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Der Mann, der schreiben wollte

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12.08.2004
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Der Mann, der schreiben wollte

Der Mann, der schreiben wollte, saß in der Bahn. Er hatte ein Buch in der Hand, aber er las nicht darin. Er las schon seit einigen Minuten nicht mehr in diesem Buch. Er saß auf seinem Sitz und starrte gerade aus. Dabei dachte er daran, wie es wohl wäre, ein berühmter Autor zu sein, zu dem die Frauen kamen, um mit ihm zu schlafen, weil er über Frauen schrieb, mit denen er schlief.
Der Mann, der schreiben wollte, fuhr von der Arbeit nach Hause. Er war Beamter. Nach etwas mehr als der Hälfte begegnete dem Mann, der schreiben wollte, eine Geschichte.
Sie begann mit dem Mann, der Zeichen an die beschlagene Scheibe malte. Das war der Zauberer. Er malte seltsame Formeln an die Scheibe, die ihn vor dem Tod in der Bahn retten sollten. Den Zauberer erkannte man an seiner Mütze. Darauf stand „Skysport“. Das war komisch.
Der Zauberer war komisch, wie er sich über den Mann, der schreiben wollte, beugte und seltsame Silben murmelnd ein Zeichen an seine Scheibe malte, um ihn so vor dem Tod in der Bahn zu retten. Der Mann, der schreiben wollte, bedankte sich mit einem Nicken, doch der Zauberer war längst weitergegangen, um die anderen Fahrgäste zu retten. Der Mann, der nun sehen konnte, blickte durch die Scheibe und sah einen Jungen, den pessimistischen Jungen. Der den Geldschein in den Automaten schob und die Hand an den Schlitz hielt, weil er wusste, dass der Automat seinen Schein nicht haben wollte. Der den Schein wie selbstverständlich entgegen nahm, ihn glatt strich und noch einmal einführte, wieder mit der Hand am Rückgabeschlitz. Doch der Schein blieb drin, er war nun im Besitz des Automaten. Trotz der Zweifel des Jungen hatte der Automat den Schein für gut befunden, hatte ihn gegen einen Fahrschein und das Wechselgeld getauscht und mit einem abschließenden Rattern den Kontakt zum Jungen abgebrochen. Der Mann, der schreiben wollte, sah den Jungen das Geld des Automaten nachzählen. Das war also der pessimistische Junge, der keinem traute. Auch nicht einem Automaten. Es war der Junge, der noch nicht bereit war zu lernen, der aber lernen würde, wenn er nur wollte. Doch wer brachte ihn zum lernen? Wer brachte ihn dazu, nicht jeden Tag nur auf das Erlöschen der Nachttischlampe zu warten?
Dies war das Mädchen mit den traurigen Augen und den grünen Strumpfhosen, die zu ihr passten. Der Mann, der schreiben wollte, sah sie in der Bahn neben einem Mann sitzen, der auf sie einsprach, während sie in einem Buch las. Das Mädchen mit den grünen Strumpfhosen, die zu ihm passten und das neben ihrem Freund saß, den sie bald verlassen würde, regte die Phantasie des Mannes, der schreiben wollte, an. Sie würde mit dem pessimistischen Jungen zusammentreffen. Irgendwie würden sie sich begegnen. Wahrscheinlich in der Bibliothek, wo der Junge ein Buch für den Zauberer auslieh. Ein Buch über Kornkreise, das das Mädchen mit den grünen Strumpfhosen schon seit langem bestellt hatte. Das erste Treffen würde negativ ausfallen, wegen der Spannung und der Enttäuschung des Mädchens, da sie das Buch trotz der Vormerkung wieder nicht bekam. In ihrem Ärger würde das Mädchen mit der Vorliebe für Kornkreise seinen Bibliotheksausweis liegen lassen, den der Junge, mit dem Auftrag des Zauberers, finden würde. Der Mann, der schreiben wollte, hatte die Geschichte schon vor Augen. Das Buch über Kornkreise, das eines Tages zusammen mit dem Ausweis im Briefkasten des Mädchens liegen würde, direkt auf einer persönlichen Nachricht, die der Freund des Mädchens finden würde. Natürlich gab dies ein Theater und der Freund, der seiner Mutter versprochen hatte, noch in diesem Jahr zu heiraten, beschloß, seine Freundin mit den grünen Strumpfhosen zu entführen. Natürlich keine richtige Entführung, sondern ein Winterurlaub in den verschneiten Bergen eines Hochgebirges. Damit wollte er das Mädchen mit den grünen Strumpfhosen von ihren Gedanken an den pessimistischen Jungen ablenken. Doch er würde es nicht schaffen. Die Phantasie des Mädchens würde ihre Sehnsucht verzehnfachen.
Als der Mann, der schreiben wollte, aus der Bahn ausstieg, wusste er, dass der Zauberer mit Hilfe eines grünen Fadens ihrer Strumpfhosen das Bergdorf ausfindig machen würde, wo die beiden sich versteckten. So konnte der pessimistische Junge ihr nacheilen, um sie zu befreien. Es war noch nicht sicher, ob der Junge den Freund in einem fairen Zweikampf besiegen oder ob der Freund von einer Lawine verschüttet werden würde, weil er versucht hatte, den pessimistischen Jungen zu erschießen.
Als der Mann, der schreiben wollte, zu Hause ankam, schliefen das Mädchen und der Junge, der viel erlebt hatte, zum ersten Mal miteinander und kurz danach, auf der Hochzeitsreise nach Venedig, als sich herausstellte, dass der Zauberer der Vater des Mädchens war, da schwand das Interesse des Jungen, der nicht mehr pessimistisch war. Er wollte was aus seinem Leben machen und er wusste, daß das Glück ihn davon abhalten würde. Der Junge wollte wieder unglücklich und pessimistisch sein.
Um sich kurz zu entspannen, schaltete der Mann, der schreiben wollte, den Fernseher ein und trank einen Tee. Nach der dritten Werbung schlief er im Sessel ein.

 
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Hallo macsoja!!
Gute Geschichte, wirklich!! Ich mag so verquere Handlungen, muss mir allerdings selber immer anhören, dass keiner sie versteht :) Ich finde die Idee echt gut, da mir selber, besonders in der U-Bahn oft die Fantasie durchgeht und ich aber am Ende der Fahrt viel zu müde bin, um meine Fanstasie irgendwo festzuhalten. Ein kleiner Fehler:

die zu ihm passten und daß neben ihrem Freund saß
das
Aber sonst... hat mir echt Spaß gemacht, danke!
Liebe Grüße, Honibert

 

Wuups Honi,

prima, wer hätte das gedacht. Da feiert sie doch ihren ersten Kommentar. Vielen Dank.

Ja in der Bahn wird man schon sehr aktiv. Man hat halt die verschiedensten Leute ne Weile vor der Nase und sie können auch nicht gleich wieder entfliehen. Tja und das gärt dann.

Viele Grüsse

mac

 

Hallo macsoja,

sehr schöne Geschichte. Hat mir wirklich sehr gefallen.

Beim ersten Lesen tat ich mir ein wenig schwer all die Handlungsstränge zu entwirren, doch zwischenzeitlich habe ich sie drei Mal gelesen und sie gefällt mir immer noch besser.

Dabei dachte er daran, wie es wohl wäre, ein berühmter Autor zu sein, zu dem die Frauen kamen, um mit ihm zu schlafen, weil er über Frauen schrieb, mit denen er schlief.
Diesen Satz fand ich auch wirklich sehr stark.

LG
Bella

 

Bonus

Wow, ich bin wirklich überrascht und zugleich erfreut über Eure Anmerkungen und Einschätzungen.

@dr. p
Merci hab´ Dir ja schon geschrieben, daß ich ein wenig stolz drauf bin, daß Du mir Deinen ersten Kommentar gewidmet hast ;)

@Bella
Den Satz mit der Realität habe ich rausgenommen, der hatte schon bissl Holzhammer-Mentalität

@solveig
Nee kenne ich nicht, werde mich aber mal umschauen
Bis Schnee liegt, bin ich eigentlich nur mit dem Fahrrad unterwegs, aber ich freu´ mich immer über den Winter. Weil in der Bahn kann man tatsächlich kleine Sachen miterleben, wo man dann auch noch die Zeit hat, diese zu verarbeiten.

Für alle hier noch Danke-Super-Special-Appetit-Häppchen:

macsoja schrieb:
In der Bahn
Struppi springt in die Bahn und hinterher sein Herrchen, na gut, der springt nicht, läßt sich ziehen, von seinem jungen Vierbeiner. Verheddert sich mit der Leine. Dann setzen sie sich. Struppi unten, Herrchen oben. Jener hat mindestens 9 Ohrringe am Ohr. Am rechten Ohr, das linke kann ich nicht sehen. Die Bahn fährt. Struppi schaut sich um, fühlt sich unwohl, springt am Herrchen hoch, jault. Der versucht Blickkontakt zum Hund herzustellen. Hypnose. Doch Struppis Blick jagt durch die Bahn. Therapieverweigerung. Sitzstreik. Dann wieder Sprungfeder. Er will lieber hoch. Auf Herrchens Schoß wie zu Hause beim Fernsehen, will sich an das Bein schmiegen, will ganz nah ran, ganz tief rein, ins HundeHalterHerz. Doch der zerrt stumm an der Hundeleine. Bloß kein Aufsehen.
Und ich weiß nicht, wen ich bemitleiden soll. Struppi, der so viel Liebe verschenken will oder sein Herrchen, der nun eine dreckige Jeanshose hat. Struppi jault, jetzt will er raus. Alles bewegt sich, der Boden, die Leute, sein schimpfendes Herrchen. Ihm ist schlecht. Er sitzt rückwärts zur Fahrrichtung. Außerdem ist der Schwanz eingeklemmt zwischen den Beinen. Er heult, jault, tanzt. Das Herrchen erhebt die Stimme.. Sitz, Platz und Aus! Aus! Sitz! Platz! Alles auf einmal, nee so wird das nix.

Nochmals merci, das bestärkt mich, da weiterzumachen, wo ich vor ner Weile aufgehörte habe, nämlich sehr kleine Annekdoten zu sammeln, die eben bloß kurze Momente sind. Ich glaube, man kann auch daraus einiges entnehmen.

bis bald
mac

 

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