wo ist eigentlich der Opa?“
„Ach, heute ist doch Freitag Paulchen, der ist wieder beim Onkel Herbert, Autorennen gucken. Aber zum Abendessen ist er wieder da. Wenn es dir dann immer noch so gut geht, setzen wir uns alle ins Wohnzimmer essen zusammen, ja? Jetzt ruh dich erst mal aus, ich mach’ dir noch schnell einen Tee.“
„Ist gut“, nuschelte Paul müde. Schläfrig kuschelte sich tiefer in seine Decke und schlief ein.
Als er wieder erwachte, war es dunkler im Zimmer, und auf seinem Bettende saß ein Plüschtier. Erstaunt setzte Paul sich auf und nahm ihn in die Hand. Es war ein kleiner, zottiger Eisbär. In diesem Moment kam Oma ins Zimmer gewuselt. „Ah, du bist wieder wach, wie schön.“. „Oma, was ist ...“, setze Paul an, aber seine Oma war schneller: „Ach, den hat Opa von Onkel Herbert mitgebracht, als du geschlafen hast. Den solltest du eigentlich erst zum Geburtstag bekommen, aber als deine Tante gehört hat wie krank du bist, hat sie sich gedacht, der muntert dich vielleicht ein wenig auf.“
„Ohja,“, sagte Paul, „der ist toll, und Opa ist wieder da!“
Ohne auf den Protest seiner Oma zu achten, stürmte er aus dem Zimmer. Er fand Opa vor der Laube im Garten, wo er gerade seine Gartenschuhe saubermachte. Paul liebte Opas Garten, auch wenn er nicht groß war. Er mochte, wie es dort im Sommer roch, weil in den Beeten viele Kräuter wuchsen. Außerdem mähte Opa den Rasen nie so kurz wie sein Papa die Wiese zu Hause, so dass manchmal braune Mäuschen durchs Gras raschelten. Schnell umrundete er den kleinen Gartenteich und fiel Opa jubelnd um den Hals. Fröhlich hob Opa ihn die Luft: „Na mein Junge, wie geht es dir?“ Aber bevor Paul auch nur den Mund aufmachen konnte, war Oma auch schon auf der Terrasse aufgetaucht. Samt Bademantel, Pantoffeln, und, wie Paul entsetzt feststellen musste, Fieberthermometer, stand sie grummelnd da und warf Opa einen missmutigen Blick zu: „Der Junge ist krank!“, und sagte zu Paul gewandt: „Komm her Paul, auf die zwei Minuten kommt es jetzt auch nicht mehr an.“
„Ach lass den Jungen doch,“ sagte Opa, „es ist August, so kalt ist es doch auch gerade nicht, was soll denn da schon passieren?!“
„Was da schon passieren soll?“, schimpfte Oma zurück, während sie Pauls Füße in die Pantoffeln steckte, „ der Junge ist krank, er sollte nicht draußen herumlaufen, und vor allem solltest du das nicht auch noch unterstützen!“
Zum Glück kam Felix in diesem Moment jaulend auf die Terrasse geschossen, sprang an Opa hoch und wuselte glücklich herum. Paul bückte sich, hob den kleinen Dackel hoch und ging mit ihm ins Wohnzimmer.
„Ich geh dann jetzt erst mal Schnittchen machen“, sagte Oma, und hörte sich nicht mehr böse an, „aber danach wird sofort Fieber gemessen.“
Es war ein sehr schöner Abend. Sie saßen noch lange zusammen im Wohnzimmer. Paul war zufrieden, er kraulte Felix hinter den Ohren. Oma hatte aufgehört ihn mit dem Thermometer zu jagen, weil seine Temperatur fast wieder normal war.
Er und Opa schauten zusammen einen lustigen Film im Fernsehen, und aßen Omas leckere belegte Brote. Oma saß auf ihrem Sessel, klapperte mit ihren Stricknadeln und erinnerte Paul gewissenhaft ab und zu daran, ein paar Schlucke von seinem Hustentee zu trinken.
Später fiel Paul todmüde ins Bett und hoffte, dass er morgen wieder ganz gesund wäre. Vielleicht könnte er mit Felix seinen Freund Tobi besuchen gehen, der neben Oma und Opa wohnte. Diese Nacht schlief er tief und fest, wobei er seinen neuen Teddybären im Arm hielt.
Am nächsten Tag, im Morgennebel, als es noch ganz früh war, schlich sich Paul mit Opa in den Garten. Sie pflückten einen großen Strauß Blumen, und stellten sie auf Omas Platz am Küchentisch. Opa half Paul, auch eine kleine Karte für den Blumenstrauß zu schreiben:
„Für die beste Krankenschwester der Welt!“