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Wo der Wolf wohnt.

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26.07.2004
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Wo der Wolf wohnt.

Aus seinem Zimmer konnte er das Beet sehen. Mickrig, fast blattlos standen die Sträucher beeinander, ohne Blüte, halbtrocken. Der Sommer war heiß gewesen und die Läuse hatten seinen Stöcken den Rest gegeben. Er hatte nichts tun können. Man erlaubte ihm nicht mehr sie zu wässern oder zu pflegen.
Er durfte dabei zuschauen, wie das leuchtende Grün langsam aus den Blättern wich, die Dornen gummiartig wurden. Zuerst trockneten sie an, dann gab der kümmerliche Rest Feuchtigkeit des Bodens den Widerhaken eine letzte ölige Salbung, sodass sie nicht richtig austrocken konnten, sondern von innen klamm vergammelten. Nun stanken sie erbärmlich.

Ab und zu besorgte er für die Leidensgenossen Rosenöl, sie bestanden drauf, auf ihre eigene Weise, um dann weibisch herumzuhopsen, angetörnt vom Süßen. So lange sie auf die Spielchen standen, umso besser. Als Kontakter hatte er sich wehren können, erfolgreich. Er wollte nicht wie seine Rosen weich werden und vergammeln, aufgesogen voll Brackwasser, bis oben hin, dann lieber brutal verdorren, wie ein ausgelutschtes Insekt.

Er hatte mal einen Kampf zwischen einer Kreuzspinne und einer Gottesanbeterin auf einem Rosenblatt beobachtet. Die Spinne konnte sich nur noch winden in den dornigen Raubbeinen. Und der Leib der Spinne zog sich mehr und mehr zusammen, wie etwas vakuumverpacktes. Das hatte ihn beeindruckt. Zweimal hatte er auf die Gottesanbeterin treten müssen, weil seine Arbeitsschuhe keine glatten Schuhsohlen hatten.
Er musste selbst in Acht nehmen vor weibischen Insassen, doppelt so stark, wie er und vor herrischen Wärtern, mindestens so brutal, wie er.
Zwar war er von mäßiger körperlicher Statur aber zielorientiert im Geist.

Er saß nicht in seinem Zimmer, sondern in der Kantine zwischen zwei Schichten zu je drei Euro fünfzig. Wenn er hier rauskäme, würde er etwa fünftausend Euro bekommen. Das war alles. Nichts weiter außer seinen Hosen. Und vielleicht einem kleinen Geschenk.
Darüber dachte er nach, als ein kleiner, untersetzter Mann sich zu ihm an den Tisch setzte, das Tablett möglichst gerade haltend, da sich die Suppe bereits darauf verteilt hatte. Ein Neuer, denn offenbar hatten sich die Küchenjungs ihn bereits ausgesucht, mit ihren großen Kellen und den Frechheiten, die sie sich erlaubten. Für sie war der kleine Mann Frischfleisch, Freiwild, Blutjunge, eindeutig ein Idiot, der sich gerade zu ihm setzte. „Den Küchenjungs schmeckt alles“, dachte sich Wolfgang.

Der kleine Mann schob, nun, da seine Hände frei waren, mit vielen kleinen, unsicheren Gesten immerzu eine Brille den steilen Nasenrücken herauf. Kurz unter seinen Augenbrauen hatte sich schon eine Vertiefung gebildet.
So oft Wolfgang Brillen bei Neulingen sah, Wolfgang wunderte sich immer noch, wie sehr ein bebrillter Neuling hier ins Auge stach.
Dann fiel ihm etwas erstaunlich leuchtendes auf. Der kleine Mann hatte blondes, lockiges Haar, das ihm lang bis fast auf die Schultern fiel. Und dazu eine glänzende Glatze. Das gab ihm das Aussehen eines gefallenen und irdisch gealternden Engel.
"Armer Kerl", dachte Wolfgang bei sich, "den werden sie ins Herz schließen." Mit einem Lächeln schaut er wieder auf, dem kleinen Mann direkt in die Augen.
„Hallo, ich hoffe, ich störe nicht. Mein Name ist Emil Hermann.", der kleine Mann begann einen Redeschwall, leicht hysterisch,"…aber was ich fragen wollte, haben Sie Rosenöl?“, fragte er, leicht nach vorne gebeugt, die Augen unruhig und der Finger, der die Brille immer wieder vor sich herschiebt, in der Hoffnung irgendwann würde sie einfach dort bleiben. Der Nasenrücken rächte sich immer wieder an diesem Finger und schickte die Brille zur Nasenspitze runter.
„Nein.“, kein strenger Ton. Ein sachliches „Nein.“.
„Mir wurde aber gesagt, Sie hätten Rosenöl.“, fragte der kleine Mann ungeschickt. Seine Augen flackerten.
Wolfgangs Augen funkelten. Er wusste wofür, aber der kleine Mann ließ ihm keine andere Wahl zu fragen.
„Wofür, wenn ich fragen darf? Habe gehört, das ist kein Supermarkt. Hier gibt es nur Geschenke gegen andere. Mal größere gegen kleinere, mal kleinere gegen größere. Was würdest Du mir schenken wollen?“ sagte er langsam, vor sich hinkauend, als hätte er es schon immer so vor sich hingekaut, routiniert, gefährlich routiniert. Dahinter lauerte der Wolf.
Der kleine Mann schaute vorsichtig strinrunzelnd in die Augen des Mannes vor ihm. Sie waren nicht blutunterlaufen, sondern glasig-rot, als hätte er Fässer mit Korrekturtinte statt Augäpfel mit kleinen schwarzen Punkten in der Mitte.
„Was möchtest Du mir nächstes Mal mitbringen, wenn Du von mir beschenkt wurdest?“ formulierte Wolfgang um.
„Weiß nicht. Was kostet denn so ein“, unsicher, zaghaft suchend, „Liter z.B.?“, dabei hatte er schnell auf seine Hände geschaut und bereute.
„Ist Dir klar, wieviel Rosenöl aus einer Blüte hergestellt werden kann. Ungestreckt?“, fragte Wolfgang ohne Regung. Der Wolf war da.
Der kleine Mann ging allmählich in die Falle. Er sackte zusammen, schaute sich nervös um und gnibbelte an seinen Fingern. Die Küchenjungs hatten sich auf ihre Fäuste abgestüzt und schauten zu. Abwartend.
„Ich schenke Dir Dein Wasser, ein wenig für den Anfang. Bring Du mir eine Locke Deines Haars.“ Verständnislos schaute der kleine Mann durch seine kleinen Brillengläser.
Ein Küchenjunge rief: „Engelchen, bist Du soweit?“
„Was?“, der kleine Mann war in der Falle. Er war entsetzt. Er verstand.

Ein halbes Jahr später war Wolfgang draußen. Keine Justizvollzugsanstalt, kein Zimmer mit Blick auf die Rosen, aber um eine Strähne Engelshaar reicher, zuzüglich einer Erinnerung an einen zertretenen Gottesanbeter und der wiederentdeckte Geiz bei seinen kleinen Geschenken.
Was ist schon ein Liter Rosenöl im Vergleich zu der befriedigend aufblühenden Rose des kleinen Mannes und einer nie ersetzten Brille?

Die Rosenblätter verwelkten nach einem guten Sommer und starben, wie Rosen sterben. Trocken raschelnd die Blüten und Blätter, kräftig die Wurzeln und der Stamm für den nächsten Sommer. Denn der kleine Mann war nun Herr der Rosen. Ein kleines Geschenk.


sim zeichnet verantwortlich für diese Worte: Geiz, Rose, Engelshaar, Gottesanbeterin, Justizvollzugsanstalt.

 
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Hallo duck.face,

von Rosenöl als begehrter Handelsware in Knästen habe ich zwar bisher nichts gehört, aber die Idee gefällt mir. :)
Deine Geschichte ist auf angenehme Art unspektakulär und schön zu lesen.
Leider gibts noch eine lange Fehlerliste. Aber das geht mir auch immer so. :)


Und der Leib der Spinne zog sich mehr und mehr zusammen, wie etwas vahuumverpacktes.

Lieben Gruß, sim

 

Autsch, das tat weh .-)

Hoffentlich liest sich der Text nun besser. Habe der Einfachheit halber eine Passage rausgeschmissen.

Vielen Dank für Deine Mühen.

duck.face

 

Ach, weh tun sollte es nicht. :)

Ja, liest sich so schon besser. :)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,
Ich bin der Hoffnung, dass das Rosenöl subtil bleibt und somit assoziativ bleibt. Denn es sollte nicht nur Rosenöl sein.

Ich bin mir zudem unklar darüber, ob der Geiz als Sinneshaltung rübergekommen ist. Und kann man die Symbolträchtigkeit als Leser ertragen?

duck.face

 
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Hallo duck.face!

Deine Geschichte ist sehr schön geschrieben - stilistisch einwandfrei in meinen Augen. Aber eigentlich komm ich nicht dahinter, was Du mit der Geschichte sagen willst. Ich lese zwar hier Deine Fragen, aber ehrlichgesagt kann ich sie Dir nicht wirklich beantworten.
Symbolträchtigkeit - Rosen an sich stehen ja für vieles, ob Rosenöl eine besondere Bedeutung hat, weiß ich nicht. :hmm: Die vertrocknenden Rosensträucher als Symbol für das innere Totsein des Protagonisten während der Gefangenschaft - dem Verbot, zu leben? - Naja, vielleicht hab ich damit einen kleinen Treffer erlangt, aber weiter komm ich leider nicht.
Du sagst, es sollte nicht nur Rosenöl sein - das Öl vielleicht als Symbol für Wärme, die er sich wünscht?

Ein paar Kleinigkeiten hab ich noch:

"Er musste selbst in Acht nehmen vor weibischen Insassen, doppelt so stark, wie er und vor herrischen Wärtern, mindestens so brutal, wie er."
- musste sich selbst ... doppelt so stark wie er (ohne Beistrich)

"Darüber dachte er nach, als ein kleiner, untersetzter Mann sich zu ihm an den Tisch setzte, das Tablett möglichst gerade haltend, da sich die Suppe bereits darauf verteilt hatte. Ein Neuer, denn offenbar hatten sich die Küchenjungs"
- Wortwiederholung untersetzter/setzte - Vorschlag: sich an seinem Tisch niederließ, sich zu ihm an den Tisch gesellte
- "da" und "denn" in Folge fand ich etwas störend, das "denn" könntest Du einfach weglassen

"Der kleine Mann schob, nun, da seine Hände frei waren, mit vielen kleinen, unsicheren Gesten immerzu eine Brille den steilen Nasenrücken herauf."
- seine Brille ... hinauf

"Dann fiel ihm etwas erstaunlich leuchtendes auf."
- etwas erstaunlich Leuchtendes

"Das gab ihm das Aussehen eines gefallenen und irdisch gealternden Engel."
- gealterten oder alternden?

"„Hallo, ich hoffe, ich störe nicht. Mein Name ist Emil Hermann.", der kleine Mann begann einen Redeschwall, leicht hysterisch,"…aber was ich fragen wollte, haben Sie Rosenöl?“, fragte er, leicht nach vorne gebeugt, die Augen unruhig und der Finger, der die Brille immer wieder vor sich herschiebt, in der Hoffnung irgendwann würde sie einfach dort bleiben."
- die Zeichensetzung bei der direkten Rede stimmt nicht so ganz (siehe dazu die Korrekturcheckliste, Punkt 1.2.), zusätzlich würd ich den Satz aber teilen oder ein bisschen umbauen. So richtig gut kommt der nicht. ;)

"Der kleine Mann schaute vorsichtig strinrunzelnd in die Augen des Mannes vor ihm."
- stirnrunzelnd

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo duck.face,

wir haben uns zufällig die gleichen wörter ausgesucht und sehr unterschiedliche stories daraus geschaffen.

Deine gefällt mir sehr gut, wenn es auch einige offene fragen gibt, wie sie häferl ja schon erwähnt hat. Ich denke allerdings, dass sie mit ihrer (weiblich intuitiven interpretation) nicht nur EINEN treffer gelandet hat!

Meine geschichte handelt interessanter weise auch von einer person, die tief gefallen ist..... du findest sie unter dem titel „weit unten“ hier: http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=20046

Herzliche grüße
ernst

 

Hallo Susi, hallo Ernst,

mit dieser kleinen Geschichte hatte ich versucht, verschiedene Bedeutungen der Begriffe zu erfassen und zu verarbeiten. Mir erschien das Rosenöl als Euphemismus, wenn es als Gleitmittel im Knast angewandt wird. Ich habe mir einen Insassen vorgestellt (der nicht näher beschrieben wird, sondern nur als Antrieb für die Geschichte funktioniert), der, wie Susi sagt, eine romantische und eine brutale Ader hat. Dieses Verhältnis und die Auswirkung auf zwei Dritte interessierte mich. Der eine, der eine ertragbare Nische für seine Existenz gefunden hat und der andere, der sofort versteht, welchen Zweck die Order hat.
Ich muss mir jedoch eingestehen, dass Teile der Geschichte jedoch nicht deutlich genug werden, hatte ich doch versucht nur anzudeuten und nicht auszusprechen.

Ich bin Euch dennoch, oder gerade deshalb dankbar für Eure Kommentare.

duck.face

 

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