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Alice D.

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22.10.2004
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Alice D.

Sonntag, 6 Uhr, die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch den Frühnebel und erhellen die Tanzfläche, das verfeierte Volk bewegt sich zu harten Rhythmen, andere stehen gerade auf. Noch nüchtern betrachten Frank und ich das Treiben.

Warum ist das eigentlich erlaubt? Die Ortsverwaltung unterstützt und weiß es, das Land weiß es, der Bund weiß es. Hier findet eine Tanzveranstaltung mit bis zu 10.000 Gästen aus der ganzen Welt statt, ein nicht unerheblicher Teil davon Konsumenten harter Drogen. Außerhalb des Geländes ist uniformierte Polizei präsent, Verkehrskontrollen werden durchgeführt, auf dem Gelände beobachten Zivilpolizisten das Geschehen ohne einzugreifen. Es gibt ein Zelt vom Deutschen Roten Kreuz und einen Kinderhort, es ist ja quasi eine Familienveranstaltung. Die örtliche Feuerwehr kommt regelmäßig vorbei, um die tanzende Meute mit dem Wasserwerfer zu erfrischen und vor dem Kollaps zu bewahren. Man mag es als Toleranz oder als Resignation der Behörden bewerten, aber man kann sich zumindest in nördlichen Gefilden dieses Landes ungestraft in freier Natur aus einem 90 Kilowatt-Soundsystem harte Rhythmen um die Ohren hauen lassen und sich dabei mit verbotenen Substanzen das Gehirn wegblasen.

Wir schlendern über das Gelände, um LSD zu suchen.

Sie sind alle da. Vom Hippie bis zum Werber, von schön bis hässlich, von gepflegt bis ungepflegt, von Südafrika bis Schweden, von arm bis reich, von 17 bis 70. Der Großteil dürfte um die 30 sein. Alles ist friedlich, Love and Peace wird hier noch wörtlich genommen. Es ist das schizophrene Spiegelbild der Spaßgesellschaft im Untergrund: Ausgelassen und kreativ, selbstzerstörerisch und kriminell. Eine Gruppenpsychose auf freiwilliger Basis.

Wir schlendern über das Gelände und haben LSD gefunden.

Man muss die erste Stunde auf so einer Veranstaltung nutzen für klare Gedankengänge. Solange man die Situation noch im Griff hat und der Realität ohne erweiterte Pupillen ins Auge blicken kann. Es ist doch immer gut gegangen. Und so soll es auch diesmal sein, einmal im Jahr.

Liquid LSD. Jeder zwei Tröpfchen.

Wieder ganz schön viele schöne Frauen hier. Überhaupt, viele schöne Menschen. Satte Musik, allmählich geht es los. Sonne. Ich brauch ein kaltes Bier. Aaaah, geil, Bier ist geil. Puh, das LSD wirkt allmählich. Körper kribbelt. Anus zwickt. Ob das bei anderen auch so ist? Wenn’s los geht, juckt’s immer so lustig im Arsch. Ich könnte ja mal eine Umfrage machen. Kuck mal, wie die alle strahlen. Bambambambam. Ich muss näher an die Box. Wo ist eigentlich Frank? Da hinten, ich tanze ihn an. Grinse ihn an. Er grinst zurück und nickt wissend. Es wirkt, wir sind da. Das wollten wir. Einen Tag sich verabschieden. Tanzen. Vergessen. Wild sein. Nicht erwachsen sein. Scheiße bauen. Party machen. Daggeditzdaggeditzdaggeditzdaggeditz. Steif sein und stampfen. Ich schau in den Himmel, keine Wolke mehr, es wird ganz schön heiß. Sonnencreme vergessen. Egal, perfekt, der Tag wird perfekt. Vibration, SMS. Fühlt sich gut an. Gehe an den Rand der Tanzfläche, Zigarette rauchen. Kucke aufs Display. Ui, das Liquid haut ganz schön in die Optik. Aber ich kann’s entziffern: Vera ist da, wo sind wir? Ja, wo sind wir? Ich zerre Frank von der Tanzfläche. Vera ist da! Was? Vera ist da! Wer? Wo sind wir? Wer? Wir wackeln zum Auto. Grinsend. Wir lotsen Vera per Handy zu uns. Sie sagt irgendwas. Wir kichern. Ich schreie laut, nur so. Sie weiß, was los ist, lacht, freut sich uns zu sehen. LSD? Sie weiß nicht, sie muss morgen arbeiten. Hey Vera, es ist 11 Uhr vormittags! Sie grinst. Scheiß drauf, sie macht mit. Zurück zur Tanzfläche, schnell. Kein Bock auf Konversation. Ich will Rhythmus. Tanzen. Abtauchen. Mit allen anderen. Die fühlen alle so wie ich, ich weiß es. Wir sind eins, wir sind anders. Wir sind viele, auf dem Floor fast 1000, aber wir sind anders. Anders als die Millionen da draußen, die ihr Leben lang nie so feiern werden. So empfinden. Eine solche Euphorie verspüren. Körper und Geist so durchschütteln. Aber sie lassen uns. Danke! Danke für diesen Tag. Danke für die Sonne. Perfekt! Ein perfekter Tag. Schreggedeggedeng gnarz schreggedeggedeng gnarz. Puh, der schenkt ganz schön ein. Die im roten Pullover ist aber süß. Lächeln, sie lächelt zurück. Das ist schön. Alle lächeln. Ganz schön heiß. Yes, der Wasserwerfer kommt. Hinrennen, Arme hoch, los, spritz mich voll. Jajaja! Schreien. Klitschnass, weitertanzen. Die lächeln nicht mehr, die lachen. Schreien. Wir sind das Volk! So ein Blödsinn, denk nicht so einen Scheiß, du spinnst doch. Ja, ich spinne. Aber das bin trotzdem ich. Oder nicht? Wo ist eigentlich Vera? Ach ja, die tanzt ja nie so viel. Irgendwo am Rand? Ich laufe, tanze herum, durch alle durch, da, Vera, auf einer Decke. Sie winkt mit einer Bierflasche. Bier, eine rauchen mit Vera. Sie sagt was, ich grinse, haue mir mit der flachen Hand auf den Kiefer. Kiefersperre. Vera lacht und lacht. Sie ist schön, wenn sie lacht. Ich küsse sie. Alles super. Wo ist Frank? Da hinten. Wie immer. Rechter Arm angewinkelt in die Luft gereckt. Der hat einen bekloppten Stil. Springe auf und stampfe zu ihm. Harte Beats. Bammbammbammbamm. Meine rechte Hand zur Faust, immer hoch und runter. Bammbammbammbamm. Sehe ich aggressiv aus? Nein, so tanze ich eben. Ich brülle Frank an: Gute Entscheidung! Er grinst und nickt, dreht sich um, tanzt. Ich brauch mehr Bier. Liquid LSD, Gott segne es. Schaggadaggadäng. Manche Gesichter kenne ich. Vom letzten Jahr. Oder sonstwo her. Es ist heiß, Trägershirts, freie Oberkörper. Sympathischer Typ neben mir, ich laber ihn an. Frage ihn, ob er Schmutz hat. Versteht er nicht. Warum frag’ ich ihn? Ich bin sowas von drauf, warum will ich mehr? Wir grinsen uns an, er hält mir einen Joint hin. Ich kiffe nicht. Ich hol noch ein Bier. Schon wieder die Feuerwehr! Schon wieder? Wer hat mir die Zeit gestohlen? Der Tag darf nie zu Ende gehen. Das ist Rock’n Roll. Die Musik ist aus. Panik. Warum ist die Musik aus? Der Floor hat Feierabend. Wir müssen zum anderen Floor. Schnell! Ich brauche den Rhythmus. Der andere Floor ist riesig, die Boxentürme auch. Vera hat die Decke irgendwo hingelegt. Wir setzen uns. Mann, bin ich drauf. Ach nee, zehn Meter weiter sitzt doch der Liquid-Freak. Der ist ganz schön hinüber. Ich zerre Vera mit. Wo ist Frank? Wir gönnen uns noch ein Tröpfchen. Du bist bekloppt. Der Freak sagt, er wäre seit Freitag hier und hätte schon mindesten zehn Tropfen drin. So sieht er auch aus. Ich sehe sicher ähnlich aus. Ich frage Vera. Sie sagt, ich sehe super aus. Na also, weitermachen. Frank findet uns. Noch ein Tröpfchen? Nee, er muss ja nachher fahren. Jaja, sehr vernünftig, hätte er sich mal Montag freigenommen. Ich schwebe zur Tanzfläche. An die Box. Noch lauter hier. Und was für ein strammer Bass. Welch ein Klangerlebnis. 90 Kilowatt. Vor der Box wird wild getanzt. Ich auch. Alle lachen sich an. Intensiv. Die eine gefällt mir richtig gut. Sie tanzt wunderbar. Ich male mir aus, wie ich sie anspreche. Ich lache mich selbst aus. Hasahassadadaddada wäre schon eine außergewöhnliche Verbalakrobatik in meinem Zustand. Reden ist nicht. Ich will tanzen. Lächeln. Die Hand zur Faust, rechts links, stampfen und irre werden. Wahnsinn! Und da geht es los. Es wird dunkel. Die Deko entfaltet ihre volle Wirkung. Und das LSD erst. Oder bedingt das eine das andere? Ist mir so egal. Ich bin voll im Film. So heftig war’s noch nie. Wo sind die anderen? Egal, total egal. Wo bin ich? Bunter Planet. Die Deko ist krass. Und der DJ ist mein absoluter Held. Wäre jeder DJ, der gerade da oben steht, er trifft mich zum richtigen Zeitpunkt. Muss nachher seinen Namen rauskriegen. Ich tanze wie ein junger Gott. Die kucken alle zu mir. Ich tanze für die anderen. Jeder Schritt stimmt. Die Musik und ich sind eins. Ich ahne jeden Beat voraus. Vibration, SMS. Ich kucke aufs Display. Optik-Error, ich erkenne nichts mehr. Ist das mein Handy? Sah mal anders aus. Lustig. Was für Leute! Ich hab kein Bier. Wo ist denn hier der Bierstand? Neuer Floor, total drauf, keine Orientierung. Da steht einer mit Bier. Ich tanze zu ihm, er lacht, streckt mir den Becher hin. You’re welcome. Ich schaffe es noch zu fragen: Where are you from? Johannesburg, South Africa, best party of the world, I love Germany. Sagt der tatsächlich. Kommt von Südafrika hierher, um zu feiern. Mit mir, mit uns. Die Welt ist schön. Nicht aufhören. Irgendwann wird’s vorbei sein, aber nicht jetzt. Ich stampfe immer fester, meine Faust wird immer härter. Von Boxenturm zu Boxenturm die Bässe in einem harmonischen Kampf. Gegeneinander, füreinander. Ich sehe die Klangwellen durch die Deko schwappen, riesige farbige Wellen. Hin und her. Das Deko-Team, gute Arbeit. Die wissen doch, dass wir LSD fressen. Und so entwerfen sie die Deko. Damit wir durchdrehen. Schweine! Sympathische Schweinekünstler. Frank rempelt mich an. Ich strahle ihn an. 20 Uhr, er muss bald mal los. Ich soll mit, ist ja mein Auto. Ich tanze weg. Ich kann jetzt nicht gehen. Warum muss der morgen arbeiten? Er holt mich ein. Ich lache ihn aus. Ich kicher ihn aus. Hihihi. Reden ist nicht. Er ist weg. Ich tanze und feiere. Mich, die Party, die Drogen, die Leute. Vera kommt. Frank muss los. Ich tanze um sie rum, lache, bin weit weg. Vera lacht auch, tanzt mit. Ist dann weg. Ich schwebe. Was für Farben. Was für Musik. Rammbammbammbammm daggedaggedäng. Jaaaa! Kalter Schweiß auf meiner Stirn. Gehört dazu. LSD. Ist das jetzt hier echt oder nicht? Ich bin ausgeklinkt. Ich weiß, dass ich das bin, aber es ist … keine Ahnung. Ein Tropfen, und so eine Wirkung. OK, drei Tropfen. Vera kommt nochmal. Verabschiedet sich. Weiß, ich bin voll im Film. Küsst mich. Sagt, Frank ist per Anhalter weg. Ich bin allein. Scheiße! LSD allein, tu das nie. Aber ist egal. Weiter. Ich bin glücklich. Ich tanze, stampfe, tanze. Brauche Bier, irre über den Floor. Ganz schön voll. Ich schwanke. Oder schwankt der Floor? Ich kann nicht mehr geradeaus laufen. Menschen bewegen sich. Töne sind Landschaften, Boxen sind Häuser, Fäden sind Fenster. Menschen sind schwammige Hindernisse. Da hinten ist ein Stand. Geld. Ich erkenne die Münzen nicht mehr. OK, ein Schein. Ich kann ihn nicht lesen, nicht mal die Farbe erkennen. Bier bitte. Reiche Schein, bekomme Wechselgeld. Kann nichts erkennen. Vertraue dem Personal. Ist ja auch egal. Leergetrunken. Neben mir reicht mir jemand ein kleines Glas und brüllt. Jägermeister! Runter damit. Danke. Wanke. Zurück zum Boxenturm. Immer zurück zur alten Umgebung. Scanne, ob ich um die bekannten Gesichter herumtanze. Ich brauche das. Basis-Tanzstation. Ja, das sind die. Fühle mich geborgen. Man nickt sich zu. Teilt Bier, Joints, Zigaretten. Nacht von Sonntag auf Montag. Nur die Harten komm’ in’ Garten. Der harte Kern. Montags freigenommen. Intelligente Partyplanung. Bammbammbammbamm. Ich spüre meine Beine. Sie werden schwer. Ich muss weitertanzen. Ich kann nicht mehr. Drei Meter neben mir eine Decke. Da will ich mich draufsetzen. Der Weg scheint nicht bezwingbar. Ich würde stolpern. Große Aufgabe. Ich will nicht stolpern. Ich stampfe weiter. Meine Knie schmerzen. Wie lange tanze ich schon? Wieviel Uhr? Ich schätze, ich tanze schon 15 Stunden. Rekordverdächtig. Ich bin des Teufels Advokat. Meine Optik ist total im Eimer. Ab zehn Meter Entfernung nur noch Konturen, undefinierbare Farben. Ich will auf die Decke. Ich schaff das nicht. Und aus der Box kommt das Brett. Ich kann nicht mehr lange stehen. Ich muss es schaffen, ich muss zum Auto laufen. Im Kombi liegt eine Matratze. Ich sammel Mut. Sehr lange. Will eigentlich gar nicht weg. Mehr Drogen? Nein, das bringt mich um. Ich schwanke am Boxenturm vorbei. Rudere noch einmal zum Abschied mit den Armen. Ich liebe diese Musik. Diese Verbindung. Die Droge, die Musik. Teuflisch. Ich muss ruhen. Ein paar Stunden hinlegen, die Beine, der Rücken, alles schmerzt. Hoffe, dass ich schlafen kann. Wäre eigentlich gern der Letzte, der von der Tanzfläche geht. Aber es ist noch dunkel. Will mir dann doch das schlimmste ersparen. Die Gesichter am Montagmorgen. Zombies. Oft gesehen. Oft einer von ihnen gewesen. Kaputte Gesichter, große Pupillen, rote Haut, magere verstaubte Körper, Zombies. Will ich nicht sehen. Es ist noch dunkel. Sollen mich nicht sehen. Lebende Tote. Nicht schlecht draufkommen jetzt. Kann böse enden. Weiß nicht wie, aber finde das Auto. Matratze liegt bereit. Ich liege. Was für ein Körpergefühl. Knochen und Gelenke bedanken sich. Der Bass wummert in meinem Kopf. Das wird er noch einige Tage lang. Ich kenne das. Ich mag es. Ich schlafe.

Morgens 10 Uhr in Deutschland, die Sonne scheint. Menschen bauen ihre Zelte ab, laufen mit Zahnbürsten herum und wünschen sich einen schönen guten Morgen. Man meint, man befindet sich auf einem beliebigen deutschen Campingplatz, nur dass die Gäste noch unsicher nach dem steinigen Weg zurück in die Realität fahnden. Es werden Versuche gestartet, das Erlebte Revue passieren zu lassen, die Grenzen des Erlaubten und des Fassbaren wieder alltagstauglich zu definieren.

Ich verlasse schnell den Ort des Geschehens und versuche, ihn so in Erinnerung zu behalten wie er noch vor Stunden auf mich wirkte. Zwei Stunden später bin ich zuhause und melde mich bei Frank und Vera zurück. Allen geht es gut. Ich lege mich ins Bett und schlafe. Lang, sehr lang. Bis nächstes Jahr.

 

Hallo Boulanger,

schön zu lesen. Aber überarbeite die Geschichte noch mal von der Formatierung her. Der Teil mit kursiver Schrift ist so schlecht zu lesen und mache ein paar Absätze rein.

Dann ist es für den Leser einfacher. Also, mir ging es jedenfalls so.

Gruss Kardinal

 

Also ich finde den Teil mit der Kursivschrift ohne Absätze gut. Wirkt irgendwie verschwommen, wirr, orientierungslos. So soll's doch auch rüberkommen, oder nicht?
Kam mir beim Lesen fast so vor, als hätte ich selber was geschluckt und würde mitfeiern...

 

richtig

danke fürs feedback. es ist wirklich schwer zu lesen, aber als mittel auch so gewollt. man muss sich eben durchkämpfen. oder durchfeiern, ohne es verherrlichen zu wollen. schön, sweet poison, dass du mitgefeiert hast. ;) gesunde variante.

 

Also: Erst mal klugscheißen, ein Rechtschreibtfehler: harte Drogen (Anfang)
Sonst:
Einige Stellen haben mir von deiner Wortwahl gut gefallen: z.B. Massenpsychose, Optik-Error und vor allem der Satz "Töne sind Landschaften, Boxen sind Häuser, Fäden sind Fenster. Menschen sind schwammige Hindernisse."
Inhalt: Gut. Ich weiß, dieses Thema ist sehr schwer zu beschreiben. Schwer, diese Gedanken festzuhalten. Deine Geschichte gibt einen tollen Einblick in diese Welt. Der Anfang scheint mir etwas pseudo-kritisch. Der kurdive Teil-sehr gut.
Lieber Gruß
Fee

 

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