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Waschtag

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02.02.2004
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Waschtag

Montag ist Waschtag. Bruno nimmt sein Hirn aus der Waschmaschinentrommel. Auf's Schleudern hat er verzichtet, da wird sein Hirn immer so verkorkst und rauh. Da hängt er es schon lieber über Nacht zum Trocknen an seine Lebensleine.
'So bleibt es schön weich und glatt', meint er zufrieden.
Er liebt den Duft seines frisch gereinigten Speichers, streicht verzückt über den frei gewordenen Platz für neue Erinnerungen. Die alten, schmutzigen Gedanken wurden dank Waschmittel aufgelöst und weggespült. Sie sind jetzt nur noch vergessene Vergangenheit und Fischfutter. Der Geruch von Unwissen und Erleichterung breitet sich im ganzen Raum aus. Bruno steckt seine Nase ganz tief in die weissen Windungen und saugt sich den Duft von porentiefer Reinheit in seine Lungen. Während die neuen Eindrücke den frei gewordenen Platz langsam auffüllen, durchstömt ihn ein seeliges Glücksgefühl. Als Bruno die vor Wonne geschlossenen Augen wieder öffnet, erblickt er zu seinem Entsetzen am hinteren Ende des Stammes doch tatsächlich einen kleinen Restgedanken. 'Ich hätte das Kochwaschprogramm nehmen sollen', meint er und betrachtet ärgerlich den dunklen Fussel. Es ist eine hartnäckige Erinnerung, die sich, wie ein lästiger Parasit an seinem Hirn festgekrallt hat. Schnell schüttelt Bruno sein Hirn aus und der Fussel segelt auf die Fliesen der Waschküche. Er hebt ihn auf und liest, was in kleinen Druckbuchstaben darauf steht.

Nicht vergessen, Wissen anrufen.

'Was das wohl zu bedeuten hat?'
Bruno runzelt seine vom fehlenden Hauptspeicher etwas eingefallene Stirn.
'Egal, auf jeden Fall ist mein Gehirn jetzt wieder sauber und wie neu.' Und so segelt der Fussel erneut auf den sonst blitzeblanken Waschküchenboden.

Es ist sechs Uhr morgens. Bruno setzt sich sein frisch gebügeltes Hirn ein und geht ausnahmsweise mal früh aus dem Haus. Ein neuer Tag beginnt und er freut sich auf die vielen neuen Eindrücke. Ein Vogel pfeift vergnügt ein Lied, als er beim Denkmal des toten Generals die Strasse betritt. Von rechts naht mit grosser Geschwindigkeit ein klappriger Kleinwagen. Auf der Höhe der Kreuzung wird dem Fahrer, einem gewissen Herrn G.Wissen auf einmal schlecht. Sein Kopf sinkt nach vorne auf das Lenkrad und der Wagen beschleunigt. Mit weit aufgerissenen Augen sieht Bruno dem mit heulender Hupe auf sich zuschiessenden Wagen entgegen.

In einer leeren Waschküche zerfällt ein einsamer Fussel in feinste Erinnerungsstücke. Ein Windstoss wirbelt sie auf und trägt sie fort.

 

Hi dotslash,

interessanter Gedanke, das Gehirn weich- und somit reinspülen zu können. Hab ich das richtig verstanden: Bruno kann sein Gehirn wie eine Jacke an- und ausziehen, trägt es somit quasi nicht in seinem Kopf sondern an seinem Körper?

Verschiedene Dinge sind mir allerdings nicht ganz klar geworden. Wie kann Bruno etwas denken

Ich hätte das Kochwaschprogramm nehmen sollen’, denkt er...
wenn doch das Teil, mit dem er denkt, auf der Leine hängt :susp:

Wäre er nicht überfahren worden, wenn er Herrn Wissen angerufen hätte?

Und last but not least kann ich das Experimentelle des Textes nicht finden :sad:
Ich hoffe auf eine erklärende Erläuterung des Autors

Formal: Die Geschichte ist im Präsenz erzählt, allerdings stehen einige Sätze im Präteritum

Bruno runzelte seine vom fehlenden Hauptspeicher etwas eingefallene Stirn
Wobei mir das Bild mit der eingefallenen Stirn besonders gut gefällt :thumbsup:

Zwei Tippfehler noch

Schnell schüttelte Bruno sein Hirn aus und der Fussel segelte auf die Fliessen der Waschküche
Fliesen

In einer leeren Waschküche zerfällt ein einsamer Fusel in feinste Erinnerungsstücke
Fussel

Gruß
George

 

Hallo dotslash,

tja, Waschmaschinen können Lebenswelten und Gedankenwelten beeinflussen...

Eine originelle Geschichte, hat mir gut gefallen, besonders die Wendung zum Herrn G.Wissen. All they are is dust in the wind... dann bleibt nur noch ein zerfallender Fussel. Das hebt die Geschichte noch auf eine etwas nachdenklich machende Ebene.

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo George und Woltochinon,
danke für's Lesen und kommentieren.

@George
Die Zeit- und Tippfehler habe ich bereinigt.

Zum Experiment:
Ich wollte mal bildlich darstellen, wie ein Mensch alles Unangenehme verdrängt und dann von seinem schlechten Gewissen eingeholt wird. Mit diesem Grundgedanken im Kopf ist dann diese Geschichte entstanden.

Bruno kann sein Gehirn wie eine Jacke an- und ausziehen, trägt es somit quasi nicht in seinem Kopf sondern an seinem Körper?
:) Nein, Bruno trägt sein Gehirn schon im Kopf. Ich ändere das ab.

wenn doch das Teil, mit dem er denkt, auf der Leine hängt
Skuril, ich weiss, aber vielleicht übernimmt das Rückenmark solange diesen Part.
Ich ersetzte trotzdem mal "denkt" durch "meint".

Wäre er nicht überfahren worden, wenn er Herrn Wissen angerufen hätte?
Richtig, wenn er (sein) Ge.Wissen angerufen (befragt) und dessen Rat befolgt hätte, wäre es dem nicht schlecht geworden und (das schlechte Ge.Wissen) hätte ihn nicht eingeholt.

@Woltochinon
Vielen Dank für deine Schlussfolgerung, genau so wollte ich es rüberbringen.
:)

Gruss
dotslash

 

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