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Wörterbörse. Zu verwendende Wörter sind GEIZ, ROSE, ENGELSHAAR, GOTTESANBETERIN, JUSTIZVOLLZUGSANSTALT


GEIZ hat mich in meinem Leben weit gebracht. Sehr weit sogar. Sehr weit nach unten. Ihr würdet sagen: ‚bis in die JUSTIZVOLLZUGSANSTALT’. Zu meiner Zeit, das war 1531, wurde man einfach in den Kerker geworfen. Da gab es noch keine Justiz und folglich auch keine dazu passende Anstalt. Wasser und Brot gab es wenig in diesem dunklen Loch, dafür umso mehr Ungeziefer und Ratten. Es schüttelt mich heute noch, wenn ich daran denke. Ich weiß nicht mehr, wie lange sie mich in diesem feuchten Grab gefangen hielten. Als ich rauskam, blies der Wind bitterkalt durch das dünne, muffig riechende Tuch, das ich eng um meinen mageren Körper geschlungen hatte. Obwohl es ein trüber Tag war, kniff ich die Augen zusammen, so sehr war ich vom Licht geblendet. Als die Schergen mich hineinwarfen, lagen noch Schneereste in schattigen Bereichen unter den Bäumen und Hecken. War es ein halbes Jahr, oder ein ganzes? Mein Zeitbegriff kam mir völlig abhanden.

Damals ging alles blitzschnell. Es war an jenem Tag, als unsere Herrin durch unser Dorf reiste und zu Ehren der Herzogin ein großer Markt abgehalten wurde. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was das damals für eine Aufregung war für uns vom einfachen Volk! Händler und Gaukler kamen aus den umliegenden Orten und boten ihre Waren und Kunststücke dar. Dinge, von denen wir nur träumen konnten, lagen plötzlich vor unseren Augen in greifbarer Nähe! Für mich leider zu nahe. Ich konnte nicht widerstehen und klaute einem der Reliquienhändler eine blonde Locke, die in einem Glasfläschchen fest verschlossen war. Er hatte sie vorhin einem edlen Kaufmann in vornehmer Kleidung als die Locke einer bekannten Heiligen angeboten; sie sollte Glück und langes Leben bringen. Ich stand etwas abseits und hatte das Gespräch gehört. Der genannte Kaufpreis brachte sogar den reichen Kaufmann zum Staunen. Als sich die beiden lautstark - aber ergebnislos - versuchten auf einen Kaufpreis zu einigen, war ich schneller. Keiner hatte etwas bemerkt von meiner Tat.

Mein unverhoffter und leichter Sieg machte mich übermütig. Warum sollte ich diese Reliquie dem Kaufmann gönnen? Der hatte doch schon alles Glück dieser Erde. Und ich hatte nicht mal soviel, dass wir täglich essen konnten. Jetzt musste ich für mich alles zum Guten verändern. Sobald ich außer Sichtweite der beiden war, fing ich vor Freude an zu hüpfen wie ein junges Mädchen. Und da passierte es. Das Fläschchen, das ich sorgsam unter meinem Oberkleid versteckt hielt, fiel heraus und zerschellte am Boden. Ich konnte mich gerade noch bücken, und die Haarlocke aufheben, als mich eine kräftige Hand am Arm nahm. „Na, meine Kleine, wo hast du denn diese kleine Flasche mit dem silbernen Verschluss her? Die kannst du doch nur gestohlen haben!“ Dabei sah er mir prüfend in die Augen. „Moment, ich kenne dich, du bist doch die älteste Tochter von unserem Bader!“ Und nachdem mein Vater, der Bader, im Dorf alles andere als beliebt war, und weil mein Diebstahl offenkundig war, warf man mich kurzerhand ins Loch. „Das Gesindel hat es nicht besser verdient“, sagten sie.

Dass ich die blonde Haarsträhne immer noch in der Hand hielt, fiel niemandem auf. Ohne das Glas mit dem kostbaren silbernen Verschluss interessierte sich niemand mehr dafür. Nur ich allein kannte noch ihr geheimes Versprechen.

Nachts, wenn mich die Ratten, die mit ihren langen Schwänzen um mich streiften, nicht schlafen ließen, kniete ich mich auf den nackten Lehmboden meines Kerkers. In der bittenden Stellung einer GOTTESANBETERIN flehte ich den Himmel um Hilfe an und bot ihm auf der nach oben gereckten, waagrecht ausgestreckten Handfläche die Reliquie dar. Alles um mich wurde mit jedem Tag dunkler, schmutziger und feuchter. Nur die Haarsträhne erschien mir immer schöner, heller, ja wie echtes ENGELSHAAR zu werden. Es musste mir einfach Glück bringen! Ich glaubte ganz fest daran.
Wir einfachen Leute vom Lande waren zwar ungebildet und schlecht genährt. Aber manchmal konnte unser Glaube Dinge erreichen, die niemand für möglich hielt!

Für mich kam das Glück in Form einer Fackel, die dem Gitter zu meinem Loch langsam näherte, und die ein mürrischer Geselle vor sich her trug. Er löste die schwere Kette, öffnete das Gitter und riss mich von meinem Lager, auf dem ich ängstlich kauerte, hoch.
„Vorwärts“, raunzte er mich an, und sein nach Fusel stinkender Atem warf mich fast wieder um, „die Herzogin will mit dir reden! Ich kann zwar nicht verstehen, was die Edle von so einem Lumpenpack wie dir will. Aber Befehl ist Befehl“. Er stieß mich mit seinen derben Stiefeln durch den dunklen Gang und die Treppe hoch.

Die Herzogin erwartete mich in einem kleinen Raum. Sie wandte ihr Gesicht angewidert von mir ab, als sie meinen verdreckten und verlausten Körper sah. Nur mit Mühe, kaum vernehmbar, stieß sie einen Satz hervor, den ich niemals mehr vergessen werde: „Meine Tochter hat heute ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Ich hatte der Heiligen Mutter Gottes versprochen, zum Dank dafür einer jungen Frau die Freiheit zu schenken.“ Dann führte sie ihr Riechfläschchen an die Nase und bedeutete mir mit der anderen Hand, zu verschwinden.

So unvermittelt, wie ich reinkam in das Verlies, so plötzlich war ich wieder draußen.

Die Freude in meinem Elternhaus über meine Rückkehr war gering. War doch jetzt wieder ein hungriger Magen mehr, der gefüllt werden musste. Und auch in diesem Jahr war die Ernte schlecht.

Ich beschloss, weiter auf die Macht meines ENGELHAARES zu vertrauen und machte mich heimlich fort, um in der Stadt ein Auskommen zu suchen.

Vorher aber pflückte ich am Wegesrand die Knospe einer ROSE, ging damit zum Schloss und verlangte, dass die Blume der jungen Mutter überbracht werde.

Mehr konnte ich ihr zum Dank nicht geben.

Verwendete Wörter: GEIZ, ROSE, ENGELSHAAR, GOTTESANBETERIN, JUSTIZVOLLZUGSANSTALT

 

Hallo Ernst Clemens!

Interessant und nett erzählt ist Deine Geschichte, hab sie gern gelesen. :)

Der Einstieg (zwischen Geiz und Justizvollzugsanstalt) wirkt auf mich allerdings ein bisserl gekünstelt, vor allem dadurch, daß die Protagonistin ja noch nicht wissen konnte, daß es später Justizvollzugsanstalten geben würde - aber für dieses Wort kann ich Dir auch keine bessere Verwendung vorschlagen.
Die anderen Worte finde ich jedoch sehr gut untergebracht. ;)

Besonders gefallen hat mir Deine Idee für das Freikommen der Protagonistin, also daß die Herzogin Großmutter wurde und deshalb jemandem die Freiheit schenkt. - Wobei man das auch durchaus als frühes "Gutmenschentum" bezeichnen könnte, wenn man sieht, daß die Protagonistin unter anderen Bedingungen wahrscheinlich gar nicht gestohlen hätte. Aber damit denk ich jetzt sicher weit von Deiner Intention weg...;-)

Ein paar Kleinigkeiten noch:

"Der genannte Kaufpreis brachte sogar den reichen Kaufmann zum staunen."
- zum Staunen

"die Herzogin will mit dir Reden!"
- reden

"So unvermittelt, wie ich reinkam in das Verließ"
- Verlies

"um in der größeren Stadt ein Auskommen zu suchen."
- würde "größeren" streichen


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Interpunktion?

Guten morgen susi,

erstmals vielen dank dafür, dass du dich dieser kleinen geschichte angenommen hast. sie entstand völlig spontan gestern im büro, so zwischen zwei telephonaten, quasi. es reizte mich die verknüpfung von mittelalter und neuzeit, daher die verbindung von verlies und justizvollzugsanstalt.

deine änderungen habe ich allesamt übernommen.

was mich allerdings sehr wundert ist, dass du keine fehler bei der interpunktion gefunden hast. das ist bekanntlich meine achillesferse!

einen schönen tag wünsch ich dir
ernst

 

Hallo Ernst,
mir hat deine historische Geschichte auch gut gefallen. Die Wörter sind bis auf die "Justizvollzugsanstalt" alle sehr gut eingebaut. Bei dem einen Wort ging es mir wie Susi. Da gibt es nur eine Möglichkeit: Streichen und nach Historik verschieben. :D Die Rubrik könnte nach den ganzen Nazigeschichten mal endlich wieder eine gute Mittelaltergeschichte vertragen.
Zwei kleine Anmerkungen noch:

„Na, meine Kleine, wo hast du denn diese kleine Flasche mit dem silbernen Verschluss her?
Vielleicht kannst du ein klein durch etwas anderes ersetzen.

Warum war denn der Bader im Dorf so unbeliebt? Hatten die nicht im Mittelalter eine besondere Stellung im Dorf, so ähnlich wie bei uns heute die Ärzte?

LG
Blanca :)

 

hallo blanca, und danke für deine bemerkungen.

genaus so eine stellung wie heute die ärzte hatten die bader im mittelalter - und genau so exponiert waren sie in der gesellschaft. entweder hatten sie die mehrheit der dorfbewohner auf ihrer seite - oder sie wurden eben zum feind erklärt. und wenn es zu einer feindsituation kam, war die ganze familie, ja der ganze clan davon betroffen.

herzliche grüße
ernst

 

Hallo Ernst,

na bei der Geschichte bedaure ich ja, nicht einfach Knast statt Justizvollzugsanstallt gefordert zu haben. ;)
Sie hat mir gut gefallen. Das Ende finde ich persönlich etwas sehr knapp. Aber das ist Geschmacksache.

Lieben Gruß, sim

 

na bei der Geschichte bedaure ich ja, nicht einfach Knast statt Justizvollzugsanstallt gefordert zu haben.
Aber das war doch duck.face...;)
Nicht alle vorgeschlagenen Worte sind von Dir, wenn auch viele. :D

 

hallo sim,
unabhängig von wem jetzt die wörter vorgeschlagen wurden.... die justizvollzugsanstalt lieferte mir doch glatt die brücke für den sprung ins mittelalter. so gesehen, war sie mir sehr willkommen.

ich wollte die geschichte bewusst KURZ halten. es ist für mich eine gute übung, da es mir viel leichter fällt, etwas längeres zu schreiben, als eine echte KG. deshalb möchte ich auch das ende so stehen lassen.

dir also vielen dank für's lesen und für deinen kommentar.
beste grüße
ernst

 

Hallo Ernst Clemens,

eine nette kleine Geschichte! :)
Ich konnte mich gut in deine Erzählerin hineinversetzen und mir gefiel der Trost, der von dem hellen Engelshaar ausging und die Art und Weise, wie du das Mädchen retten ließest ...

Die Wörterbörse-Vorgaben passen - bis auf die allzu moderne Justizvollzugsanstalt :D - perfekt.

Mir gefiel besonders das Ende mit der Rose.

Eine Kleinigkeit:

Für mich kam das Glück in Form einer Fackel, die dem Gitter zu meinem Loch langsam näher kam und die ein mürrischer Geselle vor sich her trug.
Die Wortwiederholung "kam" störte mich ein wenig ... vielleicht:
"die sich dem Gitter ... näherte" ?

LIeben Gruß
al-dente

 

hallo al-dente,
danke für deine hinweise.
deine verbesserung habe ich bereits umgesetzt.

ja, die Justizvollzugsanstalt musste halt als krücke (oder brücke, wenn du lieber willst) für meinen zeitsprung herhalten.

beste grüße
ernst

 

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